Andere Kleidung, anderes Verhalten?
Hallo!
Ich (30) habe festgestellt, dass ich in "Berufskleidung" - beruflich muss ich typische Business-Kleidung tragen - ein anderer Mensch als privat. Ich bin leichter reizbar und teilweise fast aggressiv, sogar beim Autofahren, fühle mich oft (völlig grundlos) unzufrieden und merke, dass ich mich von meinem eigentlichen Charakter - ich bin eigentlich ein Gemütsmensch, der total ruhig ist und keine Schimpfwörter benutzt bzw. sie eigentlich verabscheut - entferne und das tut mir weh. Ich gehe mit lauter Vorbehalten auf andere zu und frage mich bei fast jedem, ob er nicht was Böses von mir will oder denkt.
Trage ich Freizeitkleidung, bin ich viel entspannter, zufriedener, irgendwie auch selbstbewusster und gemütlicher. Ich kann lachen, bin lustig, gehe offener auf die Leute zu/bin freundlich und bin ausgeglichen. Freizeitkleidung sind für mich übrigens keine "Gammelsachen", sondern Chinos, einfarbige Langarmshirts, "Kurzarm über Langarm", Jeanshemd mit aufgekrempelten Ärmeln und ähnliches - Sachen, die ich mir ausgesucht habe. Die Business-Kleidung ist für mich mehr notwendiges Übel.
Habe das erst in den zurückliegenden Monaten so richtig gemerkt bei alltäglichen Handlungen. Gehe ich noch in der Arbeitskleidung einkaufen oder mache ich in den Klamotten irgendwas daheim oder gehe ich damit irgendwo hin, ist meine Hemmschwelle niedriger und bin ich auch nicht entspannt, denke schlechter von den Leuten und bin mir selbst unsympathisch.
Ähnliches habe ich beobachtet, als ich noch einen 7er BMW fuhr, der mir zuwieder gewesen ist. In dem war ich unerträglich und hasste mich selber, in meinem eigenen alten Mercedes (Restwert vllt. 1200 Euro) bin ich zufrieden - es sei denn, ich trage diese Arbeitskleidung.
Woran kann das liegen? Ist das schlimm, oder erklärt es die Vorgeschichte? Mit einer früheren Arbeitsstelle, in der ich auch Business-Kleidung zu tragen hatte verbinde ich viel Frust und Ärger, das Gefühl ausgenutzt worden zu sein sowie Unehrlichkeit, Leute die mir bis auf wenige Ausnahmen nicht gut tun, Distanzlosigkeit und Verlogenheit.
Ich gehe gelegentlich - wirklich gelegentlich, je nachdem, ob ich was zu "reden"/zu "klären" habe zu einem Therapeuten, dem ich vertraue. Sollte ich ihm mal davon berichten?
8 Antworten
Vielleicht zwingt dich die Kleidung in eine Rolle, die dir zuwider ist.
Ich habe von jeher eine Abneigung gegen bestimmte Kleidungsformen, kleide mich konsequent, wie ich es für richtig halte - und lasse mir nichts aufzwingen. Weder von Arbeitgebern noch von Frauen oder sonstwem. Deshalb bin ich mit mir im Reinen.
Vielleicht solltest du prüfen, ob dieser Business-Look WIRKLICH zwingend notwendig ist. Bekommst du dein Aussehen bezahlt - oder deine Arbeit?
Ich bin schon öffentlich als Autor, Journalist und Fotograf unterwegs gewesen. Trotzdem waren - egal zu welchem Anlass - Jeans und Hemd das Höchste der Gefühle. Wer das nicht akzeptiert, muss auf meine Anwesenheit/Mitarbeit verzichten.
Das sehe ich auch so. Aber der Preis, den man für diese Individualität zahlt, ist oft höher, als man denkt. Den Luxus leiste ich mir aber.
Da hast du recht. Ich persönlich halte den Preis, den man fürs sich selbst Verleugnen zahlt, aber höher.
