Was ist die unerhörte Begebenheit in der "Novelle" von Goethe?
Ich bin mir nicht sicher, da unerhört damals ja "noch nie gehört" bedeutete und die ganze Geschichte war ja praktisch etwas besonderes aber auch wieder nich so besonders...
Ansonsten wäre ich für den Löwen oder den Jungen der ihn besänftigt anstatt erschießt. Aber da er zur Schaustellerfamilie gehört, ist es ja auch nicht besonders dass er so etwas macht.
Danke, für eure Hilfe
3 Antworten
Kunst ist symbolisch, hat Goethe einmal gesagt. In Verbindung mit dem Wesen der Novelle als einer „sich ereignenden unerhörten Begebenheit“ (Goethe) wird hier ein prinzipielles menschliches Problem dichterisch gestaltet: die Zähmung der Natur im Menschen durch die Kraft des Geistes, die hier speziell durch die Macht der Musik und der Poesie dargestellt wird.
Symbolische Eckpunkte der Novelle sind die verfallene Burg, der Brand, der Ausbruch der wilden Tiere, die Tötung des Tigers und das Ruhen des Löwen innerhalb der verfallenen Burg. Das Fernrohr zeigt die Ferne der verfallenen Burg an: symbolisch wird dadurch angedeutet, dass die Fürstin und ihr Gefolge von der Verfallenheit des Menschlichen, repräsentiert durch die Burgruine, noch weit entfernt sind (die Burg ist Opfer der Natur geworden: „Es ist eine Wildnis wie keine“, sagt der Fürst-Oheim). Aber durch den Ritt dorthin nähert man sich der Gefahr, die von dem Naturhaften, Chaotischen ausgeht.
Der Brand, der Ausbruch der wilden Tiere, vor allem der Angriff des Tigers zeigen symbolisch an, wie die wilden Kräfte der Natur und des Chaotischen (Brand) den Menschen bedrohen. Durch die Tötung des Tigers wird die Gefahr, die von der ungezähmten Natur ausgeht, zunächst gebannt.
Dass Honorio den Tiger tötet, ist bezeichnend. Er hegt eine geheime Leidenschaft für die Fürstin, die unerfüllt bleiben muss. („… denn wer wäre nicht gerne an ihrer Seite geritten…? … so war auch Honorio willig zurückgeblieben…“ oder: „Zuerst überwinde dich selbst“, sagt die Frau zu Honorio!). Durch die Tötung des Tigers bändigt er symbolisch seine Leidenschaft.
Doch noch geht von dem ausgebrochenen Löwen die gleiche Gefahr aus. Honorio mit dem militärischen Gefolge bekommt den Befehl, notfalls auch den Löwen zu töten. Doch jetzt folgt die unerhörte Begebenheit: Die Bändigung (und Heilung) der wilden Natur durch die Macht der Musik und durch die Kunst. (Es erinnert an Schopenhauer, der von der Fähigkeit der Kunst sprach, die wilde Kraft des „Willens“ vorübergehend auszuschalten).
Wenn ich mich recht erinnere, ist für Goethe die Novelle selbst "eine sich ereignete unerhörte Begebenheit", also kein besonderes Motiv in der Novelle.
Gemeint ist außergewöhnlich, bemerkenswert... so in diese Richtung