Ciceros Rede: Pro Sexto Roscio - Warum wurde Cicero eigentlich nicht verfolgt, obwohl er den Günstling des mächtigen Sullas angegriffen hat?

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"Das Plädoyer überzeugte das Gericht vollständig. So durchschlagend war Ciceros Erfolg, daß nicht nur Sextus Roscius freigesprochen wurde, sondern daß er selbst mit einem Schlag der bekannteste Anwalt und Redner Roms wurde. Eine öffentliche Person war er, an der sich zu vergreifen nicht einmal Chrysogonus wagte."

Es war wohl dieser Schutz, der ja auch heute bei sattem Bekanntheitsgrad Leute schützt, die bei irgendwelchen Potentaten in Ungnade fallen.

Das Zitat stammt aus einem interessanten Artikel, den du vielleicht nicht kennst, und zwar aus dem Abschnitt "Ciceros Zivilcourage":

http://www.judithmathes.de/rom/republik/cicero_roscius.htm

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Unterricht - ohne Schulbetrieb

Marcus Tullius Cicero hat Lucius Cornelius Chrysogonus, einen Freigelassenen und Günstling des mächtigen Politikers Lucius Cornelius Sulla, in seiner Verteidigungsrede für den des Mordes an seinem Vater angeklagten Sextus Roscius angegriffen, im Rahmen eines Prozesses (wohl 80 v. Chr.) vor einem aus Senatoren als Richter bestehenden Gerichtshof.

Die Übernahme der Verteidigung erforderte einigen Mut, weil dazu gehörte, auf die Rolle des einflußreichen Günstlings Chrysogonus in diesem Fall einzugehen. Manche haben sich anscheinend gescheut, als Verteidiger für Sextus Roscius aufzutreten (Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 1 – 5). Sulla war zu brutalen Handlungen imstande, wie sich gezeigt hatte. In diesem Fall war aber das Risiko bei einem wohldurchdachten und geschickten Vorgehen ziemlich begrenzt. Cicero war damals ein junger Mann, stammte nicht aus einer zur Nobilität gehörenden vornehmen Adelsfamilie und hatte bisher kein öffentliches Amt ausgeübt. Seine politische Meinung hatte kein großes Gewicht/keine große Autorität und für Sulla war es nicht nötig, darauf mit einem Entgegentreten zu reagieren, solange keine besonderen Umstände dies verlangten.

Cicero hat in seiner Verteidigungsrede für Sextus Roscius die Strategie eingeschlagen, in Bezug auf den Fall in seiner Darstellung Chrysogonus und Sulla scharf zu trennen. Sulla hat er als einen mit anderen, wichtigeren Aufgaben beschäftigten Mann beschrieben, ihm Unkenntnis der Machenschaften des Chrysogonus zugesprochen und ihn nicht dafür verantwortlich gemacht (Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 22; 25; 91; 127; 130 - 131). Sulla hätte die Intrigen nicht gebilligt und Chysogonus hätte Furcht vor ihm haben müsse, wenn Sulla Kenntnis gehabt hätte. Cicero lobt Sulla und äußert grundsätzliche Zustimmung zu seiner Politik (Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 6; 127; 131; 139).

Cicero erklärt, ihm sei zwar eine friedliche Einigung am liebsten gewesen, im zurückliegenden Bürgerkrieg habe er sich dann aber auf der gleichen Seite wie Sulla (also für die sogenannten Optimaten) eingesetzt (Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 136 – 137).

Sextus Roscius hatte Unterstützung von Adligen. Genannt werden Caecilia Metella (Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 27; 147), Tochter des Quintus Caecilius Metellus Balearicus, ein Publius Scipio und ein Marcus Metellus (Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 77) sowie Marcus Valerius Messalla Niger (Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 149). Manner von hoher Stellung und Autorität haben Cicero gebeten, die Verteidigung zu übernehmen (Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 4).

