Kann mir mal jemand Helfen beim "Prinzip des kleinsten Zwanges"?

Aufgaben  - (Chemie, Maße)

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Moin,

das Prinzip von Le Chatelier (Prinzip des kleinsten Zwangs) besagt, dass ein chemisches System, das sich in einem dynamischen Gleichgewicht befindet, gestört werden kann; wenn es durch einen äußeren "Zwang" gestört wird, reagiert es so, dass sich ein neues Gleichgewicht ausbildet und zwar so, dass der Einfluss des äußeren Zwangs möglichst klein wird.

Damit stellt sich die Frage, welche äußere "Zwänge" ich überhaupt auf eine Reaktion ausüben kann?!

• Ich kann an den Konzentrationen der reagierenden Substanzen herummanipulieren. Das heißt, ich kann zum Beispiel ständig auf der Eduktseite (Seite der Ausgangsstoffe) mindestens einen der Stoffe hinzufügen. Ich könnte aber auch versuchen, auf der Produktseite (Seite der Endstoffe) ständig mindestens einen der Stoffe aus dem Reaktionsraum zu entfernen.
• Ich kann auch an der Temperatur herumspielen. Das heißt, ich kann bei hohen oder bei niedrigen Temperaturen arbeiten.
• Im Zusammenhang mit der Temperatur kann ich auch noch einen Katalysator einsetzen, um die nötige Aktivierungstemperatur herabzusetzen. ABER VORSICHT, ein Katalysator hat KEIN EINFLUSS auf die Lage des Gleichgewichts in einer Gleichgewichtsreaktion, weil er die Hin- und die Rückreaktion in gleicher Weise begünstigt. Aber er hat sehr wohl einen Einfluss darauf, wie schnell sich ein Gleichgewicht einstellt und eben auch darauf, bei welcher Temperatur dies (bereits) passiert.
• Schließlich kann ich noch den Druck verändern, unter dem die Reaktion abläuft. Aber auch hier sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass eine Druckveränderung im Grunde nur bei Reaktionen einen Einfluss hat, die sich in der Gasphase abspielen. Außerdem ist das Verändern der Druckverhältnisse stets kostenintensiv, weil man dabei auf energieverschlingende Maschinen wie Kompressoren oder Pumpen zurückgreifen muss.

So, nachdem wir geklärt haben, womit man überhaupt Reaktionen beeinflussen kann, können wir uns auch an konkreten Beispielen überlegen, welche Einflüsse in welchen Reaktionen zu welchen Ergebnissen führen würden... Nehmen wir gleich die erste Reaktion aus deinen Aufgaben:

2 SO2 (g) + O2 (g) ---><--- 2 SO3 (g)     //    DeltaH = –196 kJ / mol

Das bedeutet, dass in der Gasphase (g) zwei Teilchen Schwefeldioxid und ein Teilchen Sauerstoff zu zwei Teilchen Schwefeltrioxid reagieren, wobei in der Hinreaktion 196 kJ / mol Energie freigesetzt werden.

1. Manipulationen an den Konzentrationen
Wenn ich das sich einstellende Gleichgewicht dadurch störe, dass ich ständig Sauerstoff hinzufüge, dann wird das System in der Art reagieren, dass mehr Schwefeltrioxid gebildet wird, denn so wird die Sauerstoffzufuhr am besten "kompensiert", das heißt, der "Zwang Sauerstoff-Konzentrationserhöhung" wird durch einen (zusätzlichen) Verbrauch kleiner... Du kannst auch sagen, dass du durch die Erhöhung der Sauerstoffkonzentration die Wahrscheinlichkeit erhöhst, dass Schwefeldioxid-Moleküle auf Sauerstoff-Moleküle treffen und mit diesen reagieren können.
Wenn du die Konzentration vom Schwefeldioxid erhöhst, indem du ständig Schwefeldioxid hinzufügst, ist das Ergebnis natürlich das gleiche; die Lage des Gleichgewichts würde sich stärker auf die Seite der Produkte verlagern (was ja laut Aufgabenstellung gewollt wäre).
Du könntest umgekehrt auch versuchen, das sich bildende Schwefeltrioxid ständig aus dem Reaktionsraum zu entfernen. Damit würdest du quasi verhindern, dass Schwefeltrioxid-Moleküle oft aufeinanderprallen, so dass es weniger zur Rückreaktion (zum Zerfall der Produkte in ihre Ausgangsstoffe) kommt.

