Arestoteles Ethik

2 Antworten

Nach Kant ist man gemäß dem von ihm formulierten kategorischen Imperativ zum moralischen Handeln – aufgrund vernünftiger Einsicht – verpflichtet. Allerdings sagt er auch noch, hinzukommen müsse „der gute Wille“; also die Einsicht allein genügt nicht. („Pflicht“ heißt hier nicht, dass man - im Sinne eines Zwanges - moralisch handeln muss, sondern man „sollte“ moralisch handeln, wenn man ein Mensch sein will; das Vernünftige in uns sagt uns, man ist erst dann ein wirklicher Mensch, wenn man den kategorischen Imperativ „verinnerlicht“ hat). Statt Moral könnte man auch Tugend sagen. Was ist nun der Unterschied der sog. kantischen Pflichtethik zur sog. Aristotelischen Tugendethik? - „Tugend“ ist nach Aristoteles so viel wie „Vortrefflichkeit“ in der konkreten Situation, also nicht ein Ideal (wie das Gute), sondern eine „gute Eigenschaft“, die man jedem zumuten kann (sog. goldener Mittelweg). Z.B. ist Tapferkeit die goldene Mitte zwischen Tollkühnheit und Feigheit. So muss man bei allen vortrefflichen Eigenschaften immer die goldene Mitte wählen, dann handelt man tugendhaft. Den Unterschied zu Kant sehe ich allein in der Verbindung der Tugendlehre des Aristoteles mit dem Glückseligkeitsziel. Hier sagt Aristoteles, dass zur Tugend (als Voraussetzung des Glücklich-seins, wonach alle streben) nur bestimmte Personengruppen in der Lage sind. Dazu gehören die Gesunden, die (halbwegs) Vermögenden und die Schönen. Die Armen, Hässlichen und Kranken können oder wollen nicht glücklich sein und können oder wollen also auch nicht tugendhaft handeln. Nicht weil sie nicht die nötige Einsicht in das Wesen des Glücklich-seins haben; sie können schon erkennen, dass Tugend (also Vortrefflichkeit) eine Voraussetzung für die Glückseligkeit ist (es sei denn, sie sind dumm). Allein ihnen fehlt der Wille zur „Vortrefflichkeit“ (bei manchen auch die Fähigkeit dazu). Arme sind aufgrund ihrer Armut habsüchtig, sagt Aristoteles, sind also zur Tugend außerstande bzw. ihnen fehlt der Wille. Hässliche können nicht anmutig sein; Anmut ist aber eine wichtige tugendhafte Eigenschaft. Ein hässlicher Mensch wird immer mit seinem Schicksal hadern. Kranke sind ebenfalls von Natur aus verdrießlich, können also auch nicht glücklich sein oder wollen es gar nicht, denn eine gewisse Ausgeglichenheit, ein „maßvolles“ Verhalten in der konkreten Situation ist unerlässlich; dazu sind Kranke außerstande; sie geben es von vornherein auf (s. hierzu Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch X). Ansonsten kann nur glücklich werden, wer den Willen zur Tugend besitzt. - Wenn man sagt, Kants Ethik sei eine Ethik des Sollens und die des Aristoteles eine Ethik des Wollens, so ist das m.E. etwas missverständlich. Auch Kants Ethik ist z.T. eine Ethik des Wollens (s.o. „der gute Wille“). Wie bei Aristoteles genügt also nicht bloß die Einsicht in die Notwendigkeit, tugendhaft-moralisch zu handeln (gemäß dem kategorischen Imperativ). Allerdings, wie gesagt, will man ein wahrhafter Mensch sein, „sollte“ man (nach Kant) moralisch handeln. Aristoteles hebt hier mehr auf die Freiwilligkeit ab. Wer halt nicht tugendhaft handeln will, verzichtet von vornherein auf das Glückseligkeitsziel. – Nach meiner Auffassung ist die Tugendethik des Aristoteles veraltet. Dass man den Armen, Kranken und Hässlichen die Fähigkeit zur Tugend abspricht, passt nun wirklich nicht mehr in unsere Zeit. Mag sein, dass viele Bettler mit Tugend „nichts am Hut haben“, aber alle kann man doch wohl nicht über einen Leisten schlagen.


Albrecht  18.12.2012, 11:27

Aristoteles vertritt die Auffassung (Nikomachische Ethik 1, 9 , 1099 a – b; 10, 9, 1178 b – 1179 a), zum Glück gehörten auch äußere Güter, z. B. Gesundheit, Nahrung und andere Versorgung elementarer Bedürfnisse, zur Verfügung stehende Hilfe durch Freunde, Geldmittel und politischen Einfluß, Schönheit, Muße (als Voraussetzung). Vollendetes Glück zu erreichen, sei zum Teil von der Gunst äußerer Umstände abhängig.

Daraus ergibt sich aber nicht ein logisch zwingender Schluß, wer bei den äußeren Umständen irgendwie ungünstig gestellt ist, sei völlig glücksunfähig bzw. könne überhaupt keine Vortrefflichkeit/Tugend/Tüchtigkeit aufweisen.

