Wer ist wahlberechtigt in der Räterepublik?

3 Antworten

Nur Menschen, die von den Kommunisten nicht als "Antikommunisten" gebrandmarkt werden. Schon Marx fordert, dass man nach der Revolution "Rebellen" verfolgen solle, womit er Gegner des Kommunismus meint. Luxemburg und Lehnin konkretisieren diese Forderung dahingehend, dass sie die Verfolgung, Entrechtung oder Tötung von Antikommunisten auch befürworten, wenn diese in der Bevölkerungsmehrheit sind.

Kapitalisten währen ohnehin nach Sicht der Kommunisten ausgeschlossen. Marx fordert, dass nach der Machteroberung durch die Kommunistische Partei den Kapitalisten "nach und nach" alles Kapital entzogen werden soll. Rein wirtschaftlich (nicht staatspolitisch) wäre das ähnlich wie im heutigen China: Zunächst werden die Schlüsselindustrien verstaatlicht, die anderen Betriebe erst im Verlauf von Jahrzehnten. Marx fordert also einen allmählichen Übergang zur Planwirtschaft und lediglich einen revolutionären Wechsel des Staatssystems. Während dieser von Marx nicht hinsichtlich der Dauer definierten Übergangsphase zwischen Revolution und Erreichung der Planwirtschaft sollen die Kapitalisten zunächst die entsprechenden Betrieben weiterführen, aber als rechtlose Menschen. Die "Diktatur des Proletariat" beinhaltet, dass per se nur Angehörige des Proletariats (= der Klasse der abhängig Beschäftigten) politische Macht ausüben dürften.

Nach der Novemberrevolution in Deutschland 1919 wurde eine Abstimmung im Volk durchgeführt, ob eine parlamentarische oder Räterepublik eingeführt werden sollte. Die Mehrheit stimmte für erstere. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands, riefen die Kommunisten zum Putsch auf: Mehrere Tausend Kommunisten eroberten, bewaffnet mit Gewehren und leichter Artillerie aus dem Weltkrieg, das Berliner Zeitungsviertel und zwangen alle Medien, außer den kommunistischen, zur Einstellung ihrer Tätigkeit. Dabei setzten sie auch Hinrichtung und Folter als Druckmittel ein. Anschließend versuchten sie, das Regierungsviertel einzunehmen, um im Deutschen Reichstag die Angehörigen aller Fraktionen außer der der KPD zu töten. All dies wurde von Liebknecht und Luxemburg bejaht bzw. heizten sie das Ganze noch an.

Trotzki, der die rechte Hand Lehnins und Oberbefehlshaber der "Roten Garden" und der aus diesen hervorgegangenen Roten Armee, ging noch weiter: In seiner Theorie der "Permanenten Revolution" geht er davon aus, dass Antikommunisten durch Internierung und Massentötung auch nach der Revolution permanent bekämpft werden sollen. Durch regelmäßig wiederkehrende Säuberungswellen solle sich der revolutionäre Kampf gegen die Gegner des Kommunismus verstetigen, damit sich keine bürokratischen Machthaber wie in der späteren Sowjetunion oder China festsetzen können. Zudem wären bei der regelmäßigen Tötung eines Großteils der Antikommunisten die Kommunisten immer in der Mehrheit, sodass der Kommunismus nicht abgewählt würde. Trotzki sah darin eine Voraussetzung dafür, dass sich der Kommunismus dann durch eine Räterepublik statt durch ein stalinistisches System an der Macht halten ließe. Diese Haltung setzte Trotzki auch in die Realität um, indem auch er Massenhinrichtungen befahl.

Zusammenfassung: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Wahlfreiheit und anderes sind mit Antikapitalismus, jedoch nicht mit Marxismus bzw. Rätekommunismus vereinbar. Die "Diktatur des Proletariats" beinhaltet eine Eingrenzung des Wahlrechts und anderer Rechte nur auf Anhänger des Kommunismus, selbst wenn diese in der Minderheit sind.


Reinkanation  29.08.2023, 21:51

Räterepubliken sind nicht zwangsläufig Kommunistisch

Norjakeista  05.12.2022, 20:06

Du vergisst einen wichtigen Punkt: Kommunismus ist an eine echte Demokratie gekuppelt. Heisst: Würde man das Wahlrecht wie von dir beschrieben einschränken, hätten wir keinen Kommunismus mehr.

Kleiner Tipp: Erst mal mit dem Begriff des Kommunismus beschäftigen, bevor man dagegen Stimmung macht, die ohne jegliche Basis ist.

