Spielen wir eigentlich alle nur Theater (Philosophie)?

9 Antworten

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

Ich bin nicht der Ansicht, dass WIR ALLE nur Theater spielen. Ich spiele zum Beispiel kein Theater. Ich bin wie ich bin und ich verhalte mich so, wie ich bin und wie ich will. Ich verbiege mich nicht (mehr) und rede niemandem (mehr) nach dem Mund.

Es gibt genug ehrliche und authentische Menschen dort draussen. Diese sind auch sehr leicht von den Theater-spielenden Leuten und Personen zu unterscheiden - denn sie sind in der Lage, Dir jederzeit ein ehrliches Lächeln und Lachen zu schenken - und vor allem auch Gefühle offen zu zeigen.

Für mich kommt die Behauptung, "alle spielen nur Theater" einer absolut unzulässigen Verallgemeinerung gleich. Denn man darf nicht vergessen: Es gibt keine zwei Menschen, welche identisch sind - weder im Aussehen, noch in der Physiognomie und erst Recht nicht in der Psyche.


Adrian143 
Beitragsersteller
 18.09.2022, 15:19

Ich danke dir für diese ausführliche Erklärung, ich habe so viele neue Ideen gesammelt :D

Ich würde mir zunächst einmal grundsätzliche Gedanken über die Fragestellung deines Essays machen. Eine sorgfältige (philosophische) Analyse der Fragestellung wird dir sicherlich weiterhelfen:

  • Was bedeutet es im wortwörtlichen Sinne, "Theater" zu "spielen"? Wie lässt sich das Handlungsschema "Theater spielen" in seinen Besonderheiten präziser beschreiben? Was unterscheidet das Theaterspielen im wortwörtlichen Sinne von meiner normalen Lebensweise außerhalb der Theaterbühne?
  • Wer ist mit "wir alle" gemeint? Von welchen Handlungssubjekten ist hier die Rede?
  • Was ist mit dem Wort "nur" in der Leitfrage gemeint? Wird mit diesem Wort zur Debatte gestellt, ob es womöglich keine andere Lebensweise außerhalb des Theaterspielens gibt? Wird ein Ausschließlichkeitsanspruch gestellt?
  • Was meint das Wort "eigentlich" in der Leitfrage? Soll mit dem Wort angedeutet werden, dass wir alle "in Wirklichkeit" - im Unterschied zum äußeren Anschein - Theater spielen? Was wäre dann der falsche äußere Anschein?
  • Was bedeutet es im übertragenen Sinne, "Theater" zu "spielen"? Ist damit gemeint, dass wir im normalen alltäglichen Lebensvollzug ähnlich oder identisch agieren wie ein*e Theaterschauspieler*in auf der Bühne? Wie lässt sich das "alltägliche Theaterspiel" näher erläutern?

Ich kann dir ein Buch dazu empfehlen, wo genau dieser Bezug angesprochen wird, vom Soziologen Erving Goffman : Wir alle spielen Theater. Soweit ich weiß hat er zuerst diese Theorie aufgestellt - das Buch dürfte sehr helfen einen Aufsatz zu schreiben, wenn du es schnell besorgst und schnell mehrere Kapitel lesen kannst (etliches in der Mitte kannst du sicherlich erstmal überspringen bzw. überfliegen).

https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1000436656

Ansonsten gibt es auch andere Quellen dazu, z. B. Video: https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwjNpca_6Zv6AhVQCuwKHWPFDdcQwqsBegQIPhAB&url=https%3A%2F%2Fwww.youtube.com%2Fwatch%3Fv%3DZ596BcdTKMo&usg=AOvVaw20XzVrJzAsqaC1cyRaU-1M

Naja es gibt hier diverse Dinge die beleuchtet werden können, aber ich denke es geht sich klar um die Rollen die jeder Mensch in einem bestimmten Umfeld annimmt.

Wir haben natürlich verschiedene Personenkreise in denen wir interagieren und mit anderen Menschen kommunizieren und dadurch nehmen wir in jedem Kreise eine andere Rolle an.

Wir haben natürlich den Kreis der Familie. Hier nimmt man eine oder mehrere dieser Rollen ein:

  • Elternteil
  • (Geschwister-)Kind
  • Onkel oder Tante
  • Großelternteil
  • Cousin oder Cousine
  • etc.

Nehmen wir dann zum Beispiel den Kreis der Arbeit hinzu kann abhängig davon was wir machen (noch Schule oder Arbeitsplatz) eine andere Rolle bei rumkommen. Gehen wir von dem Arbeitsplatz aus wo ein Einkommen bei rumkommt geht man von zwei Obergruppen aus:

  • Arbeitnehmer
  • Arbeitgeber

Natürlich kann man noch Kollegen und Kunden hier mit einbeziehen, wie auch andere Rollen, aber das ist gerade nicht richtig.

Nehmen wir die Schule so haben wir als Obergruppen:

  • Lehrer
  • Schüler

Auch hier gibt es diverse andere Rollen aber belassen wir es hierbei.

Dann haben wir natürlich noch unseren Freundeskreis. Hier nehmen wir abhängig davon mit wem wir interagieren eine andere Rolle ein:

  • Der Kummerkasten
  • Der Spaßvogel
  • Der Ernsthafte
  • Der Verpeilte
  • der immer den neusten Klatsch und Tratsch hat
  • Der Freundliche
  • der Fiese
  • etc.