Das ist er auch. Und sei es um den Preis des Alleinlebenmüssens. Inzwischen mach ich mir n Spaß draus, immer wieder mal noch eins draufzusetzen für die Lästermäuler. :D (Schau meine Antwort weiter unten für rotesand)
Ich habe mir früher von vielen Leuten Dinge aufzwingen lassen - sowohl den Auftritt als auch diesen 7er BMW und ähnliches - und dachte mir, das wird schon werden und ich habe die "Hilfe" auch gern angenommen, weil mich das beruflich voran gebracht hat. Mit Anfang-Mitte 20 habe ich das auch irgendwo genossen, weil ich nach außen hin "besser" war als andere - obwohl ich als Ausländerkind oft genug belächelt und beschimpft worden bin, habe ich binnen weniger Jahre alle überholt.
Bis ich merkte, diese Rolle bin nicht ich - ich bin weder Gemeinderat noch Außendienstler noch Parteimitglied noch Vereinsmitglied oder Vorstand noch sehe ich mich in einem Oberklassewagen. Als ich mich öffnete und ehrlich war, war ich natürlich fast alle "Berater" und Beifallklatscher los - aber das war mehr eine Befreiung.
Denn eigentlich war das alles kalter Kaffee. Ich bin eben auch in einer sehr konservativen, eigenartigen Welt aufgewachsen, wo man nur "wer" war, trug man entsprechend "gute" Kleidung. So wie ich jetzt und in der Freizeit rumlaufe ... würden alle aus diesem Milieu nur sagen, was ist denn das für einer, der ist ja furchtbar unseriös und ungepflegt, obwohl ich das wirklich nicht bin.
Wie ich sehe, betreust du ein Firmenarchiv. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dazu ein "Businesslook" wirklich erforderlich ist. Kittel, Blaumann... Da geht doch eigentlich alles.
Leute, die nach solchen Äußerlichkeiten urteilen, verbanne ich aus meinem Leben. Das macht den Freundes- und Bekanntenkreis natürlich kleiner, auch Frauen sind da schon geflüchtet. Aber ich bin kein Bastelbogen und auch keine Anziehpuppe, die man ausstaffieren kann, wie man will.
Allerdings kann ich auch die Schattenseite bestätigen, die du sagst. Es nehmen einen die wenigsten für voll. Man wird oft belächelt, bekommt Kopfschütteln - selbst mein eigener Chef bezeichnet mich vor Gästen als "Hofnarren" und meint wirklich, das sei ein Kompliment. (Immerhin hat ein Hofnarr Narrenfreiheit und ist der Einzige, der vieles laut sagen kann, ohne gleich geköpft zu werden... Und da ist was dran.) Ich habe beruflich viel Freiheit, das, was ich tu, hat Image - aber das Geld stimmt einfach nicht. Ich habe noch nie auch nur irgendein Auto besessen. Zwar auch, weil ich schon deshalb keins wollte, weil alle meinten, das müsse aber sein, aber - ich kann es mir auch nicht leisten. Aber - ich kann mir im Spiegel noch immer in die Augen sehen.
Ja, genau - unter Business-Outfit verstehe ich da lediglich Sakko zur normalen Stoffhose und Hemd. Das ist eigentlich nix Spektakuläres, aber es ist mir eigentlich auch unangenehm. Vorher war ich Mediaberater eines Verlags, da wurde angesichts "gediegener" und "einflussreicher" Kundschaft (die eines Tages auch privat auf mich aufmerksam wurde) Wert auf förmliche Kleidung gelegt - Jeans waren auch nicht gern gesehen.
Wenn ich mit meiner Freundin mit Longsleeve und beiger Chino einkaufen gehe oder in meinem grauen Werkstattkittel hobbymäßig was mit alten Autos mache, ist das super und ich bin zufrieden - aber mit Sakkos und so komme ich nicht mehr klar. Das ist eine Schablone, da wurde ich mal reingepresst. Ich war nicht immer so - meine Freundin sagte auch mal, sie hat sich in den verliebt, der sie mit Sweatshirt und Winterjacke begrüßt hat und nicht in den Sakko- und Anzugträger, der nur was darstellen muss, das er nicht ist.
