Utilitarismus: Handlungs- und Regelutilitarismus?

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Der Handlungsutilitarist wird das Geld eher dem Krankenhaus zu geben, der Regelutilitarist eher das Versprechen einhalten und das Geld dem Krankenhaus zu geben.

Genauer kann die Beurteilung getroffen werden, wenn noch einige weitere Informationen über die (absehbaren) Folgen vorliegen.

Handlungsutilitarismus ist eine neuere, in Gegenüberstellung zu einem Regelutilitarismus verwendete Bezeichnung. Handlungsutilitarismus bezieht sich auf die Beurteilung einer einzelnen Handlung nach ihren Folgen auf der Grundlage des von Jeremy Bentham begründeten klassischen Utilitarismus.

Jeremy Bentham hat in der Ethik eine Nützlichkeitslehre aufgestellt (Utilitarismus). Beim Utilitarismus wird eine Handlung nach der Nützlichkeit ihrer Folgen bewertet (Konsequentialismus). Da nach Auffassung von Bentham alle Menschen grundsätzlich gleichberechtigt sind, ist das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl erstrebenswert.

Jeremy Bentham nimmt als Ausgangspunkt: Menschen streben Glück/Lust/Befriedigung an und möchten Unangenehmes/Schmerz vermeiden. Die Menschen sind grundsätzlich gleichberechtigt („Jeder zählt für einen und keiner mehr als für einen."). Die grundlegende Orientierung und das Motiv ist für die einzelnen Individuen die eigene Lustbefriedigung. Auch die Interessen anderer Menschen werden berücksichtigt (Wohlwollen und eine Art Sozialprinzip), aufgrund der Vernunft (wohlverstandenes Eigeninteresse) und gegebenenfalls durch Sanktionen (Strafen bei Nichtbeachtung) nahegelegt.

Beim Regelutilitarismus bekommen Grundsätze für das Handeln/Handlungsregeln (Sekundärprinzipien, da auf einer zweiten Ebene stehend) Bedeutung, die das auf einer ersten grundlegend Ebene stehende (daher Primärprinzip) ziemlich abstrakte Nützlichkeitsprinzip für die moralische Praxis in etwas konkretere, lehr- und lernbare Anleitungen umformen. Die Sekundärprinzipien erhalten eine eigenständige Verbindlichkeit. Im Beispiel ist der Grundsatz, Versprechen einzuhalten, ein solches Sekundärprinzip.

Der Regelutilitarismus steht einer deontologischen Ethik (es gibt ein verbindliches Sollen, unbedingt geltende Pflichten; Immanuel Kant mit seinem kategorischen Imperativ ist ein besonders bekannter Vertreter einer deontologischen Ethik) ziemlich nahe.

Der Regelutilitarist hält die Beachtung von Handlungsregeln/Grundsätzen des Handelns für wichtig, weil dadurch moralische Entscheidungen besser voraussehbar und für Personen größere Verläßlichkeit und Erwartungssicherheit geschaffen werden. Wenn Versprechen nicht eingehalten werden und dies auch als ethischer Grundsatz vertreten wird, untergräbt dies das Vertrauen auf Versprechen in der Gesellschaft. Wer wird dann überhaupt noch etwas auf Versprechen setzen? An die Einhaltung von Versprechen kann nicht mehr gut geglaubt werden, wenn in jedem Einzelfall aufgrund von Folgen die Nichteinhaltung von Versprechen befürwortet werden kann. Die Regel (im Beispiel das Einhaltend von Versprechen) wird im Regelutilitarismus aufgrund des größeren Gesamtnutzens als verbindlich begründet, weil eine nicht zuverlässige Regelbefolgung schädliche Folgen für die Gesellschaft und die Beziehungen der Personen in ihr hat.

Im Beispiel hängt die genaue Beurteilung auch davon ab, wie das Geld verwendet werden wird. Beim Segelclub kommt das Geld vileleicht nur ein paar reichen Leuten zugute. Denkbar ist aber auch eine Absicht der Mitglieder, mit dem Geld Bedürftige zu unterstützen. Tendenziell ist bei dem Krankenhaus allerdings eher ein großer gesellschaftlicher Gesamtnutzen zu erwarten.