Aristoteles, Nikomachische Ethik 10, 9, 1178 b – 1179 a

Aristoteles, Nikomachische Ethik. Übersetzung und Nachwort von Franz Dirlmeier. Anmerkungen von Ernst A. Schmidt. Bibliographisch ergänzte Ausgabe 2003. Stuttgart : Reclam, 2006 (Reclams Universal-Bibliothek ; Nr. 8586), S. 293 - 294:
„Es wird aber auch die Gunst der äußeren Umstände vonnöten sein, da wir Menschen sind. Denn unsere Natur ist für sich allein nicht ausreichend, die geistige Schau zu verwirklichen. Es ist auch Gesundheit des Leibes vonnöten sowie Nahrung und sonstige Pflege. Indes braucht man sich nicht vorzustellen, daß ein beträchtlicher Aufwand erforderlich ist, um glücklich zu werden, wenn es schon nicht möglich ist, ohne die äußeren Güter das Glück zu erreichen. Denn nicht ein Übermaß ist für allseitige Unabhängigkeit und für das Handeln vorausgesetzt, im Gegenteil: auch ohne Herrschaft über Land und Meer ist edles Handeln möglich; auch von einer maßvollen Grundlage aus kann man wertvoll handeln. Mann kann dies deutlich beobachten, denn bekantlich handelt der einfache Bürger nicht minder rechtlich als der Machthaber: er übertrifft ihn sogar. Und es genügt, wenn das Äußere in dem bezeichneten Umfang zu Gebote steht, denn das Leben des Mannes, der wertvoll handelt, wird glücklich sein.

Solon hat wohl die richtige Vorstellung von einem glücklichen Menschen gegeben, indem er als Glücklich den ansprach, der (nur) in maßvoller Weise mit äußeren Gütern versehen dennoch das nach seiner Anschaung Edelste getan und ein besonnenes Leben geführt habe. Denn es ist möglich, mit mäßigem Besitz zu tun, was sich gehört.“

An welchenTextstellen spricht Aristoteles, wie behauptet, bestimmten Personengruppen allgemein die Fähigkeit und den Willen zum Glücklichsein und zur Vortrefflichkeit/Tugend/Tüchtigkeit ab?

„Die Armen, Hässlichen und Kranken können oder wollen nicht glücklich sein und können oder wollen also auch nicht tugendhaft handeln.“

„Arme sind aufgrund ihrer Armut habsüchtig, sagt Aristoteles, sind also zur Tugend außerstande bzw. ihnen fehlt der Wille. Hässliche können nicht anmutig sein; Anmut ist aber eine wichtige tugendhafte Eigenschaft. Ein hässlicher Mensch wird immer mit seinem Schicksal hadern. Kranke sind ebenfalls von Natur aus verdrießlich, können also auch nicht glücklich sein oder wollen es gar nicht, denn eine gewisse Ausgeglichenheit, ein „maßvolles“ Verhalten in der konkreten Situation ist unerlässlich; dazu sind Kranke außerstande; sie geben es von vornherein auf (s. hierzu Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch X).“

„Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch X“ ist Fehlanzeige gewesen. Ich habe keine der angeblichen Aussagen dort gefunden.

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Haldor  23.12.2012, 13:50
@Albrecht

Zu Albrechts Kommentar folgende Erwiderung: Sie erwecken den Eindruck bzw. sagen es direkt, der Verweis auf die Nikomachische Ethik, Band X sei eine „Fehlanzeige“, was des Aristoteles Auffassung betrifft, nur Gesunde, Schöne und (wie ich ja betonte:) „halbwegs“ Vermögende könnten tugendhaft sein bzw. handeln. Hierzu Zitate aus der Nik. Ethik: „Wir dürfen also das Glück als ein geistiges Schauen bezeichnen.... Es wird aber auch die Gunst der äußeren Umstände vonnöten sein, da wir Menschen sind.“ (Bd. X, 8 / 9) – „Es ist auch Gesundheit des Leibes vonnöten sowie Nahrung und sonstige Pflege.“ (Bd. X, 9.) – „Denn es ist möglich, mit mäßigem Besitz das zu tun, was sich gehört.“ (Bd. X, 9) - Also, von „Fehlanzeige“ kann keine Rede sein. – In anderen Büchern der Nikom. Ethik. wird des Aristoteles Intention noch deutlicher. Auszugehen ist immer davon, dass „Tugend und Glückseligkeit ihm (Aristoteles) völlig gleich und von einander untrennbar sind. Er sagt ja nicht bloß, dass die Tugend zur Glückseligkeit führe, sondern noch öfter sagt er, dass sie oder die tugendgemäße Tätigkeit die Glückseligkeit sei.“ (Eugen Rolfes, Aristoteles’ Nikomachische Ethik, Einleitung, 1910). In der Nikomachischen Ethik teilt Aristoteles die Güter, die es zum Erlangen der Glückseligkeit zu erreichen gilt, in die äußeren, die körperlichen, und die seelischen Güter auf. Zu den körperlichen zählen laut ihm besonders die Gesundheit, aber auch die Schönheit, Sportlichkeit oder physische Stärke. „Das Glück setzt ethische Vollkommenheit voraus und ein Vollmaß des Lebens“ (Nik. Ethik, Buch I, 10) - „Indes gehören zum Glück doch auch die äußeren Güter.... Denn es ist unmöglich, zumindest nicht leicht, durch edle Taten zu glänzen, wenn man über keine Hilfsmittel verfügt. (Hilfe von Freunden, von Geld und politischem Einfluss). Ferner: es gibt gewisse Güter, deren Fehlen die reine Gestalt des Glückes trübt, z.B. edle Geburt, prächtige Kinder, Schönheit; denn mit dem Glück des Mannes ist es schlecht bestellt, der ein ganz abstoßendes Äußeres oder eine niedrige Herkunft hat.....gehören also zum Glück doch auch solche freundlichen Umstände, weshalb denn manche die Gunst der äußeren Umstände auf eine Stufe stellen mit dem Glück – während andere der sittlichen Trefflichkeit diesen Platz geben.“ (Nik. Ethik, Buch I, 9) – Dass Aristoteles diese Auffassung nicht formalistisch in dem Sinne meinte, dass ausnahmslos nur Gesunde, Schöne und Vermögende glücklich sein könnten, dürfte doch selbstverständlich sein; diesen Vorbehalt hat er auch stets gemacht (s. z.B. oben: ist „zumindest nicht leicht....“)

