Verheimlichen mir meine Eltern etwas?

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Hm, also, ich kenne dein Gefühl, die Frage "was ist mit mir los?"

Die hatte ich auch lange Jahre als Teenie und teilweise später noch. Ich habe daraufhin viel über Psychologie gelesen, über verschiedene "Störungen" und "Seins-Formen" wie Asperger etc.

Und ja, einiges davon traf mMn punktuell auf mich zu. Also, ich konnte Gruppen finden, denen es zumindest teilweise genauso ging wie mir.

Die Frage ist: Möchtest du das?

Denke gut darüber nach! Wenn man "Störungen" an sich entdecken sollte, muss man damit leben. Einige sind dann erleichtert zu wissen, was eigentlich los ist, warum alle anderen immer x konnten und sie nicht, andere sind dann beschämt oder ziehen sich zurück und glauben, sie müssten die "Störung" mit aller Macht vor der Welt verheimlichen, sich also verbiegen.

Das, was du beschreibst, könnte teilweise einfach eine Folge von Stress sein. Lippeziehen ist wie Fingernägelkauen oder Haarekauen. Man fängt es oft unbewusst bei Stress, Druck, Überforderung an. Dieser Stress kann während der Kindheit und Jugend auch etwas "ganz Banales" sein, was ihn nicht weniger gerechtfertigt werden lässt. Bspw. könnte der Stress sein, dass man sich zu sehr unter Druck setzt im Sport oder in der Schule, weil man glaubt, man müsste besonders gut sein, um Anerkennung zu bekommen. Oder man schämt sich, weil man nicht genug Freunde hat oder nicht die eine, herausragende Begabung, die vermeintlich alle anderen haben. Oder es gibt in der Familie immer wieder Situationen, die einem zusetzen, bspw. wird bei jedem Zeugnis erwähnt, die Mathenote müsse aber nächstes Jahr besser werden und man glaubt von sich, Mathe gar nicht verstehen zu können.

Das sind alles keine "Misshandlungen" und trotzdem können solche Situationen einen massiv belasten.

Auf der anderen Seite soll man auch nichts herbeireden. Wenn du wirklich das Gefühl hast, es ginge dir eigentlich gut, rede dir nicht ein, dass es anders ist.

Es kann aber wirklich sein, dass man Stress hat ohne es zu merken. Dass man bestimmte Herausforderungen als normal erlebt, aber der Körper merkt, dass man überfordert ist und den Stress dann durch Lippeziehen etc. rauslässt.

Die Mimik KÖNNTE auf Züge von Asperger hindeuten. Könnte heißt wirklicht, es ist EINE denkbare Erklärung, nicht die einzig mögliche! Und "Züge" bedeutet, dass man auch nur einzelne oder abgeschwächte Teile dieser "Störung" haben kann!

Mein Bruder hatte bspw. Downsyndrom und mehr wurde nie untersucht, aber er wedelte mit einer Fliegenklatsche herum, schlug sich oft wiederholt mit der Hand gegen das Kinn und konnte mit einem Blick aus einem Haufen gleich aussehender Playmobilmännchen erkennen, welches Männchen fehlte (und die hatten alle keine Haare oder Hände mehr, also, das war wirklich schwierig). Das sind eher Aspekte, die man dem Autismusspekttrum zuordnen würde meines Wissens. Eher untypisch für Downsyndrom.

Also, man kann Anteile verschiedener "Diagnosen" haben. Es fällt mir schwer, ein Wort dafür zu finden, weil es auch um Dinge wie Hochsensibilität gehen könnte. Man nimmt so viel wahr, dass einen bestimmte Situationen oder ganz normale Abläufe überfordern.

Bzgl. deiner Eltern:

Setze dich mal mit ihnen hin, sage, dass es dir schlecht geht, weil du nach derSache mit dem Pulver Sorge hast, dass dir etwas verschwiegen würde. Sage, dass es wichtiger für dich wäre, das ggf. zu erfahren, als geschützt zu werden. Frage, ob ihr gemeinsam zu einem Arzt, Therapeuten, Berater, neutralen Vermittler (Verwandten etc.) gehen könnt, wenn die Eltern sich nicht zutrauen, dir das alleine zu sagen. Sage auch, dass du dich intensiv mit dir selbst beschäftigt hast und jetzt viele Fragen hast, die dringend eine Antwort benötigen. Und dass du durch die Sache mit dem Pulver viel Misstrauen aufgebaut hast.

Bzgl. Pulver:

Ich hatte einen Verwandten, der ins Pflegeheim kam und bettlägerig wurde. Und dann immer wieder Phasen von Essensverweigerung hatte. Er konnte nicht sagen, warum. Teilweise waren es echte Schluckstörungen, teilweise Ekel aus unbekanntem Grund. Uns wurde vom Pflegeheim gesagt, er müsse DRINGEND mehr trinken und essen! Wir hatten in der Familie schon jemanden gehabt, der laut Arzt "verhungert und verdurstet" war (aber noch am Leben war).

In de rSituation machst du als Angehöriger ALLES, damit der Betroffene Kalorien (oder Wasser) aufnimmt! Und ja, wird haben auch mal Proteinpulver in den Pudding gemischt. Haben täglich Essen gebracht. Alles an Süßigkeiten angeschleppt, weil die noch gegessen wurden. Kamen täglich in 2 Schichten, um jeweils eine Flasche Trinknahrung einzuflößen, damit der Betroffene überhaupt etwas isst.

Falls es deinen Eltern so ging, falls sie wirklich Sorge hatten, dass du ohne Intervention ins starke Untergewicht rutschst, könnte ich das ein Stück weit verstehen. Frage sie mal, ob das so war. Ob sie das Gefühl hatten, reden würde nur zur Verweigerung führen, aber gleichzeitig den Druck, dass du ESSEN MUSST um zu überleben.

Ich habe das in der Familie dreimal mitbekommen, jedes Mal waren wir wahnsinnig erschrocken und überfordert. Man möchte nicht zusehen, wie jemand verwirrt wird, weil er nichts trinkt und Verfolgungswahn entwickelt. Wie jemand so stark abnimmt, dass man die Rippen sieht und der Oberschenkel dünn wie ein Unterarm ist und derjenige meint, eine Möhre und ein Apfel am Tag würden reichen. Das macht einem Angst. Diese Angst kann tatsächlich dazu führen, dass man Grenzen überschreitet, dass man abwägt, ob die physische Gesundheit oder das Vertrauensverhältnis wichtiger ist. Dass man überlegt: Wenn ich jetzt nicht über seinen Willen hinweg gehe, ist er nächstes Jahr vielleicht nicht mehr da.

Und in so einer Situation ist man meist ohne Experte komplett hilflos und überfordert und überschreitet dann auch persönliche Grenzen.

Wenn es deinen Eltern so ging, ist das nicht schön, aber ihr könntet vielleicht einen Neuanfang für eine Vertrauensbasis schaffen, indem jeder mal seine Position erklärt und versucht, die der anderen nachzuvollziehen.

Wenn du 16 bist, kannst du selbst mit deinem Kinder- oder Hausarzt reden und dir genau erklären lassen, was es mit deiner Erkrankung auf sich hat. Ebenfalls kannst du dort dann auch erfragen, was es mit dem Zupfen an der Lippe auf sich hat bzw. wo dort ein Zusammenhang bestehen könnte.

Das koennen wir nicht wissen, aber ich schlage vor dass du deine Eltern mal in Ruhe am Wochennede fragts, wenn ihr zusammensitzt