Verhältnis Deutschschweiz zur Romandie?

4 Antworten

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Salue

Als Deutschschweizer könnte ich mir eine Schweiz ohne französisch und italienisch sprechende Teile der Schweiz (die Rätoromanen sprechen ohnehin alle auch Schweizer Dialekt) nicht vorstellen.

In der Schule wird jeweils die andere Sprache gelernt, wirklich sprechen können es aber jeweils nicht alle. In der Praxis sprechen die Welschen (Französische Sprachgruppe) nicht gerne Deutsch, denn in der Schule lernen sie Hochdeutsch, die Deutschschweizer sprechen aber Dialekt.

So kommt es, wenn man schon auf eine Fremdsprache ausweichen muss (das Hochdeutsch), dass meistens die Deutschschweizer den Welschen mit Französisch entgegenkommen.

Viele Tessiner sprechen auch Deutsch, nicht alle Deutschschweizer können Italienisch.

So kann es sein, dass man mit den Tessiner Französisch spricht und mit einem Welschen auch mal Englisch.

Die Welschen und die Tessiner haben jeweils in einigen Bereichen etwas von der Mentalität Ihrer gleichsprachigen Nachbarländern, fühlen sich aber als Schweizer. Es wäre für einen Tessiner eher beleidigend, ihn als Italiener anzusprechen.

Persönlich empfinde ich die verschiedenen Sprachen und die kleinen Mentalitätsunterschiede als Bereicherung.

Im Militär habe ich als Offizier einen Französisch sprechende Einheit geführt, eine meiner Schwägerin kommt zudem aus dem "Welschland".

Die manchmal etwas problematisch aussehende Beziehung zwischen den Deutschschweizern und den Deutschen Nachbarn führe ich weniger auf die Nationalität zurück, sondern auf den Umstand, dass es viel mehr Deutsche als Schweizer gibt.

Das gleiche gilt hier nämlich intern in der Schweiz auch. Viele Deutschschweizer mögen auch die Stadtzürcher oder die Stadtbasler nicht so gut, sobald sie aber einzelne davon kennenlernen, spielt dieses Vorurteil nicht mehr.

Wer als Deutscher in die Schweiz kommt und sich nicht benimmt, wie wenn die Schweiz ein Deutsches Bundesland wäre, wird recht bald gute Schweizer Freunde hier haben.

Es grüsst Dich aus der Schweiz

Tellensohn


antares2508 
Fragesteller
 11.01.2017, 17:05

Grüße Dich :-)

Oh Mann, das klingt aber kompliziert bei euch. Den vorletzten Satz verstehe ich nicht ganz. Du wolltest bestimmt eher sagen, dass wenn man als Deutscher so tut, als wenn die Schweiz ein deutsches Bundesland wäre, dann hat man bald keine Schweizer Freunde mehr, oder?´

Im November war ich in Köln auf einem Konzert und die Vorgruppe kam aus dem Tessin. Interessant war, dass einer der beiden Brüder Deutsch sprechen konnte, der andere aber nur auf Englisch sprach.

Grüße aus Deutschland :-)

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Tellensohn  11.01.2017, 18:03
@antares2508

Sieh mal, ich selber habe recht viele Deutsche in meinem Bekanntenkreis. Das hängt damit zusammen, dass ich ein Faible für DDR Autos und Motorräder habe.

Es kommen ja recht viele Deutsche bei uns auf den Arbeitsmarkt, viele davon sind gut ausgebildet oder Handwerker, die etwas vom Fach verstehen. Wir können uns auch sehr gut mit Ihnen verständigen, denn das Hochdeutsch haben wir als Kinder schon vom Fernsehen her gelernt und später in der Schule wird grundsätzlich in Hochdeutsch unterrichtet.

Das sind eigentlich sehr gute Bedingungen. Dazu kommt, dass die Mentalität der Deutschen und der Deutschschweizer recht nahe beieinander liegt.

Das Problem sind immer einzelne Deutsche (aber auch Amerikaner, Französen oder Angehörige anderer Nationen) die meinen, die Schweiz sei ein Teil Ihres Landes, die Schweizer hätten sich Ihnen anzupassen. Das stösst uns auf.

Die Schweizer hatten schon immer ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein, haben aber auch immer sehr viele Angehörige anderer Nationen aufgenommen.

Auch wenn es Einzelne sind, die da den Ton verfehlen, die Gruppe der Deutschen ist ja rein statistisch grösser, als die anderen Einwanderer. Also fallen diese (wenigen) auch mehr auf.

Natürlich gibt es genug Schweizer, die ebenso negativ auffallen, wenn sie sich im Ausland befinden. Da es aber nur etwa 4 Millionen stämmige Schweizer gibt (der Rest sind Ausländer oder wurden eingebürgert) sind es auch viel weniger "dumme und einfältige" Mitbürger, die uns einen schlechten Ruf eintragen könnten.