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Albrecht  20.01.2013, 06:48
@Haldor

Die Zitate (auf die Stellen ist übrigens in fast allen Fällen von mir schon im meinem Kommentar hingewiesen worden, die Aussagen sind also von mir berücksichtigt) ergeben nur ein gewisses Angewiesensein auf die Gunst äußerer Umstände für ein vollendetes Glück, ein Höchstmaß für Menschen erreichbaren Glücks. Eine völlige Glücksunfähigkeit bzw. ein völliges Unvermögen zur Vortrefflichkeit/Tugend/Tüchtigkeit als Auffassung des Aristoteles enthalten sie nicht. Die letzten Zeilen („Dass Aristoteles diese Auffassung nicht formalistisch in dem Sinne meinte, dass ausnahmslos nur Gesunde, Schöne und Vermögende glücklich sein könnten, dürfte doch selbstverständlich sein; diesen Vorbehalt hat er auch stets gemacht (s. z.B. oben: ist „zumindest nicht leicht....“)“ räumen dies ja im Grunde ein und entfernen sich von der zuerst vertretenen These.

Noch einmal deutlich die Fehlanzeige hinsichtlich Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch X (Textstellen, an denen Aristoteles, wie behauptet, bestimmten Personengruppen allgemein die Fähigkeit und den Willen zum Glücklichsein und zur Vortrefflichkeit/Tugend/Tüchtigkeit abspricht). Es geht um folgende angebliche Aussagen des Aristoteles:

„Die Armen, Hässlichen und Kranken können oder wollen nicht glücklich sein und können oder wollen also auch nicht tugendhaft handeln.“

„Arme sind aufgrund ihrer Armut habsüchtig, sagt Aristoteles, sind also zur Tugend außerstande bzw. ihnen fehlt der Wille. Hässliche können nicht anmutig sein; Anmut ist aber eine wichtige tugendhafte Eigenschaft. Ein hässlicher Mensch wird immer mit seinem Schicksal hadern. Kranke sind ebenfalls von Natur aus verdrießlich, können also auch nicht glücklich sein oder wollen es gar nicht, denn eine gewisse Ausgeglichenheit, ein „maßvolles“ Verhalten in der konkreten Situation ist unerlässlich; dazu sind Kranke außerstande; sie geben es von vornherein auf (s. hierzu Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch X).“

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von Aristoteles vertretene Ethik allgemein

In der Ethik sind viele verschiedene Standpunkte vertreten worden. Daher können beispielsweise im grundsätzlichen Ansatz abweichende Aufassungen genommen werden und dazu Argumente für und gegen die Aufasssungen überlegt werden.

Aristoteles hält Gutes/Güter/Werte und ethische Vortrefflichkeit für etwas das, das es a) unabhängig von einer Meinung dazu gibt und b) grundsätzlich einer Erkenntnis zugänglich ist, die Anspruch auf Wahrheit/Gültigkeit als richtig erheben kann (vom Gesichtspunkt einer Metatehik aus a) Realismus und b) Kognitivismus). Dies kann als Aufzeigen allgemeingültiger Ziele und Maßstäbe, die nicht eine subjektivistische Beliebigkeit darstellen und rational (mit Vernunft/Verstand) nachvollziehbar sind, begrüßt werden oder als Anmaßung auf objektive Geltung abgelehnt werden. Eine ablehnende These ist, moralische Sätze seien nur Gefühlsäußerungen und Ausdruck von Meinungen, keine unabhängig davon Bestand habende Tatsachen, und eine Berufung daraif, weo die Wirklichkeit ist, unterliege der Gefahr eiens Fehlschlusses vom Sein aufs Sollen.

