Warum kann für Kant Glück nicht das oberste Gut sein?

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Immanuel Kant definiert nicht einfach das oberste Gut als guten Willen. Er hat ein bestimmtes Verständnis davon, was der Begriff eines obersten Gutes bedeutet, und kommt dann zu einer Aussage, was oberstes Gut ist, weil es diesem Begriff entspricht. Nach seiner Auffassung ist Tugend das oberste Gut. Tugend ist ein guter Wille, der mit Festigkeit und Stärke bei seinem Grundsatz bleibt. Tugend versteht Kant als Festigkeit der Gesinnung, als eine Stärke des Willens, die Pflicht zu erfüllen.

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797). Zweiter Theil. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. Einleitung zur Tugendlehre. IX. Was ist Tugendpflicht? (AA IV, 394):

„Tugend ist die Stärke der Maxime des Menschen in Befolgung seiner Pflicht. - Alle Stärke wird nur durch Hindernisse erkannt, die sie überwältigen kann; bei der Tugend aber sind diese die Naturneigungen, welche mit dem sittlichen Vorsatz in Streit kommen können, und da der Mensch es selbst ist, der seinen Maximen diese Hindernisse in den Weg legt, so ist die Tugend nicht blos ein Selbstzwang (denn da könnte eine Naturneigung die andere zu bezwingen trachten), sondern auch ein Zwang nach einem Princip der innern Freiheit, mithin durch die bloße Vorstellung seiner Pflicht nach dem formalen Gesetz derselben.“

(AA IV, 395): „Die Tugend, als die in der festen Gesinnung gegründete Übereinstimmung des Willens mit jeder Pflicht, ist wie alles Formale blos eine und dieselbe. Aber in Ansehung des Zwecks der Handlungen, der zugleich Pflicht ist, d. i. desjenigen (des Materiale), was man sich zum Zwecke machen soll, kann es mehr Tugenden geben, und die Verbindlichkeit zu der Maxime desselben heißt Tugendpflicht, deren es also viele giebt.

Das oberste Princip der Tugendlehre ist: handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1. Auflage 1785. 2. Auflage 1786). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen (AA IV, 393/BA 1):

„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“

Anforderungen an ein oberstes Gut

Kant sucht beim obersten Gut nach etwas, das

  • uneingeschränkt gut ist (was teilweise nicht gut ist, kann nicht im Wert ganz oben an der Spitze stehen),
  • an sich gut/um seiner selbst willen gut ist (sonst wäre es nur um etwas anderen willen gut und dieses, von dem es in seinem Gutsein abhängt, das oberste Gut),
  • allgemein gilt (sonst kann es nicht umfassend über allen anderen Gütern stehen),
  • objektiv ist (sonst kann es nicht Verbindlichkeit beanspruchen),
  •  ein unbedingtes Gebot (Sollen) der praktischen Vernunft ist (was nur bedingt gilt, steht nicht an oberster Stelle).
Kants Glücksbegriff

Kant versteht Glück(seligkeit) als ein empfundenes Wohlbefinden, als besonders hohe subjektive Zufriedenheit (kein objektives Wohlergehen). Glück stellt zwar nach seiner Auffassung ein Ziel dar, aber anders als bei einer Anzahl von Tugendethiken (darunter die meisten antiken Ethiken [Eudaimonismus]) ist nach seiner Überzeugung Glück als Grundlage der Ethik ungeeignet. Sein Glück zu fördern, geschehe schon ganz natürlich aus Selbstliebe. Beim Erreichen des Glücks gelten Gebote der Klugheit. Diese stellen nur hypothetische Imperative dar. Die Bestimmungsgründe beim Prinzip der Selbstliebe wären nur subjektiv gültig und empirisch (einer zufälligen Erfahrung zu entnehmen), nicht objektiv und notwendig. Bestimmungsgründe sind Wünsche, Begierden, Neigungen und Ähnliches (Streben nach Annehmlichkeit, Gefühle der Lust, erwartetes Vergnügen).

Gründe, warum für Kant Glück nicht das oberste Gut sein kann
  • Kants Begriff des Glücks/der Glückseligkeit als subjektive Zufriedenheit/Befriedigung von Wünschen und Neigungen 
  • Kants Begriff des an sich Guten als etwas allein formal/der Form nach Bestimmten (nämlich von der Form moralischer Gesetzlichkeit, die praktische Vernunft aufstellt und einsieht)

Kant trennt damit das an sich Gute und die Glückseligkeit. An die Stelle des Strebens nach einem inhaltlichen Ziel, das zu Glück beiträgt, tritt die Erfüllung der Pflicht.