Albrecht  25.07.2011, 23:17

Dieter Birnbacher, Utilitarismus. In: Handbuch Ethik. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Herausgegeben von Marcus Düwell, Christoph Hübenthal und Micha H. Werner. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2006, S. 99 – 100:
„Der klassische Utilitarimus Benthams bezieht das Nützlichkeitsprinzip auf Einzelhandlungen und wird deshalb gelegentlich als ›Handlungsutilitarismus‹ dem sog.[enannten] ›Regelutilitarismus‹ gegenübergestellt. Der Regelutilitarismus ist im Grunde keine eigentlich konsequentialistische, sondern eine deontologische Ethik. Anders als die Standardform des Utilitarismus stattet er die aus handlungsutilitaristischer Sicht für die alltägliche moralische Praxis postulierten Sekundärprinzipien mit einer eigenständigen Verbindlichkeit aus und fordert deren Befolgung aus dann, wenn diese im Einzelfall so katastrophal schlechte Folgen erwarten lässt, dass diese auch durch den Nutzen der verlässlichen Regelbefolgung im Alltag nicht aufgewogen werden. Während aus handlungsutilitaristischer Sicht die Verletzung des Sekundärprinzips erlaubt oder gefordert ist, hält der Regelutilitarismus an der Verpflichtung zur Befolgung der einschlägigen Sekundärregel fest. Dabei darf, um ein Zusammenfallen des Regelutilitarismus mit dem Handlungsutilitarismus zu vermeiden, das Primärprinzip selbst nicht den Sekundärprinzipien zugerechnet werden. Die Besonderheit des Regelutilitarismus gegenüber anderen deontologischen Ethiken liegt darin, dass er die Regeln selbst durch die Nützlichkeit ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz begründet sieht. Die auf Anwendungsebene strikt deontologisch geltenden Sekundärprinzipien werden auf der Theorieebene gleichwohl konsequentialistisch begründet.

Der Regelutilitarismus ist ein ethischer Zwitter und als solcher der Kritik ausgesetzt. Wenn der Regelutilitarismus die Geltung der Sekundärprinzipien durch die Nützlichkeit der gesellschaftlichen Akzeptanz rechtfertigt, warum rechtfertigt er nicht dann auch ihre Befolgung utilitaristisch und lässt für Situationen, in denen deren Befolgung katastrophal schlechte Folgen erwarten lässt, Ausnahmen zu? Die Regel »Lasst uns die Regeln mit dem größten Akzeptanznutzen befolgen, möge auch der Himmel einstürzen!« scheint kaum überzeugender als die Regel ›Fiat iustitia, ruat coelum‹ […].“ Fiat iustitia, ruat coelum (lateinisch) = Es geschehe Gerechtigkeit, (und wenn) der Himmel einstürze.

Weil beim Handlungsutilitarismus individuelle Rechte, wenn Betroffene in der Minderheit sind, auf der Strecke bleiben können, wird im Regelutilitarismus auch eine Beurteilung der Handlungsregel, nicht nur der Einzelhandlung verlangt. Diese Überlegung trifft etwas, das einbezogen werden sollte. Allerdings halte ich es im Rahmen eines Utilitarismus für folgerichtiger, auf den Nutzen der einzelnen Handlung zu sehen (nur eben auch mit Berücksichtigung des Umgangs mit Prinzipien).

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Der Regelutilitarismus tendiert mehr in Richtung Kantscher kategorischer Imperativ. Das heißt, die Tatsache, dass man mit seinem Handeln bestätigt, dass ein einmal in der Sterbestunde gegebenes Versprechen "heilig" ist und nicht aus noch so begründeter Tagesaktualität gebrochen wird, würde nach Regelutilitarismus dazu führen, dass die Person ihr Versprechen hält. Sie kann das Krankenhaus ja aus eigenen, privaten Mitteln unterstützen.