Aristoteles erklärt in seiner Ethik, Glückseligkeit (εὐδαιμονία) sei das höchste Ziel. Dieser Eudaimonismus kann Wertschätzung finden, da dieses Ziel sehr zustimmungsfähig ist und im Streben danach eine eine Motivation enthalten ist. Dieser Ansatz kann aber auch verworfen werden, mit der These, darauf lasse sich keine Ethik aufbauen. Immanuel Kant hat zwar Glück als ein Gut anerkannt, aber die Aufassung vertreten, Glück tauge nicht als Grundlage einer Ethik. Es sei falsch und unmöglich, aus der Glückseligkeit als Bestimmungsgrund ein moralisches/sittliches Gesetz (ein Sollen) herzuleiten. Die eim Erreichen der Glückseligkeit geltenden Gebote der Klugheit stellten nur hypothetische Imperative dar. Sie hätten bloß subjektive Gültigkeit (nur unter der Bedingung/Vorausssetzung, irgendwelche Zwecke als angestrebtes Ziel zu haben). Dann gehe es darum, die zur Verwirklichung geeigneten Mittel zu verwenden.Dies enthalte keine Bestimmumgsgründe des Wollens, die objektiv und allgemeinverbindlich Gültigkeit als gut beanspruchen könne. Das Gute würde aufgrund von ihnen nicht notwendig getan, im Unterschied zum unbedingt geltenden kategorischen Imperativ. Allein ein guter Wille könne uneingeschränkt für gut gehalten werden.

Die Tugendethik kann als Hervorheben der Bedeutungen einer inneren Einstellung, von der her sich gute Verhaltenweisen und Handlungen ergeben, Zustimmung erhalten oder als überholt und wenige geeignet für das Lösen von konkreten Problemen zurückgewiesen werden, z. B. weil die Folgen von Handlungen nicht oder nicht ausreichend beurteilt würden.

Die Bevorzugung eines Leben der theoretischen Betrachtung (θεωρία; Forschung und Philosophie), des βίος θεωρητικός (bios theoretikos) kann als einer leitenden Rolle der Vernunft angenessen erklärt oder als einseitig (»verkopft») abgelehnt werden und eine Gleichrangigkeit der Lebensformen bevorzugt werden.

Eine für alle Menschen kennenzeichnende Bestimmung/eine allgemein-menschliche spezifische Funktion kann als zutreffende anthropologische Annahme beurteilt werden oder nicht bzw. ein objektiv bestehender allgemeinverbindlichher Lebensenwurf für nicht gegeben und nicht begründbar gehalten werden. Als das dem Menschen eigentümliche Werk (οἰκεῖον ἔργον [oikeion ergon]; das, wozu er speziell bestimmt ist) versteht Aristoteles die mit Vernunft verbundene Tätigkeit der Seele und ein entsprechendes Handeln.

Ein denkbarer Vorwurf ist, Aristoteles sei im Einzelnen manchmal zu sehr Zeitumständen verhaftet und Vorurteilen verfallen. Aristoteles meint, einige Menschen seien von Natur aus Sklaven (Politik 1, 3 – 7) und Frauen fehle eine ausreichend feste Kraft der Überlegung und Entscheidung (vgl. Politik 1, 12 – 13). Aristoteles, Nikomachische Ethik 5, 10 nimmt bei Beziehungen in einem nahen Verhälntis allein die Blickrichtung des Hausherrn, Vaters und Ehemannes ein. Er spricht sich nicht im Namen der Gerechtigkeit für die allgemeine Abschaffung der Sklaverei und die Gleichberechtigung der Frau aus.


Albrecht  18.12.2012, 09:47

Mesotes-Lehre

Die Lehre kann auch heute angewendet werden.

Bei der tatsächlich geübten Kritik können auch Fehldeutungen zugrundeliegen, insbesondere eine irrige Gleichsetzung mit Durchschnittlichkeit und Mittelmäßigkeit.

Lehre von der Mitte (μεσότης [mesotes]): Aristoteles versteht Charaktertugend allgemein und die einzelnen Tugenden als richtige Mitte, die zwischen einem Zuviel (Übertreibung/Übermaß) und einem Zuwenig (Zurückbleiben/Mangel) liegt.

Aristoteles, Nikomachische Ethik 2, 6, 1106 b 36 – 1107 a 8:
„Die Tugend/Vortrefflichkeit (ἀρετὴ [arete) ist also eine wählende/vorsätzliche Haltung (ἕξις [hexis]; lateinisch: habitus), die in der auf uns bezogenen Mitte liegt, die durch vernünftige Überlegung bestimmt ist, und zwar durch die, mittels derer der Kluge die Mitte bestimmen würde. Sie ist aber Mitte von zwei Schlechtigkeiten, einer des Übermaßes und einer des Mangels. Und ferner ist sie insofern Mitte, als die Schlechtigkeiten teils hinter dem, was in den Leidenschaften und Handlungen sein soll, zurückbleiben, teils darüber hinausschießen, die Tugend/Vortrefflichkeit aber das Mittlere sowohl findet als auch wählt. Daher ist die Tugend nach ihrer Wesenheit/Substanz (οὐσία [ousia]) und ihrem Begriffs, der angibt, was sie ist, Mitte, hinsichtlich des Besten und des Guten aber Äußerstes.“