Glück/Glückseligkeit erfüllt unter diesen Voraussetzungen die Anforderungen an ein oberstes Gut nicht:

  • kein uneingeschränktes Gutsein (Wünsche/Neigungen/Begierden, die zu etwas führen, das schlecht/unangenehm/schädlich ist)
  • keine Allgemeingültigkeit, sondern Vielfältigkeit und Veränderlichkeit mit aus der zufälligen Erfahrung stammenden Motiven/Bestimmungsgründen
  • keine Ojektivität
  • kein unbedingtes Gebot (von Zwecken bedingt und nur aus Klugheit gebotem, wenn diese Zwecke verfolgt werden; die Zwecke sind nicht Prinzipien eines Vernunftwesens, sondern werden vom Menschen als bloßes Naturwesen verfolgt)

oberstes Gut und höchstes Gut bei Kant

Tugend ist bei Kant das oberste, aber nicht das vollendete, höchste Gut. Beim höchsten Gut kommt zum obersten Gut eine Ergänzung hinzu, mit der erst das ganze Gut gegeben ist. Das höchste Gut besteht in der Übereinstimmung von Glückseligkeit und Glückswürdigkeit, bei der die Tugendhaften entsprechend ihrer Tugend belohnt werden.

Glückswürdigkeit bedeutet, Glückseligkeit verdient zu haben. Jemand ist aufgrund seines guten Handelns würdig, Glück zu genießen.

Personen, die Glückseligkeit verdienen, haben sie möglicherweise nicht oder nicht in einem Ausmaß, das ihrer Glückswürdigkeit entspricht. Wenn nicht ein handelndes vernünftiges Wesen mit einer moralischen Gesinnung zugleich Ursache der ganzen Welt und Natur ist, fallen Glückswürdigkeit und Glückseligkeit nicht notwendig zusammen (wie es gerecht wäre).

Zur Ermöglichung des höchsten Gutes ist als Voraussetzung ein machtvolles intelligentes Wesen erforderlich. Anders ist es für die reine praktische Vernunft nicht denkbar. Daraus ergibt sich nach Kant das subjektive Bedürfnis nach der Existenz Gottes, um die Hoffnung auf das höchste Gut Wirklichkeit werden zu lassen.

Tugendethik

Eine vorzügliche Charaktereigenschaft wird als Tugend bezeichnet. In einer Tugendethik geht es um das Anstreben des Guten (griechisch: τὸ ἀγαθόν) aus einer inneren Einstellung heraus. Das griechische Wort für Tugend - ἀρετή (arete) - drückt Vortrefflichkeit aus (sehr wörtlich genommen steht es für etwas, das am besten ist – Bestheit). Tugendethiken richten ihre Aufmerksamkeit auf das Gute bei Personen und deren innere Einstellung. Tugend wird um ihrer selbst willen erstrebt und führt zur Glückseligkeit (εὐδαιμονία [eudaimonia]). In der Tugendethik geht es um etwas inhaltlich Wertvolles.

Unterschied zwischen Pflichtethik (Kant) und Tugendethik

Zwischen den beiden Ethiken gibt es in manchen Hinsichten durchaus Verwandtschaft. Auch Kant verwendet den Begriff Tugend, hält sie für ein hochrangiges Gut und Glück(seligkeit) für ein Ziel. Zur inneren Einstellung gibt es bei Kant mit dem guten Willen etwas Ähnliches.

Ein Unterschied besteht aber darin, daß 1. der gute Wille viel radikaler unabhängig von Folgen/dem Erreichen des Zweckes als gut gilt, womit Erkenntnisleistungen auf der Ebene bestimmter Ziele im Gegensatz zu zumindest einigen Tugendethiken keine wichtige Rolle spielen, 2. der gute Wille formal bestimmt ist, als Form reiner Gesetzlichkeit (wobei der kategorische Imperativ Prüfstein des Grundsatzes ist), nicht material (inhaltlich), 3. der gute Wille der Pflicht und dem sittlichen/moralischen Gesetz folgt und keine auf die Handlung bezogene eigenständige Erkenntnis enthält.

einige Textstellen zu Glückseligkeit, Tugend und oberstem Gut:

Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788). Erster Theil. Elementarlehre der reinen praktischen Vernunft. Erstes Buch. Die Analytik der reinen praktischen Vernunft. Erstes Hauptstück. Von den Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft. § 3. Lehrsatz II Anmerkung I. AA V, 24/A 45:

„Das Princip der eigenen Glückseligkeit, so viel Verstand und Vernunft bei ihm auch gebraucht werden mag, würde doch für den Willen keine andere Bestimmungsgründe, als die dem unteren Begehrungsvermögen angemessen sind, in sich fassen, und es giebt also entweder gar kein oberes Begehrungsvermögen, oder reine Vernunft muß für sich allein praktisch sein, d. i. ohne Voraussetzung irgend eines Gefühls, mithin ohne Vorstellungen des Angenehmen oder Unangenehmen als der Materie des Begehrungsvermögens, die jederzeit eine empirische Bedingung der Principien ist, durch die bloße Form der praktischen Regel den Willen bestimmen können.“

Anmerkung II. AA V, 25/A 46:

„Glücklich zu sein, ist nothwendig das Verlangen jedes vernünftigen, aber endlichen Wesens und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermögens. Denn die Zufriedenheit mit seinem ganzen Dasein ist nicht etwa ein ursprünglicher Besitz und eine Seligkeit, welche ein Bewußtsein seiner unabhängigen Selbstgenugsamkeit voraussetzen würde, sondern ein durch seine endliche Natur selbst ihm aufgedrungenes Problem, weil es bedürftig ist, und dieses Bedürfniß betrifft die Materie seines Begehrungsvermögens, d. i. etwas, was sich auf ein subjectiv zum Grunde liegendes Gefühl der Lust oder Unlust bezieht, dadurch das, was es zur Zufriedenheit mit seinem Zustande bedarf, bestimmt wird. Aber eben darum, weil dieser materiale Bestimmungsgrund von dem Subjecte blos empirisch erkannt werden kann, ist es unmöglich diese Aufgabe als ein Gesetz zu betrachten, weil dieses als objectiv in allen Fällen und für alle vernünftige Wesen eben denselben Bestimmungsgrund des Willens enthalten müßte. Denn obgleich der Begriff der Glückseligkeit der praktischen Beziehung der Objecte aufs Begehrungsvermögen allerwärts zum Grunde liegt, so ist er doch nur der allgemeine Titel der subjectiven Bestimmungsgründe und bestimmt nichts specifisch, darum es doch in dieser praktischen Aufgabe allein zu thun ist, und ohne welche Bestimmung sie gar nicht aufgelöset werden kann. Worin nämlich jeder seine Glückseligkeit zu setzen habe, kommt auf jedes sein besonderes Gefühl der Lust und Unlust an, und selbst in einem und demselben Subject auf die Verschiedenheit des Bedürfnisses nach den Abänderungen dieses Gefühls, und ein subjectiv nothwendiges Gesetz (als Naturgesetz) ist also objectiv ein gar sehr zufälliges praktisches Princip, das in verschiedenen Subjecten sehr verschieden sein kann und muß, mithin niemals ein Gesetz abgeben kann, weil es bei der Begierde nach Glückseligkeit nicht auf die Form der Gesetzmäßigkeit, sondern lediglich auf die Materie ankommt, nämlich ob und wieviel Vergnügen ich in der Befolgung des Gesetzes zu erwarten habe.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1. Auflage 1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 418 – 419/B 47 – 48:

„Hieraus folgt, daß die Imperativen der Klugheit, genau zu reden, gar nicht gebieten, d. i. Handlungen objectiv als praktisch-nothwendig darstellen, können, daß sie eher für Anrathungen (consilia) als Gebote (praecepta) der Vernunft zu halten sind, daß die Aufgabe: sicher und allgemein zu bestimmen, welche Handlung die Glückseligkeit eines vernünftigen Wesens befördern werde, völlig unauflöslich, mithin kein Imperativ in Ansehung derselben möglich sei, der im strengen Verstande geböte, das zu thun, was glücklich macht, weil Glückseligkeit nicht ein Ideal der Vernunft, sondern der Einbildungskraft ist, was bloß auf empirischen Gründen beruht, von denen man vergeblich erwartet, daß sie eine Handlung bestimmen sollten, dadurch die Totalität einer in der That unendlichen Reihe von Folgen erreicht würde.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1. Auflage 1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. Eintheilung aller möglichen Principien der Sittlichkeit aus dem angenommenen Grundbegriffe der Heteronomie. AA IV, 442/BA 90 – 91 lehnt empirische Prinzipien als Grundlage der Moral überhaupt ab:

Empirische Principien taugen überall nicht dazu, um moralische Gesetze darauf zu gründen. Denn die Allgemeinheit, mit der sie für alle vernünftige Wesen ohne Unterschied gelten sollen, die unbedingte praktische Nothwendigkeit, die ihnen dadurch auferlegt wird, fällt weg, wenn der Grund derselben von der besonderen Einrichtung der menschlichen Natur, oder den zufälligen Umständen hergenommen wird, darin sie gesetzt ist. Doch ist das Princip der eigenen Glückseligkeit am meisten verwerflich, nicht bloß deswegen weil es falsch ist, und die Erfahrung dem Vorgeben, als ob das Wohlbefinden sich jederzeit nach dem Wohlverhalten richte, widerspricht, auch nicht bloß weil es gar nichts zur Gründung der Sittlichkeit beiträgt, indem es ganz was anderes ist, einen glücklichen, als einen guten Menschen, und diesen klug und auf seinen Vortheil abgewitzt, als ihn tugendhaft zu machen: sondern weil es der Sittlichkeit Triebfedern unterlegt, die sie eher untergraben und ihre ganze Erhabenheit zernichten, indem sie die Bewegursachen zur Tugend mit denen zum Laster in eine Classe stellen und nur den Calcul besser ziehen lehren, den specifischen Unterschied beider aber ganz und gar auslöschen;“

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (2. Auflage 1787). II. Transscendentale Methodenlehre. Zweites Hauptstück. Der Kanon der reinen Vernunft. Zweiter Abschnitt. Von dem Ideal des höchsten Guts, als einem Bestimmungsgrunde des letzten Zwecks der reinen Vernunft. B 834/AA III, 523:

„Glückseligkeit ist die Befriedigung aller unserer Neigungen (so wohl extensive, der Mannigfaltigkeit derselben, als intensive, dem Grade, und auch protensive, der Dauer nach). Das praktische Gesetz aus dem Bewegungsgrunde der Glückseligkeit nenne ich pragmatisch (Klugheitsregel); dasjenige aber, wofern ein solches ist, das zum Bewegungsgrunde nichts anderes hat, als die Würdigkeit, glücklich zu sein, moralisch (Sittengesetz). Das erstere rät, was zu tun sei, wenn wir der Glückseligkeit wollen theilhaftig, das zweite gebietet, wie wir uns verhalten sollen, um nur der Glückseligkeit würdig zu werden. Das erstere gründet sich auf empirische Principien; denn anders, als vermittelst der Erfahrung, kann ich weder wissen, welche Neigungen dasind, die befriedigt werden wollen, noch welches die Naturursachen sind, die ihre Befriedigung bewirken können. Das zweite abstrahirt von Neigungen, und Naturmitteln, sie zu befriedigen, und betrachtet nur die Freiheit eines vernünftigen Wesens überhaupt, und die nothwendigen Bedingungen, unter denen sie allein mit der Austheilung der Glückseligkeit nach Principien zusammenstimmt, und kann also wenigstens auf bloßen Ideen der reinen Vernunft beruhen und a priori erkannt werden.“


Albrecht  01.02.2017, 08:11

Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788). Erster Theil. Elementarlehre der reinen praktischen Vernunft. Zweites Buch. Dialektik der reinen praktischen Vernunft. Zweites Hauptstück. Von der Dialektik der reinen Vernunft in Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut. A 198 – 199/AA V, 110 – 111:

„Daß Tugend (als die Würdigkeit glücklich zu sein) die oberste Bedingung alles dessen, was uns nur wünschenswert scheinen mag, mithin auch aller unserer Bewerbung um Glückseligkeit, mithin das oberste Gut sei, ist in der Analytik bewiesen worden. Darum ist sie aber noch nicht das ganze und vollendete Gut, als Gegenstand des Begehrungsvermögens vernünftiger endlicher Wesen; denn, um das zu sein, wird auch Glückseligkeit dazu erfodert, und zwar nicht blos in den parteiischen Augen der Person, die sich selbst zum Zwecke macht, sondern selbst im Urtheile einer unparteiischen Vernunft, die jene überhaupt in der Welt als Zweck an sich betrachtet. Denn der Glückseligkeit bedürftig, ihrer auch würdig, dennoch aber derselben nicht theilhaftig zu sein, kann mit dem vollkommenen Wollen eines vernünftigen Wesens, welches zugleich alle Gewalt hätte, wenn wir uns auch nur ein solches zum Versuche denken, gar nicht zusammen bestehen. So fern nun Tugend und Glückseligkeit zusammen den Besitz des höchsten Guts in einer Person, hiebei aber auch Glückseligkeit, ganz genau in Proportion der Sittlichkeit (als Werth der Person und deren Würdigkeit glücklich zu sein) ausgeteilt, das höchste Gut einer möglichen Welt ausmachen: so bedeutet dieses das Ganze, das vollendete Gute, worin doch Tugend immer, als Bedingung, das oberste Gut ist, weil es weiter keine Bedingung über sich hat, Glückseligkeit immer etwas, was dem, der sie besitzt, zwar angenehm, aber nicht für sich allein schlechterdings und in aller Rücksicht gut ist, sondern jederzeit das moralische gesetzmäßige Verhalten als Bedingung voraussetzt.“