Vermutlich ist es bei Euch ja auch so, wenn z.B. ein Österreicher zu Euch kommt, der ständig betont, wie viel besser sein Land sei, der wird vermutlich nicht viele Deutsche Freunde finden. Man wird ihm den Rat geben, in sein Paradies zurückzukehren.  

Ich freue mich schon wieder darauf, im April einige Tage in Hamburg zu verbringen. Meine Plattdeutschkenntnisse werden so etwas aufgefrischt. Um die Küste beneide ich Euch !

Es grüsst Dich

Tellensohn  

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antares2508 
Fragesteller
 11.01.2017, 18:48
@Tellensohn

Super Antwort von Dir, danke! Ich selber bin in der damaligen DDR (Potsdam) geboren worden, meine Eltern verließen bereits 1983/84 die DDR und über ein paar Umwege landeten wir dann in Baden-Württemberg. Ich kenne viele Mentalitäten, denn auch hier in Deutschland gibt es teilweise krasse Unterschiede, was den Menschenschlag angeht, besonders in Nord-Süd-Richtung.

Dazu habe ich Verwandte väterlicherseits in Belgien, Frankreich und Spanien.

Mein zwei Jahre jüngerer Bruder ist im Gesundheitsbereich tätig und er plant mit seiner Frau und seinem Sohn in den kommenden zwei Jahren in die Schweiz zu ziehen. Sie wollten schon immer etwas ländlicher wohnen. Was kann ich ihm für Tipps geben, an die er sich - besonders am Anfang - halten sollte, um sich nicht das Leben unnötig schwer zu machen?

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Tellensohn  11.01.2017, 19:07
@antares2508

Salue

Ich habe Deinem Bruder einen echt guten Tipp. Er soll mal www.hallo-schweiz.ch anwählen.

Die Seite wurde durch eine Deutsche Familie erstellt, die in die Schweiz, ja sogar ein Extremfall, in die traditionell stark verwurzelte Innerschweiz, gezogen ist.

Mit wirklich viel Einfühlungsbewusstsein, mit einem Quentchen Humor gewürzt, geben die super Tipps. Als ich die Seite entdeckt und mich da ein wenig durchgelesen habe, da habe ich mich selber immer wieder erkannt.

Die Hinweise der Leute sind sehr umfassend und seriös abgeklärt.

So findet man Tipps wegen des Zulassens des Wagens, Versicherungen, Sprachmissverständnisse, amtliche Angelegenheiten u.s.w.

Ich habe mir übrigens Anfangs der 1980er Jahre eine MZ Motorrad mit Seitenwagen gekauft. Ich bin dann spontan in die DDR gereist, um eventuell Zubehör zu finden.

Als ich die Reise plante, rechnete ich damit in ein "Feindesland" zu fahren, ich habe dort aber stattdessen neue Freunde gefunden. Ich habe am Fernseher vor Freude geheult, als die Mauer fiel.

Die Freundschaften in Leipzig und Rostock sind geblieben.

Ich heisse Deinem Bruder und seiner Familie herzlich willkommen in der Schweiz.

Es grüsst Dich Dein Eidgenosse

Tellensohn

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antares2508 
Fragesteller
 11.01.2017, 19:35
@Tellensohn

Weißt du, ich habe selber aus familiärer Hinsicht die Erfahrung gemacht, dass der Zusammenhalt bei den Leuten im Osten größer als er hier im Westen war. Auch ist man dort teilweise direkter und sagt offener seine Meinung, wenn einem was nicht passt. Hier im Schwabenland geht das alles mehr hinten rum. Immer, wenn ich wieder da oben bin und an der Ostsee, fühle ich mich irgendwie wohler.

Was hat es mit dieser starken Verwurzelung in der Innerschweiz auf sich? Sind dort alle in direkter Linie mit Wilhelm Tell verwandt? Spaß muss sein ;-) Ist das die Region um Zürich und Bern, die du meinst?

Gruß von mir

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Tellensohn  12.01.2017, 16:01
@antares2508

Salue

Die Innerschweiz, das sind die Urkantone der Schweiz: Uri, Schwyz und Unterwalden im und um den Gotthard. Diese drei Kantone haben sich damals (Rütlischwur) gegenseitig verpflichtet, einander gegen die Adelshäuser in Europa beizustehen.

Die Sage des Tell findet ja in dieser Gegend, dem Vierwaldstättersee statt. Hätte er wirklich gelebt, müsste man ihn heute wohl als Meuchelmörder einstufen.  

Diese Kantone haben relativ wenig Einwohner, man ist dort noch sehr traditionell und der Dialekt ist manchmal an der Grenze dessen, was wir in der übrigen Deutschschweiz noch verstehen.

Allerdings mag ich die Leute und ihren Dialekt.  

