20% der Frauen über 40 sind unfreiwillig kinderlos - wie kam es dazu?

3 Antworten

Bin auch über 40. Ich bin kinderlos und das sogar freiwillig. Ich wusste schon mit 14 Jahren das ich keine Kinder haben wollte und habe das bis jetzt durchgezogen. Das heißt aber nicht, dass ich Kinder nicht mag. Ganz im Gegenteil, ich arbeite als Erzieherin und habe eine Gruppe von 19 Kids.


NagelpilzBob 
Beitragsersteller
 21.06.2022, 15:34

Mit 14 schon gewusst und dann durchgezogen ? Dann musst du wohl sehr starke Gründe dagegen gehabt haben.

Dürfte ich fragen, welche?

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Belliwell  21.06.2022, 16:09
@NagelpilzBob

Die Art und Weise wie ich aufgezogen wurde und was ich in der Kindheit erlebt habe waren ausschlaggebend für meine heutige Lebensweise. Ich bin Jahrgang 78 und derzeit fast Mitte 40.

Bis zum einem 4. Lebensjahr war meine Welt noch in Ordnung. Meine Eltern bauten ein Haus, da zogen wir ein, alles war gut. Typsicher Mittelstand der damaligen Zeit.

Dann kam mein Bruder auf die Welt. Er war körperbehindert. Muttern konnte danach nicht mehr arbeiten gehen, sie mussten alle 2 Tag in die nahe Uniklinik da er Gerinnungsfaktoren gespritzt bekommen musste. Er hat die Bluterkrankheit. Das Einkommen der Mutter fiel dann weg. Das Einkommen des Vaters viel nach einem Arbeitsunfall weg. Der war danach Arbeitsunfähig. Von meinem 4. Lebensjahr gings dann in die Armutsspirale. Das Haus wurde zwangsversteigert, da die Raten nicht mehr bezahlt werden konnten. Bis zu meinem 18. Lbj lebten wir von Sozialhilfe. Danach kam für mich die Ausbildung mit BaföG und danach erstmal Hatz 4. Hartz4 mit seinen vielen Hilfen gabs während meiner Kindheit damals nicht. Bildungsgutschein, was war das? Gabs nicht. Ich bekam Kleidung von der städtischen Altkleiderkammer. Meine Mutter nähte das immer um, aber es waren Rüschenblusen und Karoröcke, teils schlimmer als Kelly Family. Auch hatten wir nicht Sachen die andere hatten. Erstausstattung Grundschule blieb mir als Obergau in Erinnerung. Die Kindheit war erbarmungslos. Du hattest keinen Scout Ranzen, keinen Lamy Füller, du konntest dir keine Schulmilch leisten sondern hattest eine Plasteflasche Tee mit. Das war Hauptgrund Nummer 1 zum Mobbing durch meine Mitschüler, neben dem Aussehen, Haarschnitt und Kleidung war selbst fabriziert.

Zum Monatsende wurde das Geld meiner Eltern meist knapp. Man konnte dann aufs Amt und um eine einmalige Aufstockung bitten. Aber meine Mutter war schon zu oft deswegen da. Der Beamte sagte nein. Mein Bruder und ich saßen im Rathaus auf der Bank vor dem Büro. Meine Mutter war erst am Meckern, dann am Weinen. Sie kam raus, gab uns einen Kuss auf die Wange und sagte, habt keine Angst, der nette Mann kümmert sich um euch. Wir verstanden die Welt nicht mehr, der Mann auch nicht. Er rief noch hinterher und rannte ihr ein Stück nach, aber die war schon weg. Wir kamen dann für ein dreiviertel Jahr zu meiner Oma. Da wurde uns dann auch bei jedem Bissen Essen bei jedem kleinen Fehlverhalten klar gemacht, dass wir nur durch die Güte der Großmutter in ihrem Haus sein durften.

Später, so in der 5. Klasse gabs keine Schulbücher. Ich hatte ein halbes Jahr lang keine und erbettelte die dann bei meinem Onkel, das Geld für die Bücher. Die Schallende Ohrfeige meiner Mutter vergesse ich nie. Wir betteln nicht sagte sie mir. Das ist unter unserer Würde. Aber es ist würdevoll, wenn man die 5. Klasse wiederholen muss, weil man keine Schulbücher hatte und keine Hausaufgaben machen konnte?

