Blickwechsel 25. Juli 2024
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Moral?

1 Antwort

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

Schwieriges Thema, gute Frage! Dafür muss ich ausholen, denn in schwarz und weiß kann man das tatsächlich nur schwer betrachten. Ich hoffe du kannst meinem Gedankengang gleich folgen ...

Erst einmal, ich stimme dir voll und ganz zu. Der ganze Free2play- und Pay2win-Mist ist wirklich die reinste Seuche. Die Spielebranche hat sich da in den letzten Jahren wirklich zum schlechten entwickelt. Mir als Spieler ist ein klassiches Festpreisspiel ohne Ingame-Käufe wie ein Skyrim oder Kingdome Come Deliverance auch tausend mal lieber – da weiß man, was man hat.

Wenn du als Spiele-Entwickler moralisch auf der „guten“ Seite stehen willst, dann musst du zu einem kleinen Indie-Studio gehen. Aber da hast du eher die Chance, dass das komplette Studio krachen geht, wenn das letzte Spiel ein absoluter Flopp wird, weil die Kapitalrücklagen fehlen. Wenn du mehr Sicherheit um deinen Arbeitsplatz willst, dann musst du in größere Studios, die auch meist aggressiver Monetarisierungs-Mechaniken einsetzen.

Ich habe das auch gemacht, also für solch eine Firma gearbeitet. Aber ich habe mir wenigstens nicht diese Abzocke-Mechaniken ausgedacht. Ich war allerdings für die Animation der nervigen Werbetrailer für Social Media zuständig – ist auch nicht besser, ne?! Ganz fettes Sorry!!! Ne, also ernsthaft, so nervig wie z.B. Werbung für Hero Wars waren meine Trailer jetzt nicht. Aber es hat schon ordentlich gescheppert. Werbezeit ist schließlich teuer und die Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer ist nicht sehr hoch, wenn sie gedankenverloren durch Facebook am Handy scrollen. Wenn der Nutzer da nicht in den ersten paar Sekunden gefangen wird, dann scrollt er weiter. Du hast doch bestimmt schon gemerkt, dass bei Trailern für Kinofilme, vielleicht sowas wie „Godzilla“, gern mal ganz am Anfang so eine Art „Mini-Trailer“ kommt, nur für 2-5 Sekunden, wo gleich richtig viel Action abgeht, mit mehreren Szenen ganz schnell hintereinander geschnitten. Oder dass bei Ego-Shootern das erste Level gleich mit richtig viel Krach-Bumm losgeht, vielleicht storytechnisch erzählt in einem Prolog als Rückblick (oder Vorschau) mit Hubschrauberjagd oder irgendetwas ganz dramatischen, auf das man normalerweise als Einsteiger im ersten Level noch gar keinen Zugriff hat. Das läuft alles auf das gleiche Ziel hinaus, nämlich dass du den Nutzer „hooked“ bekommen möchtest. Schon direkt von Sekunde 1 an willst du ihn an der Angel haben, sozusagen. Und das ist ganz einfach so. Punkt. So sind quasi die Regeln, die sich ganz natürlich für das jeweilige Fachgebiet ergeben. Da kommt man nicht drumherum, das ist soweit gehend normal.

Nochmal zu der aggressiven Monetarisierung durch Ingame-Käufe an jeder Ecke ... die kann man sich auch schön reden. Man könnte etwa sagen „Die Spieler MÜSSEN ja kein Geld dafür ausgeben, selbst Schuld also!“ und irgendwo ist da tatsächlich auch ein Funken Wahrheit drin, finde ich. Niemand zwing dich etwa 5 Tage pro Woche bei McDonalds ungesundes Zeug in dich hineinzufuttern. Letztlich ist es deine Entscheidung, wie du dein Leben führst, ob du Sport treibst oder nicht, ob du „alten Omas die Tür aufhältst“ oder nicht, ob du Charakterentwicklung machst oder stumpf dein Leben lang deiner Kindheitsprogrammierung folgst. Und so kann man dann eben auch sagen „Ja, wenn du merkst, dass das Spiel dich abzockt ... dann deinstallier es doch einfach“. Jeder darf gern den Mut haben sich seines Verstandes zu bedienen. Und Eltern können auch gern ein Auge darauf haben, was ihre Kinder spielen. Medienkompetenz braucht man heutzutage.

Aber ich weiß auch nicht, ob ich nochmal für solche Firmen arbeiten würde. Mich persönlich hat es tatsächlich irgendwann in ein moralisches Dilemma gebracht. Ich denke, jeder geht irgendwo relativ blauäugig und naiv in die Arbeitswelt, denkt z.B. er wird Lehrer, ist voll motiviert, will es besser machen als seine Vorgänger, alles wird schön … und dann kommt irgendwann die Erkenntnis, dass die Realität dann ganz anders aussieht. Manche stumpfen ab, manche geben auf, manche wechseln die Branche, manche machen ihren eigenen Laden auf um es besser zu machen. Das muss jeder selbst entscheiden, was er daraus macht.


Xearox  25.07.2024, 15:48

Aber es gibt ja auch Unterschiede. Free2Play Games, welche Pay2Win Inhalte anbieten und Vollpreisspiele die Pay2Win Inhalte anbieten.

Erstere müssen sich ja irgendwie finanzieren, also baut man was ein, womit die Leute Geld ausgeben können. Ist ja auch niemand gezwungen, genau dieses Spiel zu spielen und auch dafür Geld auszugeben.

Bestes Beispiel in dem Genre, World of Tanks. Niemand ist gezwungen Geld für Premium Munition auszugeben, man kann auch ohne Geld weit kommen. Mit Geld ist man halt schneller am Ziel, aber will ich das?

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mmoerders  25.07.2024, 16:23
@Xearox

Aber auch bei World of Tanks wird der Grind irgendwann so äääätzend langwierig ... ich habe das auch eine Weile gespielt, hat mir echt Spaß gemacht. Aber als ich mir ausgerechnet habe, dass ich jetzt noch 300+ Matches mit meiner Artillerie Level 3 führen muss, damit ich mal die neue, geile Artillerie Level 4 bekomme, uff ... da überlegt man sich schon, ob man einfach kurz zur Tanke springt und einen Gutschein für 10€ holt. Und das ist mit Absicht so gestaltet. Und das finde ich gemein. Weil letztlich wirst du dann mit dem Level 4 Gefährt ja doch wieder in Matches geworfen, wo du doch wieder dann von den Level 5 und 6 Mitspielern auf den Deckel kriegst. Das war für mich dann der Punkt, wo ich mit World of Tanks aufgehört habe. Das war mir dann zu blöd. Aber muss letztlich jeder selbst entscheiden. Du kannst ja auch sagen "Hey, ich hab mit dem Spiel so viel Spaß und noch keinen Cent für ausgegeben, ja pfeif drauf, dann unterstütze ich die Devs doch gerne mit 10 Euro!"

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