Kommunitarismus erklärung! bitte!

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1) Kommunitarismus als philosophische Strömung

Kommunitarismus ist ein Ansatz (zu dem verschiedene Richtungen mit zum Teil beträchtlichen Unterschieden gehören) in der Ethik und politischen Philosophie, der die Bedeutung der Gemeinschaft hervorhebt und betont.

Kommunitarismus stellt Allgemeinwohl und Gemeinsinn in den Vordergrund. Wichtig ist ihm was eine Gesellschaft im Innersten zusammenhält.

Er wendet sich gegen eine von ihm als einseitig und überbetont beurteilte Auffassung, bei der individuelle Rechtsansprüche die wesentliche Grundlage sind, weil dabei besondere Einzelinteressen ohne Verpflichtungen und Bindung an ein Allgemeinwohl zu viel Gewicht erhalten könnten.

Kommunitarismus strebt eine Orientierung an gemeinschaftlichen Wertvorstellungen und in einer Gemeinschaft vorhandenen Auffassungen eines guten Lebens an.

Kommunitarismus zweifelt an der Möglichkeit, Moral geschichts- und kulturunabhängig zu begründen und vermitteln. Dies gilt auch für universale Prinzipien der Gerechtigkeit. Eine rationale (mit Vernunft/Verstand begründete), gesellschaftsübergreifende Feststellung allgemeiner Werte wird vom Kommunitarismus kaum oder gar nicht akzeptiert. In dieser Hinsicht wendet er sich gegen die Aufklärung, die abstrakte Prinzipien einer universalen Moral vertritt.

Kommunitarismus bezieht viele tugendethische Gedanken ein.

Dem Liberalismus wird von Kommunitaristen vorgeworfen, von einem ungebundenen, vereinzelten Subjekt/Selbst auszugehen, einem von einer Einbindung in eine Gemeinschaft losgelösten atomistischen Individuum, das egoistisch seinen Nutzen verfolgt. Dabei werde auch vernachlässigt, in welchen Zusammenhang formale Rechte überhaut tatsächlich verwirklicht werden könnten.

2) Unterschied des Kommunitarismus zur Diskursethik

Diskursethik möchte zwar an lebensweltliche Erfahrung anknüpfen und strebt eine Verständigung innerhalb einer Gemeinschaft an, aber was moralisch als gut und richtig gelten kann, wird in einem Konsens (Übereinstimmung) bestimmt, bei dem die Beteiligten sich an bestimmte Regeln halten (ideale Sprechsituation) und die Teilnahme nicht auf bestimmte einzelne Gesellschaften begrenzt ist. Es gibt dabei keine inhaltlichen gemeinschaftlichen Wertvorstellungen, die schon zu Anfang als gegeben gelten können.

Anders als der Kommunitarismus ist die Diskursethik also ein klar universalistischer Ansatz. Außerdem hat die Begründung eine formale Grundlage (Legitimation durch ein Verfahren), beruht nicht auf inhaltlichen Wertvorstellungen.

3) Gefahren des Kommunitarismus

Kommunitarismus unterteilt sich wie seine hauptsächliche Gegenrichtung, der Liberalismus, in verschiedene Richtungen. Bei dem, was gefährlich sein kann, ist daher näher zu prüfen, auf welche einzelne Richtungen das Vorliegen einer Gefahr tatsächlich zutrifft.

mögliche Gefahren:

  • Ablehnung einer universalistischen Ethik: Teilweise gibt es zwar Versuche, kommuntaristische Theorien mit universalen Prinzipien zu ergänzen. Dabei treten aber innere Unstimmigkeiten auf, Wie die Vereinbarkeit erreicht werden soll, ist nicht in einer guten Begründung nachvollziehbar.

  • mangelhafte Berücksichtigung des begrifflichen Unterschieds zwischen einem Kern universalistischer Moral und ihrer kulturspezifischen Ausprägung

  • Mangel an gesellschaftsübergreifenden Maßstäben/Kriterien, von denen her Kritik an bestimmten Gemeinschaften erfolgen kann

  • Vernachlässigung individueller Freiheitsrechte

  • Vereinnahmung für eine bestimmte bestehende Gemeinschaft, wobei es kaum möglich ist, die Betonung der Bedeutung von Gemeinschaft von einer bloßen Anpassung abzugrenzen

