100jähriger KZ-Aufseher wird vor Gericht gestellt?

13 Antworten

Dieser Aufseher wird wegen Beihilfe zum Mord angeklagt, nicht wegen Mord. Eine direkte Beteiligung mußte bis vor 10 Jahren nachgewiesen werden, um einen KZ-Aufseher anklagen zu können. Nun reicht es aus, wissentlich in einer Mordmaschenerie gearbeitet zu haben.

Das Gesetz verlangt dieses Verfahren, man kann es gar nicht einstellen.

Übrigens ist die KZ-Schreibkraft gestorben

https://www.sueddeutsche.de/wissen/geschichte-luebeck-ermittlungen-gegen-kz-schreibkraft-eingestellt-frau-ist-tot-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200306-99-216531

Ich bin der Ansicht, dass ein sehr betagter Mensch einen Prozess und eventuell Gefängnisaufenthalt anders erleben würde als ein jüngerer. Damit würde er eine zusätzliche Strafe bekommen. Es war ja auch die Rede von der über 90jährigen Sekretärin, die im Pflegeheim lebte. Ehrlich: Für so eine Frau, wo ist der Unterschied zwischen Pflegeheim und Gefängnis für ihre Tagesroutine? Der wäre sehr gering. Lohnt sich dafür der Aufwand noch?

Ich persönlich denke, wenn das Verbrechen nicht vor kurzem geschah, sollte man über 80jährige in Ruhe lassen. In den70ern sind die meisten noch fit und selbstbestimmt, in den 80ern nimmt das oft ab, da brauchen sie sehr viel Hilfe, bekommen oft sehr große Einschränkungen, das Erinnerungsvermögen und die geistige Fitness nimmt oft stärker ab - da lohnt sich ein Prozess und eine Verurteilung kaum noch, besonders, wenn sie sich wirklich nicht mehr genau an das erinnern können, was sie mit ca. 20 Jahren gemacht haben!

Nicht mal alle 40jährigen wissen das noch detailliert! Wie soll sich dann ein über 80- oder 90jähriger daran erinnern und dafür verurteilt werden?

ich sage nicht, dass man durch Entziehen und Altwerden seiner Strafe entkommen können soll, aber dass es ein Alter geben sollte, ab dem man nicht mehr behelligt wird. Wenn der Tod abzusehen ist, wäre das für mich so ein Alter.


Prida 
Beitragsersteller
 09.10.2021, 02:20

Ganz ehrlich... Ich weiß auch nicht... Mein erster Impuls war, dass ich die Person zu alt fand, um noch zur Verantwortung gezogen zu werden, aber dann habe ich mitbekommen, wie viele Nebenkläger es gibt, denen es total wichtig ist heute noch ein Statement zu machen, weil deren Leben schlimm war ohne den Vater, den diese Person quasi "betreut" hat und die dann unter den Zuständen gestorben ist.
Nur weil der Tod vor der Tür steht, sollten wir sie wirklich in Ruhe lassen?!
Ich habe keine Ahnung, was ich denken soll

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Tasha  09.10.2021, 02:51
@Prida

Ich denke nur an die ü80jährigen, die ich kenne, die würden nicht mal eine Verhandlung überstehen. Rein körperlich - die ganze Zeit anwesend und aufmerksam zu sein. Und die meisten, auch die geistig Fitten, können sich nicht mehr sehr detailliert an ihre Vergangenheit erinnern. Ich habe da einen Menschen vor Auge, war immer geistig sehr fit, konnte sehr detailliert erzählen und hat dann irgendwann zwischen 75 und 80 das meiste davon vergessen. Stellte man ihm eine Frage zu den Geschichten, die er früher immer erzählte, konnte er sich nur noch schemenhaft oder gar nicht mehr daran erinnern. Und das waren größtenteils Geschichten, die sich nach seinem 40. Lebensjahr abgespielt hatten.

Die Frage ist halt: Wie viele 80jährige erinnern sich noch wie detailliert an Ereignisse aus ihrer Jugendzeit? Meiner Erfahrung nach fast keiner. Die wissen nicht mal, wie all ihre Lehrer oder Klassenkameraden hießen!