Hallemachallema  05.12.2022, 20:23
@Norjakeista

Ich habe vom Marxismus und Rätekommunismus geschrieben, andere Formen des Kommunismus wie z.B. den Anarchokommunismus habe ich gar nicht tangiert. Deine Überheblichkeit, welche darin besteht, mir vorzuwerfen, dass ich mich nicht mit der Ideologie des Kommunismus beschäftigt habe, ist übrigens sehr typisch für Linksextremisten und Linksradikale. In Wahrheit gibt es einen Großteil letzterer Gruppierungen, die sich mir ihren eigenen Ideologien und Idolen nicht besonders auskennen, sondern würde sie wohl auch nicht dieser Ideologie anhängen.

Norjakeista  05.12.2022, 20:32
@Hallemachallema

Dafür schreibst du allerdings recht generell vom Kommunismus. Und selbst andere Formen des Kommunismus, die du hier erwähnst, müssten doch einigermassen in die Definition des Kommunismus passen, nicht?

Kommunismus ist per Definition demokratisch. Wenn du nun also mit anderen Arten des "Kommunismus" kommst und diese als undemokratisch darstellst, zeigt dass, das du dich offenbar nicht mit der Materie beschäftigt hast.

Aber ja, ich gebe dir recht, es gibt da tatsächlich einige, die sich nicht auskennen und sich trotzdem als Kommunisten bezeichnen.

Dennoch solltest du dich vielleicht mal entscheiden, ob du jetzt über den Kommunismus, die Rätedemokratie oder das, was der Antikommunismus als "Kommunismus" bezeichnest, schreibst. Und das dann auch so markierst.

Hallemachallema  05.12.2022, 20:47
@Norjakeista

Gegen den Anarchokommunismus bin ich übrigens auch, aber das war nicht Gegenstand der Frage, daher möchte ich darauf nicht weiter eingehen. Gegen den Anarchokommunismus sprechen freilich ganz andere Argumente als gegen den Rätekommunismus. Es mag sein, dass es Kommunisten gibt, die sich als Demokraten verstehen, aber als solche verstanden sich auch Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht, ebenso wie die SED. Zu behaupten, dass die eigene Vorstellung von Kommunismus demokratisch ist, belegt noch nicht, dass sie das auch tatsächlich ist. Schließlich haben Kommunisten oft Probleme, die Begriffe Diktatur und Demokratie auseinanderzuhalten ("demokratische Diktatur" - Rosa Luxemburg). Man muss vielmehr begründen, inwiefern und warum der eigene Kommunismus demokratisch ist und was ihn von Diktatur oder Anarchie unterscheidet. Und das konnte mir noch kein Kommunist darlegen, weder in Form von bekannten Werken, noch im persönlichen Gespräch.

Norjakeista  05.12.2022, 20:58
@Hallemachallema

Nun, die Demokratie findet sich beim Kommunismus normalerweise in der Definition. Die meisten dieser Definitionen bestehen aus folgenden Elementen:

  • Klassenlose Gesellschaft, heisst: Niemand herrscht über jemand anderen.

Dazu gehörend: Alle Menschen sind gleich, wo das möglich ist.

  • Produktionsgüter sind in den Händen und dem Besitz der Allgemeinheit.

Aus beiden lässt sich in meinen Augen die Demokratie ganz klar ableiten:

Eine klassenlose Gesellschaft ist mit einer undemokratischen Herrschaftsform nicht zu vereinbaren. Denn sonst würde sich eine Herrscherklasse bilden, die über andere herrscht. Das wiederum würde sich ja eben mit der klassenlosen Gesellschaft und der Gleichheit (hier bezogen auf gleiche politische Rechte bezogen) widersprechen.

Und der zweite Punkt: Wir haben einen Staat oder eine ähnliche Organisation, die diese Güter verwaltet. Ist dieser Staat nun eine Diktatur, gehören diese Güter de facto dem Diktator bzw. der herrschenden Gruppe, da diese völlig alleine darüber bestimmen darf. Somit brauchen wir hier eine Demokratie.

So mal ganz kurz gefasst.

Anarchie würde ich persönlich sogar auch als Demokratie bezeichnen, aus ähnlichen Gründen: Die Menschen müssten weiterhin zusammenleben und sich organisieren. Und die Demokratie in ihrer radikalen Form ist nun mal der einzige Weg, sich zu organisieren, ohne das jemand über andere herrscht. Das muss nicht über einen Staat sein, das kann auch über eine, wie Anarchisten häufig sagen, Kommune gehen, wobei dass dann auch schon fast wieder ein Staat ist.

