Wie kann ich die Stichhaltigkeit von Argumentationen beurteilen?

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Ein Argument ist stichhaltig, wenn es 1. formal gültig ist und darüber hinaus 2. die Bedingung erfüllt, dass die Prämissen und Hilfsannahmen (sog. Anziehungen) wahr sind.  

Die Logik abstrahiert von allem Inhalt, sie ist eine reine Formalwissenschaft. In der alltäglichen Anwendung der Logik sind aber die Inalte der Sätze, für oder gegen die mit den Mitteln der Logik argumentiert wird, nicht unerheblich. Ein solches Argument, dass formal gültig ist und dessen Annahmen einer sachlichen Überprüfung standhalten, bezeichnet man als stichhaltig.

Beispiel fürs Überprüfen von Quelle bzw. Beleg eines Arguments:

"...denn, wie Seneca sagt. nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir..."1)

Dutzende Male ist uns das schon gesagt worden. Soll man derart Bekanntes wirklich belegen oder gar überprüfen? Nehmen wir an, da ist bereits als Anm. 1) ein Beleg angegeben:


Beleg zum Argument: Anm. 1)

"Non scholae sed vitae discimus = nicht für die Schule, wir lernen fürs Leben! Eine Sentenz des römischen Philosophen Seneca." Epistel 106,12

Lutz Mackensen: "Zitate, Redensarten, Sprichwörter," 2. Auflage, Stuttgart 1985, S. 551

Es stimmt also! Oder??


Überprüfung des Belegs:

" lernen wir. Seneca, Episteln 106

Richard Zoozmann: "Zitatenschatz der Weltliteratur": Stichwort "Leben", (seit 1907 in versch. Ausgaben, hier:) Wiebaden 1986, S. 273

ähnlich bei:

Klaus Bartels: "Veni vidi vici. Geflügelte Worte aus dem Griechischen und Lateinischen," Mainz 2006.

Das genaue Gegenteil?

Wer hat nun Recht?


Nun muss man wohl weiter forschen: Was hat Seneca tatsächlich gesagt? Suchmaschinen sind nützlich für Wahrscheinlichkeit, doch selbst Mehrheiten kann man nicht wirklich völlig trauen.

Also muss man die Quelle selber erforschen - eine wissenschaftlich zuverlässige Seneca-Ausgabe, evtl. unter Advanced Book Search oder in einer Bibliothek. Versuchen wir zunächst Wikipedia wegen der dortigen External Links

Wikipedia ist immer nützlich, allerdings mit gewisser Vorsicht zu behandeln, was den jeweiligen Artikeltext selbst betrifft.

Unter Seneca: Epistula Nr.106 ist in Buch XVII.

Ext. Links: Verweis auf eine Ausgabe. Angeklickt, dann auf Liber XVII-XVIII

http://www.thelatinlibrary.com/sen/seneca.ep17-18.shtml

Tatsächlich: Brief CVI, 12 (letzter Satz):

Quemadmodum omnium rerum, sic litterarum quoque intemperantia laboramus: non vitae sed scholae discimus. Vale.” ( Wie bei allen Dingen, so leiden wir auch bei der Literatur (=Lehrstoff) an Maßlosigkeit:

Wir lernen nicht für das Leben, sondern für die Schule .

Leb wohl)


In dieser Form mit Berufung auf den Philosophen Seneca war das Argument also falsch!

z.B. durch statistisches Zahlenmaterial, durch Überprüfung der Quelle, auf die sich ein Argument möglicherweise bezieht (wenn z.B. auf die Auffassung von Fachleuten hingewiesen wird), durch Befragungen von Betroffenen.