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Prida 
Beitragsersteller
 09.10.2021, 03:10
@Tasha

Ok, das würde mit solchen Personen natürlich keinen Sinn machen. Aber es gibt ja auch die fitten 80 plus jährigen. Was machen wir denn mit denen? Meine Erfahrung mit alten Leuten ist übrigens ganz anders als deine Erfahrung. Ich kenne nur ganz alte Leute, die geistig absolut fit sind. Was machen wir denn mit denen? Dürfen wir es denen zumuten, dass sie für Kriegsverbrechen/Verbrechen gegen die Menschlickeit vor Gericht gestellt werden? Oder haben die einen Alte-Menschen-Schutz und dürfen nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden?
Ich merke gerade immer mehr, dass Menschen, die geistig noch fit sind, durchaus zur Antwortung gezogen werden sollten, so unmenschlich und krass das auch is. Die haben ja damals auch keine Gnade walten lassen und haben noch ein ganzes Leben beben können. Die Opfer konnten das nicht.
Ich merke gerade, dass ich leider eine harte Haltung zu diesem Thema einnehmen muss, auch wenn mir das für dese alten Leute echt leid tut. Aber ich glaube es geht einfach nicht anders....

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scatha  14.06.2022, 09:34
@Prida

Man lenkt die Aufmerksamkeit auf die Nazis der Vergangenheit, um vom heutigen aktuellen, "neuartigen" Faschismus besser ablenken zu können.

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serpentbites  09.10.2021, 02:27

In so einem Fall ist ein Gefängnisaufenthalt, juristisch gesehen, sehr unwahrscheinlich.

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Das StGB gibt es vor: Mord verjährt nicht, auch die Beihilfe nicht.

Insofern richtig und wichtig. Mir egal, ob es Symbolpolitik ist. Auch egal, ob er dabei verreckt. Richtig so.


serpentbites  09.10.2021, 02:25

Auch egal, ob er dabei verreckt.

In unserem Rechtsstaat gilt immer noch die Unschuldsvermutung. Also schön die Füße still halten.

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Ruhrpotter4324  09.10.2021, 02:39
@serpentbites

Stimmt, wahrscheinlich hat er als KZ-Wachmann Kartoffeln geschnippelt und Blumen gegossen. Habe ich hier irgendwas gesagt, dass die Unschuldsvermutung in Frage stellt? Er war KZ-Wachmann, da hält sich mein Mitleid allgemein in Grenzen, was wiederum nichts mit der Frage zu tun hat, ob er am Ende des Tages verurteilt wird.

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serpentbites  09.10.2021, 02:46
@Ruhrpotter4324

Habe ich hier irgendwas gesagt, dass die Unschuldsvermutung in Frage stellt?

Nein, aber Du hast ihn vorverurteilt.

Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass er als Wachmann den einen oder anderen vor dem sicheren Tod gerettet hat. Weißt Du es?

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Ruhrpotter4324  09.10.2021, 02:49
@serpentbites

Stimmt, weil die Gegenwart ja auch voll von KZ-Wachmännern ist, die Juden das Leben gerettet haben. Und wie kann es da bloß sein, dass der Mann in all den Jahrzehnten nicht mal von Überlebenden - wie all die anderen echten Helden, die Juden gerettet haben - hervorgehoben wurde und stattdessen mit 100 Jahren vor Gericht steht.

Ich habe niemanden vorverurteilt, von einer Vorverurteilung spricht man, wenn man dem Richter das Urteil vorwegnimmt. Ich habe einfach keine Sympathie für Leute, die am Holocaust mitgewirkt haben. Meine persönliche Meinung, leb damit.

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Prida 
Beitragsersteller
 09.10.2021, 02:37

Wahrscheinlich hast du recht, aber es fühlt sich für mich irgendwie komisch an, weil man den Impuls verspürt alte Menschen irgendwie schützen zu wollen. Aber du hast trotzden recht

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Sofern es in so einem Fall zu einem Gerichtsverfahren kommt, muss der Beklagte noch einigermaßen geistig fit sein. Ich finde, in solchen Fällen geht es nicht mehr um Strafe, sondern um Information. Dieser Mensch ist es zu mindestens der Nachwelt schuldig, möglichst offen über seine Zeit in diesem KZ zu sprechen. Es gibt so viele Idioten, die das Dritte Reich immer noch glorifizieren, oder zu mindestens dessen Verbrechen verharmlosen. Oder sogar den Holocaust ganz leugnen. Dieser Mann kann aus eigner Erfahrung berichten. Und das soll er gefälligst auch tun.


StreetJump  09.10.2021, 02:09

So hab ich es nie gesehen sehr interessante Ansicht bei dem Thema Gerichtsverfahren

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Tasha  09.10.2021, 02:14

Frage mal deine über 80jährigen Groß- oder Urgroßeltern oder ähnliche Verwandten, falls du welche in dem Alter hast, was sie mit 20 getan haben. Frage nach irgendeinem spezifischen Ereignis wie Abifeier, Führerschein machen, Anfang der Ausbildung oder Berufsanfang. Wie war der erste Tag? Das erste Mal am Steuer? Was hast du mit deinem Partner am WE unternommen?

Die meisten werden dir in diesem Alter gar nicht mehr oder nur sehr, sehr allgemein antworten können.