Die Mitte (μεσότης) bei Aristoteles ist eine Einstellung, die auf ein richtiges Verhältnis zu Affekten (Leidenschaften) ausgerichtet ist und das in einer Lage angemessene Verhalten. Sie ist nicht mit Durchschnittlichkeit und Mittelmäßigkeit zu verwechseln, worauf volkstümliche Vorstellungen über einen goldenen Mittelweg (lateinisch: aurea mediocritas) leicht hinauslaufen. Sie ist auch nicht etwas, das für alle und immer stets quantitativ genau das Gleiche ist: Die Mitte der Sache hat den gleichen Abstand von den beiden Extremen und ist für alle Menschen ein und dasselbe (2, 5, 1106 a 29 - 31). Das Mittlere in Bezug auf die Menschen (auf uns) ist dagegen weder zuviel noch zuwenig, dies aber nicht für alle als ein und dasselbe (2, 5, 1106 a 31 - 32). Ein Beispiel ist die Menge der Nahrungsaufnahme.

Einige mir einfallende Argumente, die für und die gegen die Lehre von der Mitte bei Aristoteles sprechen.

Pro-Argumente

  • Erfahrung: Wie die Lebenserfahrung zeigt, kann es von der richtigen inneren Einstellung und einem dem, was sachlich erforderlich ist, gut entsprechenden Verhalten Abweichungen nach zwei Seiten/Richtungen hin geben (zuviel und zuwenig). Das Richtige nimmt insofern eine Zwischenstellung ein.

  • Sachgemäßheit begrifflichen Denkens: Das Gute ist etwas Angemessenes. Ein Ziel kann getroffen oder (mit einem Mehr und einem Weniger) verfehlt werden. Eine bloße quantitative Steigerung ist nicht unbedingt der richtige Weg. Sowohl der Gesichtspunkt des mehr oder weniger Seienden als auch der Gesichtspunkt der Guten werden einbezogen (in wissenschaftlichen Untersuchungen werden diese Gesichtspunkte zum Teil ontologische Dimension und axiologische Dimension genannt). Die Lehre ist nicht auf das äußere Handeln beschränkt, sondern bezieht sich auch auf die innere Einstellung, aus der es sich ergibt.

  • flexibel die Individualität berücksichtigende Orientierungsleistung: Die Mitte als das passende Verhalten ist ein Stück weit von dem Individuum in einer Lage (Sitaution) und seinen Fähigkeiten abhängig.

  • Förderung der Selbstbejahung und der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben: Ein einheitlicher und reflektierter Umgang mit den eigenen Strebungen, Gefühlen und Leidenschaften, der auf einen Zusammenhang im Lebensentwurf und für die eigene Person inhaltlich wichtige Ziele achtet, ist für die Zufriedenheit mit dem eigenen Dasein günstig, zumindest bei Tugenden der Besonnenheit und der Standhaftigkeit.

Kontra-Argumente

  • Unklarheit: Die Lehre gilt als dunkel, nicht gut nachvollziehbar.

  • Leerheit: Die Lehre von der Mitte gilt als leere Tautologie.

  • Untauglichkeit für Anwendung: Die Lehre von der Mitte gilt als in der konkreten Praxis nicht anwendbar. Was die verlangte Mitte dabei sei, lasse sich über formale Aussagen hinaus nicht wohlbegründet herausfinden. Das gute Handeln, mit dem Aristoteles nicht das mittelmäßige meint, kann konkret nicht einfach durch den Begriff der Mitte bestimmt werden. Aristoteles weiß dies auch selbst (Nikomachische Ethik 6, 1), gibt aber richtige Überlegung (ὀρϑός λογός) und die Klugheit/praktische Vernunft (φρόνησις; verbindet ein Wissen über allgemeine Prinzipien mit umsichtiger und geschickter Anwendung im Einzelfall) als Fähigkeiten an, die dies übernehmen.

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Albrecht  18.12.2012, 09:49
  • grundsätzlich Argumente in der Ethik gegen „gut“ und „schlecht“ als gültige Sachverhalte, gegen Eudaimonismus (Streben nach Glückseligkeit) als Grundlage der Ethik und gegen die Geltung von Tugenden: Wenn das Vorhandensein inhaltlich objektiv guter Lebensziele aufgrund eines einheitlichen spezifisch menschlichen Werkes/einer Funktion/einer Aufgabe/einer Tätigkeit (ἐργον [ergon]) angezweifelt wird, kann eine Mitte kaum als allgemeinverbindlich erklärt werden.
  • Abweichung der Gerechtigkeit vom Schema: Wie Aristoteles selbst darstellt (Nikomachische 5, 9, 1133 b – 1134 a), ist Gerechtigkeit eine Mitte der Sache, nicht eine Mitte „für uns“. Gerechtigkeit ist nicht etwas, das bei Steigerung falsch ist, sondern die von der Mitte der Sache abweichenden Extreme sind jeweils Ungerechtigkeit (dies ist kein grundsätzliches die Richtigkeit der Lehre von der Mitte widerlegendes Argument, sondern eines gegen die starke Betonung der Mitte durch Aristoteles; Mitte zu sein, ist eine Erscheinungsform bei den Charaktertugenden, aber das entscheidende Wesensmerkmal ist das Angemessene und nach der Klugheit/praktischen Vernunft Richtige. Allerdings hat Aristoteles, Nikomachische II 5, 1107 a 8 - 27 immerhin schon Einschränkungen bei der Lehre von der Mitte begründet.