So kann man m.M.n. sagen: Kommunismus setzt DIREKT keine Demokratie voraus. Aber alles, was nicht demokratisch ist, steht im Widerspruch zur Definition. Und somit bleiben nur noch demokratische Systeme für den Kommunismus übrig.

Hallemachallema  05.12.2022, 21:18
@Norjakeista

Zwischen Anarchie und Demokratie sehe ich einen Gegensatz: Anarchie ist Herrschaftlosigkeit. Demokratie heißt im Wortsinne Herrschaft des Volkes. Sinngemäß herrscht in der Demokratie die Mehrheit über die Minderheit, welche sie überstimmt, ob nun in einer Wahl oder einem Volksentscheid. Kann eine Minderheit über eine Mehrheit herrschen, wäre das eine Diktatur. Für mich hat der Begriff der Diktatur also einen anderen Inhalt als für Marx, bei dem die Diktatur eine jede Staatsform ist, in der eine Klasse über eine andere herrscht und sich somit zwangsläufig aus der Klassengesellschaft ergibt. Anarchie im Sinne von Herrschaftslosigkeit hingegen will weder, dass die Mehrheit über die Minderheit herrscht, noch umgekehrt - ja was will sie dann? Sie ist nichts als ein Phantom. Ein Gedanke, der nicht mit konkreten Inhalten ausgefüllt werden kann. Nicht umsonst ist der Anarchismus die einzige weitgehend theoriearme bis -freie Ideologie im sozialistischen Spektrum.

Andererseits gibt es auch Anarchisten, die eigentlich keine sind: Bakunin als bekannter Autor der Anarchisten wünschte sich eine Gesellschaft, in der die Nicht-Existenz eines Staates durch anarchistische Geheimbünde abgesichert werden sollte, die ein Quasi-Monopol auf militärisches und geheimdienstliches Wissen und die entspr. Mittel haben. Damit sollen sie selbst, wenn die Mehrheitsbevölkerung wieder einen Staat einführen will, dieses verhindern. Diese Geheimbünde erfüllen damit den Zweck wie die SED einschließelich ihres bewaffneten Flügels, der Stasi in der DDR: Eine bewaffnete und spionierende und darin professionelle Minderheit zwingt der Mehrheit eine Gesellschaftsordnung auf, die die Mehrheit nicht haben will. Jene "Scheinanarchisten", die das fordern, sind im Herzen Stalinisten, nur dass sie anders als richtige Stalinisten zu feige sind, ihren wahren Charakter zuzugeben. Wenn man sich anschaut, wie Anarchisten auch in Deutschland Vorträge und Reden selbst von Menschen aus dem demokratischen und afd-fernen Spektrum mit Gewalt gegen SAchen und Personen, aber auch durch Blockaden u.ä. verhindern wollen, sieht man, dass die Mehrheit der Anarchisten wohl diesem totalitären "Scheinanarchismus" zuzurechnen ist. Echte Anarchie ist wohl nur in Größenordnungen umsetzbar, wo jeder jeden persönlich kennt: z.B. in Dörfern und Kommunen. Es kann durchaus wirklich hierarchiefreie Inseln in einer sonst demokratischen Gesellschaft geben - vorausgesetzt, die Demokraten lassen die Anarchisten in Ruhe und die Anarchisten lassen die Demokraten in Ruhe und versuchen nicht permanent, die Demokratie zu stürzen. Aktuell besteht auf beiden Seiten meist ein gegenseitiger politischer Vernichtungswille. Nur die wenigen nicht-militanten und pazifistischen Anarchisten sind wirklich hierarchiefrei, da jede Gewalt Herrschaft oder Machtausübung beinhaltet. Und nur sie können ohne Repression dauerhaft existieren, sind aber gleichzeitig aufgrund ihres Pazifismus auf Schutz durch die Sicherheitsorgane und die Rechtsordnung einer Demokratie angewiesen.

Ich stimme zu, dass die klassenlose Gesellschaft keine Diktatur sein kann, sofern man nicht nur die Abschaffung ökonomischer (z.B. Kapitalisten), sondern auch politischer Klassen (z.B. eine SED) meint. Doch obwohl Marx die Klassenlosigkeit fordert (und wenig konkretisiert, wie die Gesellschaft im endgültigen Kommunismus aussieht), führen seine ganz konkreten Forderungen eben genau in die Gegenrichtung: Abschaffung der Gewaltenteilung, keine Volksentscheide, Verfolgung der Antimarxisten, völlige Entrechtung der Kapitalisten und damit ein Bruch mit allen Grundsätzen einer Demokratie. Ferner seine grusligen und totalitären Forderungen, die Familie abzuschaffen und die Kindererziehung dem Staat mit ideologisch ausgewählten Erziehern zu unterstellen, damit Eltern ihre Kinder nicht mehr "reaktionär" erziehen können. Die Kinderarbeit will er nicht gänzlich, sondern nur "in ihrer jetzigen Form" abschaffen und die Erziehung der Kinder "mit der Fabrikarbeit zusammenbringen". Eindeutiger kann er gar nicht ausdrücken, wie orwellmäßig er tickt...