  • Überschätzung des Ausmaßes an ähnlicher Weltanschauung und Wertvorstellungen, die tatsächlich in Gesellschaften vorhanden sind (pluralistische Gesellschaften sind meistens nicht in einem hohen Grad gleichartig (homogen))

  • diktatorisches Vorschreiben von einer Lebensweise als gut und Tyrannei der Werte durch eine Mehrheit in einer Gesellschaft bzw. eine Gruppe, die eine Vorherrschaft ausübt


Albrecht  02.05.2013, 08:54

vgl. als knappen Einstieg zum Thema:

Otfried Höffe, Kommunitarismus. In: Lexikon der Ethik. Herausgegeben von Otfried Höffe. Originalausgabe, 7., neubearbeitete und erweiterte Auflage. München : Beck, 2008 (Beck'sche Reihe ; 152), S. 163 - 164

Bettina Schmitz, Kommunitarismus. In: Metzler Lexikon Philosophie : Begriffe und Definitionen. Herausgegeben von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard. 3., erweiterte und aktualisierte Auflage. Stuttgart ; Weimar: Metzler, 2008, S. 301

„Der K. setzt einem Gerechtigkeitsbegriff, der auf individuelle Rechte abhebt, gemeinschaftlich orientierte Konzeptionen des Guten entgegen.“

„Einer universalistischen Gerechtigkeitstheorie steht eine kontextualistisch orientierte Güterethik auf Seiten des K. gegenüber.“

K. = Kommunitarismus

Der Brockhaus Philosophie. Ideen, Denker und Begriffe. 2., erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Lexikonredaktion des Verlages F. A. Brockhaus, Mannheim. Mannheim ; Leipzig : Brockhaus, 2009, S. 211:
Kommunitarịmus [zu engl. community »Gemeinschaft«, »Gemeinwesen«]; Bezeichnung für in den USA Mitte der 1980-er Jahre entstandene Theorieansätze, die die Bedeutung des Begriffs der Gemeinschaft bei der Analyse und Kritik moderner Gesellschaften hervorheben. In der politischen Philosophie hat sich der Kommunitarismus aus einer Kritik des Liberalismus entwickelt. […]. Im Zentrum kommunitaristischer Theorien steht die Betonung der Einbettung von Individuen, Rechten, Normen und Institutionen in Gemeinschaften verschiedener Art, von der Familie bis zur politischen beziehungsweise kulturellen Gemeinschaft.

In der Kontroverse zwischen Liberalismus und Kommunitarismus geht es besonders um die Definition des Begriffs der Person, der einer Theorie politischer und sozialer → Gerechtigkeit zugrunde liegen sollte. »Person« kann als gemeinschaftlich konstituiertes Wesen oder als »atomistisches« Individuum gefasst werden. Letzteres wird dem Liberalismus vorgeworfen. Diskutiert wird auch, ob Gerechtigkeits- und Rechtsprinzipien »neutral« gegenüber Vorstellungen des guten und wertvollen Lebens begründet und verwirklicht werden können, was der Kommunitarismus bestreitet. Er betont, dass eine demokratische politische Gemeinschaft ein hohes Maß an von allen geteilten und getragenen ethischen Werten benötigt, um lebensfähig zu sein und die Bürger zu politischer Partizipation und sozialer Solidarität zu motivieren.“

engl. = englisch

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Strömung im Bereich der prakt. Philosophie, die sich in Anlehnung an Aristoteles und die deutsche Romantik gänzlich von den Prinzipien des modernen Liberalismus absetzt. Ausgang nimmt der Kommunitarismus an dem in seiner Sicht gescheiterten Projekt der Aufklärung, Moral objektiv begründen zu wollen. Die Argumentation geht dabei so vor, dass der Aufklärung unterstellt wird, sie habe alle religiösen und teleologischen Wurzeln, die das antike und mittelalterliche Weltbild genährt hatten, radikal gekappt, sich damit aber der einzigen Möglichkeit beraubt, Objektivit¨t und moralisches Handeln zusammendenken zu können.