Kant lehnt z. B. eine Lehre von der Mitte ab, wobei er sich offensichtlich auf eine Aristoteles-Fehldeutung bezieht.

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten. Zweiter Theil. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. Einleitung zur Tugendlehre. XIII. Allgemeine Grundsätze der Methaphysik der Sitten in Behandlung einer reinen Tugendlehre (AA VI 404):
„Der Unterschied der Tugend vom Laster kann nie in Graden der Befolgung gewisser Maximen, sondern muß allein in der specifischen Qualität derselben (dem Verhältniß zum Gesetz) gesucht werden; mit anderen Worten, der belobte Grundsatz (des Aristoteles), die Tugend in dem Mittleren zwischen zwei Lastern zu setzen, ist falsch.“

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten. Zweiter Theil. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. Ethische Elementarlehre. Erster Theil. Von den Pflichten gegen sich Selbst überhaupt. Erstes Buch. Von den vollkommenen Pflichten gegen sich selbst. Zweites Hauptstück. Die Pflicht des Menschen gegen sich selbst, blos als ein moralisches Wesen. II. Vom Geize. § 10 in einer Fußnote (AA VI 433):
„Der Satz: man soll keiner Sache zu viel oder zu wenig thun, sagt so viel als nichts; denn er ist tautologisch.“ Das Mittlere als Tugendpflicht könne nicht gezeigt werden. Das Mehr oder Weniger in der Anwendung werde von den Regeln der Klugheit vorgeschrieben, nicht denen der Sittlichkeit.

Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins : eine Entwicklung seiner mannigfachen Gestalten in ihrem inneren Zusammenhang. 4. Auflage. Herausgegeben von Jean-Claude Wolf. Göttingen : V & R Unipress, 2009 meint S. 130, daß Aristoteles für die Bestimmung der rechten Mitte nichts anderes übrigbleibe, als auf den guten Geschmack zurückzugehen. Einen gewissen Wert habe die Lehre vom rechten Maß als Hilfsmittel der Erziehung zu einem sittlichen Leben und einer rechtzeitigen Geschmacksbildung. Das Prinzip dürfe aber keine direkte ethische Bedeutung im engeren Sinn beanspruchen,da seine Wirksamkeit sich vorzugsweise in Grenzgebieten entfalte,die als Naturgrundlagen ethischen Lebens bezeichnet werden könnten. Wirkliche Tugenden wie Gerechtigkeit wüßen nichts von einer Mitte zwischen Extremen und kennten kein Zuviel (S. 132). „Ich würde nicht so ausführlich auf das Prinzip der rechten Mitte eingegangen sein, wenn nicht die Autorität des Aristoteles derselben ein Ansehen verliehen hätte, das es in solchem Grad durchaus nicht verdient, da es nicht nur den Kern des Sittlichen unberührt läßt, sondern auch innerhalb seines Wirkungskreises in eine höchst bedenkliche Apotheose der Mittelmäßigkeit als solcher ausläuft. Es ist schwer zu begreifen, wie ein hellenischer Denker von dem Scharfsinn und Weitblick eines Aristoteles seine ethische Theorie über die Tugend in einen so trivial-beschränkten Gesichtskreis bannen lassen konnte.“

In Büchern gibt es Darstellungen und zum Teil Argumente, z. B.:

Henning Ottmann, Mesotes. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 5: L – Mn. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1980, Spalte 1158 – 116

Spalte 1159: „Entgegen einem verbreiteten Mißverständnis meint diese M. jedoch weder eine kraftlose Mittelmäßigkeit noch eine Nivellierung der Charaktere zum Mittelmaß. Denn erstens ist sie (außer bei der ausgleichenden Gerechtigkeit, die ein arithmetisches Mittel, eine Mitte der Sache, ein μέσον τοῦ πράγματος fordert) ein πρὸς ἡμᾶς, das der Verschiedenheit der Person und der Besonderheit der Situation Rechnung trägt, zweitens soll sie nicht Mittelmäßigkeit bedeuten, sondern in der Perspektive des Guten und Besten das Höchstmaß (ἀκρότης) sein.“

M. = Mesotes

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Albrecht  18.12.2012, 09:57

Otfried Höffe, Aristoteles. Originalausgabe. 3., überarbeitete Auflage. München : Beck, 2006 (Beck'sche Reihe : Denker ; 535), S. 225 - 227

