Wieso setzt Platon Gleichheit als Idee voraus?

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Die Textstelle, auf die sich die Frage bezieht, ist offenbar Platon, Phaidon 74 a – 76 a.

So wie überlegt, rein empirisch, funktioniert eine gelungene Begriffsbildung nicht.

Eine erste Schwierigkeit besteht schon darin, aus der Wahrnehmung ein Ding als Sacheinheit richtig abzutrennen. Ein Mensch hat bei der Wahrnehmung ein »Das-da«. Er hat Sinneseindrücke davon. Damit ist aber noch nicht erreicht, ein Ding als das, was es ist, zu erfassen. An einem Stück Kreide kann beispielsweise ein kleines Stück Tuch sein. In der Wahrnehmung kommt es auch vor. Es gehört aber nicht zum Stück Kreide als ein Teil von ihm.

Mit einem Bild (bildlicher Anschauung/Vorstellung) und einem Namen allein ist es noch nicht möglich, Dinge zuverlässig einem Begriff richtig zuzuordnen. Von der Vielfalt an Wahrnehmungseigenschaften gehört nicht jede notwendig zu dem, was „Kreide“ der Bedeutung nach ausmacht. Beispielsweise hat ein zuerst gesehenes Stück Kreide eine weiße Farbe. Dem Bild nach wäre dann Kreide weiß und ein Stück blaue Kreide dürfte bei der überlegten rein empirischen Begriffsbildung nicht dem Begriff »Kreide« zugeordnet werden. Ebenso können die Kreidestücke eine unterschiedliche Länge haben. Durch Benutzung würde dann sogar das ursprüngliche Ding aus dem Begriff herausfallen, wenn die im Gedächtnis abgespeicherte Länge als Maßstab genommen wird.

Offenkundig ist eine Unterscheidung nötig, welche Merkmale für das Kreide-sein ausschlaggebend sind und welche nicht. Dabei ist ein Bezug auf ein Verständnis (zumindest ein vorläufiges) erforderlich, was Kreide überhaupt ist. Also muß auch Denken an der Begriffsbildung beteiligt sein.

Der Begriff »Gleichheit« bezeichnet etwas, was nicht materiell ist. Gleiches ist etwas, das materiell realisiert sein kann. Gleichheit selbst wird nicht direkt wahrgenommen. Eine Feststellung, zwei Dinge seien gleiche Dinge, setzt voraus, vorher schon über einen Begriff der Gleichheit zu verfügen und ihn beim Vergleich der zwei Dinge einzusetzen.

Die Gleichheit (ἡ ἰσότης Platon, Phaidon 74 c)/das Gleiche selbst (αὐτὸ τὸ ἴσον Platon, Phaidon 74 c und 74 e) ist ein bestimmtes Etwas, dessen Erkenntnis der Feststellung der Gleichheit einzelner Dinge erkenntnistheoretisch notwendig vorausgeht. Das, was Platon unter anderem Idee (ἰδέα [idea] oder εἶδος [eidos]) nennt, müssen Menschen vor einer Erfahrung einzelner Dinge erfaßt haben, um diese einzelnen Dinge dem Allgemeinen zuzuordnen. Das Denken kann nur etwas erfassen, das etwas Bestimmtes ist.

Ein einzelnes Ding ist nicht an sich gleich, sondern in Beziehung zu anderen Dingen und unter Gesichtspunken. Gleichheit wird nicht direkt über Sinneswahrnehmung als Merkmal einzelner Dinge festgestellt. Zuerst ist ein Verständnis notwendig, was Gleichheit ist (eine Definition und eine Wesensbestimmung von Gleicheit ermöglicht dies).

Um Gleichsein/Gleichheit festzustellen, ist es notwendig, Dinge zu vergleichen. Das Merkmal „gleich“ ist nicht eines, das direkt ein Sinneseindruck ist (z. B. wird bei zwei Kreisen nicht direkt das Merkmal „gleich“ gesehen, sondern ihre Form, die bei beiden kreisförmig ist). Dinge werden unter Gesichtspunkten in Beziehung gesetzt. Dabei wird Gleichsein/Gleichheit durch Denken erfaßt. Etwas, worauf das Erkenntnisvermögen der Vernunft Zugang hat, wird verwendet. Dieses bestimmte Etwas (Platon nennt es Idee) ist bei Erkennen vorgängig. Ein Erkennen an einem Ding setzt voraus, über eine Erkenntnis zu verfügen, was dieses bestimmte Etwas (in diesem Fall „gleich“) als solches ist, und darauf Bezug nehmen zu können. Insofern sind bei Platons Ideenlehre die Ideen vorausliegend und Einzeldinge haben an ihnen Anteil.

