Philosophische Aussage von Aristoteles

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Es handelt sich um zwei Aussagen, von denen die zweite Aussage (Aristoteles, Politik 1, 2, 1253 a 9 - 10) zur Begründung der ersten Aussage (Aristoteles, Politik 1, 2, 1253 a 2 -3) verwendet wird.

Wichtig bei der Deutung ist, sich genau auf den tatsächlichen Text zu beziehen (einschließlich der zentralen Begriffe in griechischer Sprache) und die Aussagen in dessen Zusammenhang zu verstehen.

Es geht bei den Sätzen nicht um die Frage, ob der Mensch von Natur aus gut ist und nur von der Gesellschaft und deren Auswirkungen (dem Umfeld, den Erfahrungen, der Erziehung) verdorben/zu einem schlechten Menschen gemacht wird oder ob der Mensch von Natur aus schlecht/böse ist und erst durch Einwirkung anderer Menschen ein soziales und vernünftiges Wesen wird und dauerhaft bleibt bzw. das Gegenteil eines sozialen und vernünftigen Wesen wird.

Der Mensch hat nach Auffassung von Aristoteles Anlagen zu sozialem Verhalten und Sprache bzw. Vernunft/vernünftiger Überlegung. Für eine Beurteilung kommt es aber auf die Entfaltung der Anlagen an, darauf, ob und wie Fähigkeiten (Begabung zu sozialer Kommunikation und Kooperation, Sprachbegabung und Vernunftbegabung) verwirklicht werden. Dies kann aber eher Aussagen an anderer Stelle vor allem im Bereich der Ethik, entnommen werden. Aristoteles legt dar, jede Technik/Kunstfertigkeit/wissenschaftliche Lehre, jeder Untersuchungsweg, jedes Handeln, jeder Entschluß strebe anscheinend nach etwas Gutem/einem Gut (Aristoteles, Nikomachische Ethik 1, 1, 1094 a). Das den Menschen eigentümliche/kennzeichnende Werk, seine besondere/spezifische Leistung besteht in einer Tätigkeit der Seele gemäß der Vernunft oder nicht ohne Vernunft und das menschliche Gut (= Glückseligkeit) besteht in Tätigkeit der Seele gemäß der Vortrefflichkeit/Tugend (ἀϱετή [arete]; Aristoteles, Nikomachische Ethik 1, 1, 1098 a). Das Gute kann sowohl getroffen als verfehlt werden. Verschiedene Einflüsse können dazu beitragen. Vortrefflichkeiten des Charakters/Charaktertugenden werden als gut beurteilt und beruhen auf einer bestimmten Einstellung/inneren Haltung. Der Charakter ist nicht völlig unveränderbar, sondern Einsicht und Einübung durch Gewohnheit kann ihn formen.

Der Begriff «Natur» im Ausdruck „von Natur aus“ in dem Satz, um den es geht, ist nichts, zu dem Umfeld, Erfahrung, Erziehung als Soziales/Kultur/Zivilisation ein konträres Gegenteil darstellen könnten. Die Natur/das Wesen (physis) ist Ziel (τέλος [telos]), die vollendete/völlig abgeschlossene Entwicklung von jedem wird als die Natur/das Wesen von jedem bezeichnet (Aristoteles, Politik 1, 2, 1152 b 32 - 33).

Aristoteles will in dem Zusammenhang der Sätze die Polis (πόλις; den Staat/ den staatlichen Verband/die politische Gemeinschaft) als Staat als etwas erweisen, das von Natur aus besteht. Als eine gegenteilige Auffassung, die damit ausgeschlossen wird, kann die Meinung gedacht werden, der Staat sei etwas bloß durch Übereinkunft/Vertag künstliche Hergestelltes, etwas dem Menschen übergestülptes grundsätzlich Wesensfremdes. Das Zusammenleben mit Mitmenschen, in einem Staat (einer Polis), entspricht nach Auffassung des Aristoteles der Natur/dem Wesen des Menschen. Der Mensch kann nicht gut isoliert existieren, ist so nicht zu einer Autarkie mit voller Verwirklichung seiner Möglichkeiten (Autarkie wird als Ziel und Bestes verstanden) imstande. Der Staat (die Polis) ist in dem Sinn vollendete Gemeinschaft, alle anderen Gemeinschaften zu umfassen und ein höherstufiges Ziel zu haben. Er entsteht zwar um des Lebens willen (faktisches Überleben), existiert aber wegen des guten Lebens.

Daraus ergibt sich: Der Staat (die Polis) gehört zu den Dingen, die von Natur aus sind, und der Menschen ist ein von Natur aus/seinem Wesen nach ein politisches/ein auf eine politische Gemeinschaft ausgerichtetes/bezogenes Lebewesen (vgl. auch ebenso Aristoteles, Politik 3, 4, 1278 b 19 und Aristoteles, Nikomachische Ethik 1, 5, 1097 b 1).