Der Angriff wird doppelt sowohl gegen den Empirismus a´la Hume als auch gegen die Moralphilosophie Kants vorgetragen. Dem Empirismus wird vorgeworfen, er schöpfe seine Normen nur aus bestimmten Zeitumständen, woraus dann so etwas wie normale Leidenschaften konstruiert werden können. Kant gerät in die Kritik, da es in den Augen der Vertreter des Kommunitarismus keinen guten Grund gibt, warum unmoralische Maximen nicht genauso gut zu verallgemeinern sind wie moralische. Aber auch alle anderen modernen Ansätze verfallen irgendeinem Selbstwiderspruch oder verstricken sich in Tautologien. Lösung sehen die Kommunitaristen in einer Wiederbelebung der aristotelischen Teleologie. Indem versucht wird zu zeigen, dass der Mensch ein telos (Ziel) hat und auch in der Lage ist, dieses zu erkennen, wird behauptet, dass es einen Tugenderwerb gibt, der objektiv begründet ist.

Doch ist diese Teleologie nicht möglich, ohne dass ein jeder in der Gemeinschaft seine Rolle hat. Diese wird dadurch geprägt, dass jeder Mensch ein Bürger dieser oder jener Stadt ist, Mitglied dieser oder jener Berufsgruppe; er gehört zu dieser Sippe, jenem Stamm, dieser Nation. Er ist Erbe der Vergangenheit seiner Familie, seiner Stadt, seines Stammes, seiner Nation:

Daraus entsteht eine Vielzahl von Schulden, Erbschaften, berechtigten Erwartungen und Verpflichtungen. Das alles konstituiert das Ge-gebene des Lebens, den moralischen Ausgangspunkt; es verleiht dem Leben einen Teil seiner moralischen Besonderheit. Damit ist dem Individualismus der Boden entzogen, da sich der Mensch nur noch nach seiner Zugehörigkeit definieren kann.

Quelle: Handworterbuch Philosophie -Wulff D. Rehfus-Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen Seite 421

Als Kommunitarismus bezeichnet man philosophische Vorstellungen, die einen Ausgleich zwischen Individualismus und der gesellschaftlichen Prägung des Menschen anstreben. Sie beklagen, dass Werte, die eher den Anspruch der Gesellschaft in den Mittelpunkt rücken, immer mehr an den Rand gedrückt werden zugunsten von Werten, die ausschließlich dem Wohl des Individuums dienen. Sie beklagen, dass immer nur vordergründig von den Rechten des Individuums geredet wird, ohne der kompletten Sicht wegen auch zu erwähnen, wer in der Gesellschaft auch alles welche Pflichten wahrnehmen muss, damit anderen Rechte daraus entstehen. Wenn immer nur einseitig aus Sicht des Individuums abgeleitete Werte betont werden, droht ihrer Meinung nach die Gefahr, dass die Gesellschaft in eine Ellbogengesellschaft abrutscht, weil alle nur noch ihre individuellen Werte durchsetzen wollen und gesellschaftliche Werte auf der Strecke bleiben. Da ist was dran!

Das Problem ist, dass in der heutigen Welt der Medien und des allgegenwärtigen politischen Geschwätzes solche durchaus bedenkenswerten Überlegungen sofort in die politische Mühle geraten. Alles wird verschlagwortet und damit polarisiert und einseitig. Aus Sollen wird Müssen und Verhindernmüssen. Man macht dann DH für gesellschaftliche Werte oder für die Macht der individuellen Rechte. Insoweit ist nicht der Kommunitarismus als philosophischer Denkansatz gefährlich. Gefährlich ist, wer sich politisch einseitig draufhängt, wie unsere Gesellschaft offensichtlich immer unfähiger wird, schwierige Gleichgewichte differenziert auszudiskutieren.


kahalla  29.04.2013, 01:31

Ich möchte hinzufügen, dass es auch zunehmend keine Kommunikation mehr gibt um diesen Ausgleich zu leisten. Wer lernt in der Schule noch wirklich diskutieren heute? Oder sonstwo. Selbst Menschen mit angeblich guter Bildung sind oft unfähig das auszudrücken was sie sagen wollen und flüchten sich dann in die selben albernen Plattheiten die uns die Politik gerne serviert. Wenn Sprache eher zur Verschleierung der wahren Verhältnisse dient, als zur Schaffung eines gleichberechtigten Konsens in der Gesellschaft, droht diese immer zu zerbrechen. Ein Prozess den wir hierzulande gerade live beobachten können. Es ist gut, dass der Kommunitarismus schon erdacht und nieder gelegt wurde, wer weiß ob es in ein paar Jahren und mit der dann noch vorhandenen sprachlichen Ausdrucksfähigkeit überhaupt noch möglich ist, solche Konzepte zu vermitteln.

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