Warum wird das Eiweiß beim Einlegen eines Eis in Essig weiß?

2 Antworten

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Moin,

die Erklärungen zu deinen Beobachtungen sind umfangreich, aber eigentlich ganz einfach, wenn man es erst einmal weiß...

Das Ei hat im Inneren ein kleines Luftreservoir. Dies und die essigsaure Lösung geben dem Ei Auftrieb. Deshalb "schwebt" es zunächst in der Essig-Lösung.

Aber die Schale des Eis besteht überwiegend aus Kalk. Kalk ist chemisch betrachtet Calciumcarbonat.
Essig hingegen ist eine Säure (Essigsäure; Ethansäure). Und immer wenn Carbonate mit Säuren zusammentreffen, greift die Säure das Carbonat an, so dass es sich auflöst und zu Kohlenstoffdioxid und Wasser (und zu einem Salz) reagiert. Im Falle des Kalks passiert chemisch das hier:

CaCO3 (s) + 2 CH3-COOH (aq) ----> Ca(CH3-COO)2 (aq) + H2O (l) + CO2 (g)
Festes Calciumcarbonat und eine Essigsäurelösung reagieren zu in Wasser gelöstem Calciumacetat, flüssigem Wasser und gasförmigem Kohlenstoffdioxid.
Die Abkürzungen, die in Klammern hinter den Formeln stehen, beschreiben den Zustand, in dem sich die jeweiligen Stoffe befinden. Dabei bedeuten im Einzelnen
(s) = fest (vom englischen "solid")
(aq) = in Wasser gelöst (vom englischen "aqueous")
(l) = flüssig (vom englischen "liquid")
(g) = gasförmig (vom englischen "gaseous" oder "gas")

Wenn du dein Experiment genau beobachtest, wirst du an der Eischale in der essigsauren Flüssigkeit kleine Bläschen sehen. Das ist das gasförmige Kohlenstoffdioxid, das dort aus dem Kalk entsteht.

Durch das allmähliche Auflösen der Kalkschicht wird die Schale noch stärker porös, als sie es ohnehin schon ist. Dadurch dringt etwas von der Essigsäure-Lösung in das Ei ein. Das macht das Ei schwerer (und gleicht die Dichte der Flüssigkeiten einander an, so dass auch der Auftrieb kleiner wird). Darum sinkt das Ei zu Boden.

Was schließlich die Veränderungen des Eiweißes angeht, so musst du wissen, dass Ei-Eiweiß eine Mischung aus verschiedenen Proteinen ist. Proteine wiederum sind mehr oder weniger lange Ketten aus Aminosäuren. Obwohl es chemisch ungemein viele Aminosäuren gibt, kommen in den Proteinen von Lebewesen im Grunde nur 20 verschiedene vor. Proteine haben gewisse Strukturmerkmale. Die Reihenfolge, in der die 20 verschiedenen Aminosäuren zu langen Ketten aneinander gehängt sind, bezeichnet man zum Beispiel als "Primärstruktur".
Da die Aminosäuren selbst eine räumliche Struktur haben, ergeben sich innerhalb der Kette übergeordnete Strukturen wie gewundene Helix-Bereiche ("Wendeltreppen"), Bereiche die zufällig geknäuelt sind ("Random coils") und Bereiche, in denen ein Kettenabschnitt parallel zu einem anderen liegt, wobei sich dachartige Strukturen ergeben ("Faltblattstruktur"). Diese übergeordneten Strukturen werden durch Wasserstoffbrückenbindungen innerhalb des Makromoleküls stabilisiert und als "Sekundärstrukturen" bezeichnet.
Die unterschiedlichen Bereiche der Sekundärstrukturen ergeben als ganzes noch einmal eine übergeordnete dreidimensionale Struktur, die durch verschiedene Möglichkeiten stabilisiert wird. Da gibt es wieder Wasserstoffbrückenbindungen, aber auch Dipol-Dipol-Wechselwirkungen, ionische Bindungen, Ester- und Etherbrücken, Disulfid-Brücken oder van-der-Waals-Kräfte. Das musst du nicht alles verstehen, wichtig ist aber, dass Proteine also Makromoleküle sind, die unter natürlichen Bedingungen eine gewisse räumliche Struktur einnehmen, die man "Tertiärstruktur" nennt.
Manchmal setzen sich dann auch noch zwei (oder mehr) solcher Proteine zu einem Komplex zusammen und bilden dann zum Beispiel Enzyme. Dann bezeichnet man die (ebenfalls stabilisierte) Gestalt des Komplexes noch als "Quartärstruktur".

So! Vielleicht brauchst du das gar nicht so genau, aber für die folgende Erklärung ist es gut, wenn man über Proteine weiß, dass sie unter natürlichen Bedingungen eine gewisse stabile Struktur haben.