13 Umzüge gabs in meiner der Kindheit. In Wohnungen, die alle schlimmer als die vorherige waren. Das schlimmste Erlebnis war zu viert in einer 2 Zimmer Wohnung, welche noch eine Ofenheizung hatte. Ein Loch vom feinsten ohne Bad. Es war kein Geld für Schulbücher und anderen Schulbedarf, oder Klassenfahrten vorhanden. Kein Geld für gutes Essen. Noch heute bekomme ich nen Würgreflex wenn ich irgendwo Brot mit Banane oder Brot mit Zucker als Bild sehe. Nudeln mti Ketchup. Alles Dinge der Kindheit die ich gehasst habe. Ich hatte eine gute Freundin. Die habe ich geliebt über alles. Wenn ich dort war habe ich mir immer vorgestellt das das meine Familie war. Das Haus und die Möbel waren sauber. Jeders Kind hatte sein eigenes Zimmer. Der Abendbrot oder Mittagstisch war reichlich gedeckt. Ich habs da geliebt.

Als ich zum ersten mal meine Tage mit 14 Jahre bekam, da wurde ich ruhiger. Nachdenklicher. Ich verstand, ich kann jetzt Kinder bekommen. Ich sah meine Zukunft. Hauptschule, was soll danach noch kommen? Gut heute bin ich Erzieherin, aber dafür musste ich drei mal so lange kämpfen ehe ich diesen Beruf hatte. Andere machen ihren Abschluss, gehen in die Ausbildung und nach 2-3 Jahren sind die fertig. Ich brauchte vorher 2 abgeschlossene Berufe um den Beruf Erzieherin lernen zu können. Egal. Jedenfalls gingen meine Gedanken in die Kindheit zurück. Ein Unglück, ein eigenes Problem reicht, um eine ganze Familie in den Abgrund zu reißen. Ich sagte mir: Wenn ich später mal arbeite und durch irgendwas zum Sozialfall werde, dann werde nur ich der Sozialfall und nicht der Rattenschwanz an Familie der da noch dranhängen könnte. Das was ich in meiner Kindheit durch machte, von dem ich hier nur einen Bruchteil geschrieben habe, das wünsche ich keinem anderen Menschen und ich würde es mir nicht verzeihen wenn ich den Meinen, die ich ja lieben würde, sowas zumuten müsste.

Und so kommt es das ich keine Kinder habe. Aber dadurch das ich Erzieherin bin habe ich bis zum Rentenalter von 68 Jahren gaaaaaaanz viele Kinder. Und ich bin froh, wenn ich die nach Dienstschluss alle wieder abgeben kann 😊

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NagelpilzBob 
Beitragsersteller
 21.06.2022, 16:22
@Belliwell

Vielen Dank für die sehr ausführliche Antwort. Wohl der längste Beitrag, den ich hier gelesen habe.

Hast du damals deinem Bruder die Schuld gegeben? Oder warst du trotzdem froh, dass es ihn gab?

Aber das ein Kind aufgrund von Behinderungen die Familie in den Ruin treibt, ist doch eher selten und du sagst doch selbst, dass sich die Zeiten geändert haben.

Gibt auch Leute ohne Kinder mit Sonderbedürfnissen, die ähnliches durchmachen mussten

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Es gibt Frauen, die sich einfach keine Kinder wünschen.

Viele sind im kalten Krieg aufgewachsen, deren Eltern waren im Krieg Kinder und teils stark traumatisiert. Es gab viele Familien mit Problemen. Vielleicht rührt das teilweise auch daher.

Falsch, laut meiner kurzen Recherche. 20 % der Frauen über 40 sind kinderlos. Ob sie unfreiwillig Kinderlos sind, ist hier eideutig nicht impliziert, sondern nur dass sie eben kinderlos sind.

Derselbe Artikel spricht von 5% UNGEWOLLT kinderlosen Frauen in der oben genannten Altersgruppe... und das erscheint mir deutlich realistischer.

https://www.rnd.de/familie/erwachsen-und-kinderlos-ich-habe-keine-kinder-was-ist-schlimm-daran-DXPRZMBAMBA75JAX73QDWDICY4.html

Hier nebenbei der Beitrag. Ist zwar schon etwas älter aber so heftig werden sich dei Zahlen in den nichtmal zwei Jahren wohl nicht verändert haben.