Kann mir jemand den Schluss vom Buch "der Steppenwolf" erklären?

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Hallo Rocky,

da bist du nicht alleine, mit diesem seltsamen Ende. Hesse spielt auf etwas an, was er nicht in Worte fassen wollte, oder konnte. Somit spielt sich diese Schilderung zuerst im Kopf des Autors ab, bevor er die Gedanken zu Papier bringt. Höchstwahrscheinlich ist es ihm gar nicht mehr möglich zu schildern, was er da gerade erlebt.

Nach dem Genuß gewisser Zigarren – oder Zigaretten – ist ein anderer Zustand beschrieben. Harry schildert kein Erlebnis der bekannten Art.

TEXT

Sie wollen hingerichtet werden, Sie wollen den Kopf abgehackt kriegen, Sie Berserker! Für dieses blöde Ideal würden Sie noch zehn Totschläge begehen. Sie wollen sterben. Sie Feigling, aber nicht leben. Zum Teufel, aber leben sollen Sie ja gerade! Es geschähe Ihnen recht, wenn Sie zur schwersten Strafe verurteilt würden.» «Oh, und was für eine Strafe wäre das?» «Wir könnten zum Beispiel das Mädchen wieder lebendig machen und Sie mit ihr verheiraten.» «Nein, dazu wäre ich nicht bereit. Es gäbe ein Unglück.» «Als ob es nicht schon genug Unglück wäre, was Sie angerichtet haben! Aber mit der Pathetik und den Totschlägen soll es jetzt ein Ende haben. Nehmen Sie endlich Vernunft an! Sie sollen leben, und Sie sollen das Lachen lernen. Sie sollen die verfluchte ---189--- Radiomusik des Lebens anhören lernen, sollen den Geist hinter ihr verehren, sollen über den Klimbim in ihr lachen lernen. Fertig, mehr wird nicht von Ihnen verlangt.»

Etwas in Harry hat keine Lust mehr auf das Leben. Irgendwie scheint es ihm trostlos geworden zu sein. Vermutlich wird hier angedeutet, daß der Verstand aufhören soll, dem Harry das Leben erklären zu wollen. Harry soll den Augenblick so wahrnehmen, wie er ist, und nicht laufend dem Verstand folgen, der ihm das Geschehen im Augenblick interpretiert.

Was hier Harry erlebt, paßt nicht in Worte. Es ist für den Verstand unverdaulich. Diese Gefühlswelt entzieht sich dem Verstehen. Vermutlich halluziniert Harry seine eigenen Glaubenssätze zu realen Bildern und Geschehnissen. Dazu benutzt er die ihm bekannten Personen.

Er mißtraut seinen eigenen Gefühlen, als er den Tod von dieser Frau nicht akzeptiert. Doch mit ihr verheiratet zu werden, scheint ihm eine Katastrophe zu sein. Mozart hält ihm dann noch den Spiegel vor und nimmt Bezug auf die Strafe des öffentlichen Auslachens. Hierbei sind die Rollen gemeint, die Harry bis dato nur gespielt hatte. Er wollte sich nicht so nackt betrachten – ohne seine gewohnten Rollen, welche er gespielt hatte.

Doch nun schaut er hinter sich selbst. Dort hält ihm Pablo den Spiegel vor und möchte, daß sich Harry diese sogenannte Sauerei selbst anschauen soll, die er gerade angerichtet hatte. Ohne zu überlegen hatte er im magischen Theater die Realitäten verwechselt. Fiktive Personen hielt er für real. Und so handelte er unbewußt auf seinen eigenen Traum, wobei er nicht begriff, daß er selbst der Träumer war.


kypros  14.03.2012, 03:19

TEXT:

Mit dieser Figur hast du leider nicht umzugehen verstanden -- ich glaubte, du habest das Spiel besser gelernt. Nun, es läßt sich korrigieren.» Er nahm Hermine, die in seinen Fingern alsbald zum Spielfigürchen verzwergte, und steckte sie in ebenjene Westentasche, aus der er vorher die Zigarette genommen hatte. Angenehm duftete der süße schwere Rauch, ich fühlte mich ausgehöhlt und bereit, ein Jahr lang zu schlafen. Oh, ich begriff alles, begriff Pablo, begriff Mozart, hörte irgendwo hinter mir sein furchtbares Lachen, wußte alle hunderttausend Figuren des Lebensspiels in ---190--- meiner Tasche, ahnte erschüttert den Sinn, war gewillt, das Spiel nochmals zu beginnen, seine Qualen nochmals zu kosten, vor seinem Unsinn nochmals zu schaudern, die Hölle meines Innern nochmals und noch oft zu durchwandern. Einmal würde ich das Figurenspiel besser spielen. Einmal würde ich das Lachen lernen. Pablo wartete auf mich. Mozart wartete auf mich. Ende

Die Realität entsteht zuerst aus Wahrscheinlichkeiten. Harry muß nur noch wählen. Es ist ja alles bereits real, doch noch nicht erlebt. Pablo ist unter das Denken abgesunken. Mozart ist über das Denken hinausgegangen und stellt Harry vor die Wahl, Pablo oder ihm zu folgen. Und jetzt erkennt er den Unterschied im Bewußtsein. Pablo braucht Hilfsmittel, um diese Welt betreten zu können. Mozart braucht das nicht. Er ist einfach nur – Mozart.

Das Leben hat kein Gegenteil. Zumindest hier nicht im magischen Theater. Die Figuren sind nun selbsterschaffene Konstrukte, die ihm Mozart zu erklären versucht. Pablo und die Frau sind Halluznative Erscheinungen Hallers Psyche. Das Reale entsteht somit zuerst in Harry selbst, bevor es zu einer Handlung kommen kann.

Mozart setzt ihm das auseinander, und Pablo beschuldigt ihn indirekt, er habe sich noch nicht für sich selbst entschieden. Immer noch versuche er, irgendeine Rolle zu spielen, die er doch letztendlich gar nicht sein kann. Haller braucht somit nichts, um zu sein, wer er immer schon ist.

Hier ist der Knackpunkt im Bewußtsein. Die Identifikation mit dem selbsterdachten Ich reißt ab. Haller erkennt das Spiel des Bewußtseins. Es möchte immer wieder in der Form Erfahrungen machen, und hierzu soll Harry diesen Wunsch einfach geschehen lassen, indem er nichts mehr kritisiert. Das Leben möchte nicht für ihn, sondern durch ihn Erfahrungen machen.

Hoffe – das ermöglicht eine etwas andere Sicht

Herzliche Grüße

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Nur gab es damals noch keine Pilze, Meskalin, LSD bzw deren Wirkung war im Europäischen Raum nicht bekannt.
Die Wirkung von LSD wurde knapp 15 Jahre nach der Veröffentlichung des Steppenwolfs bekannt, Psilocibin noch später.

