Wollten die Nationalsozialisten den Kapitalismus oder den Sozialismus?

7 Antworten

"Die Nationalsozialisten" - wenn man Individuen mit einer solchen Gesinnung überhaupt in einem Begriff zusammenfassen kann - wollten auf der untersten und primitivsten Ebene nur die Macht, alles tun und lassen zu können, was ihnen in den Sinn kam.

Genau dieses Ansinnen findest du auch heute bei Neo-Nazis. Alles was einem nicht gefällt, töten oder vertreiben.

Außer „Nationalsozialismus“ gibt es keinen Begriff, der ein solches System oder eine solche Gesellschaftsordnung beschreiben könnte.

Die Hitler-Sozialisten waren in mancher Hinsicht viel radikaler als die Marxisten: Letztere wollten das freie Unternehmertum abschaffen, weil die "Kapitalisten" den "Proletarier" durch das Mehrwertprinzip ausbeuten.

Die Gedankenführung des NS-Vordenkers Gottfried Feder war einfach: Der Unternehmer muss, um eine Firma zu gründen, einen Kredit aufnehmen. Das tut er bei einer Bank. Die gehört "dem Juden" nach Ansicht der Nationalozialisten. Den Kredit muss der Unternehmer dann verzinst und verzinseszinst zurückzahlen, wird also vom Investmentbanker "ausgebeutet". Also hat er Mühe, sein Unternehmen am Laufen zu halten und muss seinerseits dann den Arbeiter "ausbeuten" (mit Mehrwertprinzip). Die Banken hingegen gewinnen immer.

Der Banker beutet also den Unternehmer aus (Zinssystem), so daß dieser gezwungen ist, seine Arbeiter auszubeuten (Mehrwert), um nicht gleich pleite zu gehen. Schafft man das Finanzsystem ab, so kann der Mehrwert heruntersetzt werden und der Arbeiter deutlich mehr verdienen. Wie die Finanzierung der Wirtschaft dann geht, hat Gottfried Feder ausgearbeitet. Banken werden grundsätzlich "arisiert" und dann verstaatlicht. Umgesetzt haben die Nazis das jedoch nie konsequent, ihr Punkt 11 im 25-Punkte-Programm blieb eine Merkelsche Täuschung ("man kann sich vor den Wahlen nicht darauf verlassen, das nach den Wahlen das gemacht wird, was vor den Wahlen versprochen wurde").

Die Idee ist also radikaler als die im Marxismus, der gar nicht über die Banken redet und im Mehrwert das eigentliche Problem sieht. Viele Leute erkannten den Marxismus als Dummenfang und fielen dann ihrerseits auf den NS herein, der seinen Punkt 11 niemals umsetzte und somit niemals die große Vision einer Marktwirtschaft ohne Zinswucher Wirklichkeit werden ließ.

Im 19. JHd. entstand die Idee des nationalen Sozialismus. Es sollte, die sich, grundsätzlich ausschließenden, Ideologien vereinen (Dritter Weg):

Nationalismus: andere ausgrenzend auf eine Nation bezogen - Sozialismus: weltumspannend ausgerichtet

Beiden Ideologien gemeinsam sei der Gedanke, daß der Einzelne sich dem Wohl des Staates unterordnet und sein gesamtes Handeln auf das Wohl der Gemeinschaft ausgerichtet sein sollte.

Die Nationalsozialisten nannten das "Volksgemeinschaft":

Hitler am 02.11.1932:

"Ich verstehe unter Sozialismus: höchster Dienst an meinem Volke, Aufgeben des persönlichen Vorteils im Interesse der Gesamtheit. […] Der Nutzen der Gesamtheit ist das Wesentliche. Der Begriff Nationalismus bedeutet am Ende auch nichts anderes als Hingabe und Liebe zu meinem Volk.“

Die NSDAP hatte grundgsätzlich kein ausgefeiltes Wirtschaftsprogramm - Hitler war nicht gegen den Privatkapitalismus sondern gegen den imperialen (internationalen) ausbeutenden Privatkapitalismus - dieser wurde als Grundübel zur Unterdrückung und Ausbeutung der Menschen durch das Judentum propagiert.

Der Begriff "Sozialismus" im Parteiname war durchaus problematisch; die Industriellen in Deutschland hatten die Befürchtung, daß die NSDAP die Abschaffung des Privateigentums und des Privatkapitalismus plane - trotz wiederholter Versicherung seitens Hitlers, daß das niemals geplant sei, waren die Industriellen (bis auf wenige Ausnahmen) bis 1933 nicht die großen Förderer der Partei.

