Bei dem Wort „Glückseligkeit“ folgt Kant der Übersetzung des antiken Begriffes „Eudaimon“, der am Anfang der „Nicomachische Ethik“ des Aristoteles zu finden ist. (1094a nach der Stephanus Zählung. S. 5 in der Reclam-Ausgabe)

Das Eudaimon ist der oberste Zweck unseres Handelns, der nicht selbst wiederum ein Mittel ist. Dieser Gedanke ist relativ einfach nachvollziehbar: Wenn Sie sich fragen, warum Sie arbeiten, wird die Antwort sein: „Um Geld zu verdienen“. Wenn Sie weiter fragen, warum Sie Geld verdienen wollen, wird die Antwort wieder durch einen Finalsatz gegeben: „Um einen schönen Urlaub in Königsberg zu machen“. Dieses Antwort - Frageschema könnte bis ins unendliche weitergetrieben werden; - Wer Kinder hat, kann ein Lied davon singen. Für die Antike Ethik, wäre aber ein Leben, das durch das ständige Verfolgen von Zielen geprägt ist, ein verfehltes Leben, Alexander d. Große hätte nach der Ethik des Aristoteles kein gutes Leben geführt, ganz einfach deswegen, weil er in seinem Expansionsdrang kein Maß mehr fand. In einer christlich geprägten Ethik, wäre dieses Verhalten eine Kardinalsünde, die der Gier. Platon hat hier einen anderen Begriff gefunden, der dem christlichen Begriff der Gier recht nahe kommt, die „Pleonexie“. Glückseligkeit besteht also darin, das Eudaimon gefunden zu haben. 

Die gesamte Ethik der Antike kreist um zwei Fragen:

1. Worin besteht das Eudaimon?

2. Wie können wir es erreichen?

Was hat das nun mit Kant zu tun? Sehr viel. Kant hat eudaimonistische Ethiken jeder couleur verabscheut; er formuliert etwas grundauf Neues; seine Ethik versucht von der Frage nach der Glückseligkeit völlig abzusehen und die Pflicht in den Mittelpunkt zu stellt. Er ist hier sehr deutlich - man schaue sich nur die Polemik gegen Beccaria in der Ergänzung E der „Metaphysik der Sitten“ an. Was für Menschen eine Pflicht ist, ergibt sich aus dem Kategorischen Imperativ - Kant geht hier so weit, dass er die Moralität, mit ihrem Gesetz der Universalität, der Natur, mit ihrem Gesetz der Kausalität gegenüber stellt. Beide Gesetze finden wir im Menschen wieder. Schiller hat das mit dem Satz, der Mensch sei ein Bürger zweier Welten, auf den Punk gebracht. 

Dieser Gedanke wird nie an Aktualität verlieren. Heute spricht man davon, dass unsere Handlungen psychologisch und biologisch erklärt werden können. - hier spielt für uns heute lebenden die Genetik eine wichtige Rolle -, sie gibt vor Handlungen Kausal zu erklären, jede Form von Finalität scheint überflüssig zu sein. Der Mörder - mag dies stimmen oder nicht - hat gemordet, weil er eine üble Kindheit hatte, oder weil er genetisch zum Morden determiniert ist. Der springende Punkt ist, dass die Handlung eines Menschen zum einen durch die Verwendung eines Kausalsatzes (weil) beschrieben werden kann, aber auch durch die Verwendung eines Finalsatzes „um..zu“ beide Beschreibungen sind richtig und angemessen, dennoch sind sie grundverschieden. Kant hat eine Ethik, die Kausal formuliert werden kann, strikt und mit größter Vehemenz abgelehnt;

 Ein Beispiel: Zur Zeit steht Dominik Ongwan in Den Hag vor Gericht. Seine Verteidiger plädieren auf Freispruch, da Ongwan selbst als Kindersoldat morden musste, er hat etwas weitergeführt - so seine Verteidiger -, was ihm von einer Grausamen Welt in die Wiege gelegt worden sei. 

Kant hätte gegen die Verteidiger Ongwan’s vehement Einspruch erhoben, er hätte gesagt, dass die Biographie Ongwans zwar sehr traurig sei, aber für die Richter bei der Urteilsbegründung keine Rolle spielen dürfe; er muss als ein freies, Verantwortung tragendes Subjet verstanden werden. Kant hätte ganz Gewiss die Todesstrafe gefordert (Vgl. MdS Ergänzug E). 

Die Antwort auf deine Frage müsste nun auf der liegen; der Begriff „Glückseligkeit“ ist für die Moral Kants völlig irrelevant, weil er immer von einem im emphatischen Sinne freien, nicht kausal determinierten Menschen ausgeht. Alfred hat geschrieben: „Glückswürdigkeit und Glückseligkeit fallen nicht notwendig (notwendigerweise wäre besser) zusammen“. Das ist richtig, aber für den einen oder anderen vielleicht noch nicht ganz klar. Der Begriff „Würde“ ist in Kants Ethik der zentrale Begriff, denn ein Mensch, der ausschließlich seinen Neigungen folgt, handelt nicht als freies Subjet, er handelt unwürdig. Ein weiteres Beispiel: 

Ein Bürgermeister setzt sich mit seiner gesamten Energie für den Bau eines Kindergartens ein. Er selbst hat keine Kinder, sodass er scheinbar völlig selbstlos handelt. Nach seiner Wahlniederlage berichtet seine Frau, er habe sich nie für den Kindergarten interessiert, sondern es ging ihm immer und ausschließlich um seine Wiederwahl.

Noch deutlicher wird die Sache, wenn er durch seine Wiederwahl finanziellen Pfründe absichern wollte; diese Ergänzung meines Beispiel ist aber nicht notwenig. 

Ich vermute, dass eine übergroße Mehrheit einen solchen Menschen für moralisch fragwürdig halten würde. Nur wenige Menschen würden sagen: 

„Das ist doch egal, Hauptsache wir haben den Kindergarten“.

Der Bürgermeister handelt unwürdig, da er nur seiner Gier nach Macht folgt. D. Trump - ein weiteres Beispiel - geht es nicht darum, seinem Land zu dienen, sondern lediglich darum, die Macht und das Prestige des Amtes zu besitzen. Das missliche daran ist - und das hat Kant völlig klar gesehen (Vgl. die Tugendlehre AA 6) -, dass wir nie wissen können, ob eine Person würdig oder unwürdig gehandelt hat. Nicht einmal wir selbst können das wissen. Um das aber zu verstehen, muss man die Konzepte „Homo noumenon“ bzw. „Homo phänomenon“ kennen. Diese Unterscheidung führt allerdings von der Ethik Kants weg und zu seiner theoretischen Philosophie hin. Sie ist es aber auch, welche die Ethik Kants angreifbar macht, denn von einer „noumenalen Welt“ können wir aus prinzipiellen Gründen keine Kenntnisse haben. 

Nun bin ich doch ins Schreiben gekommen. Hoffentlich hat dir meine Erklärung weitergeholfen.

Wenn du ein Referat, oder dergleichen halten musst, eignet sich nichts so gut dafür, wie der „Beschluss“ aus der KpV.

Ich hoffe, dir ein wenig geholfen zu haben.

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