Warum rät das bayerische Kulturministerium davon ab bei Mobbing die Schule oder die Klasse zu wechseln?

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hört sich nach Victim Blaming an. Wenn es funktionierende Mechanismen gibt, wird es entweder nicht zu Mobbing kommen, oder man wird es anders beenden. Zum Weglaufen kommt es eh erst, wenn die anderen Methoden ausgeschöpft wurden.

Manche Probleme kann man halt nicht allein lösen, man wird aber damit allein gelassen. Da machts Sinn, zu fliehen, anstatt sich weiter foltern zu lassen.

Ouww das ist eine wunderschöne Frage. Wenn es das bayerische Kulturministerium abrät, dann wird es wohl in dieser Situation größtenteils Recht haben, denn du musst dir vorstellen, da steckt (hoffentlich) unmengen von Forschungsarbeit, um zu dieser Entscheidung zu kommen. Viele Wissenschaftler mit finanzierten Untersuchungen und Evaluationen.. Das ist überhaupt nicht trivial

Dennoch werde ich mal mit meinen Kenntnissen Argumente dafür und dagegen nennen.

Meine Meinung wäre, auch wie das Ministerium, nicht wegzurennen. In der Schule befindet man sich noch in einer großen Sozialisation- und Selbstkennlernphase. Sprich man lernt sich selbst noch stark kennen und entwickelt sich selbst auch. Das heißt in dieser Instanz beginnt es auch zu lernen, wie man mit Problemen umgehen kann. Und wenn man Schule wechselt, kann es wirklich als "wegrennen" angesehen werden. In emotionalen Extremsituationen reagiert der Körper entweder mit "wegrennen, kämpfen oder eingefrieren". Das heißt wenn es lernt wegzurennen, so ist das auch ein Wegschieben und Unterdrückung des Problems, was sich aber im späteren Leben nur in anderen Weisen neu manifestiert. Und von diesen rennt man dann wieder, wie gelernt, weg. Das ist in meinen Augen kein gesunder Bewältigungsmechanismus.
Imi Lo, die mit stark emotionalen und hoch-sensiblen Menschen weltweit arbeitet, erklärt auch die möglichen Effekte von Mobbing. Das Phänomen nennt sich "identifying with the aggressor". Das ist, wenn ein Kind unbewusst Aspekte oder Verhaltensweisen vom Mobber emuliert oder nacheifert wenn sie mit einer Person konfrontiert sind, die eine konkrete Gefahr für sie sind oder mit einer Person, die sie einfach nicht "beherrschen" können aber wollen.
Das heißt also auch, dass das Kind die Stimme vom Mobber als inneren Kritiker übernimmt, sprich es fühlt sich genau so, wie ein Mobber ihn beschreiben würde. Würde man davon wegrennen, so kommt man zwar von der externen Quelle an Schmerz weg, aber nicht von der internen. Und die interne Quelle ist viel wichtiger und größer. Und dies sollte man dem Kind auch versuchen so gut wie möglich beizubringen. Denn ansonsten kann das Kind meinen, es muss einfach jedes mal die externe Quellen verändern, was aber in den meisten Fällen keine optimale Lösung ist.

Man wird es im Leben vermutlich schwer haben, wenn man nie wegläuft und jede Konfrontation eingeht oder versucht jede hoffnunglose Situation zu lösen.

Man wird es im Leben deutlich schwerer haben, wenn man davon größtenteils wegläuft. Wie oben argumentiert, die Probleme verschwinden nicht, sie verstärken sich selbst, vergrößern sich und bleiben unbehandelt. Ich will hier nicht sagen, dass eine Konfrontation nicht schwer ist, ganz im Gegenteil, es gebraucht sehr viel Disziplin, Kritik, Zeit und ebenso Schmerz, sich mit dem auseinanderzusetzen. Aber der Schmerz vom nicht mit dem Problem sich auseinanderzusetzen wird sich im Laufe der Zeit nur addieren und somit ist die Summe von Qual durch das Wegrennen eines Problems viel größer.
Wer ist wohl besser im Leben dran? Derjenige, der vom Mobbing ständig wegrennt, oder derjenige, der gelernt hat mit Mobbing innerlich gesund umzugehen und auch einen willensstarken mentalen Abstand aufbauen kann?