Innerhalb der Partei gab es eine sozialistische Gruppe. Es gab sogar existenzbedrohende Konflikte innerhalb der Partei, die zunächst auch zum Ausschluß von Parteimitgliedern führte.

Der sozialistische Flügel war bestrebt den Nationalsozialismus als eine bewußt antiimperialistische Bewegung anzusehen, deren Nationalismus sich beschränkt auf Erhaltung und Sicherstellung des Lebens und des Wachstums der deutschen Nation ohne irgendwelche Herrschaftstendenzen über andere Völker und Länder.

Im Jahre 1930 gab es den Aufruf "Die Sozialisten verlassen die NSDAP" durch die Otto-Strasser-Gruppe:

https://www.ns-archiv.de/nsdap/sozialisten/sozialisten-verlassen-nsdap.php

Bei späteren "Säuberungsaktionen" wurde dieser Konflikt dann ein und für alle Mal aufgelöst.

Fazit

Der privatwirtschaftliche Kapitalismus stand nicht zur Disposition - der Privatkapitalismus sollte ausschlißlich dem Wohle der Nation dienen - ein Staatskapitalismus sollte nicht eingeführt werden - der Staat sollte als lenkender Akteur dienen, um das Wohl der Volksgemeinschaft zu sichern.


earnest  23.02.2020, 07:48

Sternantwort.

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Gwcorbin  23.02.2020, 07:30

Wow. Besser kann man das nicht erklären :o

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Das ist eine gute Frage, aber die Antwort ist komplizierter als die meisten Antworten hier. Nach ihrem Selbstverständnis waren die Nazis "antikapitalistisch", nach Auffassung von Linken waren sie dagegen Handlanger bestimmter kapitalistischer Kreise und der "Antikapitalismus" nur vorgetäuscht.

Das Problem liegt darin, was man unter "Antikapitalismus" versteht. Das kann nämlich etwas sehr Verschiedenes sein. Um "Antikapitalist" zu sein, muss man offenbar eine Vorstellung haben, was "Kapitalismus" ist. Hier ist es aber so, dass sehr viele Menschen, die sich auch heute für "antikapitalistisch" halten, eine im Grunde genommen sehr problematische Position vertreten: Viele sind der Meinung, unsere Art zu wirtschaften - Produzieren für Märkte, Warentausch per Geld, Arbeiten für Lohn - sei an sich eine gute Sache, aber es gäbe irgendwelche böse Menschen, die das System egoistisch missbrauchen würden. An Armut, Ausbeutung, Entfremdung etc. sind nach dieser Sichtweise nicht die Strukturen schuld, sondern irgendwelche bösen Menschen: Kapitalisten, Juden, gierige Banker, faule Griechen oder wer auch immer. Dann muss man einfach nur dafür sorgen, dass diese bösen Menschen verschwinden, und alles ist gut. Diese Sichtweise ist bei Rechten wie bei Vielen, die sich "links" vorkommen, identisch. Man denke nur an die Bewegung "Wir sind 99%", die so tut, als gäbe es irgendwo 1% böser Menschen, die an allem schuld ist.

Die Nazis machten die Juden für die Nachteile des kapitalistischen Wirtschaftssystems verantwortlich. Sie waren der Ansicht, es würde allen Menschen in Deutschland - egal ob Arbeiter oder Unternehmer - besser gehen, wenn die Juden nicht mehr über die Wirtschaft herrschen würden (was sie gar nicht getan haben).

Kapitalismus bedeutet, aus Geld mehr Geld zu machen. Das ist das Ziel jedes Kapitalisten. Aber nicht weil er "böse" oder "gierig" ist. Sondern weil es natürlich gar keinen Sinn macht, Geld zu investieren, wenn man nicht eine größere Geldsumme zurück bekommt. Eine auf Geld beruhende Tauschwirtschaft zwingt also gerade zu dazu, aus einer Portion Geld eine größere Portion Geld zu machen. Wenn man nun irrtümlich meint, diese Geldvermehrung sei nur eine egoistische Idee von "Juden" oder "Bankern", ist man natürlich schnell dabei, "antikapitalistisch" zu fordern, diese Leute müssten weg.

Es gibt also einen reaktionären "Antikapitalismus".

Keins von beiden. In dem Sinne ist der Nationalsozialismus eine eigene Form von dem Verhältnis zwischen Politik, Volk und Wirtschaft.