Latein Zahlwörter uno semel duo bis?

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Von Experte verbosus bestätigt

All diese Zahlwörter sind aus dem Indogermanischen ererbt. Generell sind Zahlen recht stabil und werden nur selten ausgetauscht, deshalb haben alle indogermani­schen Sprachen bis heute ganz überwiegend noch die alten Zahlwörter, die sich ent­sprechend den Lautgesetzen der Sprache zwar verändert haben, aber denen man ihre Herkunft bis heute meist leicht ansieht.

(Naja, natürlich nicht immer wirklich leicht. Daß Deutsch fünf und französisch cinq einen gemein­sa­men indogermanischen Ursprung haben [von indogerm. *pénkʷe], ist nicht leicht zu sehen, aber immer noch eher zu glauben als bei zwei und armenisch երկու erku, beide von *dwóh₁).

Fangen wir mit dem einfacheren Fall an — bis ist ganz regulär von duo abgeleitet. Die altlateinische Form duis ist sogar attestiert, und da man das u in diesem Fall wie ein englisches w mit den Lippen spricht, verschmolz es mit dem d zu einem b (das ist ja auch ein Lippenlaut), ähnlich auch duenos→bonus, duellum→bellum.

Bei “eins” ist die Situation aber anders, weil Indogermanisch zwei Worte oder besser gesagt zwei Wurzeln dafür hatte, die in den indogermanischen Tochtersprachen in verschiedenen Ableitungen (in der Art von eins, einmal, einzeln, einfach, …) immer wieder in Wörtern auftauchen, die etwas mit Einheit zu tun haben.

  • Indogermanisch *sem hatte die Bedeutung “zusammen, eine Einheit bildend”, z.B. griechisch ἕν hén “eins” (s→h ist typisch Griechisch), Latein semel, semi, singuli, similis, simplex, Saṁskr̥t सकृत् sakr̥t “einmal”, Persisch هم ham “gleich”. Auch die germanischen Sprachen haben es, z.B. engl. same und deutsch gemein-sam.
  • Und dann haben wir noch *h₁óynos, das für das einfache Zahlwort “eins” stand und heute noch in vielen Sprachen genau zu diesem Zweck dient: Russisch один odin, serbisch један jedan, makedonisch еден eden (die slavischen Formen haben alle ein Präfix auf -d, dessen Bedeutung man nicht kennt), lettisch viens, walisisch un, lateinisch unus, Saṁskr̥t एक eka (das -k- stammt von einem Suffix), deutsch eins, englisch one; es gibt aber auch hier abgeleitete Bedeutungen, z.B. griech. οἶος oĩos “einzeln, allein, nur” oder lat. unire “vereinigen”, und in manchen Spra­chen wurde daraus auch so eine Art Pronomen, z.B. ein unbestimm­ter Artikel im Deutschen oder Englischen, oder das Pronomen der dritten Person एन ena im Saṁskr̥t.

Du siehst, daß die lateinische Sprache hier nichts Ungewöhnliches tut: Sie bildet alle For­men, die etwas mit “zwei” zu tun hat, von derselben Wurzel, aber nutzt zwei ver­schie­dene Wurzeln für “eins”.

  • Was im Latein wirklich abartig ist, ist die Ordinalzahl secundus, das ist nämlich eine Neubildung, die von sequī “folgen” abgeleitet ist (der zweite ist ja der, der auf den ersten folgt)
  • Lat. primus stammt offenbar auch aus keiner der beiden indogermanischen Quel­len für “eins”, sondern ist eine Neubildung aus prior “vorher”, das letztlich von einer indogermanischen Präposition *per “vor” stammt.
  • Ganz gleichartig sind englisch first, holländisch vorst, norwegisch først etc. Das ist eine germanische Eigenentwicklung, ebenfalls gebildet aus der Präposition vor (der Erste ist ja ganz vorne) plus einem Superlativsuffix. Deutsch Fürst ist die zu­ge­­hö­­ri­ge Substantivierung (vgl. lat. princeps←primus).
Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik

verbosus  07.08.2023, 02:40

Jetzt hätte ich beinahe auch schon so lang ausgeholt wie du - gut, dass ich noch rechtzeitig deine schöne Antwort gesehen habe - spart mir viel Zeit ;D

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