Neozoen: Koexistenz oder Verdrängung?

1 Antwort

Man kann in der Tat sehr viel dazu machen.

Neozoen können als so genannte invasive Species (alien species) ein Ökosystem enorm beeinflussen. Verdrängung hieße ja, dass eine einheimische Art durch die neu eingebürgerte Art lediglich ersetzt werden würde, zum Beispiel auf der britischen Insel das einheimische Eichhörnchen durch das Amerikanische Grauhörnchen.

Wie das Beispiel der Aga-Kröte in Australien zeigt, können Neobionten aber sehr viel weitreichendere Auswirkungen als nur die Verdrängung einer verwandten Art bewirken. Aga-Kröten produzieren ein giftiges Hautsekret, selbst bei den großen Krokodilen haben diese Kröten schon zu tödlichen Vergiftungen geführt. Auch die Quolls oder Tüpfelbeutelmarder sind inzwischen (nicht nur, aber auch) durch Aga-Krötenvergiftungen gefährdet, da sie nie gelernt haben, dass Aga-Kröten giftig sind. Das kann schließlich zu Verschiebungen im gesamten Räuber-Beute-Verhältnis führen. Durch die Reduzierung von Beutegreifern (die ja durch die Vergiftungen weg fielen) können beispielsweise deren natürlichen Beutetiere profitieren, da der Raubfeinddruck nicht mehr so hoch ist.
J Sean Doody und Kollegen haben hierzu 2015 eine Studie in der Zeitschrift Ecology veröffentlicht, bei der sie die Auswirkungen der Aga-Kröte auf drei verschiedene Waran-Arten untersuchten. Sie stellten dabei fest, dass die Population der Warane merklich zurückging, während die Population des Sonnenastrilds, der zur natürlichen Beute (die Eier) der Warane gehört, anstieg. Diese Vögel gehören zur Gruppe der Prachtfinken und wenn man den Gedanken weiter spinnt, dann könnte eine höhere Astrildpopulation bedeuten, dass mehr Samen von Gräsern (die bevorzugte Nahrung der Prachtfinken) verzehrt werden, was sich auf die Vegetation natürlich auswirken könnte.
Denkbar wäre aber auch, dass die Warane lernen, Aga-Kröten zu vermeiden und nicht als Beute anzusehen oder aber die Entwicklung von Anpassungsmechanismen, also zum Beispiel eine Entwicklung einer Gifttoleranz. Letzteres würde aber voraussetzen, dass für den zumeist langsamen Evolutionsprozess genügend Zeit bliebe.

Denkbar ist auch, dass mit Neozoen Krankheitserreger eingeschleppt werden, die sich erheblich auf das Ökosystem auswirken können. Chytridiomykose ist beispielsweise eine Erkrankung, die bei Amphibien durch einen Hautpilz, den Chytridpilz, ausgelöst wird und eine der großen Bedrohungen für Amphibien ist. Der Pilz stammte ursprünglich aus Afrika und wurde durch Krallenfrösche, die als Modellorganismus, Versuchstier und sogar als Schwangerschaftstest früher sehr beliebt waren (man hält sie auch als Heimtiere in Aquarien) in weiten Teilen der Welt verbreitet. Insbesondere in der neuen Welt und in Australien hat er für große Rückgänge in der heimischen Amphibiengemeinschaft gesorgt.

Nicht immer müssen Neozoen auch schädlichen Einfluss auf ein Ökosystem haben. Es kann auch sein, dass sich die neuen Species als Bereicherung für das Ökosystem erweisen. Das Drüsige Springkraut stammte ursprünglich aus Asien, es findet sich in Mitteleuropa heute aber an fast jedem Bach oder in anderen Feuchtgebieten. Die Meinungen darüber, ob das auch Indisches Springkraut genannte Gewächs eine invasive Species (also schädlich) ist oder "nur" ein Neophyt, gehen teilweise auseinander. Befürchtet wird einerseits, dass das Springkraut heimische Pflanzenarten der Feuchtgebiete verdrängen könnte. Einige Studien weisen aber darauf hin, dass diese Dominanz nicht von Dauer ist und heimische Pflanzen durchaus ihr Terrain zurückerobern können, zudem wird das Springkraut von etlichen Insektenarten, darunter Hummeln, inzwischen als willkommene Nektarpflanze angenommen. Deshalb wird heutzutage empfohlen, Indisches Springkraut nicht sofort zu bekämpfen, sondern zunächst diese Stellen genau zu beobachten. Es ist zwar noch zu früh, um dauerhaft Entwarnung zu geben, aber man sollte auch nicht gleich in Panik verfallen und akribisch jede Neubesiedlung verhindern wollen. Ein Ökosystem befindet sich nun einmal in einem ständigen Wandel, Neubesiedlungen hat es immer gegeben und wird es immer geben, auch ohne menschliches Zutun.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

qualle8652 
Beitragsersteller
 07.10.2018, 18:00

Vielen herzlichen Dank!

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