Aus dieser Bezogenheit fällt heraus, wer schlecht/untauglich/minderwertig/wertlos oder wer besser als ein Mensch ist, oder anders ausgedrückt, wer ein wildes Tier oder ein Gott ist. Der Menschen ist mehr (in größerem Ausmaß/in höherem Grad) ein politisches/ein auf eine politische Gemeinschaft ausgerichtetes/bezogenes/ein staatenbildendes Lebewesen als jede Biene und jedes Herdentier. Von den Lebewesen hat nur der Mensch Sprache/Vernunft (λόγος [logos).


Albrecht  10.11.2014, 00:22

Aristoteles, Politik. Übersetzt und mit einer Einleitung sowie Anmerkungen herausgegeben von Eckart Schütrumpf. Hamburg : Meiner, 2012 (Philosophische Bibliothek ; Band 616), S. 6 – 7:
„Daraus geht nun klar hervor, daß der Staat zu den Dingen zu zählen ist, die von Natur sind, und daß der Mensch von Natur ein Lebewesen ist, das zum staatlichen Verband gehört, und daß derjenige, der aufgrund seiner Natur, und nicht durch eine Schicksalsfügung, außerhalb des außerhalb des staatlichen Verbandes steht, entweder minderwertig - oder übermenschlich - ist, wie derjenige, der von Homer geschmäht wurde: «ohne Geschlechterverband, ohne Recht, ohne Herd». Denn wer von Natur aus so ist, der sucht zugleich Streit, da er ohne Verbindung dasteht wie (ein Stein) auf dem Spielbrett. Daß aber die Bezeichnung «zu einem staatlichen Verband gehörend» eher für den Menschen als für jede Biene und jedes Herdentier zutrifft, ist klar. Denn die Natur schafft, wie wir sagen, nichts ohne Zweck. Nun hat der Mensch als einziges Lebewesen Sprache; die Stimme gibt zwar ein Zeichen von Schmerz und Freude, deswegen ist sie auch den anderen Lebewesen verliehen, den ihre Natur gelangte bis zu der Stufe, daß sie Empfindung von Lust und Schmerz haben und sich diese untereinander anzeige; die Sprache aber dient dazu, das Nützliche und Schädliche, und daher auch das Gerechte und Ungerechte, darzulegen. Denn dies ist den Menschen gegenüber den anderen Lebewesen eigentümlich, allein ein Empfinden für Gut und Schlecht, Gerecht und Ungerecht und anderes zu haben. Die Gemeinschaft in diesen Dingen begründet aber Haushalt und Staatsverband.

Der staatliche Verband geht aber von Natur aus dem Haushalt und jedem Einzelnen voraus; denn das Ganze geht notwendigerweise jedem Teil voraus. Wenn nämlich das ganze zerstört wird, wird (kein Teil), weder Fuß noch Hand, weiter existieren – außer homonym, wie wenn man eine Bezeichnung (Hand) für eine Hand aus Stein benutzte, eine leblose Hand ist ja von vergleichbarer Art. Da aber alles durch seine Leistung und Funktion bestimmt ist, darf man Dinge, wenn sie (in ihrer Funktion) nicht mehr gleich sind, auch nicht mehr als gleich bezeichnen, sondern als verschiedene Dinge gleichen Namens.

Es ist damit klar, daß der Staat einmal von Natur ist und außerdem jedem einzelnen vorangeht. Denn unter der Voraussetzung, daß jeder, wenn er isoliert lebt, nicht autark ist, muß sein Verhältnis zum Ganzen genauso sein wie das von Teilen sonst (zum Ganzen). Wer aber nicht fähig ist, Mitglied (der staatlichen Gemeinschaft) zu sein, oder aufgrund seiner Autarkie ihrer nicht bedarf, ist kein Teil des staatlichen Verbandes und somit Tier oder Gott.

Von Natur aus lebt also in allen ein Drang nach einer solchen Gemeinschaft. Derjenige, der sie als erste gebildet hat, ist der Urheber größter Güter. Denn wie der Mensch, wenn er zur Vollkommenheit gelangt, das beste Lebewesen, so ist er ohne Gesetz und Recht auch das schlimmste von allen. Ungerechte Gesinnung, die über Waffen verfügt, ist ja am schlimmsten; der Mensch hält aber von Natur aufgrund seiner Klugheit und charakterlichen Vorzüge Waffen in Händen, die besonders zu einander entgegengesetzten Zwecken gebraucht werden können. Deswegen ist der Mensch ohne gute charakterliche Qualität das frevelhafteste und wildeste Lebewesen und in Sexualität und Eßgier am schlimmsten. Gerechtigkeit wird dagegen im Staat verwirklicht, denn Recht ist die Ordnung der staatlichen Gemeinschaft, Gerechtigkeit aber bestimmt die Entscheidung darüber, was rechtmäßig ist.“

zur Deutung:

Otfried Höffe, Aristoteles' Politische Anthropologie. In: Aristoteles, Politik. Herausgegeben von Otfried Höffe. 2., bearbeitete Auflage. Berlin : Akademieverlag, 2011 (Klassiker auslegen ; Band 23), S. 15 - 27

GagasMonster 
Beitragsersteller
 15.11.2014, 18:20
@Albrecht

Danke für deine Mühe. Jetzt verstehe ich seine Aussage besser.