Gleichsein/Gleichheit (in logischer Bedeutung) ist eine bestimmte Relation/Beziehung. Mindestens zwei Dinge werden unter irgendwelchem Gesichtspunkten/Hinsichten in Beziehung gesetzt. Unter den Dingen kann es darin Gleichsein/Gleichheit geben. Ähnlichkeit ist eine Übereinstimmung in zumindest einer Hinsicht. Identität ist Gleichheit in jeder Hinsicht.

Eine Auffassung einer Existenz der Ideen auch außerhalb des Denkens der Menschen, also unabhängig vom Denken der Subjekte, ist ein ontologischer Realismus in Bezug auf die Ideen. Die platonischen Ideen sind ja etwas Bestimmtes, sie haben einen sachlichen Gehalt. Damit gibt es etwas Gleichbleibendes, auf das sich das Denken beziehen kann.


grtgrt  08.03.2018, 13:32

Da Gleichheit ein Konzept ist (d.h. etwas erst durch Abstraktion Gewonnenes), kann sie nur Idee sein.

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Salvador41I29 
Beitragsersteller
 07.12.2017, 02:58

"Offenkundig ist eine Unterscheidung nötig, welche Merkmale für das Kreide-sein ausschlaggebend sind und welche nicht. Dabei ist ein Bezug auf ein Verständnis (zumindest ein vorläufiges) erforderlich, was Kreide überhaupt ist. Also muß auch Denken an der Begriffsbildung beteiligt sein."

Kreide wird durch Denken definiert, aber dieses geschieht erst, nachdem der Gegenstand empirisch in Erfahrung gebracht wurde. Kreide ist demnach ein Stoff mit bestimmten Eigenschaften, Aussehen, Form, Konsistenz,... von denen einige vorhanden sind, wenn es Kreide ist,... dazu gehört aber z.B nicht die Farbe. Ohne weiteres und ohne Widerspruch, ist dieser Prozess nach empirischer Begriffsbestimmung denkbar.

"Der Begriff »Gleichheit« bezeichnet etwas, was nicht materiell ist. Gleiches ist etwas, das materiell realisiert sein kann. Gleichheit selbst wird nicht direkt wahrgenommen. Eine Feststellung, zwei Dinge seien gleiche Dinge, setzt voraus, vorher schon über einen Begriff der Gleichheit zu verfügen und ihn beim Vergleich der zwei Dinge einzusetzen."

Das mag sein, doch was hindert die Einbildungskraft, Imagination, Fantasie oder auch das Denken daran, hier zu abstrahieren und einen ganz neuen Begriff für das Denken zu bilden, der nicht unmittelbar empirisch entsprungen ist, aber doch mittelbar, da ja zumindest etwas empirisch erfahren werden musste, was diesen Abstraktionsprozess inspiriert hat. Auch hier sehe ich keinen zwingenden Schluss, auf die Notwendigkeit über den Begriff der Gleichheit bereits vorher verfügen zu müssen, ein.

"Die Gleichheit (ἡ ἰσότης Platon, Phaidon 74 c)/das Gleiche selbst (αὐτὸ τὸ ἴσον Platon, Phaidon 74 c und 74 e) ist ein bestimmtes Etwas, dessen Erkenntnis der Feststellung der Gleichheit einzelner Dinge erkenntnistheoretisch notwendig vorausgeht. Das, was Platon unter anderem Idee (ἰδέα [idea] oder εἶδος [eidos] nennt, müssen Menschen vor einer Erfahrung einzelner Dinge erfaßt haben, um diese einzelnen Dinge dem Allgemeinen zuzuordnen. Das Denken kann nur etwas erfassen, das etwas Bestimmtes ist."