Die eigentliche Erklärung wo sich das abspielt ist einfach:
Tiefe Meditation. Denn was man an Erkenntnissen den psychedelischen Trips zuweist kommt am Ende aus unserem innersten. Drogen sind nur ein unreine und zeitsparende Abkürzung dahin.
Da Hesse auch Siddharta geschrieben hat und sich sehr dem Buddhismus verbunden fühlte, zuletzt auch das Buch nach medidativen und psychologischen Erfahrungen sehr, sehr viel mehr Sinn ergibt, ist das für mich die wahrscheinlichste Antwort.
(Dabei verschweige ich nicht, dass ich beides probiert habe wobei die Meditation zuerst kam und noch weiter ihren Nutzen findet.)
Zur Interpretation:
Lust und Liebe.
Pablo und Hermine. Repräsentationen seiner inneren Anteile, so wie auch der Wolf und Hermann ( sein junges selbst) einer ist.
In der inneren Welt ist "alles erlaubt" und durch die einfache Ausübung erfährt er das Gefühl nach dem er suchte, hier war es womöglich Eifersucht unter dem Mantel des "Gehorsams" ihren Befehl auszuführen, etwas was er nie tun wollte und nun doch zu tun im Stande ist. Nach der Tat jedoch verfliegt Wut und Eifersucht, auch tötet er Pablo nicht (evtl. seine Lust) und erkennt was er wirklich spürte, Angst und Trauer vor Verlust, verfällt sogleich aber auch dem "pathetischen" Flehen nach Buße um diese Schuld von sich nehmen zu können.
Dabei "tötete" er im Endeffekt nur einen Teil von sich und keinen anderen Menschen. Ob dies wirklich so schlimm war wird von Mozart mit dem Aspekt des (Galgen-)Humors relativiert, denn ob in der inneren Welt etwas wirklich stirbt ist zu bezweifeln, meist wird es nur begraben, verdrängt oder im erwünschten Falle, sprengt es die eigene Eingrenzung und integriert sich mit den anderen Persönlichkeitsaspekten zu einem ganzen. (So wie am Eingang in das magische Theater ein "kleiner Scheinselbstmord" ausgeführt wird)
Das Prinzip der Auflösung des Egos, der Persönlichkeit als auch Relativierung von Erfahrungen und Gewohnheiten ist seit jeher ein Bestandteil der buddhistischen Philosophie und aus meiner Sicht hier deutlich wiederzuerkennen. Schliesslich folgt intuitiv und Subjektiv an einem Punkt die Erkenntnis, dass wir mehr als nur die Summe unserer Teile sind, vielleicht sogar mit einer nicht intellektualisierbaren Essenz die uns diese Teile erfahrbar macht ( Seele, Geist, etc, siehe auch "Qualia-Problem")

Vielleicht ist es auch gar nicht möglich, dass jede Person das Buch direkt versteht. So habe ich mich alle paar Jahre wieder an das Buch herangewagt und jedesmal neue, tiefgreifende Aspekte erfassen können wie sie meiner eigenen persönlichen Entwicklung zu der Zeit zugänglich waren.
Insofern ist das Buch teils persönliche Biographie, Kriesenverarbeitung als auch möglicher Wegweiser, aber nur für jene, die bereits grundlegende Erfahrung im Bewandern der inneren Welt besitzen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Lisaja7  03.04.2022, 13:09

danke für deine Interpretation Aventius. Sie hat mich das Ende des Buchs sehr gut nachvollziehen lassen.

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Nur gab es damals noch keine Pilze, Meskalin; LSD,
Die Wirkung von LSD wurde knapp 15 Jahre nach der Veröffentlichung des Steppenwolfs bekannt, Psilocibin noch später.
Die Erklärung ist einfach:
Meditation. Denn was man an Erkenntnissen den psychedelischen Trips zuweist kommt am Ende aus unserem innersten. Drogen sind nur ein unreine und zeitsparende Abkürzung dahin.
Da Hesse auch Siddharta geschrieben hat und sich sehr dem Buddhismus verbunden fühlte, zuletzt auch das Buch nach medidativen und psychologischen Erfahrungen sehr, sehr viel mehr Sinn ergibt, ist das für mich die wahrscheinlichste Antwort.

(und ja ich habe beides probiert wobei die Meditation zuerst kam)

naja. ich weiß nicht inwieweit du dich mit bewusstseinserweiternden drogen auskennst. aber ich denke dass er halt welche genommen hat und all das nur halluzinationen waren. und er hat halt die erleuchtung gefunden. also liest man ja öfters das man nach nem trip auf pilzen, lsd, meskalin etc. die welt plötzlich ganz anders sieht. alles plötzlich sinn macht. man wird auf einmal hochgradig religiös und alles was vorher war kommt einen unreal vor.

ob er nun auf einen trip war und alles trotzdem wirklich erlebt hat (leute erschossen, hermine getötet etc) oder das nur geträumt hat und aufgewacht ist, ist interpretationssache. aber dieser pablo hat ihn ja wirklich die ganze zeit immer irgendetwas gegeben.

danke für deine Interpretation Aventius. Sie hat mich das Ende des Buches sehr gut nachvollziehen lassen.