Daher halte ich einen Prozess oder Befragungen in dem Alter über Dinge, die vor 60 oder 70 Jahren geschehen sind, für ziemlich aussichtslos oder eine Farce, bei der man dem Angeklagten Lügen unterstellen würde.

Frage einfach mal deine älteren Verwandten, möglichst über 80 Jahre alt, Dinge wie: Wie war deine erste eigene Wohnungseinrichtung? Wie hießen deine Mitschüler oder Kommilitonen in der Ausbildung/ dem Studium? Wohin hast du deine erste eigene Fahrt nach der Fahrschule unternommen? Welche Farbe hatte deine erste Couch?

Die meisten werden dir das nicht mehr sagen können.

Werde detaillierter: Mit welcher Linie bist du zur Arbeit/ Uni gefahren? Das weiß fast keiner mehr.

Aber in so einem Prozess möchte man viel, viel detaillierter Antworten haben. Selbst ein Erinnerungsgenie hätte dabei mMn Probleme oder große Lücken!

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Gungrasshopper  09.10.2021, 02:25
@Tasha

Also mein Großvater ist 91 Jahre und kann noch sehr detailliert über seine Jugend, seine Erlebnisse bei Bombenangriffen und z.B. auch seine Zeit bei der Hitlerjugend berichten. Niemanden interessiert die Farbe der ersten Couch! Die Zeit im KZ wird für diesen Mann eine sehr intensive Erfahrung gewesen. Da hat sich mit Sicherheit vieles eingeprägt.

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Prida 
Beitragsersteller
 09.10.2021, 02:49

Für mich würde es auch einen ganz wesentlichen Unterschied machen, ob der Mann mit 100 Jahren immer noch ein Nazi ist, oder ob er mal über sein Leben nachgedacht hat. Falls er das getan hat, lebt er jetzt schon seit etwa 70 Jahren mit seiner Schuld.

....10 Minuten später sitze ich hier vor meinem Computer und komme immer mehr zu der Überzeugung, das die Situation so einfach ist, dass diese Person so unfassbar viel Schuld auf sich geladen hat, dass man sie vielleicht einfach verurteilen sollte. Scheißegal, wie alt und gebechlich sie ist.

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Unnötig. Damals war das leider so, die Menschen wurden gehirngewaschen und wer dagegen war wurde mit vernichtet. Denkst du heute wäre es auch nicht so? Es hätte auch statt 1935 irgendwas auch 2021 passieren können, wenn es hier eine Diktatur statt Demokratie geben würde.


Tasha  09.10.2021, 02:08

Na ja, damals war es nicht für alle so, es gab auch Widerständler. Allerdings sollten die Dynamiken berücksichtigt werden, dass sich die Betroffenen in einer Ausnahmesituation befanden, in der unethisches Verhalten normalisiert und gefördert wurde. Keiner von uns weiß, was er in so einer Situation, OHNE Geschichtskenntnis, wie wir sie haben, machen würde. Bücher/ Projekte wie "Die Welle" deuten aber darauf hin, dass viele von uns in diesen Situationen anders handeln würden, als sie zur Zeit glauben.

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JMJreboot  09.10.2021, 02:10

Das spricht niemanden von Schuld frei!

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Prida 
Beitragsersteller
 09.10.2021, 02:10

Ich weiß nicht, ob man damit argumentieren kann, dass das damals einfach so war. Der hätte sich doch auch vielleich einen anderen Job suchen können. Gibt es nicht so ein moralisches Gefühl für richtig und falsch, nach dem man hätte handeln sollen

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Nureinding  09.10.2021, 02:13
@Prida

Das stimmt schon aber warum wurde die Person dann nicht mit 30-50 Jahren verurteilt sondern erst jetzt mit 100? Ich meine wer erinnert sich noch mit 100 richtig daran und eine kluge und hilfreiche Antwort wird man von einem über 100 jährigen auch nicht hören.

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Prida 
Beitragsersteller
 09.10.2021, 03:27
@Nureinding

Du hast total recht. Die haben es damals einfach verpasst. Unterdessen ist die Rechtsprechung viel härter gerworden. Man sagt unterdessen, dass all die Menschen die auch indirekt an diesem Tötungsmechanismus beteidigt waren unendlich viel Schuld auf sich geladen haben. Und da hat die Rechtspechung vielleicht auch recht, wenn das heute so gesehen wird. Zum Glück werden die Beteiligten nach der Jugendrechtsprechung verurteilt. Und es wird ihnen anscheinend eine gewisse jugenliche Unbedarftheit zu gute gehalten.
Trotzdem fühlt es sich für mich sehr merkwürdig an, so alte Leute vor Gericht zu bringen. Aber wahrscheinlich ist das so schon richtig...

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