Kulturwissenschaftliche Studiengänge - Sprachlevel?

4 Antworten

Sprachwissenschaftliche Studiengänge bestehen nicht hauptsächlich daraus, das Sprechen einer Sprache zu erlernen. Das Beherrschen der Sprache ist also nicht das oberste Ziel. Sie befassen sich vor allem mit Sprach- und Kulturwissenschaft, für die natürlich ein gewisses Sprachniveau erforderlich ist, die aber auch mit passiven Sprachkenntnissen ausgeübt werden können. Die von dir genannten Schlüsselkompetenzen haben daher auch nicht wirklich etwas mit dem Sprachniveau zu tun.

Niemand erwartet von Bachelor-Abolventen perfekte Sprachkenntnisse, zumal nicht in Sprachen völlig anderer Schrift- und Lautsysteme.

Ziel eines kulturwissenschaftlichen Bachelorstudiengangs ist es, je nach Universität und Studiengang, nicht, nach 6 Semestern auf annähernd perfektem Niveau die Sprache zu beherrschen. Die Sprache ist Mittel zum Zweck, Schlüssel zur Kultur - diese kann und wird aber eben auch auf anderen Sprachen, meist Englisch, parallel erschlossen.

Wer einen passenden Master dran hängt und entsprechend auch ein- bis zweimal in einem Land der Zielsprache war, hat nach dem Masterabschluss i.d.R. ein entsprechend hohes Sprachniveau.

Mein Japanischniveau vor dem Bachelor in Japanologie hat nicht existiert; nach dem Bachelor konnte ich mich in Japan im Alltag verständigen.

Ich habe zwar nicht selbst Japanologie studiert, kenne aber situationsbedingt seit 20 Jahren weiß Gott genug Japanologen, um folgendes mit Sicherheit sagen zu können:

Japanologie ist eine Regionalwissenschaft. Ob und in welchem Umfang sie Sprachwissenschaft umfasst, entscheidet die Universität, an der man es studiert. In manchem japanologischen Studiengang sind von vorneherein sehr viele sprachwissenschaftliche Module; in anderen muss man einen Schwerpunkt wählen und der kann sprachwissenschaftlich sein; wieder andere sind von vorneherein eher sozialwissenschaftlich geprägt. Dazu kommt, dass es in einem Studium immer an einem selbst liegt, wieviel man lernt, und dass natürlich ein Aufenthalt im Ausland dem Spracherwerb meist sehr förderlich ist, aber (und auch das ist ein häufiges Missverständnis / Vorurteil) nicht alle Japanologie-Studenten für ein oder zwei Semester nach Japan gehen. Wiederum auf der anderen Seite fangen gerade in der heutigen Zeit keineswegs alle Japanologie-Erstis bei Null an, denn es gibt bilingual Aufgewachsene (meist ja wegen Migrationshintergrund der Eltern), es gibt Schulen, die Japanisch als Schulfach anbieten, jedes Jahr fährt eine größere zweistellige Zahl an Schülern in einen einjährigen Schüleraustausch nach Japan, und Working Holiday in Japan mache einige auch schon vor ihrem Japanologie-Studium.

Und aus allen diesen Gründen habe ich schon alle Sprachlevel bei Japanologie-Studenten und -Absolventen erlebt. Es gibt die Bachelor-zweites-Jahr-Studierenden, die ihren JLPT N1 bestehen, und es gibt die Master-Absolventen, die keinen gescheiten Satz auf Japanisch zusammen bekommen. Wichtig zu verstehen ist, dass die ersteren deshalb nicht automatisch gute Japanologen sind und die letzteren nicht automatisch schlechte, denn wie gesagt: es gibt ja auch die sozialwissenschaftliche Ebene, auf der man zum Thema Japan forschen kann.

Und deshalb sage ich ja auch immer: den Sprachunterricht kann man auch bekommen, ohne Japanologie zu studieren. In so gut wie jedem Studiengang muss man 30 oder mehr Credits eh fachfremd erwerben und dafür bietet sich Sprachunterricht super an. Abgesehen davon, dass man Japanisch auch außerhalb von Universitäten lernen kann. Es gibt keinen Grund, seine Berufsbildung an Japanologie zu verschwenden, wenn man in Wahrheit nur „Japanisch lernen“ oder „nach Japan gehen“ will.

Zum Schluss möchte ich allerdings eines bekennen: Wer nach drei, vier Semestern Japanologie immer noch nicht in der Lage ist, sich eine verdammte Busfahrkarte auf Japanisch zu kaufen, der ist wirklich auch einfach komplett falsch. Falsch in der Japanologie, falsch in einer Universität überhaupt, falsch in Japan. Japanisch mag nach vielen Kriterien schwierig(er als Englisch) sein, aber so schwer ist es dann doch nicht.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Lebe und arbeite seit 2017 in Japan

Pseud000 
Beitragsersteller
 01.10.2024, 23:57

Danke für die umfangreichen Einblicke!

Ich hab Nordistik studiert. In den Hauptseminaren hatten wir eigentlich alle Niveau B2/C1, anders wäre das auch nicht gegangen. Wir haben ja über die Sprachen hinweg diskutiert, wenn das Thema zum Beispiel hieß "Skandinavische Literatur der 30er Jahre".

Unsere gewählten Sprachen konnten wir alle flüssig sprechen. Schwedisch zum Beispiel kann ich nur verstehen und lesen, aber mit dem Sprechen tu ich mich schwer. Spracherwerb macht man im Grundstudium (Bachelor). Danach geht es um andere Dinge.