2. Manipulation der Temperatur
Die Hinreaktion (Bildung von Schwefeltrioxid) ist exotherm. Das heißt, dabei wird (Wärme-)Energie freigesetzt. Das wiederum bedeutet auch, dass die Rückreaktion endotherm verläuft. Wenn du nun also bei sehr hohen Temperaturen arbeiten würdest, dann würdest du die Reaktionsrichtung begünstigen, die Energie benötigt, nicht wahr?! Das wäre in unserem Fall also die falsche Richtung. Darum ist es logisch, dass du die Reaktion bei möglichst niedrigen Temperaturen ablaufen lässt, das heißt, du benötigst eine Kühlung. Dabei musst du allerdings beachten, dass jede Reaktion (egal ob exo- oder endergonisch) eine gewisse Aktivierungsenergie benötigt. Das bedeutet nun wiederum, dass du nicht unter die Aktivierungsenergie abkühlen darfst. Es bedeutet ferner, dass du auch nicht soweit herunterkühlen darfst, dass sich die Reaktionsgeschwindigkeit zu stark verlangsamt. Zu deutsch, was nützt dir eine 99,99%-ige Ausbeute, wenn diese aufgrund der langsamen Reaktionsgeschwindigkeit erst nach vier (oder mehr) Tagen (oder so) zur Verfügung steht?!
Hier lohnt sich dann, im konkreten Fall über den Einsatz eines Katalysators nachzudenken. Aber nochmal: Ein Katalysator hat keinen Einfluss auf die Lage des Gleichgewichts! Er sorgt allerdings dafür, dass die Aktivierungsenergie herabgesetzt wird, so dass du bei (relativ) niedrigen Temperaturen arbeiten kannst, was in unserem Fall günstig wäre, um die Ausbeute an Schwefeltrioxid möglichst hoch zu bekommen.

3. Manipulation des Drucks
Da es sich bei dieser Reaktion um eine Reaktion handelt, die in der Gasphase stattfindet, kann man auch mit den Druckverhältnissen Einfluss auf die Lage des Gleichgewichts nehmen. Dabei spielt folgende Überlegung die ausschlaggebende Rolle: Moleküle in der Gasphase beanspruchen einen gewissen Platz. Wenn du nun den Raum klein machst (also den Druck erhöhst), dann passen nicht so viele Moleküle hinein (irgendwie logisch, oder?!). Laut Reaktionsgleichung hast du auf der Eduktseite drei Teilchen (2 x SO2 plus 1 x O2). Auf der Produktseite sind es dagegen nur zwei Teilchen (2 x SO3). Das heißt, eine Druckerhöhung würde die Seite der Produkte begünstigen, weil ein unter Druck stehender Reaktionsraum günstiger für die Seite ist, bei der weniger Teilchen Platz beanspruchen.
In der Praxis wird allerdings stets genau kalkuliert, ob eine Druckerhöhung rentabel ist, weil - wie bereits gesagt - das Verändern der Druckverhältnisse stets Kosten verursacht. Aber prinzipiell würde eine Druckerhöhung die Ausbeute an Schwefeltrioxid erhöhen.

Und nach diesen theoretischen Überlegungen, schauen wir mal, wie das konkret in der Praxis läuft. Guckst du hier:

http://www.seilnacht.com/Lexikon/Doppelko.htm

Fast alles wird genau so gemacht, wie wir uns das bis hierher auch schon überlegt haben: Das gebildete Schwefeldioxid (SO2) wird mit Sauerstoff im Überschuss zusammen- und bei moderaten 420°C zur Reaktion gebracht. Am Ende wird das sich bildende Schwefeltrioxid in verdünnter Schwefelsäure gelöst, wobei es mit dem darin enthaltenen Wasser selbst zu Schwefelsäure wird. Dadurch wird es dem Reaktionsraum und damit der Rückreaktion entzogen.
Nur am Druck wird offenbar nicht manipuliert. Das liegt daran, dass man auch ohnedies eine Ausbeute von 99,8% (also beinahe eine vollständige Umsetzung) erreicht. Es wäre unrentabel, die Ausbeute auf 99,99 (oder 100)% zu schrauben, aber dafür die Kosten für die Druckerhöhung aufbringen zu müssen.

