John Rawls: Die beiden Grundsätze der Gerechtigkeit?

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Das Buch, in dem die Grundsätze dargelegt sind, ist: John Rawls, A Theory of Justice (zuerst 1971 erschienen; Eine Theorie der Gerechtigkeit).

John Rawls hat Gerechtigkeit als Fairneß (justice as fairness) verstanden. Dabei vertritt er eine Vertragstheorie mit dem leitenden Gedanken, Grundsätze der Gerechtigkeit für die Grundstruktur der Gesellschaft seien Gegenstand einer ursprünglichen Übereinstimmung/Vereinbarung. Damit geht es darum, ob Grundsätze zustimmungsfähig sind/ihnen zugestimmt werden kann. Die Grundsätze der Gerechtigkeit würden freie und rationale Personen, die sich um die Förderung ihrer eigenen Interessen kümmern, in einer Ausgangslage der Gleichheit als Bestimmung der grundlegenden Bedingungen ihrer Vereinigung/ihres Zusammenschlusses akzeptieren (annehmen). Von der persönlichen Lage mit Fähigkeiten und Interessen soll abgesehen werden (Ausblendung durch einen „Schleier des Nichtwissens“ [veil of ignorance]), weil sonst Verzerrungen die Wahl der Grundsätze beeinflussen.

John Rawls bezieht sich in seiner Theorie der Gerechtigkeit auf die Verteilung gesellschaftlicher Grundgüter. Gesellschaftliche Grundgüter sind Güter, die gesellschaftsabhängig sind und von allen angestrebt werden. Sie sind Vorbedingungen, ohne die Menschen ihre Lebensentwürfe nicht verwirklichen können.

Die gesellschaftlichen Grundgüter können in Bereiche unterteilt werden:

1) Rechte und Freiheiten

2) Chancen und Macht

3) Einkommen und Vermögen/Besitz/Wohlstand

Die Grundsätze bei der Verteilung der Grundgüter werden durch ein als fair aufgefaßtes Verfahren ermittelt.

Dieser Gerechtigkeitsmaßstab wird in Form von 2 Grundsätzen der Verteilung auf verschiedene Grundgüter bezogen.

1) Gleichheitsprinzip: Der erste Grundsatz ist ein Grundsatz der Freiheit und Gleichheit/Prinzip der gleichen Freiheit (principle of equal liberty) und spricht allen ein gleiches Recht auf ein größtmögliches Gesamtausmaß an Grundfreiheiten und Grundrechten zu.

2) Unterschiedprinzip: Der zweite Grundsatz ist ein Unterschiedsprinzip/Differenzprinzip (difference principle). Es geht um Bedingungen, unter denen Unterschiede - gesellschaftliche und wirtschaftliche Ungleichheit – als gerecht gelten können und daher erlaubt sind. Soziale und ökonomische Ungleichheiten sollen so beschaffen sein, daß sie zum größten Vorteil der am schlechtesten Gestellten sind und mit Ämtern und Stellungen verbunden, die allen unter Bedingungen fairer Chancengleichheit offen stehen.

a) Der Zustand einer Gesellschaft wird mit anderen möglichen Zuständen verglichen. Verlangt wird, auch die am Schlechtestgestellten (die Gesellschaftsmitglieder in der ungünstigsten Lage, z. B. die mit dem geringsten Vermögen, Einkommen, schlechtesten Wohnverhältnissen und Ähnlichem) sollen in einem Zustand der Ungleichheit möglichst günstig gestellt sein und so alle in einer besseren Lage als in einem Zustand der Gleichheit sein (z. B. bestehen zwar Einkommensunterschiede, aber alle haben ein höheres Einkommen als in einem Zustand, in dem alle ein gleiches Einkommen haben). Ungleichheit unterliegt einer Rechtfertigungsanforderung und trägt die Beweislast, allen zum Vorteil zu dienen. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Unterschiede müssen so beschaffen sein, daß sie zum vergleichweise größten Vorteil der Schlechtestgestellten sind.

Hinzugefügt ist als Einschränkung ein Spargrundzusatz, in dem es um die faire Behandlung zukünftiger Personen geht (könnte auch als Generationengerechtigkeit bezeichnet werden). Augenblickliche Maximierung von Vorteilen soll nicht auf Kosten später Lebender die Zukunftsmöglichkeit vernichten.

b) Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen mit einer echten Chancengleichheit verbunden sein. Der Zugang zu gesellschaftlichen und politischen Ämter und Stellungen soll allen offenstehen. Dies gilt nicht nur in einem formalen Sinn, sondern Menschen mit ähnlichen Fähigkeiten und Bereitschaft sollen unabhängig von Herkunft und ihre anfänglichen gesellschaftlichen Stellung ähnliche Lebenschancen haben.

