Kann flüssiger Stickstoff auch warm werden, oder bleibt er so kalt?

5 Antworten

Wenn man Flüssigen Stickstoff in einen Behälter gibt, der nicht nachgibt und jeden Druck Stand hält. Danach versucht man den Stickstoff aufzuwärmen

Es gibt noch eine Variable, die wichtig für das Verhalten dieses Systems ist: Nämlich wie voll der Behälter ist. Da müssen wir ein paar Fälle unterscheiden.

Zunächst ist mal eines klar: Wenn Du dem Behälter Wärme zuführst, dann muß sei­ne innere Energie steigen. Normalerweise bedeutet das, daß die Temperatur steigt, es kann sich aber auch der Aggregatzustand ändern (eine Wasser/Eis-Mischung hat im­mer 0 °C; wenn Du sie erhitzt, dann hält sie ihre Temperatur, indem ein Teil des Eises schmilzt), also ein Phasenübergang auftreten. Wenn also genug Wärme in Dei­nen Be­häl­ter steckst, muß der Inhalt irgend­wann einmal Raumtemperatur haben. Die Fra­ge ist: Gas, Flüssigkeit oder sonstwas?

Bild zum Beitrag

Das ist ein Phasendiagramm des Stickstoffs. Stickstoff hat bei Atmo­sphä­ren­druck (0.1 MPa) eine Siedetemperatur von −196 °C, und das ist auch genau die Tem­pe­ra­tur, die sich bei flüssigem Stickstoff automatisch einstellt. Dieses p/T-Paar liegt ge­nau auf der Siedekurve, das ist die Kurve zwischen dem flüssigen und gas­för­mi­gen Zustand.

Nehmen wir nun an, das Gefäß sei am Anfang randvoll, also gänzlich mit Flüssig­keit gefüllt. Auch bei leichtem Erwärmen steigt der Druck enorm extrem an, weil sich der Sticki ja ausdehnen will und das nicht kann. Je nachdem, wie groß die re­le­van­ten Kenn­größen sind (nämlich die thermische Ausdehnung und die Kompressibilität, die bei­de Funktionen von T und p sind), bewegst Du Dich beim Erwärmen des Sy­stems vom Startpunkt (−196 °C/0.1 MPa) also nicht nur nach rechts, sondern auch stark nach oben; wenn die erwähnten Kenngrößen es so wollen, dann könnte der Stick­­stoff sogar fest werden (es gibt festen Stickstoff bei 2000 K und 110 GPa, wenn Dein Gefäß das aushält). Realistischerweiser zerbirst Dein Gefäß schon vorher.

Nun nehmen wir an, daß Du nicht ganz voll füllst, sondern einen kleinen Raum mit gas­för­mi­gem N₂ darin hast. Das wird den Druckanstieg stark abmildern. Mit etwas Glück bleibt der Druck unterhalb von 1 GPa = 1000 MPa, so daß wir mit dem obigen Pha­sen­dia­gramm auskommen. Solange zwei Phasen (Gas/Flüssigkeit) da sind, muß das Sy­stem im­mer auf der Siede­kurve bleiben (das ist die, die Gas und Flüssig­keit im Dia­­gramm trennt und die im kritischen Punkt endet).

Gas ist viel kompressibler als Flüssigkeit. Wenn sich die Flüssigkeit beim Erhitzen aus­dehnt, dann muß sich das Gas also zusammendrücken lassen. Wenn das Gas­volu­men sehr klein ist, dann wird es sehr stark zusammengequetscht, das be­gün­stigt aber die Kondensation: Wenn der Gasraum so stark zusammengequetscht wird, daß es dichter als die Flüssigkeit wäre, dann kondensiert es einfach und ver­min­dert dadurch den Druck.

Das bedeutet, daß beim Erhitzen der Gasraum kleiner wird und irgendwann ver­schwin­det. Die Temperatur und den Druck, bei dem das passiert, hängt von den Kenn­grö­ßen und dem ursprünglichen Flüssig/Gas-Ver­hält­nis ab. Von da an gilt das­selbe wie oben: Das System biegt von der Siedekurve nach oben ab, und der Druck steigt mit dem Er­hitzen ganz enorm an. Wenn der Abbiege­punkt hinreichend knapp am kritischen Punkt liegt, dann erreichst Du den super­kri­ti­schen Zustand (≈ dichtes Gas, das bei iso­ther­mer Druck­erhöhung zwar dichter wird, aber nie flüssig).

Nun nehmen wir an, Du erlaubst ein großes Gasvolumen im Behälter. In diesem Fall steigt der Druck im Gasraum beim Erhitzen nur moderat. Es kann ständig flüssiger Stick­­stoff verdampfen, bis irgendwann keiner mehr da ist. Dann biegt das System von der Sie­de­kurve nach unten ab, und Du landest im Gasraum. Das ist der lang­wei­lig­ste Fall.

Es gibt nun genau ein Gas/Flüssig-Verhältnis am Anfang des Experiments, bei dem das System der Siedekurve bis zu ihrem bitteren Ende folgt, nämlich dem kritischen Punkt. Unmittelbar unterhalb des kritischen Punktes ist das Gefäß vollständig mit Flüssig­keit gefüllt, unmittelbar darüber vollständig mit superkritischem Gas, und da­zwi­schen liegt bizarrerweise kein Phasenübergang; stattdessen treten exotische und intrinsisch chaotische Effekte wie kritische Opaleszenz auf.