Beim Handlungsutilitarismus, der aktueller bezogen ist, würde möglicherweise abgewogen, welche der Handlungen, evtl. auch Handlungskombinationen so ist, dass alle danach besser gestellt sind. Wie diese Entscheidung dann ausfällt, ist nicht feststellbar, weil das von den einzelnen Informationen abhängt und deren Bewertung. Dazu ist im Text zu wenig gesagt. Es wäre ja denkbar, dass der Segelclub leukämiekranke Kinder unterstützt und das Geld gern diesem Projekt zuführen würde. Sprich, es wäre zumindest zu prüfen, welche Verwendung das Geld finden würde, wenn es in Regie des Segelclubs gehen würde.

Persönlich halte ich diese Aufgabe für ein Prachtbeispiel lebensferner Schulphilosophie. Welche Form des in weltfremde Schubladen gesteckten Utilitarismus (als ob das immer so sauber trennbar wäre) zum tragen kommt, hängt doch ganz von der Lebenssituation ab.


JuliaCapulet 
Beitragsersteller
 17.06.2011, 20:11

Danke für den umfangreichen Kommentar!:)Natürlich ist die Aufgabe halt nur Schulphilosophie..ist ja auch in Wirklichkeit so, dass es nun mal eine Aufgabe aus einer Klausur einer 11. Klässlerin..:D

Wir hatten uns aufgeschrieben, dass ein Handlungsutilitarist die Folgen in seiner Situation abwägt und der Regelutilitarist die Folgen in jeder Situation(also allgemein) abschätzt. Nach dem Prinzip bin ich gegangen. Da versteh ich deinen Punkt zum Regelutilitarismus nicht so ganz. So ähnlich hatte es mir meine Lehrerin auch versucht zu erklären, aber nur Stückchenweise, nicht gerade ausführlich. Ich war der Meinung, dass der Handlungsutilitarist das Geld dem Segelclub gibt, da er immer ehrlich ist. Die Folgen sind nicht so groß, wenn nur er das Geld dem Segelclub gibt. Der Regelutilitarist gibt das Geld dem Krankenhaus, da er keine Rücksicht auf das Versprechen nimmt und in der Regel den Bedürftigen mehr geholfen werden soll als einem Segelclub. Er möchte ja das größte allgemeine Wohl und das erreicht er beim Spenden des Geldes an das Krankenhaus.

Ich versteh nicht, wieso das Versprechen da mehr bindet als die Hilfe an Bedürftige. Weil doch in DIESER Situation es nicht so schlimm ist, wenn er das Geld dem Segelclub spendet als Handlungsutilitarist. Ich weiß nicht ob das so verständlich ist, ich hab versucht mich irgendwie zu erklären. Ich hoffe es geht. ;)

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berkersheim  18.06.2011, 12:08
@JuliaCapulet

Der Regelutilitarismus ist nahe bei Kant. Lies mal Kant zur Frage der Lüge. Da steht das Prinzip, die Regel höher als der Einzelfall. Was sind Versprechen am Totenbett noch wert, wenn sich keiner mehr dran hält und doch nach Einzelsituation handelt? Darum ist der Regelutilitarismus immer zuerst für die Regel und dann erst für die Anpassung an den Einzelfall (das im Gegensatz zu Kant, der keine Abweichung zulässt.). Der Regelutilitarismus legt großen Wert auf stabile, verlässliche Regeln, denn Vertrauen ist der Kitt der Gesellschaft. Eine Gesellschaft bricht auseinander, wenn es kein Vertrauen mehr gibt. Das schadet dann auch allen Krankenhäusern.

Der Handlungsutilitarimsus beurteilt den Einzelfall, wägt ab, welche Entscheidung für die Gesamtheit im direkten Vergleich zweier Handlungsalternativen besser wäre. Ich bin der Meinung, dass Handlungsutilitarismus regelutilitaristische Gedanken nicht außer Acht lassen kann, weshalb ich eine Trennung in Handlungsutilitarismus und Regelutilitarismus nicht sehr klug finde. Aber auch in der Philsosophie müssen Doktorarbeiten geschrieben werden, und so kommts: Für jede Doktorarbeit eine gelehrte Schublade und Unterschublade und so weiter, soviele Doktorthemen man halt braucht.

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