Kann mir jemand Zeitdilatation mit einem Beispiel ausführlich erklären?

3 Antworten

Hallo lucboy55,

mein Lieblingsbeispiel sind zwei Raumfahrzeuge A und B, die bei x = −d und x = 0 (z.B. d = 120 s *)) entlang der x- Achse ihres gemeinsamen Ruhesystems Σ ruhen und an denen ein weiteres, B', mit konstanter 1D-Geschwindigkeit v (z.B. 0,6*)) an A und B vorbeizieht.**) Den Vorbeiflug von B' an A bzw. an B nennen wir die Ereignisse E₁ bzw. E₂.

Außerdem haben alle Raumfahrzeuge Sicht- und Funkkontakt; ihre Borduhren schicken ständig Signale mit Zeitstempel. Außerdem ist Σ ein raumzeitliches Koordinatensystem, mit der Weltlinie (WL) von B als Zeitachse.

In Σ muss die Zeitspanne zwischen E₁ und E₂ natürlich

(1) Δt = t₂ − t₁ = d⁄v

sein, was hier 200 s sind.

"Zeitdilatation"

Die SRT sagt nun aus, dass die an Bord von B' gemessene Zeitspanne zwischen E₁ und E₂ nur

(2) Δt' = t'₂ − t'₁ = Δt∙√{1 − v²} *) =: Δt⁄γ

lang ist, was hier 160 s sind. Der in der SRT häufig auftretende Faktor γ heißt übrigens der LORENTZ-Faktor.

Eigenzeit vs. Koordinatenzeit

Die Messung von t'₁ und t'₂ ist eine direkte, da B' bei beiden Ereignissen jeweils vor Ort ist. Daher ist Δt' die Eigenzeit zwischen E₁ und E₂ und wird auch mit Δτ bezeichnet.

Mit Δt ist das anders: Bei E₁ ist A vor Ort, bei E₂ hingegen B. Das jeweils andere Raumfahrzeug ist 120 s *) vom Ereignis entfernt. Bei der Messung haben wir zwei Alternativen:

  • Wir entscheiden uns für eine der beiden Uhren, z.B. die Borduhr von B. Dadurch messen wir nicht t₁ direkt, sondern eine Zeit t₁*. Da wir davon ausgehen, dass das Licht mit 1 *) unterwegs ist, muss die Lichtlaufzeit d *) betragen; daher ist t₁ = t₁* − d.
  • Wir nutzen beide Uhren und sorgen vorher dafür, dass A und B synchron laufen. Dazu schickt A (noch vor E₁) ein Funksignal zu B und bekommt es T = 2d *) später mit einem Zeitstempel t₀ zurück. Davon ausgehend, dass das Signal hin und zurück gleich lange unterwegs ist, stellt daraufhin A seine Borduhr auf t₀ + ½T = t₀ + d.

Die so ermittelte Zeitspanne Δt wird Σ- Koordinatenzeit genannt, denn sie ist im Grunde eine Koordinatendifferenz: E₁ wurde gewissermaßem auf die Zeitachse von Σ projiziert.

Relativitätsprinzip

Schon GALILEI fiel auf, dass Fortbewegung relativ ist. Statt Σ können wir auch ein von B' aus definiertes Koordinatensystem Σ' als Bezugssystem benutzen, in dem A und B mit -v (gleiches Tempo, entgegengesetzte Richtung) an B' vorbei ziehen.

Die grundlegenden Beziehungen zwischen physikalischen Größen (nichts anderes sind Naturgesetze) sind dieselben.

In Δt' schafft ein Körper mit dem Tempo ⎜v⎟ = 0,6 allerdings nur die Strecke

(3) d' = ⎜v⎟∙Δt' = d⁄γ (hier 96 s),

und deshalb kann B zur Zeit t'₁ nur noch 96 s entfernt gewesen sein; dies ist die Entfernung zwischen A und B in Σ', und das wird oft als "Längenkontraktion" bezeichnet.

Also: In Σ geht die Uhr von B' langsamer als die von B, in Σ' ist stattdessen die Strecke zwischen A und B kürzer.