Warum ist hier eine Deduktion aus einem Prinzip / der Idee, notwendig und keine Induktion möglich ? Aus einer großen Ähnlichkeit zwischen zwei Dingen, schließe ich auf den Begriff der Gleichheit, als dem, was du gesagt hast, dem Ideal an Ähnlichkeit zwischen zwei Dingen, mithin der Identität. So schließe ich doch durchaus logisch, aber ausgehend von der Empirie. Das heißt ich bin zwar in der Lage mir etwas zu denken, was es nicht empirisch zu erfahren gibt, aber das heißt nicht, dass es immer schon da war und ich quasi die bestimmte Empirie unter es eingeordnet habe. Ist es nicht vielmehr auch möglich, dass es induktiv erschlossen wurde, ich also im Denken von der Empirie, durch Abstraktion, auf ein Ideal geschlossen habe, dessen Begriff ich mir selbst erst neu gebildet habe, weil mein Denken ermöglicht in diesen Idealen zu denken, auch wenn ich sie nicht empirisch erfahren habe ? Die Frage wäre also nun, unter welchen Bedingungen ist dieses überhaupt möglich ? Muss ich bereits eine Idee der Gleichheit mitbringen oder nur das Potential diese Idee anhand von Sinnesdaten, durch Abstraktion bilden zu können ? Ich meine, es reicht hier aus, ganz von selber darauf zu kommen, aus einer Regelmäßigkeit auf ein Gesetz zu schließen, welches diese quasi ganz allgemein und ideal repräsentiert. Aber hier wird es wohl kompliziert und Platon selbst erklärt sich wohl am besten. Eine einfache und schnell einleuchtende Antwort, gibt es auf diese Frage wohl nicht, weshalb es von vornherein überflüssig war, sie hier zu stellen. Falls dir aber noch was einfällt, was du gerne ausführen möchtest, tu dir keinen Zwang an.

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Albrecht  11.12.2017, 07:08
@Salvador41I29

Erhebliche Teile meiner Antwort sind übergangen worden.

So wie in den zwei ersten Absätzen der Fragebeschreibung vorgeschlagen kann Begriffsbildung nicht funktionieren.

Die Sinneswahrnehmung ist eine von einem Ding, das ein Mensch bei der Wahrnehmung als ein »Das-da« hat. Ein konkretes Einzelding wird wahrgenommen, nicht das Allgemeine (Kreide solche), dem es zuzuordnen ist. An einem einzelnen Stück Kreide gibt es sowohl etwas, das Kreide allgemein ist (z. B. die stoffliche Grundlage mit bestimmten Eigenschaften), als auch etwas, das Kreide nicht allgemein ist (z. B. die genaue Farbe und die Maße). Auf Platons Ideenlehre bezogen betrifft dies allgemein die Unterscheidung zwischen Idee und Nicht-Idee bei einer Sache. Dazu ist begriffliches Denken erforderlich. Empirie (Erfahrung) allein kann dies nicht. Die Sinneswahrnehmung trennt nicht zwischen dem, das zu dem Allgemeinen gehört und dem, was nicht zu dem Allgemeinen gehört.

Platon muß nicht Empirie (Erfahrung) als eine Grundlage zum Erkennen von Gegenständen der Sinneswahrnehmung bestreiten (was von ihm bei Verwendung eines strengen Begriffs von »Erkenntnis« verneint wird, ist, Erkenntnisse darüber erreichen zu können; seiner Auffassung handelt es sich um - mehr oder weniger plausible - Meinung). In der Wahrnehmung steckt eine Neigung, zu einem unbestimmten Allgemeinen hinsichtlich der Einzeldinge zu kommen, etwas Einzelnes unmittelbar als etwas Allgemeines aufzufassen. Die Wahrnehmung hat zwar einen Bezug zu einem konkreten Einzelding, aber der Denkinhalt ist in diesem Fall allgemein, ohne gut zu unterscheiden, was an Informationen zu dem Wahrgenommenen wirklich zu dem Allgemeinen einer Sacheinheit gehört und was nicht. Wahrnehmbares und vom Denken Begreifbares in der Erkenntnis des Einzelnen selbst ist zu unterscheiden.

dazu in einer Darlegung des Verhältnisses von Platonismus und Empirismus:

Arbogast Schmitt, Platonismus und Empirismus. In: Gregor Schiemann/Dieter Mersch/Gernot Böhme (Hrsg.), Platon im nachmetaphysischen Zeitalter. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft : Darmstadt, 2006, S. 71 – 95

Wenn es im Kommentar heißt, „hier zu abstrahieren und einen ganz neuen Begriff für das Denken zu bilden“, bezieht sich dies auf begriffliches Denken.