S. 225: „Das Zweite Definitionselement der Tugend, der Begriff der Mitte, entfaltet eine ungewöhnliche Wirkungsmacht; heute gilt er aber als dunkel oder leer. Der Rechtstheoretiker Kelsen (Reine Rechtslehre,1960, 375) glaubt etwa, hier werde das moralisch Gute unzulässigerweise mathematisch-geometrisch bestimmt. Der Text spricht aber von einer Mitte „für uns“ (pros emâs) und weist eine mathematische Bestimmbarkeit, die objektive Mitte (pragmatos meson), ausdrücklich zurück (II5, 1106a29-31). Auch Kant erliegt einem Mißverständnis, wenn er gegen Aristoteles’ „Mittelstraße zwischen zwei Lastern“ einwendet, Tugend und Laster seien nicht gradmäßig, sondern in ihrer Qualität verschieden (Tugendlehre: Einleitung XIII; § 10). Die Antike versteht die Mitte nicht bloß im mathematischen Sinn eines Punktes, der von zwei gegebenen Punkten oder Linien gleich weit entfernt ist; die Mitte bedeutet auch etwas Vollkommenes. In diesem Sinn bestimmt Aristoteles die Tugend durch Superlative; er hält sie für das Beste, das Äußerste und für das der Vorzüglichkeit und dem Guten nach Höchste (II2, 1104b28; II5, 1106b22; II6, 1107aa und a23; vgl. IV7, 1123b14 u. ö.; […]).

Nehmen wir als Beispiel das richtige Handeln angesichts von Gefahren. Daß die andreia, die Tapferkeit und Zivilcourage als Mitte zwischen Tollkühnheit und Feigheit bestimmt wird, besagt zwar auch, daß der Tollkühne über zuviel Mut und der Feige über zuwenig Mut verfügt. Wichtiger ist jedoch, daß sich beide einer natürlichen Neigung hingeben, wobei der eine vor keinen Gefahren zurückschreckt und der andere sich vor jeder Gefahr drückt. „Tapfer“ heißt hingegen, wer sich gegenüber Gefahren unerschrocken und standhaft verhält und sie daher souverän zu meistern versteht. Worin die Haltung liegt, läßt sich aber – darauf spielt der Zusatz „(Mitte) für uns“) an – nicht subjektunabhängig sagen. Von dem, der vor Gefahren eher zurückschreckt, ist etwas anderes zu erwarten als von dem, der lieber „blind vorprescht“; außerdem kommt es auf Art und Größe der Gefahr an.

Der Tapfere folgt nun insofern einer mittleren Haltung, als er weder alle Gefahren auf sich nimmt noch vor allen zurückweicht. Die entsprechende Einstellung gewinnt er aber nur dadurch, daß er sich zu seinen Affekten in das richtige Verhältnis setzt. Man kann auch sagen, daß er sie vernünftig organisiert; der Tugendhafte steht zu seinen Affekten in einer überlegten, zudem überlegenen Beziehung.“

Ursula Wolf, Der Sinn der Aristotelischen Mesoteslehre. In: Aristoteles: Nikomachische Ethik. Herausgegeben von Otfried Höffe. 3., gegenüber der 2. bearbeiteten, unveränderte Auflage. Berlin : Akademie-Verlag, 2010 (Klassiker auslegen ; Band 2), S. 83 – 108

S. 83: „Die Aristotelische Lehre von der Tugend als einer mesotês, einer mittleren Verfassung, gilt allgemein als dunkel und zugleich als entweder leer oder nicht anwendbar oder nicht hilfreich […]. Ich möchte zu zeigen versuchen, daß diese Lehre einen rationalen und haltbaren Kern hat, der jedoch in seiner Reichweite begrenzt ist: Die Konzeption von der Tugend als mesotês ist m. E. sinnvoll im Kontext der Frage nach dem guten Leben und der Einheit der Person, während sie auf die moralischen Tugenden nicht paßt.“

S. 97: „Das Argument würde dann lauten, daß es für ein Wesen, das überlegen kann, und in der Affektivität den Rückstoß seines bisherigen Lebens erfährt, eine Bedingung der Selbstbejahung und der Zufriedenheit mit seinem Leben insgesamt ist, daß es sich von seinen faktischen Wollensinhalten nicht blind bestimmen läßt, sondern sich zu ihnen verhält oder zu einem reflektierten Umgang mit ihnen fähig ist, so daß sie sich in Überlegungen über das das gute Leben im ganzen einpassen lassen.“

S. 97 – 98: „Fassen wir den Begriff des Besten zunächst unabhängig von Aristoteles so, daß Menschen Wesen sind, die Ziel- und Wertsetzungen haben, deren Realisierung ihnen wichtig sind, so sind wir hier mit der Tatsache konfrontiert, daß die Realisierung solcher Ziele häufig auf Widerstände stößt, welche den aktiven Seinsvollzug hemmende negative Affekte hervorrufen. Da andererseits die Zielsetzungen solche sind, an denen uns affektiv liegt, wird derjenige, der sich bei negativen Erfahrungen in Untätigkeit zurückzieht, wiederum an den Rückwirkungen dieser Lebensweise leiden; denn er wird mit sich selbst und seinem Leben unzufrieden sein, weil er nicht das getan hat, was ihm wichtig war. Auch auf der passiven Seite der Existenz, auf der wir mit Hindernissen oder Scheitern des eigenen Wollens konfrontiert sind, ergibt sich daher als Bedingung der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben, daß man den negativen Affekten wie Furcht oder Mutlosigkeit nicht einfach überläßt, sondern mit ihnen auf eine Weise umgehen kann, die die aktive Verfolgung der eigenen Zielsetzung nicht verunmöglicht.“