Ich kam mir früher oft wie eine Modepuppe vor - und zwar die Vorzeigemodepuppe von Gemeinderäten und meiner Heimat, wo man zeigen wollte, Migrationskind mit Vorzeigewerdegang und engagiert und so - bis ich merkte, dass das nie Freundschaft war, sondern nur aufgesetzt und unehrlich.
Das klingt wirklich gruselig. Und all das nur wegen der Klamotten... Wenn du auch handwerkliche Fähigkeiten hast, dann mach doch einfach was, wo du im Kittel rumlaufen kannst. Oder einfach nur im Hemd.
Ich habe meistens - auch, wenn ich eine Lesung vor Publikum habe oder eine Veranstaltung leite - eine olle Bundeswehrfeldjacke an. Und je mehr darüber gelästert wird, desto skurriler bau ich die um. Eine Ex brachte mich mal dazu, so ein Ding schwarz zu färben. Das war dann besser - für sie, hat mir dann aber nicht mehr gefallen. So habe ich rote Knöpfe an die Schulterklappen gemacht und mir auf die Ärmel Patches mit roten Schwalben nähen lassen. Da ist sie fast ausgerastet! Und ich hatte meinen Spaß. :D ("Was haben denn die Schwalben zu bedeuten???" "Truthähne gab es nicht! Und wer weiter dumm fragt, kriegt eine geschwalbt!" :D) Es ging mit ihr dann auch auseinander, weil ich die falsche Hose trug, um mit ihr in ein MÖBELKAUFHAUS zu gehen. :D
Aktuell hab ich es eher mit Kragenpins. Ein Einhorn, eine Biene (silbernes Metall)... Und wer dann labert, dem packe ich meine Bestecktasche aus und geh mit meinem 80-jährigen Mitropa-Besteck ins Restaurant! :D Mein Motto: Jedes Jahr ne Macke mehr! :D
Es war gruselig, es war eine eklige Sache - und ich bin vielleicht aus der Zeit etwas traumatisiert, ich weiß es selber nicht so genau. Es hieß immer, ein anständiger Mann trägt Sakkos und Krawatten, hat eine gute Uhr, fährt eine gute Stufenheck-Limousine und am besten Mercedes, ist pünktlich, gehört der CDU an, geht in die Kirche, macht ehrenamtlich was ... alla bonheur! So war ich auch mal und hatte viele "Freunde", bis ich merkte, dass das nicht meine Welt ist und scheinheilig und unangenehm - und bis ich merkte, dass einige dieser älteren Herren versuchten, meine Freundin und mich auseinander zu bringen & im Gegenzug eine "Ersatzfreundin" ausgesucht hatten. Die waren extrem beleidigt, als ich diese "Ersatzfreundin" nicht wollte und das sorgte für den ersten Dämpfer. Der Rest ist Geschichte ... udn eine Lebenserfahrung!
Pins finde ich cool, habe auch etliche^^ meistens Automäßig irgendwas - vorwiegend Opel, ich habe eine schöne Opelsammlung diverser teilweise seltener Sachen und hin echter Opelliebhaber :) Habe sogar eine Opel-Krawatte - die mit einer Krawatte, die mir ein Freund schenkte die einzige ist, die ich akzeptiere.
Lass mich raten - du kommst aus den alten Bundesländern - eher Süddeutschland? Dieses Fassadenleben finde ich schrecklich! Und wenn sie dann noch versuchen, in BEZIEHUNGEN reinzufunken - das geht ja gar nicht!
Mit Autos hab ich es nicht. Eher mit Eisenbahn. Da hab ich die ganze Bude voll. :D Das Einhorn hat eine spezielle Bedeutung zu einem meiner Bücher. Und die Biene - steht für die Bienenwiese, wo wir auf Arbeit schon seit Jahren dran rumbasteln.
Bis zu den letzten beiden Absätzen hat mir eine einzige Frage unter den Nägeln gebrannt: Bist du zufrieden mit deinem Job oder mega frustriert?