Erfahrung kann bei konkreten Einzeldingen dazu einen Anstoß geben („was diesen Abstraktionsprozess inspiriert hat“). Dies steht mit Platons Aufassung in Übereinstimmung.

Eine Feststellung, zwei Dinge seien gleiche Dinge, setzt voraus, vorher schon über einen Begriff der Gleichheit zu verfügen und ihn beim Vergleich der zwei Dinge einzusetzen."

Einer Feststellung, zwei Dinge seien gleiche Dinge, geht erkenntistheoretisch notwendig voraus, zu wissen, was Gleichheit ist.

Ein Versuch, von einer großen Ähnlichkeit auf den Begriff der Gleichheit zu schließen, scheitert, weil das Problem nur von einem Begriff zu einem eng verwandten Begriff verschoben wird. Auch eine Feststellung, zwei Dinge seien ähnlich, setzt notwendig voraus, zu wissen, was Ähnlichkeit ist.

Ohne Erfassen des Allgemeinen (z. B. Gleichheit oder Ähnlichkeit an sich) gelingt es nicht, Allgemeines an den Einzeldingen zu erkennen. Als ein bestimmtes Etwas, ein sachlicher Gehalt ist das Allgemeine immer Gleichbleibendes und insofern schon immer da (überlegt werden kann, welche Seinsweise hier das „ist“ausdrückt). Vor der Feststellung bei einem daran teilhabenden Einzelding ist das Verfügen über das, was Platon »Idee« nennt, nötig. Der einzelne Mensch muß nicht schon immer und ständig eine Idee der Gleichheit mitbringen, aber zu diesem Zeitpunkt auf sie zurückgreifen können. Im Konzept der Anamnesis (ἀνάμνησις; »Wiedererinnerung«) ist enthalten, in der irdischen Existenz Wissen über Ideen zu verlieren, aber es latent zu haben und eine Fähigkeit zu besitzen, sich an Ideen »wiederzuerinnern«. Die Idee ist im Menschen (seiner Seele) potentiell (der Möglichkeit nach) vorhanden. In den menschlichen Erkenntnisvermögen (wesentlich sind dabei νοῦς (nous): Vernunft, Geist; διάνοια (dianoia): Denken, Denkkraft, Verstand; νόησις (voesis): einsehendes Denken, geistiges Erfassen/Begreifen) liegt ein Potential zum Erkennen der Idee. Die Deutung von Sinneseindrücken ist ein möglicher Anstoß. Ein Fehler ist allerdings nach platonischem Verständnis, von einem Einzelding, zu dem es Sinnesdaten gibt, auszugehen, das noch etwas Unbestimmtes ist, und so zum Allgemeinen (der Idee) gelangen zu wollen.

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Es gibt keine Gleichheit ausser man definiert sie. Somit besteht die Gleichheit in der Definition der Sache und nicht in der Gleichheit der Sache an und für sich. Deshalb muss zuerst die Definition der Gleichheit vorhanden sein um Gleichheit feststellen zu können. Da wir zu dieser Definition von Gleichheit nur dadurch gelangen können, indem von ausserhalb unseres Denkens ein Anstoss dazu diese Definition überhaupt machen zu wollen notwendig ist, bedingt dies wiederum die Idee dazu ausserhalb unseres Denkens. 

Woher ich das weiß:Hobby – Ich schreibe seit etwa 6 Jahren selber Bücher.

Gleichheit ist ja keine Sache, kein Ding. Es ist die Beziehung zwischen zwei oder mehreren Dingen. In deinem Kopf muss deshalb zunächst eine Vorstellung gegenseitiger Beziehung zwischen den Dingen vorhanden sein. Du musst die Gleichheit zunächst verstehen, um sie erkennen zu können. Im Grunde gibt es sie nämlich nicht, alles unterscheidet sich in gewisser Weise. Letzten Endes zumindest in seiner Lage und Position.