Beleuchten wir nun all diese Gruppen (sowie jede andere Gruppe die hier mit hinzukommen kann) und die darin befindlichen Rollen wird deutlich dass man diverse Rollen einnimmt. Und mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit ändern wir unser Verhalten anhand unser bestimmten Gruppe. Genau das ist denke ich auch das was die Frage klarstellen will.

Spielen wir eigentlich alle nur Theater (Philosophie)?

Man könnte sagen ja, denn der Mensch passt sich an die Gegebenheiten der Natur oder auch Kultur an.

Da ich Philosophie als Leistungskurs hatte haben wir natürlich auch Arnold Gehlen durchgenommen mit seiner These, dass die Kultur entstanden ist als Kompensation der mangelnden Natur des Menschen. Ich weiß nicht ob dir das so was sagt, aber ich würde es hier gerne anführen, weil es einfach enorm gut passt.

Arnold Gehlen sagt in seiner Theorie aus, dass Menschen „Mängelwesen“ sind, weil wir unspezialisiert sind. Tiere haben im Vergleich zu uns Instinkte und Anpassungen an die Natur, die es ihnen ermöglichen in der freien Natur zu überleben.

Betrachten wir hierzu den Menschen ist der Mensch nicht überlebensfähig, da er keine so gut ausgeprägten Instinkte wie ein Tier besitzt was ihm das überleben und der freien Natur beinahe unmöglich macht. Der Mensch ist also mittellos. Daher sagt Gehlen, dass wir Kultur brauchen um als Mängelwesen in der Natur überleben zu können.

Was bedeutet das nun? Was sagt eigentlich hier Kultur aus? Mit Kultur meint Gehlen die Gesellschaft und alles was damit nach sich kommt. Mit der Gesellschaft können wir unsere Instinktlosigkeit ausgleichen und sind eher überlebensfähig. Mit den Gesetzen und Regeln können wir unsere Machtlosigkeit ausbügeln und unser Umfeld steuern und somit Geborgenheit und Schutz erhalten.

Doch warum führe ich das nun an? Nun weil Kultur aufzeigt wie der Mensch sich verstellt - alles sein kann - um eben diesen Schutz und dieses Gefühl der Kontrolle beizubehalten. Ohne Kultur sind wir unspezialisiert und mit Kultur können wir uns anpassen (wie Tiere durch ihre Instinkte an die Natur). Wir passen uns also durch Kultur an unser Umfeld an und somit an unsere Mitmenschen. Da der Mensch aber keine Spezialisierung wie ein Tier vorzuliegen haben scheint gelingt es ihm in jeder Gruppe eine neue Rolle annehmen zu können. Dadurch können wir uns in jeder Gruppe neu anpassen und ein anderes Verhalten an den Tag legen, was aufzeigt dass der Mensch eine Art „Theater“ spielt.

Ich weiß nicht ob dir das hilft, aber ich hoffe ich konnte dies dennoch gut veranschaulichen.


Adrian143 
Beitragsersteller
 17.09.2022, 14:42

Wow, erstmal Vielen Dank und großes Lob an diese ausführliche Antwort, ich denke mit deinen Informationen werde ich auf jeden Fall sehr viel anfangen können. Vielen Dank das du dir die Zeit genommen hast!

deniserosi  17.09.2022, 16:09
@Adrian143

Gerne gerne! :) freut mich dass ich dir helfen konnte ist zwar etwas her dass ich dieses Thema ausführlicher vorgenommen habe aber weil ich diese Thematik sehr gemocht habe ist das doch noch hängen geblieben :)

Adrian143 
Beitragsersteller
 17.09.2022, 16:11
@deniserosi

Ja genau sowas finde ich schon das du dein Wissen mir geben konntest ich Würde dich gerne mit einem Stern auszeichnen nur leider weiß ich nicht wie ich das machen kann :D

deniserosi  17.09.2022, 18:34
@Adrian143

Das ist sehr freundlich von dir :) ich glaube oben über jeder Frage müsste für dich eine Art durchsichtiger Stern abgebildet sein wenn du noch keine Frage mit einem Stern ausgezeichnet hast. Ansonsten bekommst du nach einer gewissen Zeit auch mitgeteilt, dass du noch keine Antwort als hilfreichste markiert. Dann solltest du auch imstande dazu sein eine Antwort mit einem Stern zu markieren. Du musst mir aber keinen Stern geben :)

Der Mensch neigt im Allgemeinen dazu, sich in seinem sozialen Umfeld zu festigen und zu behaupten. Isofern muss er als Individuum, um in der Masse wahrgenommen zu werden, wenn er nach gesellschaftlicher Anerkennung strebt, sich von dieser mittels herausragenden Eigenschaften oder Fähigkeiten abheben. Dies ist, da nicht jedem eine besondere Eigenschaft in die Wiege gelegt wurde, mit harter Arbeit zur Anerkennung verbunden. Insofern neigen wir dazu in der Gesellaschaft Theater zu spielen, um unsere besonderen, unsere guten Eigenschaften herauszustellen, auch wenn diese nicht wirklich besonders sind, weil uns alle die gleichen Ängste, Nöte und Sorgen immanent sind.


Adrian143 
Beitragsersteller
 17.09.2022, 14:15

Ich danke dir, das ist schon mal ein riesen Fortschritt für mein Essay, danke das du es ausführlich erklärt hast, weil genau mit solchen Antworten kann ich „besonders" viel anfangen.