Weimarer Verfassung - Pro und Kontra?

2 Antworten

Die Weimarer Verfassung (Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919) war eine Demokratie und bot den Deutschen eine staatliche Ordnung, in deren politischen Rahmen sie leben konnten. Sie hatte Schwächen/Fehler/Mängel, aber ihr Untergang kam erst durch ein Zusammenwirken mit anderen Ursachen zustande.

Das Fehlen einer Sperrklausel bei Wahlen (wie es z. B. eine 5%-Hürde ist) war nicht direkt in der Verfassung festgelegt, sondern im Reichswahlgesetz von 27. April 1920. Das Fehlen einer Sperrklausel und das Verhältniswahlrecht werden meines Erachtens in ihrem Gewicht teilweise überschätzt. Die vielen kleinen Parteien waren Zeichen der Zersplitterung und Spaltung in Interessengruppen und politische Anschauungen sowie eines Mangels an klarer politischer Orientierung, hatten aber zusammengenommen kein allzu großes Gewicht (die Anzahl der Abgeordneten von Splitterparteien war gering). Bei einem Mehrheitswahlrecht hätten vermutlich zwar zunächst grundsätzliche Gegner der Demokratie weniger Abgeordnete durch Wahlen bekommen, aber später auch ihren Anstieg beschleunigen können.

Ich versuche einige Vorschläge zu positiven und negativen Seiten.

Pro

  • Volkssouveränität
  • Errichtung einer parlamentarischen Demokratie
  • sehr demokratisches Wahlrecht (Wahlrecht auch für Frauen; durch das Verhältniswahlrecht wurde der Willen der Wählenden in der Sitzverteilung mit großer Entsprechung abgebildet)
  • Mitbestimmungsmöglichkeiten für das Volk mittels Wahlen und Abstimmungen (Volksbegehren und Volksentscheid) durch Bestandteile direkter Demokratie, auch wenn so etwas Schattenseiten durch unsachliche und Leidenschaften anstachelnde Agitation haben konnte
  • umfangreiche Grundrechte (darunter z. B. auch für Männer und Frauen nach Artikel 109 grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten; rechtsstaatliche und sozialstaatliche Prinzipien)
  • Gewaltenteilung
  • Föderalismus

Kontra

  • übergroße Machtfülle des Reichspräsidenten einschließlich des Rechts zu Notverordnungen (Artikel 48), mit dem unter bestimmten Umständen die parlamentarische Demokratie untergraben werden konnte: Ein direkt gewählter Reichspräsident hatte eine große Machtfülle (vor allem Artikel 25 Auflösung des Reichstags, Artikel 48 Notverordnungen und Artikel 53 Ernennung und Entlassung des Reichskanzlers). Wenn es im Parlament (Reichstag) keine handlungsfähige politische Mehrheit gab, konnte der Reichspräsident eine entscheidende Rolle spielen und ein deutliches Übergewicht haben.
  • verhältnismäßig geringe Vorsorge für Stabilität der Regierung: Ein destruktives Mißtrauensvotum gegen Regierung war möglich. Ein Reichskanzler oder einzelne Reichsminister konnten zum Rücktritt gezwungen werden, wenn eine Mehrheit im Reichstag ihnen das Mißtrauen aussprach, wobei es nicht nötig war, eine andere Person stattdessen zu wählen. Die Regierung konnte vom Reichspräsidenten abhängig sein. Ein Verhältniswahlrecht kann eine Mehrheitsbildung schwerer machen als ein Mehrheitswahlrecht.
  • schlechte Art der Bezugnahme auf Parteien: Politische Parteien kommen in der Verfassung nicht ausdrücklich als an der politischen Willensbildung mitwirkend vor, obwohl die Tätigkeit von Parteien vorausgesetzt und mitgedacht war (z. B. bei Wahlen, der Aufstellung von Kandidaten auf Listen, dem Wahlkampf und der Tätigkeit und den Beschlüssen des Reichstags). Sie werden nur an einer Stelle (Beamtenrecht) am Rand erwähnt und dies in negativer Weise (Artikel 130 Absatz 1: „Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei.“), was als Gesamtbehandlung einseitig ist und im politischen Denken mit einem angeblichen immer überparteilich staatlichen Einheitswillen verbunden wurde.
  • zu weitgehende Wertneutralität durch Fehlen einer Absicherung einer demokratischen Grundordnung und von Grundrechten in ihrem Wesenskern (Abschaffung und Außerkraftsetzung war nicht ausgeschlossen)
  • Grundrechte kein unmittelbares, die staatlichen Gewalten (Legislative, Exekutive, Jurisdiktion) bindendes Recht, keine mit vollen Handlungsmöglichkeiten die Verfassung hütende Institution (wie es in der Bundesrepublik Deutschland das Bundesverfassungsgericht ist)
  • Vermischung von Prinzipien auf ungünstige Weise: Bei der Verfassung wurden manche Prinzipien (parlamentarisch, präsidial und direkt/plebiszitär) auf ungünstige Weise durchmischt. Dies funktionierte in der Praxis oft nicht gut und erwies auch auch allgemein als störend in der Orientierung des politischen Denkens.

Positiv war der Versuch der Errichtung einer Demokratie.
Damit ist Liste auch schon beendet.

Das Negative wirkte deutlich nachhaltiger.
Angefangen mit der Spaltung der politischen Linken, auf Betreiben der SPD, die sich regierungsfähig zeigen wollte.
Der Verfassung selbst, ebenfalls mit Hilfe der SPD, wurde ihr Geburtsfehler mitgegeben.
Nun gab es eine parlamentarische Republik und parallel eine Notverfassung mit einem mächtigen Reichspräsidenten, Hindenburg.
Dieser innewohnende Fehler erwies ist als Sargagel der Weimarer Republik.
Die SPD koalierte mit den Liberalen und den Konservativen.
Hindenburg selbst, wiewohl Millitär im Ersten Ersten Weltkrieg, setzte die Dolchstoßlegende in die Welt.
Wonach die Bürger, in der Heimat, selbst den Truppen an der Front in den Rücken gefallen seien.

Die Weimarer Verfassung wurde zum Beispiel dafür, dass jede Verfassung ihre Feinde im innern hat.

Es ist müßig zu fragen, wie die Geschichte verlaufen wäre, ohne diese Negativliste.
Wenn ist die Geschichte so gelaufen wie sie gelaufen ist.


ArnoldBentheim  08.05.2018, 16:09
Positiv war der Versuch der Errichtung einer Demokratie. Damit ist Liste auch schon beendet.

So? Und wie beurteilst du beispielsweise den Grundrechtekatalog der Weimarer Reichsverfassung?

0
soisses  08.05.2018, 23:04
@ArnoldBentheim

Stand da halt drin, nur hat sich niemand an die Verfassung gehalten.

Nicht die Regierung, nicht der Reichpräsident, die Opposition nicht und sonstig niemand.

Daher sagte ich, eine historische Wahrheit ist "jede Verfassung hat ihre Feinde im innern".

Nebeneffekt:
Reichswehrminister Noske (SPD) "lasst euch nicht verdrießen, der Noske
lässt schießen", setzte die Reichswehr im innern ein.
Ein Hauptmann Pabst gab den Befehl zur Ermordung von Liebknecht und Luxemburg.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13528846.html

Das eine ist Politik, etwas anderes ist Historie.
Bitte nicht verwechseln mit Gechichtsunterricht...

0