Und jetzt zu einem Gegenargument. Wie du bereits in einem Beispiel von dir auch genannt hast, kann es manchmal ratsam sein, eben wegzurennen. Da das Phänomen vom "identifying with the aggressor" ein unbewusster Mechanismus ist, heißt es auch, dass man darauf nur schwer eine Kontrolle darüber besitzt. Ebenso gibt es das Sprichwort "gleich und gleich gesellt sich gern". Also von der externen Quelle sich zu entfernen kann dabei helfen die interne Schmerzquelle zu verringern. Man bekommt eventuell einen klareren und freieren Kopf, wo man dann effektiver an den innerlichen Schmerzen besser arbeiten kann.
Zudem kann man, wie erwähnt, "eingefrieren". Sprich man absorbiert alles und entwickelt defensive Mechanismen wie emotionale Leere oder ähnliches. Sowas ist schwer zu kontrollieren.
Das Beispiel mit der häuslichen Gewalt ist dennoch eine andere Nummer. Es geht hier um Schule, Kinder und wahrscheinlich Teenager. Ebenso gibt es in der Schule viel mehr Möglichkeiten damit umzugehen, sei es Vertrauenslehrer, Schulpsychologen, andere und Offenheit für neue Freunde, etc. Es soll, wie es das Ministerium auch schreibt, die Möglichkeit habe zu sehen, dass es eben mehr gibt als nur diese Mobber in der Schule. Es kann in derselben Schule dennoch "Sicherheit und Unterstützung" erwarten. Und bei häuslicher Gewalt mit einem Partner ist das nur schwer möglich. Die Umweltfaktoren spielen da auch einen großen Teil.

Alles in allem glaube ich schon, es ist wichtig für das Kind zu lernen damit umzugehen. Natürlich auch mit ständiger Aufsicht von Eltern, eventuell therapeutische Begleitung als Expertise, Vertrauenslehrer, gegenteilige und konträre Erfahrung durch andere Freunde und auch sichtbare Maßnahmen, die dagegen genommen werden. Sind all diese nicht vorhanden, so wäre vielleicht ein Schulwechsel doch von größerer Bedeutung. Denn manchmal wissen Kinder oder Jugendliche einfach oft nicht, was sie machen sollen. Und einen Mentor zu besitzen oder eine Person, die einen unterstützt, kann exorbitant weit gehen. Alles in allem finde ich so ein Problem wirklich höchst komplex und äußerst schwer zu entscheiden, was gut und was schlecht ist. Würde ich dennoch eine generalisierte Antwort treffen, dann würde ich dem Ministerium zustimmen.

Interessante Frage! Schönen Tag noch!

Woher ich das weiß:Hobby – Jordan Peterson, Carl Rogers, Carl Gustav Jung uvm.

lina0478 
Fragesteller
 18.01.2022, 17:55

Danke für die ausführliche Antwort!

Ich verstehe schon die Logik dahinter, dass man sich seinem Problemen stellt und nicht immer wegläuft, aber häufig ist Mobbing auch einfach Pech und das Problem, wie du es hier beschreibst

Wie oben argumentiert, die Probleme verschwinden nicht, sie verstärken sich selbst, vergrößern sich und bleiben unbehandelt.

liegt eben nicht am Opfer, sondern extern bei den Tätern. Klar gibt es gewisse Schüler die ein höheres Risiko haben gemobbt zu werden (fett o. sehr dünn, autistisch etc.), aber allgemein gibt es Personen die eigentlich immer irgendein Grund finden, jemanden zu mobben bzw. die sich auch immer ein Schüler aus der Klasse aussuchen, was sie mobben können.

Wurde selber auch mal gemobbt (bis ich die Schule gewechselt hat und sich das Problem gelöst hat) und die Person die mich gemobbt hat, hat schon vorher etliche andere Personen gemobbt (seit dem Kindergarten).

Es gibt dementsprechend Schulklassen wo man brutal gemobbt werden kann (weil es mehr solcher aggressiveren Schüler gibt) und Andere, wo man ggf. garkeine Probleme damit haben wird.

Ebenso wie ich eine schlechte Arbeitsstelle wo ich ein (für die Tätigkeit) unterdurchschnittliches Gehalt bekomme, wechseln würde, würde ich das auch bei einer schlechten Schulklasse machen.

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Khovinc  18.01.2022, 18:17
@lina0478
Danke für die ausführliche Antwort!

Kein Problem! Nichts zu danken!

liegt eben nicht am Opfer, sondern extern bei den Tätern

Darum nannte ich auch das Phänomen von "identifying with the aggressor"! Dieses Problem liegt ganz allein wegen dem Opfer. Natürlich ist das Problem erst wegen dem Mobber entstanden, aber dieses Problem wurde internalisiert und jetzt muss es vom Opfer selbst behandelt werden.