Paß bitte auf, ich habe das alles vor 30 Jahren im Studium gelernt und seither nie ge­braucht. Möglicherweise steckt die eine oder andere Unsauberkeit in der Erklärung drin, aber ich glaube, im großen und ganzen sollte sie stimmen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium mit Diss über Quanten­chemie und Thermodynamik
 - (Gesundheit und Medizin, Technik, Physik)

KleinerMozart 
Beitragsersteller
 07.01.2020, 15:41

Danke für die ausführliche Antwort. Das ist interessant.

Ich habe eigentlich gemeint, ein Gefäß, das nicht nachgibt wie z.B. ein mehrere Zentimer oder Meter dickes Gefäß aus Stahl. Wenn man das zu 100% mit flüssigem Stickstoff füllen würde und dann das Gefäß samt des flüssigen Stickstoffes aufwärmen würde auf +20 Grad. Ich denke, der Druck würde enorm steigen und dadurch würde vielleicht ein neues Element entstehen. Der Stickstoff würde dann evtl. zu einem festen Aggregatszustand übergehen ähnlich wie Wasser bei sehr hohem Druck zu Eis 7 wird.

Man kann es aber nicht genau wissen. Eis 7 gibt es hier auf der erde nicht und was mit Stickstoff passiert kann man einfach nicht genau wissen.

indiachinacook  07.01.2020, 16:28
@KleinerMozart

Ich habe ja gesagt, daß das durchaus möglich ist, daß man dann festen Stick­stoff bei Raum­tem­pe­ra­tur bekommt — ab­hän­gig von Kenn­daten, die ich nicht weiß, und die viel­leicht über­haupt unbekannt sind.

Denn ein solches Experiment ist kaum durchzuführen. Erstens dehnt sich auch das Gefäß mit der Temperatur aus. In einer dicken ge­krümm­ten Wand treten dabei not­­wen­­di­­ger­­wei­­se Span­nun­gen auf, die die mecha­ni­sche Be­last­bar­keit herab­setzen. Die auftretenden Drücke sind astronomisch, das kommt schon dem Druck im inneren Erd­kern nahe. Alle Werk­stoffe verhalten sich unter solchen exo­ti­schen Bedingungen anders, als man es gewohnt ist. Mög­licher­weise re­agiert das Metall sogar mit dem Stick­stoff unter Bil­dung ir­gend­wel­cher Ni­tri­de, die das Metall ver­sprö­den. Kurzum: Egal wie Du die Flasche baust, sie wird Dir um die Ohren fliegen.

Solche Experimente werden gewöhnlich mit einem Diamantstempel gemacht. Damit er­reicht man ordentliche Drücke, aber ich habe noch nie gehört, daß man in diese eine Flüs­sig­keit ein­füllt. Ich stelle mir das sehr schwierig vor, vermutlich würde man festen Stick­stoff ein­fül­len, bzw. hat das getan, denn eine kubische Hoch­tem­pe­ra­tur­pha­se von poly­me­rem Stick­stoff ist bekannt. Könnte man sie bei Raum­tem­pera­tur meta­stabil halten, wäre sie ein enormer En­ergie­lie­fe­rant: Bei der Umwandlung zu N₂ bei Raum­tem­pera­tur wird pro Masse fünfmal mehr En­ergie frei als bei militärischem Sprengstoff.

Natürlich

Wobei es auch sein kann, dass Du irgendwann, wenn die Energie hoch genug ist, keine Flüssigkeit mehr hast, stattdessen könnten die Teilchen untereinander fusionieren.

Fusion findet statt, wenn die Kombination aus Druck und Energie hoch genug ist. Du hast eine Flasche, die jedem Druck stand hält, wenn Du die Energie also beliebig hoch drehst, hast Du früher oder später Kernfusion.

So "lebt" unsere Sonne, nur, dass sie das im wesentlichen mit Wasserstoff macht, und nicht Stickstoff.


Gold2016  07.01.2020, 19:01

Für Stickstofffusion würde eine gewaltiger Druck und eine hohe Hitze nötig und die wäre höher auf der Sonne. Wir würden dann wahrscheinlich Eisen generieren.

Palladin007  08.01.2020, 11:41
@Gold2016

Wenn die Flasche einen endlosen Druck aushält und man die Temperatur endlos erhöhen kann, hast Du irgendwann die Bedingungen erreicht.

Klar ist das sinnlos, aber es war eine unzerstörbare Flasche gegeben :D

Würde behaupten, dass der Stickstoff trotzdem verdampft und in dem Behälter einen extremen Druck aufbaut, bis dieser explodiert.

Er wird gasförmig und entweicht wenn er im Behälter erwärmt wird der geschlossenen ist wird der Behälter Bersten und durch Überdruck explodieren

Ja das geht unter Druck kann er auch bei 20 Grad sein.


Isendrak  06.01.2020, 23:06

Wenigstens hat einer von dreien nicht die "Kleinigkeit" überlesen, dass es um einen "idealen Druckbehälter" geht. ^^