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Bei dem Wort „Glückseligkeit“ folgt Kant der Übersetzung des antiken Begriffes „Eudaimon“, der am Anfang der „Nicomachische Ethik“ des Aristoteles zu finden ist. (1094a nach der Stephanus Zählung. S. 5 in der Reclam-Ausgabe)

Das Eudaimon ist der oberste Zweck unseres Handelns, der nicht selbst wiederum ein Mittel ist. Dieser Gedanke ist relativ einfach nachvollziehbar: Wenn Sie sich fragen, warum Sie arbeiten, wird die Antwort sein: „Um Geld zu verdienen“. Wenn Sie weiter fragen, warum Sie Geld verdienen wollen, wird die Antwort wieder durch einen Finalsatz gegeben: „Um einen schönen Urlaub in Königsberg zu machen“. Dieses Antwort - Frageschema könnte bis ins unendliche weitergetrieben werden; - Wer Kinder hat, kann ein Lied davon singen. Für die Antike Ethik, wäre aber ein Leben, das durch das ständige Verfolgen von Zielen geprägt ist, ein verfehltes Leben, Alexander d. Große hätte nach der Ethik des Aristoteles kein gutes Leben geführt, ganz einfach deswegen, weil er in seinem Expansionsdrang kein Maß mehr fand. In einer christlich geprägten Ethik, wäre dieses Verhalten eine Kardinalsünde, die der Gier. Platon hat hier einen anderen Begriff gefunden, der dem christlichen Begriff der Gier recht nahe kommt, die „Pleonexie“. Glückseligkeit besteht also darin, das Eudaimon gefunden zu haben. 

Die gesamte Ethik der Antike kreist um zwei Fragen:

1. Worin besteht das Eudaimon?

2. Wie können wir es erreichen?

Was hat das nun mit Kant zu tun? Sehr viel. Kant hat eudaimonistische Ethiken jeder couleur verabscheut; er formuliert etwas grundauf Neues; seine Ethik versucht von der Frage nach der Glückseligkeit völlig abzusehen und die Pflicht in den Mittelpunkt zu stellt. Er ist hier sehr deutlich - man schaue sich nur die Polemik gegen Beccaria in der Ergänzung E der „Metaphysik der Sitten“ an. Was für Menschen eine Pflicht ist, ergibt sich aus dem Kategorischen Imperativ - Kant geht hier so weit, dass er die Moralität, mit ihrem Gesetz der Universalität, der Natur, mit ihrem Gesetz der Kausalität gegenüber stellt. Beide Gesetze finden wir im Menschen wieder. Schiller hat das mit dem Satz, der Mensch sei ein Bürger zweier Welten, auf den Punk gebracht. 

Dieser Gedanke wird nie an Aktualität verlieren. Heute spricht man davon, dass unsere Handlungen psychologisch und biologisch erklärt werden können. - hier spielt für uns heute lebenden die Genetik eine wichtige Rolle -, sie gibt vor Handlungen Kausal zu erklären, jede Form von Finalität scheint überflüssig zu sein. Der Mörder - mag dies stimmen oder nicht - hat gemordet, weil er eine üble Kindheit hatte, oder weil er genetisch zum Morden determiniert ist. Der springende Punkt ist, dass die Handlung eines Menschen zum einen durch die Verwendung eines Kausalsatzes (weil) beschrieben werden kann, aber auch durch die Verwendung eines Finalsatzes „um..zu“ beide Beschreibungen sind richtig und angemessen, dennoch sind sie grundverschieden. Kant hat eine Ethik, die Kausal formuliert werden kann, strikt und mit größter Vehemenz abgelehnt;

 Ein Beispiel: Zur Zeit steht Dominik Ongwan in Den Hag vor Gericht. Seine Verteidiger plädieren auf Freispruch, da Ongwan selbst als Kindersoldat morden musste, er hat etwas weitergeführt - so seine Verteidiger -, was ihm von einer Grausamen Welt in die Wiege gelegt worden sei. 