Cicero appelliert an die Interessen, die Werte, die Ehre und die Selbstachtung der Senatoren und besonders der Nobilität (Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 138 – 154). Die Sache des Adels/der Nobilität (causa nobilitatis), für die sich auch Cicero eingesetzt habe, würde völlig entwertet, wenn die Adligen Vergehen und Verbrechen eines Emporkömmlings (als Freigelassener ein ehemaliger Sklave) dulden und einer Anklage mit einem falschen Mordvorwurf zum Erfolg verhelfen.

Cicero erreichte mit seiner Verteidigung einen Freispruch. Das Gerichtsverfahren trug dazu bei, ihn in Rom bekannt zu machen, und ein Mord oder andere Gewaltmaßnahmen gegen ihn hätten Verärgerung, Empörung und Wut ausgelöst. Chrysogonus konnte nicht gut wagen, ihn ohne Rückendeckung durch Sulla umzubringen bzw. umbringen lassen. Für Sulla bestand keine Notwendigkeit, gegen Cicero vorzugehen und ihn zu verfolgen. Im Gegenteil hätte eine Tötung als Rache für den Angriff auf seinen Günstling Sullas Zielen geschadet. Sein Ansehen hätte gelitten. Auch seine adligen Unterstützer hätten eine Ermordung Ciceros nicht gebilligt.

Sulla gehörte zu den sogenannten Optimaten. Diese waren Vertreter und Anhänger einer auf den Senat gestützten Politik mit Vorherrschaft der Nobilität (politische Führungsschicht aus vornehmen Familien). Die Bezeichnung »Optimaten« (lateinisch: optimates) gibt wieder, daß sie sich selbst für »die Besten« (lateinisch: optimi) halten (ähnlich ist der Ausdruck boni = die Guten, die Gutgestelltem, die Gutgesinnten). Sulla strebte keine dauerhafte Diktatur an, sondern wollte stabile Grundlagen für eine Republik unter Führung der Optimaten schaffen. Es sollten gesetzliche Zustände herrschen. Sulla wollte eine Vorherrschaft der Nobilität mit sich selbst tragender politisch-rechtlicher Ordnung herbeiführen.

Chrysogonus hatte einerseits eine Beeinträchtigung senes Rufes erlitten, andererseits hat Cicero in seiner Verteidigungsrede Titus Roscius Capito und Titus Roscius Magnus als Mordverdächtige dargestellt und in der erhaltenen Überlieferung ist kein Anzeichen dafür zu entdecken, daß Chrysogonus wegen dieser Angelegenheit angeklagt und verurteilt worden ist oder erworbene Landgüter an Sextus Roscius geben mußte.

Gründe für eine unterlassene Verfolgung Ciceros sind also:

  • fehlende Erforderlichkeit für Sulla, Cicero zu töten: Cicero hat keine Beschuldigungen gegen Sulla erhoben, er äußert Lob und grundsätzliche Zustimmung zu Sullas Politik, er fordert keine Abschaffung der sullanischen Gesetze, nicht einmal des Gesetzes zur Verfolgung politischer Gegner und die Einziehung von deren Vermögen (lex Cornelia de proscriptione). Sulla war der Mächtige und sein Günstling Chrysogonus für ihn zwar in mancher Hinsicht nützlich, aber von ihm abhängig. Chrysogonus konnte Sulla nicht vorschreiben, ihm unbeschränkte Rückendeckung und Hilfe zu geben, sogar für rechtswidrige Bereicherung, deren Absicherung durch ein unberechtigtes Todesurteil und eine Tötung des Verteidigers.
  • scharfe Trennung zwischen Chrysogonus und Sulla in Bezug auf den Fall in Ciceros Verteidigungsrede: Cicero erklärt für gesichert, Sulla habe keine Kenntnis über die Machenschaften des Chrysogonus gehabt und sei dafür auch nicht verantwortlich, da er mit wichtigen Angelegenheiten beschäftigt gewesen sei und es unmöglich sei, alles, was geschieht, zu bermerken. Cicero liefert so eine Entlastung für Sulla und macht es diesem leicht, auf Maßnahmen gegen Cicero zu unterlassen.
  • Unterstützung für Cicero durch Adlige: Cicero hatte beim Prozeß eine wohlwollende Unterstützung durch mehrere Adlige.
  • schlechtes Verhältnis von Nutzen und Schaden bei einer Tötung Ciceros: Bei einer Tötung Ciceros hätte sich ein eventueller Unmut über den Angriff auf einen Günstling abreagieren können, aber der Schaden wäre weitaus größer gewesen. Die Tat wäre auf verbreitete Mißbilligung gestoßen, Sullas Ansehen hätte (auch bei den eigenen Unterstützern) gelitten.
  • Unvereinbarkeit einer rechtwidrigen Tötung Ciceros mit Sullas Ziel einer optimatisch geführten Republik mit gesetzlichen Zuständen: Ein ungesetzliches Vorgehen hätte in Widerspruch zu grundlegenden eigenen Zielen Sullas gestanden. Eine Rückkehr zu einem normalen gesetzlichen Zustand bedeutete, das Gerichtsverfahren seinen Gang gehen zu lassen.

Albrecht  04.02.2018, 06:34

In Bibliotheken gibt es Bücher zum Thema, z. B.:

Klaus Bringmann, Cicero. 2., durchgesehene und um ein Vorwort ergänzte Auflage. Darmstadt : von Zabern, 2014 (Gestalten der Antike), S. 39 – 43

Manfred Fuhrmann, Cicero und die römische Republik. 5., durchgesehene und bibliographisch erweiterte Auflage. Mannheim : Artemis & Winkler, 2011, S. 49 - 50

Matthias Gelzer, Cicero : ein biographischer Versuch. 2., erweiterte Auflage. Mit einer forschungsgeschichtlichen Einleitung und einer Ergänzungsbibliographie von Werner Riess. Stuttgart : Steiner, 2014 (Alte Geschichte), S. 21 – 24

Marcus Tullius Cicero, Dargestellt von Marion Giebel. Überarbeitete Neuausabe. Originalausgabe. Reinbek bei Hamburg : Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, 2013 (Rororo ; 50727), S. 18 - 19

Christian Habicht, Cicero der Politiker. München : Beck, 1990, S. 31 - 32

Emanuele Narducci, Cicero : eine Einführung. Aus dem Italienischen übersetzt von Achim Wurm. Stuttgart : Reclam, 2012 (Reclams Universal-Bibliothek ; Nr. 18818 : Reclam-Sachbuch), S. 28 - 37

Francisco Pina Polo, Rom, das bin ich : Marcus Tullius Cicero ; ein Leben. Aus dem Spanischen übersetzt von Sabine Panzramm. 2. Auflage. Stuttgart : Klett-Cotta, 2011, S. 211 – 227

Wolfgang Schuller, Cicero oder der letzte Kampf um die Republik : eine Biografie. München : Beck, 2013, S. 32 – 33

Wilfried Stroh, Cicero : Redner, Staatsmann, Philosoph. Originalausgabe. 3., durchgesehene Auflage. München : Beck, 2016 (C.H.Beck Wissen ; 2440), S. 21 - 22

Wilfried Stroh, Taxis und Taktik : die advokatische Dispositionskunst in Ciceros Gerichtsreden. Stuttgart : Teubner, 1975 (Teubner-Studienbücher: Philologie), S. 55 - 79

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Albrecht  04.02.2018, 06:33

Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 136 -140

Marcus Tullius Cicero, Die politischen Reden : lateinisch – deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Manfred Fuhrmann. Band 1. München : Artemis & Winkler, 1993 (Sammlung Tusculum), S. 123/125/127:  