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Albrecht  18.12.2012, 09:58

S. 100: „Die Mesoteslehre läßt sich also nur auf die Tugenden des individuellen Lebens, auf Besonnenheit und Standhaftigkiet und ihre Unterformen anwenden. Diese Tugenden lassen sich unmittelbar aus der Struktur der individuellen Existenz als Vorbedimgung für jede Weise eines guten Lebens, oder vielleicht auch stärker, als ein Grundbestandteil ansonsten verschiedener Weisen des guten Lebens ausweisen. Die moralischen Tugenden hingegen ergeben sich nicht aus der allgemeinen Verfassung der individuellen Existenz, sondern sie werden relativ bestimmten Inhalten zugeschrieben. Damit ist nicht ausgeschlsosen, daß man die moralischen Tugenden mit anderen Gründen als ratsam für das individuelle Leben erweisen könnte. In der Tat müßte man das können, wenn moralisches Handeln aus einer inneren Motivation heraus möglich sein soll. Aber der primäre Gegenstand der Begründung ist hier die Wertvorstellung oder Norm, durch deren Befolgung die jeweilige moralische Tugend definiert ist.“

Ursula Wolf, Aristoteles' ›Nikomachische Ethik‹. 2., durchgesehene Auflage. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Werkinterpretationen), S. 71 – 92

Die Lehre von der Mitte kranke einerseits daran, verschiedenartige Probelem gleichzeitig lösen zu wollen und andererseits daran, wenig Erklärungswert zu haben.

S. 91: Wie wir gesehen haben, trägt dann die Rede von der Mitte nichst bei, denn die Realisierung des kalon in der Situation ist nicht aufzufinden als die Mitte zwischen etwas, sondern liegt dort, wo der orthos logos, also die praktische Überlegung sie bestimmt.“

S. 92: „Die Lehre von der Mitte hingegen ist für die Moraltheorie wenig relevant. Nicht nur ist der Bezugspunkt der Mitte ausschließlich das Leben der person, der möglcihst ungehinderte (lustvolle) Vollzug der individuellen Existenzm ihre Einheit über Zeit hinweg ebenso wie bezüglich der inneren und äußeren Komplexität. Auch dort, wo die mesotēs-Lehre bezüglich der Affekte im wörtlcihen Sinn verständlich war, gibt die Vorstellung von einer Mitte für die moralische beurteilung von Einstellungen und Handlungen keine plausiblen Himnweise.“

Hellmut Flashar, Aristoteles. In: Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 3). Herausgegeben von Hellmut Flashar. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 2004, S. 298:
„Die begrifflich-systematische Struktur ist dabei am ausgeprägtesten in der Bestimmung der ethischen Tugend als Mitte (μεσότης) zwischen als Formen der Schlechtigkeit aufgefassten Extremen, einem Zuviel (ὑπερβολή) und einem Zuwenig (έλλειψις). Dabei ist die Mitte nicht als Mass und Mässigung im Sinne einer aurea mediocritas zu verstehen, sondern enthält als Höchstform (ἀκρότης) zugleich die axilologisch-agathologische Wertdimension […]. Insofern sind die Einflüsse von Volksethik und Medizin […] auf diese Konzeption von sekundärer Natur, von entscheidender Bedeutung ist vielmehr der Nachweis, dass die griechische Medizin und die Volksethik durch die platonische Ontologie hindurchgegangen sind und in dieser Form auf Aristoteles gewirkt haben. Dessen Mesoteslehre ist primär in der platonischen Prinzipienlehre verwirklicht, und zwar in der in den Lehrvorträgen ‹Über das Gute› systematisch entwickelten Gegensatzlehre, in der der ontologische und der axiologische Aspekt der Arete zusammenfallen […].; darauf sind auch die Vorstellungen von Mass und Mitte, wie sie in den platonischen Dialogen entwickelt werden, zu beziehen.“

Christof Rapp, What use is Aristotle's doctrine of the mean ? In:The virtuous life in greek ethics. ed. by Burkhard Reis with the assistance of Stella Haffmans. Cambridge; New York : Cambridge University Press, 2006, S. 99 -126

Philipp Brüllmann, Ethische Schriften. In: Aristoteles-Handbuch : Leben – Werk – Wirkung. Herausgegeben von Christof Rapp und Klaus Corcilius. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2011, S. 134 – 146

S. 137: „Aristoteles' sogenannte ›Mesoteslehre‹ hat in der Forschung erhebliche Irritation ausgelöst. Zum einen scheint das Komzept der Mitte auf den Fall der Handlungen wenigerleicht anzuwenden als auf den der Affekte. Zum anderen bietet die Bestimmung der Tugend als Mitte keine Antwort auf die Frage, worin das richtige Verhalten konkret besteht. Dass das Richtige quantitativ weder zu viel noch zu wenig ist, scheint trivial. Worin liegt also der Nutzen dieser Feststellung?“

Jakub Krajczynski, Tugend. In: Aristoteles-Handbuch : Leben – Werk – Wirkung. Herausgegeben von Christof Rapp und Klaus Corcilius. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2011, S. 361 - 366

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