Kennst du eventuell die, die sich nach dem Schulwechsel so runterreden, wie die Mobber es getan haben? Als Beispiel nenne ich hier einen Jungen, der oft als dumm, Verschwendung von Raum und Zeit und hässlich genannt wird.
Nach einem Schulwechsel mögen die Mobber sowas nicht mehr sagen, aber diese Worte wurden vom inneren Kritiker aufgenommen und somit redet es sich immer noch mit denselben Wörtern runter, obwohl die Umwelt sich verändert hat! Das heißt also es sollte trotzdem noch innerlich an sich so gut wie möglich arbeiten um nicht in solch eine Teufelsspirale zu landen!

Wurde selber auch mal gemobbt (bis ich die Schule gewechselt hat und sich das Problem gelöst hat)

Tut mir Leid zu hören. Es wäre aber nun interessant zu spekulieren, ob das Problem sich auch gelöst hätte, wenn du die Schule nicht gewechselt hättest und dich mit deinen Mechanismen auseinandergesetzt hättest. Auch vielleicht wie du anders wärst :)
Eventuell wäre auch ein Kompromiss erstmals zu kämpfen, also jede Möglichkeit wirklich zu probieren und bei stetigen Misserfolgen und Niederschläge ist die letzte Option Schule zu wechseln. Dennoch sind diese keine Misserfolge, denn alles zu probieren und vorerst nicht aufgeben ist eine Einstellung, die dich weit bringen kann!

Ebenso wie ich eine schlechte Arbeitsstelle wo ich ein (für die Tätigkeit) unterdurchschnittliches Gehalt bekomme, wechseln würde, würde ich das auch bei einer schlechten Schulklasse machen.

Jein. Wenn dir die Tätigkeit gefällt, dann würde ich nicht wechseln. Zudem kommt erstmal versuchen zu verstehen, was deine Bedürfnisse sind und warum du unterdurchschnittlich bezahlt wirst. Liegt es an deiner Angst gegenüber Verhandlungen? Arbeitest du zu wenig? Bezahlt die Arbeit einfach wenig? Geht es dem Unternehmen derzeit nicht gut und kann nicht viel bezahlen?
Wenn es die Angst ist zu fragen und zu verhandeln dann ist das wieder ein Problem deinerseits. Das wird sich bei der nächsten Arbeit nämlich nicht ändern und gebraucht innerliche Arbeit.

Und das gleiche gilt für eine Schulklasse. Was meinst du mit "schlecht"? Wenn dich die gesamte mobbt alle Lehrer nichts dagegen tun, dann ist ein Wechsel höchst zu empfehlen. Dies ist aber meistens realistisch gesehen nicht der Fall. Vielleicht hast du in der Schulklasse ein paar, die dich mobben und ein paar, mit denen du sehr gut befreundet bist. So muss man eben abwägen!

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Weil durch den Wechsel der Schule die Ursache des Problems nicht behoben wird.


MrSlowhand129  18.01.2022, 16:57

Und der Mobber sucht sich ein neues Opfer .

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lina0478 
Fragesteller
 18.01.2022, 17:00
@MrSlowhand129

Das kann dem Opfer egal sein, darum muss sich die Schule kümmern.

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lina0478 
Fragesteller
 18.01.2022, 16:59

Naja oft ist Mobbing aber einfach Zufall, klar gibt es manche Leute die eher gemobbt werden, durch eine bestimmte äußerliche Erscheinung oder schlechtes Sozialverhalten, aber generell ist es halt schon möglich, dass man in einer Klasse brutal gemobbt wird und in einer Anderen garkeine Probleme damit hat, weil man bei den Klassenkameraden mehr Glück hatte.

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Da steht doch

dass „Weglaufen“ ein möglicher Weg zur Lösung von Problemen ist und es keine Sicherheit und Unterstützung erwarten kann.

--> zu den Waffen

Na ja man soll wohl gemeinsam eine Lösung finden und es melden.

Das ist so, als würde man Opfer von häuslicher Gewalt dazu raten, sich dem missbräuchlichen Partner zu stellen, statt "wegzulaufen" zu Freunde oder Frauenhaus.

Das merkt man doch schon vorher. Beim ersten Auftreten wäre ich weg. Es garnicht so weit kommen lassen.

Beim Mobbing eben genauo so