Judenvernichtung "nichts gewusst"?

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Salue

Wir neigen dazu, Geschichte im Umfeld der heutigen Zeit zu sehen.

Damals gab es in Deutschland nur Informationsquellen, die vom Staat kontrolliert wurden. Selbst wer Radiosender aus Schweden oder der Schweiz illegal abgehört hat, hat nichts von der systematischen Vernichtung der Juden erfahren.

Zwar wurde auch die jüdische Nachbarfamilie irgendwann abgeholt und wie man glaubte, in ein Arbeitslager im Osten gebracht. Im der Wochenschau wurden dann Sendungen gezeigt, in denen die deportierten Juden in einem tadellos organisierten Lager arbeiteten.

An der Front selber wurde gekämpft, die Greueltaten passierten weit hinter der Front durch spezielle Sonderkommandos. Zwar haben manchmal Soldaten der Wehrmacht, wenn sie in Urlaub fahren durften, aus Bahnhöfen Erschiessungen gesehen. Man glaubte aber nur zu gerne, dass es sich um Partisanen handelte.

Sickerte trotzdem etwas durch, glaubte man an, dass es sich um feindliche Gerüchte handelt oder man wollte es nicht glauben, dass so etwas möglich sei.

Aus KZ Geflüchtete erzählten zwar von Massenvernichtungen, aber selbst die Engländer und die Amerikaner glaubten nicht daran. Wie hätte man dies vom unbeteiligten Deutschen denn erwarten dürfen ?

Natürlich war es jedem klar, dass die Juden nicht mit Samthandschuhen angefasst wurden, die Systematik bei der Judenvernichtung aber haben nur direkt Beteiligte gekannt.

Nur eine Minderheit hat das Nazi-System aktiv unterstützt. Ein grosse Mehrheit aber hat es mit dem passiven Mitmachen ungewollt unterstützt, ganz wenige haben es direkt bekämpft und dabei vielfach ihr Leben geopfert.

Ich will Niemanden verurteilen, der in dieser Zeit gelebt hat. Wir alle wissen nicht, wie wir uns damals verhalten hätten !

Es grüsst aus der Schweiz

Tellensohn

Kann nur sagen das die es früher bestritten haben und es heute gesetzlich verboten ist den Holocaust zu bestreiten. 

War damals auch nur Propaganda um sich nicht schlecht darzustellen

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Germanistik & Geschichte

ich empfehle dazu das Buch von Walter Laqueur: Was niemand wissen wollte.

es gibt sicher noch neuere Forschungsergebnisse, aber ich glaube, das buch fasst die Basis-Problematik gut zusammen.

Dass Diskriminierungen stattfanden war ab 1933 offensichtlich, schon nach 6 Monaten Nazi-Regime wurde eine Schrift veröffentlicht, die darauf hinweist, wo das alles hinführen kann und dass dringend Massnahmen erforderlich sind, um die Juden in Deutschland zu schützen. Kommt hinzu, dass schon in Mein Kampf angekündigt wurde, dass Hitler vorhatte, sämtliche Juden zu ermorden.

Viele Juden zogen ja auch die Konsequenzen und wanderten aus, auch wenn es schwierig war, woanders ein neues Leben aufzubauen.

Die Uebergriffe und Diskriminierungen wurden immer schlimmer, auch das war offensichtlich für die Bevölkerung.

Was für die Bevölkerung ebenso offensichtlich war war die Propaganda, die darauf abzielte, Juden als nicht menschlich, gefährlich, schädlich darzustellen. Jeder menschlich fühlende Mensch hätte sehen können, dass mit den Aussagen dieser Propaganda etwas nicht stimmen kann.

Hingegen hatten die Nazis gleichzeitig auch ein schlechtes Gewissen. Sie wollten ihre Übergriffe nicht allzu offensichtlich machen und einen vordergründigen Anschein von "Recht" wahren.

z.B. wurden in Berlin anlässlich der Olympiade von 1936 die Schilder "Nicht für Juden" von den Parkbänken entfernt. Warum? Wenn die Nazis so überzeugt waren, dass ihre Politik richtig war, hätten sie diese Schilder ja ruhig lassen können. Aber sie wollten im Ausland doch den Anschein eines Rechtsstaates wahren.. Dasselbe galt für die Spurenvernichtung in den Konzentrationslagern am Ende des Krieges. 

1938 anlässlich der "Kristallnacht" war es international bekannt, wie Deutschland mit den Juden umging, und man muss auch davon ausgehen, dass die lokale Bevölkerung wusste, was gespielt wurde.

was auch jeder sehen konnte, war das Juden auf offener Strasse angegriffen, verprügelt, erschossen wurden. Allgemein bekannt waren auch die Gesetze, die darauf abzielten Juden ihr Eigentum zu rauben, denn die wurden ja veröffentlicht und allgemein verkündet.

Mit der systematischen Ermordung von hunderttausenden, Millionen von Menschen in Konzentrationslagern ist es etwas schwieriger: das bemühten sich die Deutschen zu vertuschen, aus verschiedenen Gründen: um die Todgeweihten nicht zu warnen, und vielleicht auch um ihre eigene Bevölkerung nicht zu schockieren (auch hier diese Ambivalenz zwischen extremer Grausamkeit und Ueberlegenheitsgefühlen, und einer Scham, die trotz allem für solche Taten verbleibt). 

