kategorischer Imperativ - Regelutilitarismus - Unterschied?

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Die Unterschiede stecken in dem, worin ein Regelutilitarismus ein Utilitarismus ist und damit von Kant in grundsätzlichen Ansätzen abweicht.

Ein Regelutilitarismus ist der Pflichtethik Immanuel Kants mit dem kategorischen Imperativ wirklich ähnlich und steht ihr in manchen Hinsichten nahe. Ein Regelutilitarismus ist zwar nicht vollständig eine deontologischen Ethik (von der Kant ist ein besonders bekannter Verehrter ist), läuft aber im praktischen Ergebnis zumindest in starkem Ausmaß darauf hinaus.

Die Gegenüberstellung von Handlungsutilitarismus (act utilitarianism), bei dem sich die Beurteilung auf die Folgen einer einzelnen Handlung bezieht, und Regelutilitarismus (rule utilitarianism), bei dem für die Beurteilung Grundsätze für das Handeln/Handlungsregeln (Sekundärprinzipien, da auf einer zweiten Ebene stehend) Bedeutung bekommen, die das auf einer ersten grundlegend Ebene stehende (daher Primärprinzip) ziemlich abstrakte Nützlichkeitsprinzip für die moralische Praxis in etwas konkretere, lehr- und lernbare Anleitungen umformen (die Sekundärprinzipien erhalten dabei eine eigenständige Verbindlichkeit), stammt aus dem 20. Jahrhundert.

Ein Regelutilitarist hält die Beachtung von Handlungsregeln/Grundsätzen des Handelns für wichtig, weil dadurch moralische Entscheidungen besser voraussehbar und für Personen größere Verläßlichkeit und Erwartungssicherheit geschaffen werden.

Die Regel wird im Regelutilitarismus aufgrund des größeren Gesamtnutzens als verbindlich begründet, weil eine nicht zuverlässige Regelbefolgung schädliche Folgen für die Gesellschaft und die Beziehungen der Personen in ihr hat.

Unterschiede zwischen Regelutilitarismus und Pflichtethik Kants

  • Art der Beurteilung, was in ethischer Hinsicht gut ist: Regelutilitarismus ist wie jeder Utilitarismus ein. Konsequentialismus. Die Beurteilung, was in ethischer Hinsicht gut ist, hängt von den (absehbaren/zu erwartenden) Folgen einer Handlung ab. Bei Kant wird die Maxime (der subjektive Grundsatz) einer Handlung beurteilt. Was als uneingeschränkt gut gelten kann, tritt als guter Wille auf. Dies bedeutet nicht, bloße Gesinnung sei ausreichend und ein Bemühen um eine Verwirklichung der guten Absichten sei nicht erforderlich. Aber die Folgen sind in moralischer Hinsicht nicht ausschlaggebend.

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten(1785/1786) . Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen (AA IV 393/BA 1):
„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785/1786). Erster Abschnitt. Übergang von der gemeinen Sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen (AA IV 394/BA 4):
„Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich, gut und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zu Stande gebracht werden könnte. Wenn gleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde, und nur der gute Wille (freilich nicht etwa als ein bloßer Wunsch, sondern als die Aufbietung aller Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind) übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Werth in sich selbst hat. Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Werthe weder etwas zusetzen, noch abnehmen.“

  • Kriterium des Guten: Beim Regelutilitarismus ist letztlich der Nutzen/die Nützlichkeit Kriterium/Maßstab des Guten. Bei Kant gibt es kein solches außermoralisches Kriterium als entscheidende Begründung, sondern die moralischen Grundsätze werden um ihrer selbst willen befolgt (die Gesetzesförmigkeit als allgemeine Gesetzgebung der Vernunft macht das Moralische aus).

  • Frage unbedingter Geltung: Im Regelutilitarismus haben Regeln (Sekundärprinzipien) eine eigenständige Verbindlichkeit, ihre Geltung wird aber durch ihre nützlichen Folgen gerechtfertigt und ist damit ein Stück weit durch diese bedingt und von ihnen abhängig. Der kategorische Imperativ enthält dagegen ein unbedingtes Sollen, eine verbindliche Pflicht, deren Geltung nicht von einem anders gelagerten Prinzip abhängt. Beim Regelutilitarismus gibt es zwei Ebenen, auf einer Ebene der Anwendung/Befolgung ähnelt er stark einer Pflichtethik, auf einer Ebene der grundsätzlichen theoretischen Begründung/Rechtfertigung argumentiert er dagegen mit den Folgen und verwendet Nützlichkeit als Gesichtspunkt.


Albrecht  04.05.2012, 02:21
  • Verhältnis zu Glück, Lust, Neigung und Empfindung: Wenn Regelutilitarismus sich nicht ganz von den Bahnen des klassischen Utilitarismus entfernt, ist er ein Eudaimonismus (Nutzen wird als Glückseligkeit, εὐδαιμονίαm bestimmt, die das höchstes Gut ist und als Ziel menschlichen Handelns gilt) und ein Hedonismus (der Nutzen wird als Empfindungsglück bestimmt und dieses als Lust [ἡδονή] bzw. Freude, Annehmlichkeit, Gefälliges oder Ähnliches). Damit kommt ein rigoroses Heraushalten von Neigungen, die bei Kant im sittlich richtigen Handeln nicht der Beweggrund sein können, oder Ähnlichem (Empfindungen, Leidenschaften, Begehren) aus dem aus moralisch anerkannten Handeln beim Regelutilitarismus nicht vor.

Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1783). Erster Theil. Elementarlehre der reinen praktischen Vernunft. Erstes Buch. Die Analytik der reinen praktischen Vernunft. Erstes Hauptstück. Von den Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft. § 3. Lehrsatz II. Anmerkung II (AA V 025/A 46):
„Worin nämlich jeder seine Glückseligkeit zu setzen habe, kommt auf jedes sein besonderes Gefühl der Lust und Unlust an, und selbst in einem und demselben Subject auf die Verschiedenheit des Bedürfnisses nach den Abänderungen dieses Gefühls, und ein subjectiv nothwendiges Gesetz (als Naturgesetz) ist also objectiv ein gar sehr zufälliges praktisches Princip, das in verschiedenen Subjecten sehr verschieden sein kann und muß, mithin niemals ein Gesetz abgeben kann, weil es bei der Begierde nach Glückseligkeit nicht auf die Form der Gesetzmäßigkeit, sondern lediglich auf die Materie ankommt, nämlich ob und wieviel Vergnügen ich in der Befolgung des Gesetzes zu erwarten habe.“

Dieter Birnbacher, Utilitarismus. In: Handbuch Ethik. 3., aktualisierte Auflage. Herausgegeben von Marcus Düwell, Christoph Hübenthal und Micha H. Werner. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2011, S. 99-100:
„Der klassische Utilitarismus Benthams bezieht das Nützlichkeitsprinzip auf Einzelhandlungen und wird deshalb gelegentlich als ›Handlungsutilitarismus‹ dem sog.[enannten] ›Regelutilitarismus‹ gegenübergestellt. Der Regelutilitarismus ist im Grunde keine eigentlich konsequentialistische, sondern eine deontologische Ethik. Anders als die Standardform des Utilitarismus stattet er die aus handlungsutilitaristischer Sicht für die alltägliche moralische Praxis postulierten Sekundärprinzipien mit einer eigenständigen Verbindlichkeit aus und fordert deren Befolgung auch dann, wenn diese im Einzelfall so katastrophal schlechte Folgen erwarten lässt, dass diese auch durch den Nutzen der verlässlichen Regelbefolgung im Alltag nicht aufgewogen werden. Während aus handlungsutilitaristischer Sicht die Verletzung des Sekundärprinzips erlaubt oder gefordert ist, hält der Regelutilitarismus an der Verpflichtung zur Befolgung der einschlägigen Sekundärregel fest. Dabei darf, um ein Zusammenfallen des Regelutilitarismus mit dem Handlungsutilitarismus zu vermeiden, das Primärprinzip selbst nicht den Sekundärprinzipien zugerechnet werden. Die Besonderheit des Regelutilitarismus gegenüber anderen deontologischen Ethiken liegt darin, dass er die Regeln selbst durch die Nützlichkeit ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz begründet sieht. Die auf Anwendungsebene strikt deontologisch geltenden Sekundärprinzipien werden auf der Theorieebene gleichwohl konsequentialistisch begründet.

Der Regelutilitarismus ist ein ethischer Zwitter und als solcher der Kritik ausgesetzt. Wenn der Regelutilitarismus die Geltung der Sekundärprinzipien durch die Nützlichkeit der gesellschaftlichen Akzeptanz rechtfertigt, warum rechtfertigt er nicht dann auch ihre Befolgung utilitaristisch und lässt für Situationen, in denen deren Befolgung katastrophal schlechte Folgen erwarten lässt, Ausnahmen zu? Die Regel »Lasst uns die Regeln mit dem größten Akzeptanznutzen befolgen, möge auch der Himmel einstürzen!« scheint kaum überzeugender als die Regel ›Fiat iustitia, ruat coelum‹ […].“

Fiat iustitia, ruat coelum (lateinisch) = Es geschehe Gerechtigkeit, (und wenn) der Himmel einstürze.

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Kants kategorischer Imperativ ist eine logische Verstandessache, die interpretiert werden muss, jedoch nach Kant und seiner Dominanz der Vernunft nur mit logischen Argumenten der Vernunft. Der Abgleich zwischen Individualinteressen und Gesamtinteressen (Gemeinschaft, Welt) wird über die Vernunft hergestellt.

Der Utilitarismus will auch einen Abgleich zwischen Individualinteressen und Gesamtinteressen und als generelle Regel ist vor allem dem Regelutilitarismus der kategorische Imperativ nicht unbedingt abhold, doch grundsätzlich geht bei allen Formen des Utilitarismus auch die Emotion, die Neigung des Individuums in die Bewertung ein. Der Utilitarismus betrachtet den Menschen nicht als einen "Vernunft-Computer", sondern ist der Meinung, dass zum Glück des Menschen auch die Berücksichtigung seiner Emotionen gehört. Darum benutzt der Regelutilitarismus den kategorischen Imperativ eher in seiner einfachen Form der "goldenen Regel". Da lässt sich die emotionale Gewichtung leichter einbringen und sie ist auch einfacher auf Einzelregeln für verschiedene Standardhandlungssituationen herunterzubrechen.

Nach Kant ist es für die Moral wesentlich, dass man moralische Regeln um ihrer selbst willen befolgt. Das würde auch ein Regelutilitarist nicht fordern.