„Wer mich kennt, weiß: als sich, was ich am liebsten gesehen hätte, eine friedliche Übereinkunft nicht erreichen ließ, da habe ich mich mit meiner geringen und schwachen Kraft vor allem dafür eingesetzt, daß die Sieger würden, die es auch geworden sind. Denn konnte nicht jedermann erkennen, daß die Gemeinheit mit der Ehre um den Besitz der Macht stritt? In diesem Kampf brachten es nur verkommene Bürger fertig, sich nicht denen anzuschließen, deren Unversehrtheit sowohl die Ehre im Inneren wie die Geltung nach außen hin zu wahren vermochte. Ich bin froh, ihr Richter, und es erfüllt mich mit großer Freude, daß dieses Ziel erreicht ist und ein jeder Stellung und Rang zurückerhalten hat, die ihm gebühren, und ich weiß, daß dies alles durch die Gnade der Götter, durch die Hingabe des römischen Volkes, durch den Unternehmungsgeist und die Befehlsgewalt und das gesegnete Wirken des L. Sulla vollbracht ist. Daß man die bestraft hat, die mit allen Mitteln Widerstand leisteten, darf ich nicht tadeln; daß man den tapferen Männern Ehre erwies, die sich während der Kriegshandlungen durch ihren Einsatz auszeichneten, lobe ich. Es ist meine Überzeugung, daß um dieses Zieles willen gekämpft worden ist, und ich bekenne, mich aus diesem Grunde der Sache des Adels verschrieben zu haben. Wenn es aber darum ging und man deshalb zu den Waffen gegriffen hat, damit sich das ärgste Gesindel an fremden Vermögen bereichern und über eines jeden Besitz herfallen könne, und wenn es nicht nur verboten ist, derlei durch die Tat zu verhindern, sondern gar, es mit Worten zu geißeln, dann ist das römische Volk in diesem Krieg wahrhaftig nicht wiedererschaffen und aufs neue gegründet, sondern geknechtet und unterdrückt worden. Doch es verhält sich ganz anders; nichts von alledem trifft zu, ihr Richter. Der Sache des Adels widerfährt keine Schande, wenn ihr euch solchem Gesindel entgegenstellt, sondern sogar eine Auszeichnung. Denn wer die jetzigen Verhältnisse tadeln will, der beklagt sich darüber, daß Chrysogonus so mächtig sei; wer sie loben will, legt dar, daß man ihm diese Macht nicht zugestanden habe. Und jetzt darf niemand mehr so töricht oder so unverschämt sein zu behaupten: «Ich wünschte, es wäre erlaubt; dann hätte ich dies gesagt» – du darfst es ja sagen!; «ich hätte dies getan» – du darfst es tun; niemand hindert dich!; «ich hätte dies beschlossen» – beschließe es nur richtig; alle werden es billigen!; «ich hätte dies Urteil gesprochen» – alle werden dich loben, wenn du richtig und ordentlich urteilst.

Solange es unumgänglich war und die Sache selbst dazu nötigte, hatte ein einziger alle Gewalt in seiner Hand; als jedoch dieser Mann die Wahlen der Magistrate geleitet und eine gesetzliche Ordnung eingeführt hatte, da wurde einem jeden der ihm zukommende Wirkungskreis und Einfluß zurückgegeben. Wenn diejenigen, die ihre Stellung wiedererlangt haben, sie auch behalten wollen, so steht es in ihrer Macht, sie auf immer einzunehmen. Wenn sie jedoch diese Mordtaten und und Raubzüge und diesen ungeheuren und verschwenderischen Aufwand entweder sich selbst zuschulden kommen lassen oder bei einem anderen gutheißen, dann – ich möchte, schon um kein ungünstiges Vorzeichen zu geben, nichts Schlimmeres gegen sie äußern; ich sage nur so viel: wenn unsere adligen Herren nicht wachsam und gütig, nicht tatkräftig und mitfühlend sind, dann müssen sie ihre Vorrechte den Männern abtreten, die diese Eigenschaften haben. Deshalb mögen sie endlich aufhören zu behaupten, jemand habe schlecht gesprochen, wenn er wahrheitsgemäß und mit Freimut sprach; sie mögen aufhören, mit Chrysogonus gemeinsame Sache zu machen, mögen aufhören zu glauben, daß ihnen Abbruch geschieht, wenn er eine Schlappe erleidet; sie mögen bedenken, ob es nicht schmählich und jammervoll ist, wenn diejenigen, die den Glanz des Ritterstand nicht zu dulden vermochten, die Tyrannei des nichtsnutzigsten Sklaven ertragen können.“