Denn nun kommt's... Es gibt Möglichkeiten, die Stabilität der Eiweißstruktur zu stören. Diese Störungen können so sein, dass sie rückgängig gemacht werden können. Dann spricht man von reversiblen Veränderungen (die uns hier nicht weiter interessieren). Die Störungen können jedoch auch der Art sein, dass sie nicht wieder rückgängig gemacht werden können. Sie sind dann irreversibel. Die Störung verändert die Struktur des Proteins. Das heißt, die Struktur ist nicht mehr so, wie unter natürlichen Bedingungen. Sie ist quasi "gegen die Natur" der eigentlichen Proteinstruktur verändert. Das bezeichnet man als "Denaturierung" ("de-" für "gegen" und "-naturiert" für "die Natur": denaturiert = gegen die natürliche Struktur).

Eine mögliche Denaturierung setzt ein, wenn du Eiweiß erhitzt. Das hast du ja auch bereits geschrieben ("Ei kochen"). Durch die Wärme brechen stabilisierende Bindungen in der Quartär-, Tertiär- und/oder Sekundärstruktur der Proteine, wonach sich andere bilden (können). Das Eiweiß denaturiert irreversibel. Das erkennst du daran, dass es im Falle des Hühnereis weiß und härter wird.

Eine andere Möglichkeit zur Denaturierung ist der Kontakt mit Alkohol. Auch Alkohol denaturiert Proteine irreversibel. Das ist der Grund, warum Alkohol desinfizierend wirkt, denn er zerstört unter anderem Eiweißstrukturen von Krankheitserregern.

Noch eine weitere Möglichkeit ist der Kontakt mit Säuren. Und hier wird's nun (endlich) für dich interessant. Säuren stören nämlich ebenfalls die natürliche Struktur des Eiweißes. Die irreversible Denaturierung führt wieder dazu, dass die Proteine weiß werden und klumpig ausflocken.
Das ist übrigens - im übertragenden Sinne - auch ein Grund dafür, warum es in unserem Magen die Magensäure gibt. Sie hat nämlich einerseits die Aufgabe, bei der Nahrungsaufnahme mit verschluckte Krankheitserreger abzutöten, aber sie soll auch dafür sorgen, die Proteine in der Nahrung irreversibel zu denaturieren. Denn durch die Zerstörung der natürlichen Struktur, "dröseln" sich die Aminosäureketten auf, so dass unsere Verdauungsenzyme besser an die Primärstruktur der Ketten kommen und diese zerkleinern können. Da die Verdauungsenzyme selbst Proteine sind, wird die Säure des Magens im Darm neutralisiert (unwirksam gemacht), was aber für die bereits denaturierten Proteine des Nahrungsbreis irrelevant ist, weil sie ja mittlerweile irreversibel (nicht umkehrbar) denaturiert sind. Nach diesem kleinen Ausflug in die Physiologie zurück zu deinem Ei.

Die eindringende Essigsäure denaturiert also das Eiweiß des Eis irreversibel. Darum wird es weiß und klumpig-flockig ("matschig", wie du geschrieben hast).

Nun hast du nicht nur eine Erklärung für alle Beobachtungen, sondern auch noch jede Menge Hintergrundinformationen. Da sollte doch mindestens eine "2" herausspringen ;o)

LG von der Waterkant.


Linea127 
Beitragsersteller
 13.05.2017, 09:02

Hallo. :3

Erstmal ein riesengroßes Dankeschön für diese ausführliche und verständliche Erklärung. Mir fällt grad echt ein Stein vom Herzen, da ich nun endlich was logisches gefunden habe. ;) Auch die "Hintergrundinformationen" über die Proteine sind sehr interessant und hilfreich. Ich vermute, dass das definitiv für eine 2 ausreichen sollte. ;D

Ich danke dir vielmals! :)

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Findet man alles im Netz: Experimente für Kinder

https://youtube.com/watch?v=yoQLWQx_jYE


Linea127 
Beitragsersteller
 13.05.2017, 00:28

Hab mir das Video jetzt angesehen und es hat mich leider nicht wirklich weiter gebracht. Wie gesagt: Das Experiment hab ich schon gemacht, allerdings muss ich oben genannte Fragen klären. Das mit dem Auftreiben des Eis könnte ich ja versuchen mir noch irgendwie selbst zu erklären, aber ich brauch echt eine Denkhilfe bei dem Problem mit dem Eiweiß. 

Ich habe mich vorher wirklich intensiv belesen, war auch verschiedenen Foren und so weiter.

Danke dir trotzdem.

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Reanne  13.05.2017, 00:35
@Linea127

Eiweiß ist im flüssigen Zustand durchsichtig und wird sowohl beim Kochen als auch in Essig eingelegt weiß. Der Clou ist, dass es gummiartig wird. Warum es nach einiger Zeit zu Boden sinkt, ist doch erklärlich, die Schale wird porös und so kann der Essig eindringen. Es gibt aber noch viele andere Seiten; bei Google eingeben: Eier in Essig einlegen.

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