Trotzdem hat es sich herumgesprochen, "Wenn ... dann kommst du ins Konzentrationslager" war damals eine schlimme Drohung, und hinter vorgehaltener Hand sickerten Informationen über die systematischen Mordaktionen durch. Allerdings muss man auch sagen, dass so etwas davor noch nie dagewesen war, und dass jeder, der davon hörte, seinen Ohren nicht recht traute. D.h. man hat vielen Zeugen am Anfang (1942/43) nicht geglaubt. Man dachte, sie übertreiben.

Also kannst du dich fragen: muss man eine Bevölkerungsgruppe erst schützen, wenn sie systematisch ermordet wird, oder gibt es auch schon Gründe, zu intervenieren, wenn die Leute verhaftet werden, aus ihren Wohnungen geschmissen werden, wenn man ihnen ihr Hab' und Gut stiehlt, wenn man sie verprügelt, auf offener Strasse erschiesst, ihnen kein Essen gibt... Das wussten alle Deutschen.

Grundsätzlich haben sich die Deutschen ab 1933 viel in die Tasche gelogen, und nach 1945 behaupteten dann alle "das konnte keiner wissen" und niemand wollte bei den Nazis dabei gewesen sein. Das stimmt so nicht. Man braucht mehr als nur einen kleinen Bruchteil der Bevölkerung, um so einen Massenmord zu organisieren...


Haldor  07.12.2016, 15:35

Ach, die übliche Erklärung, wie man ein ganzes Volk für den Holocaust verantwortlich machen will. Das ist immer ex post geurteilt, wo uns alles bekannt geworden ist. Damals wusste man nur einen Bruchteil von dem, was man heute weiß. Man wusste deshalb nichts von einer systematischen Vernichtung Hunderttausender Juden, weil man sich so etwas überhaupt nicht vorstellen konnte. Diese Ex post-Urteile sind aus diesem Grunde als rundweg falsch abzulehnen!

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Accountowner08  07.12.2016, 16:15
@Haldor

Na ja, wenn ich mir überlege, welches Volk ich im 20. Jahrhundert als das grausamste der Welt bezeichnen würde, dann würden die Deutschen locker gewinnen, und alle anderen kämen weit abgeschlagen dahinter...

Nun kannst du natürlich sagen, dass es das Konzept "Volk" gar nicht gibt, und dass jeder nur für seine eigenen Taten verantwortlich ist. Dem stimme ich ein Stück weit zu. Aber dann musst du auch deinen Pass zurück geben... Sobald du das Konzept "Pass" "Staatsbürgerschaft" anerkennst, anerkennst du auch das Konzept Staat, juristische Person die sich aus einem Kollektiv von natürlichen Personen zusammensetzt, und für deren Handeln das Kollektiv letztlich verantwortlich ist.

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also ne ganze Reihe von den Maßnahmen waren ja wirklich nicht vorzeigbar und die Nazis hatten sich dessen auch nicht öffentlich gerühmt. zb das Euthanasieprogramm an Schwerstbehinderten (geistig und physisch) wurde erst von Kardinal Graf von Galen von der Kanzel herab angeprangert und bekannt gemacht. natürlich wußten die Leute von den Lagern. Aber die Inhaftierten durften, falls sie entlassen wurden, kein Wort darüber verlieren, was dadrin passierte.

Auch die Existenz der Vernichtungslager wurde nicht öffentlich gemacht. Es gab darüber sehr aufschlußreiche Diskussionen (Quelle: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier)


suziesext10  06.12.2016, 13:01

die Nazis hatten ja sogar eine der realen Praxis völlig entgegengesetzte Propaganda betrieben, zb der Propaganda-Film 'Der Führer schenkt den Juden eine Stadt' (gemeint war Theresienstadt) um die Herzensgüte und Menschenfreunlichkeit des Führers gegen über den Juden zu zeigen (er vergilt nicht Gleiches mit Gleichem).

Die Hauptquelle für alternative Informationen für Deutsche bestand im heimlichen, drakonisch bestraften Abhören von 'Feindsendern', vor allem des deutschsprachigen Programms der BBC. Obwohl die Churchill-Regierung bestens informiert war über die Vernichtungslager, wurde diese Information nicht über die britischen Rundfunkstationen verbreitet, aus welchen Gründen auch immer.

Weder die Selbst-Rechtferitigung, die Deutschen hätten nichts gewußt noch die Pauschalverurteilung, sie hätten alles gewußt, trifft die Realität, find ich. who generalizes, generally lieses, sagen die Anglischen Sachsen  :)

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Meiner Meinung nach war der Holocaust das schwärzeste Kapitel nicht nur Deutschlands, sondern der Welt. 

Ich denke schon, dass ein Großteil der Bevölkerung wusste, was mit den Juden passiert, aber in einem repressionistischem Regime gegen diesen Missstand vorzugehen würde einem Selbstmord gleichkommen.

Im Nachhinein wollten die Deutschen am besten nur vergessen. Jeder hat die Abgründe des menschlichen Verhaltens gesehen und manche haben leider einfach geleugnet, oder sind vor ihrer Schuld geflüchtet.

Falls es dich interessiert schau dir mal die Wikipediaseite zu Walter Frevert an. Der war Förster und sollte in Polen und Weißrussland ein riesen Waldgebiet für die Nazis zum Jagen von der dortigen Bevölkerung "säubern". Nach dem Krieg hat er wieder als normaler Förster gearbeitet ohne dass er seine Taten gestanden hat.

Einige Jahre später ist er gestorben. Es war wohl Selbstmord. Der Grund sollte klar sein.

Es war wohl einfacher auf Durchzug zu stellen und es mit sich herum zu tragen, bis man es nicht mehr aushalten konnte.