Kant hätte gegen die Verteidiger Ongwan’s vehement Einspruch erhoben, er hätte gesagt, dass die Biographie Ongwans zwar sehr traurig sei, aber für die Richter bei der Urteilsbegründung keine Rolle spielen dürfe; er muss als ein freies, Verantwortung tragendes Subjet verstanden werden. Kant hätte ganz Gewiss die Todesstrafe gefordert (Vgl. MdS Ergänzug E). 

Die Antwort auf deine Frage müsste nun auf der liegen; der Begriff „Glückseligkeit“ ist für die Moral Kants völlig irrelevant, weil er immer von einem im emphatischen Sinne freien, nicht kausal determinierten Menschen ausgeht. Alfred hat geschrieben: „Glückswürdigkeit und Glückseligkeit fallen nicht notwendig (notwendigerweise wäre besser) zusammen“. Das ist richtig, aber für den einen oder anderen vielleicht noch nicht ganz klar. Der Begriff „Würde“ ist in Kants Ethik der zentrale Begriff, denn ein Mensch, der ausschließlich seinen Neigungen folgt, handelt nicht als freies Subjet, er handelt unwürdig. Ein weiteres Beispiel: 

Ein Bürgermeister setzt sich mit seiner gesamten Energie für den Bau eines Kindergartens ein. Er selbst hat keine Kinder, sodass er scheinbar völlig selbstlos handelt. Nach seiner Wahlniederlage berichtet seine Frau, er habe sich nie für den Kindergarten interessiert, sondern es ging ihm immer und ausschließlich um seine Wiederwahl.

Noch deutlicher wird die Sache, wenn er durch seine Wiederwahl finanziellen Pfründe absichern wollte; diese Ergänzung meines Beispiel ist aber nicht notwenig. 

Ich vermute, dass eine übergroße Mehrheit einen solchen Menschen für moralisch fragwürdig halten würde. Nur wenige Menschen würden sagen: 

„Das ist doch egal, Hauptsache wir haben den Kindergarten“.

Der Bürgermeister handelt unwürdig, da er nur seiner Gier nach Macht folgt. D. Trump - ein weiteres Beispiel - geht es nicht darum, seinem Land zu dienen, sondern lediglich darum, die Macht und das Prestige des Amtes zu besitzen. Das missliche daran ist - und das hat Kant völlig klar gesehen (Vgl. die Tugendlehre AA 6) -, dass wir nie wissen können, ob eine Person würdig oder unwürdig gehandelt hat. Nicht einmal wir selbst können das wissen. Um das aber zu verstehen, muss man die Konzepte „Homo noumenon“ bzw. „Homo phänomenon“ kennen. Diese Unterscheidung führt allerdings von der Ethik Kants weg und zu seiner theoretischen Philosophie hin. Sie ist es aber auch, welche die Ethik Kants angreifbar macht, denn von einer „noumenalen Welt“ können wir aus prinzipiellen Gründen keine Kenntnisse haben. 

Nun bin ich doch ins Schreiben gekommen. Hoffentlich hat dir meine Erklärung weitergeholfen.

Wenn du ein Referat, oder dergleichen halten musst, eignet sich nichts so gut dafür, wie der „Beschluss“ aus der KpV.

Ich hoffe, dir ein wenig geholfen zu haben.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Weil für Kant das Glück in erster Linie von subjektiven Meinungen und Erfahrungen geprägt ist, mithin also kein objektiver Begriff sein kann. An diesen setzte er dann den objektiven Begriff der "Würdigkeit zum Glück". Diese Würdigkeit soll man objektiv dann erreichen können, wenn man sich dem kategorischen Imperativ, sprich den moralischen Gesetzen unterordne.

So in etwa die Kurzfassung ;-)


Kanatar  31.01.2017, 12:17

dafür, dass es so kurz ist, ist es aber sehr richtig. Ergänzend müsste man sagen, dass Kant den Anspruch hatte seine Ethik objektiv zu gestalten. Den KI könnte sogar ein Wesen anwenden, welches nicht von der Erde stammt.

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