Ich teile Deinen Eindruck von den Ostdeutschen und den Schwaben. In Leipzig war jeder mit jedem im gleichen Quartier auf Du, die Schwaben sind da eher etwas distanzierter und gleichen wohl uns Durchschnittsschweizern etwas mehr.

Ich selber komme aus dem Mittelland, also die Gegend, in dem sich die wichtigsten Autobahnen und das Eisenbahnnetz kreuzen.

Das sind von Basel weg etwa 40 Kilometer bis zu uns. In der Schweiz sagt man, dass der Durchschnitts-Dialekt der Schweiz in Oltner Bahnhofbuffet gesprochen werde.

Schöne Grüsse aus dem "Flachland" der Schweiz.

Tellensohn 

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Ich liebe das Welschland! In der Schule hatten wir 4 Jahre Französischunterricht und ich liebe die Sprache ebenfalls. So konnte ich mich natürlich mit den Welschen unterhalten. Auch die Westschweizer geniessen Deutschunterricht.

Natürlich gibt es auch Sprachbarrieren, da sich beide Teile wahrscheinlich eher auf Englisch fokussieren. 

Und natürlich gibt es von beiden Seiten auch Vorurteile gegen den andern Teil. Doch diese sollen hier nicht benannt werden.

Ich war wirklich oft da, denn für mich sind die Welschen Geniessertypen, die das Leben meiner Meinung nach ein bisschen gemütlicher  angehen. Sie haben tolle Landschaften, auch gut zum wild campen :-)  Sie haben das Val-de-Travers und sind die Erfinder des Absinth. Sie haben den Neuenburgersee der immer wieder zum Baden einlädt und (auch meiner Meinung nach, sehr schöne Frauen).


antares2508 
Fragesteller
 11.01.2017, 17:08

Ich finde das Welschland toll, allein schon wegen dem Genfersee und den gemütlichen Dörfern in der Region. Am liebsten mache ich Urlaub an der Ostsee, oder in der Schweiz. Für mich die schönsten Gegenden, die es gibt. An der Schweiz gefällt mir diese Idylle und die wunderschöne Natur!

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Eigentlich leben die verschiedenen Sprachgruppen nebeneinander statt miteinander.

Zwar lernen wir jeweils eine oder gar zwei andere Landessprachen, aber wir brauchen sie dann sehr wenig und verlernen sie so wieder. Und so kommt es, dass man sehr oft auf Englisch ausweicht, will man mit einem Miteidgenossen aus einem anderen Landesteil sprechen.

Sehr oft wird aber praktiziert, dass jeder seine Muttersprache spricht (wir natürlich in Schriftdeutsch), der andere versteht es, gibt aber in seiner Muttersprache Antwort. Das klappt meist sehr gut, weil man versteht eine Sprache ja schnell besser als dass man sie spricht.

Viele Familien haben aber einen Zweig in einem anderen Landesteil, wenn auch nicht alle, natürlich. Mein Bruder z.B. wohnt in der Romandie, seine Kinder sind somit Romands und ich habe Verwandte im Tessin. Somit brauche ich Französisch und Italienisch ab und zu.

Die Romands liegen kulturell zwar nahe an Frankreich, grenzen sich aber auch klar ab. Und auch die Tessiner sehen sich auf keinen Fall als Italiener.

Das hat wie bei uns Deutschschweizern etwas mit der kleinen Anzahl Schweizern zu tun. Die Nachbarn sind ja jeweils wirklich riesig und das macht eben einfach Angst und führt dazu, dass man sich eben auf die Eigenheiten statt die Gemeinsamkeiten konzentriert.

Die Themen, die in den Medien behandelt werden, sind ganz verschieden. Man sollte meinen, dass es sich um zwei verschiedene Länder handelt.

Trotzdem sind die Romands anders als die Franzosen, die Sprache hat auch viele Schweizer Eigenheiten, die meist auf Uebersetzungen aus dem Deutschen zurückzuführen sind (die meisten Bundesweiten Gesetze werden von D auf F übersetzt, daher ein starker Einfluss der deutschen Sprache in der Wortwahl), und auch auf Dialekte.

d.h. für die Franzosen sind die Romands eindeutig Schweizer, aber für die Deutschschweizer sind sie fast schon Franzosen, besonders in Genf...


rumar  17.08.2019, 13:42

"die meisten Bundesweiten Gesetze werden von D auf F übersetzt, daher ein starker Einfluss der deutschen Sprache in der Wortwahl"

Gesetze werden schon im Entstehungsprozess in den Räten und Kommissionen von zweisprachigen Teams erstellt. Dabei helfen auch professionelle ÜbersetzerInnen, welche beide Sprachen absolut beherrschen. Deshalb glaube ich nicht, dass es da einen deutschsprachig gefärbten "Überhang" geben soll.

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