Albrecht  10.11.2014, 00:20

Aristoteles legt in dem Abschnitt zwei Grundaussagen zum Menschen vor. also etwas das zur Anthropologie gehört:

1) erste Grundaussage

Der Mensch ist seinem Wesen/seiner Natur nach ein politisches/ein auf eine politische Gemeinschaft ausgerichtetes/bezogenes Lebewesen.

Die Aussage kann zwar biologisch gedeutet werden (natürliche Beschaffenheit eines Lebewesens/Tieres). Vorzuziehen ist aber meiner Meinung nach im Zusammenhang der Gedanken bei Aristoteles insgesamt eine weitergehende Deutung (die diesen Gesichtspunkt nicht ausschließen muß). Der Mensch hat eine Anlage zum Zusammenleben (vgl. dazu auch Aristoteles, Nikomachische Ethik 9, 9, 1161 b mit einer Begründung, warum zum vollen Glück Freunde erforderlich sind) und ist seinem Wesen nach gemeinschaftsbezogen. Dies bedeutet nicht nur einfach die Eigenschaft als staatenbildendes Lebewesen. Erst im Zusammenleben mit anderen Menschen in einer politischen Gemeinschaft kann ein Mensch seine Möglichkeiten voll entfalten. Die politische Gemeinschaft bietet Chancen für das Daseinsziel Glück.

2) zweite Grundaussage

Von den Lebewesen hat nur der Mensch Logos.

Das griechische Wort Logos hat viele Bedeutungen. Im Textzusammenhang kommen Bedeutungen wie Sprache, Rede, Überlegung, Gedanke, Verstand und Vernunft in Frage. Gesucht wird etwas, das nach Meinung des Aristoteles ausschließlich beim Menschen vorhanden ist, nicht bei anderen Lebewesen. Eine Wiedergabe als Sprache kommt Frage, wenn der Sinn von Begriff «Natur» dabei nach Auffassung des Aristoteles über Kommunikation unter Tieren (Tiersprache) hinausgeht. Bei Sprache könnte an vernünftige Rede gedacht werden oder weitergehend Logos als Vernunft verstanden werden. Ein möglicher zusammenfassender Ausdruck ist „sprach- und vernunftbegabtes Lebewesen“. Der Form der ersten Aussage entsprechend kann diese Wesensaussage zum Menschen griechisch folgendermaßen ausgedrückt werden: ζῷον λόγον ἔχον

holodeck  12.11.2014, 08:38

Perfekt!
Ein wahrer Albrecht eben.

Ich denke, diese Aussage trifft zu.

Doch der Mensch selbst entscheidet ununterbrochen, ob er sich auch so verhält. Ein soziales Wesen kann sich durchaus auch asozial verhalten, ein vernünftiges Wesen kann sich auch unvernünftig verhalten.

Jeder hat doch das Mensch-Sein bekommen, um damit umgehen zu lernen; manche können es schon besser, andere weniger gut; andere legen gar keinen Wert darauf, sich in irgend einer Weise zu entwickeln.

Tip: Lese bei Wikipedia unter Prometheus die Platon-Version von Epimetheus und seinem Bruder Prometheus - der Mensch als Mängelwesen, der mangels spezieller Ausstattung nur in Gemeinschaft und unter Nutzung des Verstandes überleben kann. Da steckt der Kern der Aussage des Aristoteles drin. Damit, dass der Mensch von Natur aus gut oder böse sei, hat das nichts zu tun. Es sagt nur, dass der Mensch auf Gemeinschaft angewiesen ist. Neben der direkten Todesstrafe war das Ausstoßen aus der Gemeinschaft in der Antike die schlimmste Strafe, weil er den Naturgewalten allein ausgeliefert war und in anderen Gemeinschaften rechtlos. Ein Wesen, das zum Überleben auf Gemeinschaft angewiesen ist, ist automatisch darauf angewiesen, sich sozial zu organisieren.

Deie Aussage von Aristoteles " der Mensch ist ein Zoon politikon" meint nicht, dass er ein gutes Wesen sei, sondern dass er sich erst in der Gemeinschaft entfaltet. Daher ist er per se ein soziales Wesen, denn er bedarf Seinesgleichen.

Die Aussage wertet nicht! - Die Frage nach gut und böse stellt sich hier nicht - das interpretierst Du hinein! LG


GagasMonster 
Beitragsersteller
 09.11.2014, 17:21

Und welche Frage stellt sich dann?

Er muss sich bei dieser Aussage doch irgendwas gedacht haben.