Und Fakt ist, dass sich 99% der Kommunisten nunmal entweder auf Marx oder auf den Anarchismus berufen, also für mich keine Demokraten sind. Ein Demokrat, der den Kapitalismus überwinden will, ist für mich ein demokratische Sozialist und kein Kommunist.

Eine Räterepublik ist in erster Linie eine Form der direkten Demokratie. Und entgegen dem zutiefst von antikommunistischem Propagandaquatsch durchzogene Kommentar meines Vorgängers ist das erst einmal gar nicht an Kommunismus gekoppelt.

Wenn das eine wirkliche Demokratie darstellt, dürfen alle wählen. Wenn es eine "Demokratie" wie im antiken Athen ist, nur einige wenige, die bestimmte Bedingungen erfüllen.

Eine Räterepublik sagt also noch nichts darüber aus, wer wählen darf, dass ist gleich wie in allen anderen Demokratieformen.


Reinkanation  29.08.2023, 21:52

Ich würde sogar sagen das sie Demokratischer ist als eine Parlamentarische Demokratie

Hallemachallema  05.12.2022, 20:20

Zum Glück gibt es noch Antikommunisten. Direkte Demokratie heißt übrigens, dass die Basis per Volksentscheid bestimmen darf. Die Räterepublik ist eine repräsentative Demokratie, weil man Räte wählt, die dann als Repräsentanten Entscheidungen treffen. Für die direkte und Basisdemokratie bin ich allerdings.

Norjakeista  05.12.2022, 20:35
@Hallemachallema

Räterepublik ist da tatsächlich ein spezielles System zwischen direkter und repräsentativer Demokratie, man wählt zwar Repräsentanten, die aber wirklich repräsentieren. Heisst: Sie sind in allen Entscheidungen direkt an ihre Wählerschaft gebunden und können von dieser jederzeit wieder zurückberufen werden. De facto haben wir also bei allen Entscheiden Volksabstimmungen, bei denen die Repräsentanten die Stimmen ihrer Wähler abgeben. Wikipedia auf jeden Fall stuft es als direkte Demokratie ein, deshalb habe ich das so übernommen.

Hallemachallema  05.12.2022, 20:54
@Norjakeista

Vllt. wurde der ARtikel über Rätekommunismus von einem Anhänger der Ideologie verfasst. Der Begriff der direkten Demokratie ist normalerweise für Volksentscheide reserviert. Jede Form der Wahl führt dagegen zu Repräsentanten. Wenn man bedenkt, dass sogar die bekennende Leninistin und Trotzkistin Janine Wissler, die 2021 von den Linksparteidelegierten mit 87,9% der Stimmen zur Parteivorsitzenden gewählt wurde (Partei des "demokratischen" Sozialismus), die Räterepublik als direkte Demokratie bezeichnet, dann kommt man schnell der Strategie auf die Schliche, die sich dahinter wieder verbirgt: Kommunisten verschleiern wie alle Totalitaristen ihre Absichten als Wolf im Schafspelz und stellen den demokratischen Charakter ihrer gewünschten Gesellschaftsordnung auf überhöht dar. Früher sind Totalitaristen noch offener gewesen, aber nach den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts muss man sich freiheitlich-demokratisch geben, um noch Anhänger / Wähler zu ködern. "Den" Antikommunisten gibt es übrigens nicht: Vom Faschisten und Islamisten über das demokratisch rechts Spektrum über den Liberalismus bis zum demokratischen Sozialismus (durchaus auch in seiner antikapitalistischen Form) gibt es Antikommunisten, jeweils mit sehr verschiedenen Motiven. Die Sozialisten des Prager Frühlings wussten es besonders gut, wie es sich anfühlt, sowohl von Faschisten (als Widerständler im II. WK) als auch von Kommunisten (als Besatzer) angefeindet zu werden: Es fühlt sich danach an, als ob man etwas verdammt richtig machen würde und den goldenen, demokratischen Mittelweg zwischen zwei fanatischen Extremen bestreitet.

Das kommt auf die Art der Räterepublik an

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich interessiere mich für Geschichte und Politik