Was ist so schlimm daran, Analphabet zu sein?
Hey,
Ich helfe regelmäßig einer Freundin bei ihren Hausaufgaben. Mir ist in manchen Momenten aufgefallen, dass ihr Vater Situationen wo er lesen muss, vermeidet und auch die Ausreden warum er ihr nicht bei den Aufgaben hilft sind komisch. Ich habe ihn darauf angesprochen, und er hat bestätigt, dass er weder lesen noch schreiben kann. Aber ich soll ihr das auf keinen Fall erzählen.
Die Sache ist aber, dass sie unglaublich wütend darüber ist, dass er ihr nie hilft. Ich verstehe einfach nicht, warum das geheim bleiben muss . Sie hätte dafür Verständnis. Mein Bruder meinte, dass es oft geheim gehalten wird. Was ist so schlimm daran, wenn andere das wissen?
7 Antworten
Der Vater deiner Freundin schämt sich und hat Angst, dass seine väterliche Autorität untergraben wird: Das tun die meisten primären Analphabeten, deren Kinder in die Schule gehen, denn sie sehen, dass ihre Kinder beteits in jungen Jahren mehr können, als sie selber können, das macht den Eltern Angst.
Er sollte es trotzdem mal sagen - einfach, weil das eines Tages sehr wichtig werden könnte, zb Arzneimitteldosierungen, Mahnungen oder andere wichtige Schriftstücke.
Naja es ist dem Vater deiner Freundin sichtlich unangenehm das er dieses Problem hat. Er hat wahrscheinlich Angst davor, das seine Tochter sich seinetwegen schämen muss und er den Respekt und seine Autorität vor ihr verliert. Er schämt sich sehr dafür. Allerdings gebe ich dir vollkommen Recht, es sollte niemandem peinlich sein ein derartiges Problem zu haben. Seine Schwächen zuzugeben zeugt von wahrer Größe und Mut. Außerdem gibt es Hotlines und auch Anlaufstellen für Analphabeten wo ihnen geholfen werden kann. Es wäre ratsam das der Vater deiner Freundin diese Angebote in Erwägung ziehen sollte. Allerdings sollte er sich unbedingt vorher bei deiner Freundin also bei seiner Tochter als Analphabet "outen" denn das wäre der erste bedeutende Schritt! Andernfalls würde er sich in eine Sackgasse treiben die er sich selbst erschaffen hat, denn es würde früher oder später ans Licht kommen und dann würde es seine Tochter auf eine ungeschonte Weise erfahren. Es ist wichtig das er möglichst bald damit rausrückt und ein vertrautes Gespräch mit ihr führt.
Man fühlt sich dann 'nackt' und leicht angreifbar. Scham kommt hinzu, vielleicht auch Angst, seine Vorbildrolle als Vater zu verlieren.
Vermutlich hast Du Recht, dass es besser wäre, wenn er damit offen umgehen würde, denn dann könnte vieles einfacher sein, und Menschen in seiner Umgebung könnten besser auf ihn Rücksicht nehmen und ihn unterstützen, aber es ist seine Entscheidung.
Es gibt immer noch Menschen, die nicht schreiben und lesen können, die niemals eine Schule oder nur ein paar Klassen besucht haben. Es ist kaum zu glauben, aber wahr. Im TV habe ich auch schon eine Doku darüber gesehen.
Es gibt Erwachsenenunterricht, wo man das nachholen kann, wenn man will.
Ich würde der Tochter erklären, warum ich ihr nicht helfen könnte, wenn ich Analphabeth wäre, damit sie das Einsehen und das Verständinis dafür bekommt.
Hallo Schneemond2011,
vor allem Eltern verschweigen ihren Kindern solche Probleme, weil sie ein gutes Vorbild sein wollen und/ oder ihren Kindern ihre Probleme nicht aufbürden wollen.
Natürlich ist ein Vater, der eine gute akademische Bildung mit Lesen & Rechnen hat von der Gesellschaft aus ein besseres Vorbild, als ein klasse Handwerker, der das kleine 1x1 kann und nur mäßig schreiben/ lesen kann (um mal ein extremes Beispiel zu nennen). Und das übernehmen die Personen selbst dann auch oft, das Kind soll ja eine gute Bildung erlangen, aber wenn es sieht, dass ich es nicht kann, macht es weniger für die Schule, weil die dann unwichtiger wird o.ä.
Wenn er es ehrlich ansprechen würde, wäre es natürlich einfacher, aber über die Zeit baut sich ein Schutzmechanismus auf und diesen zu brechen macht Angst und Kummer, also wird die Wahrheit nicht angesprochen.
Für Analphabeten gibt es ja auch einige Möglichkeiten, zumindest eine gewisse Grundkompetenz im Lesen & Schreiben zu erlangen, aber wenn er dies nicht möchte und den Frust seiner Tochter lieber akzeptiert, musst du es auch akzeptieren. Auch wenn es wirklich nicht schön ist, aber es ist seine Entscheidung und sein Leben, auch dann, wenn andere drunter leiden müssen.