Religionskritik Feuerbach vs. Nietzsche Unterschiede, Gemeinsamkeiten?

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Fest steht, Feuerbach und Nietzsche waren Atheisten. Nietzsche lehnte „Hinterwelten“ ab; Gott ist tot, heißt es im Zarathustra. [Allerdings meint Nietzsche offenbar, dass Gott früher einmal existiert habe, denn „wir“ hätten ihn umgebracht, sagt Zarathustra]. Bei Feuerbach ist Gott, wie bekannt, nur eine Projektion der Wünsche des Menschen. Die Folgerungen der beiden Philosophen aus diesem Atheismus sind zunächst gleich. Nietzsche meint, dem Menschen bleibe nichts anderes übrig, als selbst zum Gott zu werden; dieses menschlich-göttliche Wesen nannte er „Übermensch“. Feuerbach sieht das genauso: auch für ihn besteht die Notwendigkeit, dass der Mensch jetzt zum Gott wird. Dem Menschen müsse bewusst werden, "dass der einzige Gott des Menschen der Mensch selbst ist.... Homo homini deus - das ist der Wendepunkt der Geschichte." Nun ist jede Religion auch mit Moral verbunden. Nietzsche lehnt jede Moral kategorisch ab. Auch Philosophen, welche die Moral anmahnen (aus unterschiedlichen Gründen, wie z.B. Kant und Pascal), werden von Nietzsche scharf kritisiert. Er ist der Überzeugung, dass die Moral die lebensnotwendigen Willenskräfte des Menschen (den „Willen zur Macht“) schwäche, sodass ein solcher – sagen wir einmal: gutherziger Mensch von den Mitmenschen (den Mitbewerbern) über den Löffel balbiert wird. Was aber tritt dann an die Stelle der Moral? Diese Frage hat Nietzsche genauso gestellt – und nicht beantwortet (vermutlich, weil er wegen seiner unheilbaren geistigen Erkrankung keine Gelegenheit mehr dazu hatte). In seinem Nachlass steht nur der Satz: „Güte ist Wille zur Macht.“ (d.h. also, der Mächtige kann gütig sein, weil er über eine Überfülle an Macht verfügt und dann mitunter gerne etwas den „Mittelmäßigen“ abgibt). Eine Kontrolle des Willens zur Macht kann man bei Nietzsche nur aus der Tatsache erschließen, dass ja auch die Vernunft Teil des Willens zur Macht ist und also die Maßlosigkeiten des Willens zur Macht durch sie verhindert werden. – Feuerbach lehnt ebenfalls eine Moral im Sinne einer Pflichtethik (d.h. die christliche und die kantische Pflichtethik) ab. Allerdings – und hier unterscheidet er sich von Nietzsche – entwickelt er eine eigene Moral. Zunächst gibt es bei Feuerbach etwas Ähnliches wie Nietzsches Willen zur Macht, von ihm Egoismus genannt (nicht mit Selbstsucht zu verwechseln!) Mit dem Selbsterhaltungstrieb sei der Egoismus naturgegeben. Und der Egoismus will ja wie der Wille zur Macht all das, was einen Menschen stark macht (Talente, Fertigkeiten) rücksichtslos zur Entfaltung bringen. Doch anders als Nietzsche sieht Feuerbach die Notwendigkeit einer Einschränkung des Egoismus durch eine „materialistische“ Moral. Es gebe eine materielle Grundlage des menschlichen Verhaltens, nämlich den angeborenen Glückseligkeitstrieb: Dieser sei der „Ur- und Grundtrieb alles dessen, was lebt und liebt, was ist und sein will“. Auf den Glückseligkeitstrieb müsse auch die Moral aufbauen. Ihr erstes und einziges Prinzip lautet: Meinem eigenen Recht auf Glückseligkeit entspricht das Recht auf Glückseligkeit des anderen. Gut und Böse sind keine metaphysischen Werte: Es gibt kein anderes Kennzeichen für Bösesein als Übeltun, kein anderes für Gutsein als Wohltun. Die Grundlage für moralisches Verhalten hat die Natur vorgegeben, die einen „zwei- und gegenseitigen Glückseligkeitstrieb hervorgebracht hat“. Dieser gründet darauf, dass der Mensch „von Mutterleibe an die Güter des Lebens mit seinen Nächsten teilen muss, schon mit der Muttermilch […] mit den Elementen des Lebens also auch die Elemente der Moral einsaugt, als da sind Gefühl der Zusammengehörigkeit, Verträglichkeit, Gemeinschaftlichkeit, Beschränkung der unumschränkten Alleinherrschaft des eignen Glückseligkeitstriebes“. - Hier, in dieser Frage der Moral, unterscheiden sich die beiden Philosophen: Nietzsche lehnt die christliche und die kantische Moral ab, hat aber keine eigene Moral entwickelt. Feuerbach sieht dagegen die Notwendigkeit einer materialistischen Moral, welche den Egoismus des Menschen einschränkt, allerdings nicht i.S. einer rigorosen Pflicht. „Es gibt keine Glückseligkeit ohne Tugend, ihr habt Recht, ihr Moralisten“, sagte er, „aber merkt es euch, es gibt auch keine Tugend ohne Glückseligkeit!“ Unter unmenschlichen Verhältnissen sei „auch der Moral aller Spielraum genommen […] Wo das zum Leben Notwendige fehlt, da fehlt auch die sittliche Notwendigkeit“. Seine Folgerung lautete: „Wollt ihr daher der Moral Eingang verschaffen, so schafft vor allem die ihr im Wege stehenden materiellen Hindernisse hinweg!“. – Nietzsche dagegen lehnt eine Einschränkung des Willens zur Macht durch irgendeine Moral scharf ab.


Haldor  05.12.2022, 15:29

Eine Modifizierung: Nietzsche kann nicht "jede" Moral einschränken. Die christliche Moral, ja, die kann er radikal einschränken (s. im "Antichrist" am Schluss), nicht aber die gesellschaftliche Moral (z.B. Rücksicht im gesellschaftlichen Zusammenleben, Wahrheitspflicht (d.h. Missbilligung der Lüge), Fair play im Fußball, Verkehrsregeln u.a.m.; auch die Moral, die hinter den Strafgesetzen steht (du sollst nicht töten, nicht stehlen etc.) darf selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden.

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