Retardierumgseffekt und Aberration

Das heißt übrigens nicht, dass sie kürzer aussähe, im Gegenteil: Misst man von B' aus zur Zeit t'₁ (wenn A vorbeizieht) die Entfernung, in der B zu sehen ist, kommt man auf

(4) d* = d'/(1 − v) = 2,5d' = 240 s.

Das Licht von B erreicht B' ja mit Verzögerung ("retardiert").

In welcher Entfernung man von B' aus B sieht, hängt natürlich nicht vom Koordinatensystem ab, nur ist die Interpretation in Σ eine andere: Da sich B relativ zu dem Ort, an dem B' zur Zeit t₁ vorbeizieht, nicht bewegt, kann das kein Retardierungseffekt sein, sondern ist als Aberration des von B kommenden Lichts zu interpretieren: Durch die Bewegung von B' scheint es stärker von vorn zu kommen.

Da die Differenzgeschwindigkeit zwischen B' und dem Licht von B 1 + v = 1,6 beträgt, müsste ein Beobachter bei B' darauf schließen, dass B in Wirklichkeit d*/(1 + v) = 150 s entfernt sein müsse, was um den Faktor γ zu hoch ist. Das passt zu der Idee, dass in Σ die Maßstäbe von B' in x-Richtung um den Faktor ¹⁄γ "längenkontrahiert" sind.

Ausdrucksweise und das Konzept der Raumzeit

"Zeitdilatation" und "Längenkontraktion" sind m.E irreführende Wörter, denn sie suggerieren ein Gezerre und Gequetsche, das der völlig gewaltfreien Uminterpretation der Länge von Zeitspannen und Strecken bei der Umrechnung zwischen Σ und Σ' nicht gerecht wird.

-- Baustelle --

In Σ' gehen daher die Uhren von A, B und C langsamer.

Außerdem können A und B nur d' = 96 s = 1,6 min *) voneinander entfernt sein, denn B hat B' ja nur 160 s später passiert als A.

Aber wie soll das möglich sein? Wie kann dann die Uhr von B bei dessen Vorbeiflug an B' 200 s später anzeigen als die Uhr von A bei dessen Vorbeiflug an B'?

Des Rätsels Lösung ist, dass in Σ' die Uhren von A und B nur isochron (gleich schnell), aber nicht synchron sind. Vielmehr muss die Uhr von B um v∙Δx = v∙d, hier also 72 s gegenüber der von A vorgehen.

-- Baustelle --

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*) Um Schreibarbeit zu sparen und vor allem Formeln übersichtlicher zu machen, drücke ich Strecken durch die Zeitspannen aus, die das Licht dafür bräuchte. Dadurch ist automatisch c=1.

**) Was wir in der deutschen Alltagssprache oft Geschwindigkeit nennen, ist eigentlich nur deren Betrag, das Tempo, engl. speed. Geschwindigkeit im engeren Sinne, engl. velocity, ist eine Vektorgröße v› = (vx | vy | vz), eine Größe mit Richtung und 3 Komponenten. Da hier vy = vz = 0 ist, lasse ich sie der Einfachheit halber weg und den Index 'x' ebenfalls. Dennoch könnte v auch negativ sein, im Gegensatz zu einem Tempo.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – + Auseinandersetzung mit Gegnern der RT

Eine mit Geschwindigkeit v bewegte Uhr geht um den Faktor

(1 − v2/c2)−1/2 langsamer als in ihrem Ruhsystem.

Beispiele sind schwer zu finden, da der Unterschied bei den Geschwindigkeiten, mit denen wir maximal hier auf Erden zu tun haben, schwer messbar ist.

Ein Beispiel fällt mir ein: Auf der Erde kommen aus dem Weltall kleine Elementarteichen mit sehr großer Geschwindigkeit an, dass sie - wegen ihrer normal kurzen Lebensdauer - ohne diese Geschwindigkeit (und der damit verbundenen Zeitdehnung) eigentlich gar nicht mehr existieren dürften.

Du bewegst eine Eintagsfliege mit Lichtgeschwindigkeit und sie stirbt nicht.