Nach dieser ausführlichen Darstellung der Überlegungen können wir die anderen Beispiele kürzer abhandeln. Die genauen Begründungen kannst du dir nun (hoffentlich) selbst erarbeiten:

CO2 (g) + H2 (g) ---><--- CO + H2O      //      DeltaH = +41 kJ / mol
• Ständig CO2 und / oder H2 hinzugeben;
• eventuell H2O (oder CO) aus dem Reaktionsraum entfernen;
• hohe Temperaturen;
• Manipulation des Drucks hätte keinen Einfluss

C (s) + CO2 (g) ---><--- 2 CO (g)           //       DeltaH = +172 kJ / mol
• Ständig CO2 (und ab und zu C) hinzufügen;
• eventuell CO aus dem Reaktionsraum entfernen (zum Beispiel durch die Koppelung mit der nachfolgenden Reaktion...);
• sehr hohe Temperaturen;
• niedriger Druck wäre gut (dem festen Kohlenstoff "wäre das egal", aber auf der Eduktseite hast du dadurch nur ein Gasteilchen, während auf der Produktseite zwei Gasteilchen sind. Ein hoher Druck wäre also für die Produktseite nicht gut...

CO (g) + 2 H2 (g) ---><--- CH3–OH (g)       //      DeltaH = –120 kJ / mol
• Ständige Zufuhr von CO und / oder H2;
• eventuelles Ableiten von dem gebildeten Methanol;
• möglichst niedrige Temperatur; eventuell Einsatz eines Katalysators, um die benötigte Aktivierungsenergie herabzusetzen;
• hoher Druck wäre gut...

Alles klar?

Was Aufgabe Nr. 2 angeht, hier sollst du dir zu einer Manipulationsmöglichkeit, nämlich der Temperatur, Gedanken machen. In der Aufgabe steht, dass Iod beim Zusammentreffen mit Stärke einen Komplex bildet, den man Iod-Stärke nennt (der übrigens tiefblau ist). Auf diese Weise kann man zum Beispiel prüfen, ob in Lebensmitteln Stärke enthalten ist. Dieser Vorgang ist exotherm (DeltaH ist < 0). Dann wäre es gut, wenn die Temperatur möglichst... na? - Eben: ... möglichst gering ist, wenn man die Bildung der Iod-Stärke begünstigen will.
Dementsprechend ist es wenig sinnvoll, den Versuch mit heißen Lebensmitteln durchführen zu wollen, weil das die Seite begünstigt, die keine Energie freisetzt, sondern eher benötigt (in unserem Fall also die Seite mit den separaten Iod- und Stärke-Molekülen)...

Ich hoffe, dir ist das alles jetzt verständlicher geworden...

LG von der Waterkant.

In diesen Beispielen gibt es 2 Arten von "Zwängen":

1) Der Druck

2) Die Reaktionswärme (exo-endotherm)

Zu 1) Wenn bei einer Reaktion die Produkte mehr Volumen brauchen als die Edukte, dann werden sie sich nicht so leicht bilden bzw. zurückreagieren, weil sie (größerer Raumbedarf) mehr Druck erzeugen würden (und umgekehrt)

Bsp: Im 3. Fall C  +  CO2  --->  2CO liegen als Gase (nur die werden berücksichtigt, Feststoffe und Flüssigkeiten haben dem gegenüber vernachlässigbares Volumen) links CO2 (1 Volumenteil=Koeffizient) rechts 2 CO vor, also Volumenvergrößerung. Also: Bei Druckerhöhung  verschiebt sich
Reaktion nach links, da Edukte weniger Raum brauchen.

Zu  2) Entsteht Wärme=exotherm= neg. Vorzeichen, dann verschiebt Temperaturerhöhung nach links, Reaktion weicht der "Wärmebildung" aus. Ist z.B. im ersten Fall so.

Achtung: bei Druck werden Volumina der Feststoffe und Flüssigkeiten nicht beachtet, nur Koeffizienten der Gase zählen. Daher müßte im letzten Fall angegeben sein, ob CH3OH als Flüssigkeit oder Gas vorliegt. Spielt aber in diesem Fall (s. starke Volumenverkleinerung) keine Rolle.