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Albrecht  04.02.2018, 06:31

Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 130 - 131

Marcus Tullius Cicero, Die politischen Reden : lateinisch – deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Manfred Fuhrmann. Band 1. München : Artemis & Winkler, 1993 (Sammlung Tusculum), S. 117:  

„Wenn er alle diese Vorwürfe, wie nichtsnutzige und unredliche Freigelassene zu tun pflegen, auf seinen Schutzherrn abwälzen möchte, so erreicht er gar nichts; denn es ist allgemein bekannt, daß der Umfang der Geschäfte vielen viel zu tun erlaubte, was Sulla zum Teil nicht billigte, zum Teil nicht wußte. So ist es also gut und recht, daß manches hiervon unbekannt und straflos bleibt. Nein, ihr Richter, aber es ist unvermeidlich. Denn auch der allgütige und allmächtige Jupiter, dessen Wille und Befehl dem Himmel, der Erde und den Meeren gebietet, fügt oft durch allzu heftige Stürme oder entfesselte Ungewitter oder allzu große Hitze oder unerträgliche Kälte den Menschen Schaden zu, zerstört Städte, vernichtet Ernten, und wir glauben gleichwohl, daß nichts von alledem um des Verderbens willen nach göttlichem Ratschluß geschehe, sondern umittelbar durch die furchtbare Gewalt der Elemente verursacht werde; andererseits aber sehen wir, daß uns die Güter, die wir nutzen, das Licht, das wir genießen, die Luft, die wir atmen, von ihm gewährt und zugeteilt werden. Da wundern wir uns, ihr Richter, daß L. Sulla mancherlei nicht habe bemerken können, als er allein dem Staat gebot und den Erdkreis beherrschte und nunmehr die Hoheit des Reiches, die er mit den Waffen wiederhergestellt hatte, durch Gesetze beschützte? Dann müßte ja wunderbar sein, daß menschlicher Verstand nicht erreicht hat, was göttliche Kraft nicht bewirken kann.“

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Albrecht  04.02.2018, 06:27

Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 22

Marcus Tullius Cicero, Die politischen Reden : lateinisch – deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Manfred Fuhrmann. Band 1. München : Artemis & Winkler, 1993 (Sammlung Tusculum), S. 23:  

„Dieses alles, ihr Richter, hat sich, wie mir zuverlässig bekannt ist, ohne Wissen des Lucius Sulla zugetragen. Er renkt wieder ein, was vergangen ist, und rüstet sich zugleich für das, was dem Anschein nach bevorsteht; nur er hat die Mittel, Frieden zu stiften, und die Macht, Krieg zu führen; alle richten ihre Blicke einzig auf ihn; er allein vermag alles zu lenken; er ist durch so viele und wichtige Obliegenheiten beansprucht, daß er nicht einmal frei aufatmen kann: da ist es wirklich kein Wunder, wenn ihm etwas entgeht, zumal ja viele ein scharfes Auge auf seine Beschäftigungen haben und eine Gelegenheit zu erhaschen suchen, um, sobald er zur Seite blickt, irgend etwas von dieser Art ins Werk zu setzen. Mag er überdies noch so sehr vom Glück begünstigt sein (wie er es wirklich ist): trotz aller Glücksumstände kann es keinen Menschen geben, der nicht in einer großen Gefolgschaft einen schurkischen Sklaven oder Freigelassenen hätte.“

Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 25

Marcus Tullius Cicero, Die politischen Reden : lateinisch – deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Manfred Fuhrmann. Band 1. München : Artemis & Winkler, 1993 (Sammlung Tusculum), S. 25/27:  

„Es stellt sich heraus, ihr Richter, was ich schon früher gesagt habe: daß diese schändlichen Verbrechen ohne Wissen Sullas geschehen sind. Denn sofort befaßt sich Chrysogonus persönlich mit den Abgesandten und ordnet auch Leute von Rang mit der Bitte an sie ab, keinen Zutritt zu Sulla zu suchen, und mit dem Versprechen, er werde alle ihre Wünsche erfüllen.

Er war aber von solcher Furcht erfüllt, daß er lieber gestorben wäre, als daß Sulla von diesen Dingen erfahren hätte. Er versicherte, er werde den Namen des Sextus Roscius aus den Listen tilgen und dem Sohne die Güter frei von fremden Rechtstiteln übergeben, und obendrein versprach T. Roscius Capito, der zu den zehn Abgesandten gehörte, daß man es wirklich so halten wolle.“

Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 91

Marcus Tullius Cicero, Die politischen Reden : lateinisch – deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Manfred Fuhrmann. Band 1. München : Artemis & Winkler, 1993 (Sammlung Tusculum), S. 81:  

„Doch wie es zu gehen pflegt: die Wut und das Getümmel des Krieges bewirken oft vielerlei ohne Wissen des Feldherrn. Während der Mann, der den Oberbefehl in Händen hatte, mit anderen Dingen beschäftigt war, da pflegten unterdessen manche ihre eigenen Wunden: als ob der Staat in ewige Nacht gehüllt wäre, so hitzig machten sich diese Leute in der Dunkelheit zu schaffen und kehrten das Unterste zuoberst; ich muß mich wundern, daß sie nicht auch die Bänke verbrannt haben, um keine Spur von den Gerichten übrigzulassen. Denn sowohl die Ankläger wie die Richter haben sie beseitigt. Die Sache hat ein Gutes: sie führten sich so auf, daß sie, auch wenn sie wollten, nicht alle Zeugen töten könnten; denn ohnehin wird es, solange die Menschheit lebt, nicht an jemandem fehlen, der sie anklagt, und solange der Staat besteht, werden Prozesse stattfinden.“

Marcus Tullius Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino 127

Marcus Tullius Cicero, Die politischen Reden : lateinisch – deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Manfred Fuhrmann. Band 1. München : Artemis & Winkler, 1993 (Sammlung Tusculum), S. 113:  

„Nicht gegen den, den du möchtest und meinst; denn die Person Sullas hat mein Vortrag von Anfang an und hat die eigene hervorragende Tüchtigkeit zu jeder Zeit gerechtfertigt. Ich sage, dies alles hat Chrysogonus getan; er hat erlogen, er hat vorgegeben, Sextus Roscius sei ein schlechter Bürger gewesen; er hat behauptet, der Mann sei auf seiten der Feinde gefallen; er hat nicht zugelassen, daß die Abgesandten aus Ameria L. Sulla über den Stand der Dinge unterrichteten.“

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Cicero war, wenn man es negativ sieht. ein Wendehals, wenn man es positiv sieht sehr anpassungsfähig. Er kam aus einer mittleren Adelsfamilie, d.h. zweite Liga. Natürlich hat er auch mächtige Freunde gehabt und es ist für uns heute schwer, das ganze politische Geflecht zu durchschauen. Mal war er für Cäsar, nachher aber sein erbitterter Feind. Bei vielen war Cicero wegen seiner tugendhaften Art sehr beliebt. Wenn man so einen Menschen direkt und persönlich umbringt, wird das auch viele Nachteile mit sich bringen - besser dann später durch einen anderen auf der Flucht.