Für mich persönlich erklärt sich das mit den Infos am Ende des Textes: Die Businesskleidung ist für dich wahrscheinlich der Trigger, um an die alte Arbeitsstelle zu denken.
Ich denke, es wäre ein gutes Thema zum Besprechen mit dem Profi.
Meinen aktuellen Job mag ich, der ist okay - der ist zwar sicher weit unter meinen Möglichkeiten, aber das Umfeld, die Kohle und der "Aufwand" stimmen, das passt.
Danke! Das Gefühl in dieser Businesskleidung ist wie das Gefühl, das ich in diesem BMW hatte, den ich ablehnte und mehr oder weniger kaufte "um mit dem Auto was darzustellen", das dem alten Berufsbild angepasst erschien. Es ist irgendwie so, als ob ich eine Kappe aufsetze oder so was ... das bin nicht ich!
Es liegt mehr am beruflichen als an der kleidung
Ich verhalte mich im job auch anders als so, bin leichter genervt und auch nicht so nett drauf aber eine berufskleidung hab ich nicht wirklich
Naja man kanm halt auf der arbeit nicht so sein wie privat
Die Kleidung muss irgendwas bei dir auslösen.
Das mit Sicherheit, vielleicht irgendwas in Richtung Arbeit oder aufgezwungene Rollen (ich war mal Gemeinderat, keine schöne Zeit) oder mein altes Umfeld, das ich noch zu verarbeiten habe? Ich stehe ein bisschen auf dem Schlauch.
Berichte auf jeden Fall deinem Therapeuten davon. Der kennt dich auch eher, und kann dir entsprechend passendere Ratschläge geben als wir hier. Aber gut, dass dir das auffällt, und du daran was ändern willst. Und Therapeutenn sind ja dsfür da, dass du jemandem von Dingen erzählen kannst, die dich stören.
Entsprechend kann ich jetzt auch nur Vermutungen anstellen. An der Kleidung per se liegt es nicht, das ist ja nur Stoff. Ich trag gerne, aber selten, Anzüge, aber sehr oft Hemden. Zum Pulli auch gerne mit Krawatte. Ich denke nicht, dass ich damit gereizter bin als sonst.
Spontan würde ich sagen dass du Business Kleidung mit der Arbeit verbindest. Also sowohl der letzte, miese Job, als auch der aktuelle vielleicht (auch wenn er dir gefällt, du musst d halt eine andere Rolle spielen, als in der Freizeit. Solang du diese Kleidung trägst, nimmst du dann vielleicht die Persona ein, die du auf der Arbeit inne hast.
Vielleicht verbindest du mit Business Kleidungauch einfach schlechte Menschen, und nimmst dich selbst als solchen wahr, wenn du diese Sachen trägst. Das könnte dann zu Gereiztheit führen, weil du davon ausgehst, dass andere dich genauso betrachten, wenn du Business Kleidung trägst.
Das würde mir spontan in den Sinn kommen, aber so aus der Ferne und als Laie ists natürlich nicht viel mehr als Küchenpsychologie. Aber es scheint klar, dass du irgendwas nicht ganz aufgearbeitet hast. Dafür ist dann halt, wie gesagt, der Psychologe der ideale Ansprechpartener.
Danke!
Ich trage ungern Krawatten und Co., es ist mir ehrlich gesagt auch unsympathisch. Ich verbinde damit unangenehme Männer aus meiner Heimat, die mir nicht gut getan haben, vor allem im Bereich Ehrenamt, Gemeinderat und teilweise auch im Beruf... es kann schon sein, dass ich damit schlechtere Menschen verbinde, weil ich mit denen selbst nichts Freundliches erlebt habe bzw. das aufgesetzt war.
Deinem ganzen Beitrag kann ich nur zustimmen!
Aber ganz besonders in diesem Punkt
finde ich mich absolut wieder. Ich bin halt kein Pinguin. Und wer meine Kenntnisse und Fähigkeiten an einer Klamotte festmacht, muss auf meine Anwesenheit verzichten.