Rawls nimmt an, die Personen würden dieses Unterschiedsprinzip/Differenzprinzip einem Prinzip der Verteilung von genau gleich viel an alle (strikter Egalitarismus) vorziehen. Die offensichtliche Annahme ist, das Unterschiedsprinzip/Differenzprinzip sei im Verhältnis vorteilhafter.

Es wird angenommen/erwartet, in einer Gesellschaft mit diesem Unterschiedsprinzip/Differenzprinzip sei die Menge der Grundgüter erheblich größer (z. B wegen größerer Motivation, mehr Anreiz für die Ausbildung von Fähigkeiten und dem Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten, weniger Notwendigkeit der Beschränkung individueller Freiheit).

Das Prinzip ist also nicht völlig strikt abgeleitet, sondern ergibt sich aus einer Annahme über die Grundgüter: beim Unterschiedsprinzip/Differenzprinzip werde die Lage/Situation auch der am Schlechtestgestellten besser sein als bei anderen Zuständen.

Vorrangsregeln: Nach Vorrangsregeln hat der erste Grundatz allgemein Vorrang und Grundfreiheiten dürfen nur um der Freiheit willen eingeschränkt werden. Der zweite Grundsatz hat Vorrang vor einem Grundsatz der Leistungsfähigkeit und Nutzenmaximierung.

Beispiele

Gleichheitsprinzip/Grundsatz der Freiheit und Gleichheit/Prinzip der gleichen Freiheit: Zu dem, was allen gleich zukommt, gehören die Grundrechte/Menschen- und Bürgerrechte. John Rawls nennt als Beispiele aktives und passives Wahlrecht, Meinungsfreiheit Versammlungsfreiheit, Freiheit des Gewissens und des Denkens, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, Recht auf persönliches Eigentum. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Gleichheit vor dem Recht, Gleichberechtigung, Vereinigungsfreiheit gehören auch zum Prinzip der gleichen Freiheit.

Unterschiedsprinzip/Differenzprinzip: Zwischen Menschen in unterschiedlichen Berufsstellungen, z. B. Unternehmern/Unternehmerinnen, Ärzten/Ärztinnen/Lehrern/Lehrerinnen, Arbeitern/Arbeiterinnen, Angestellten, gibt es Unterschiede im Monatseinkommen und Besitz. Für die Beurteilung, ob dies gerecht ist, ist zu prüfen, ob so ingesamt mehr Wohlstand zustandekommt und es den Schlechtestgestellten besser geht als in anderen Zuständen. Wenn die Menge der Grundgüter in einer Gesellschaft dadurch größer ist und dabei auch die Lage Schlechtestgestellten verhältnismäßig besser, hält John Rawls dies nach seinem Gerechtigkeitsgrundsatz für in Ordnung, wenn dies nicht der Fall ist (z. B. sind besondere Vergütungen [Boni] für Bankiers denkbar, die überhaupt nicht zu einer Vermehrung der Grundgüter in einer Gesellschaft beitragen und bei die Schlechtestgestellten schlechter geht als bei mehr Gleichheit), für ungerecht.

Zur Chancengleichheit gehört z. B. die Zugänglichkeit einer Schulbildung und eines Studiums/einer Ausbildung für alle bei ensprechenden Fähigkeiten und Leistungen.

Bücher zur Gerechtigkeitstheorie von John Rawls:

John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit. Herausgegeben von Otfried Höffe. 3., bearbeitete Auflage. Berlin : Akademie-Verlag, 2013 (Klassiker Auslegen ; Band 15). ISBN 978-3-05-006432-1

Otfried Höffe, John Rawls. In: Großes Werklexikon der Philosophie. Herausgegeben von Franco Volpi. Band 2: L - Z, Anonyma und Sammlungen. Stuttgart : Kröner, 1999, S. 1258 – 1260

Wolfgang Kersting, John Rawls zur Einführung. 3. Auflage. Hamburg : Junius, 2008 (Zur Einführung ; 92), S. 29 – 220

Wolfgang Kersting, John Rawls. In: Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen. Herausgegeben von Julian Nida-Rümelin und Elif Özmen. 3., neubearbeitete und aktualisierte Auflage. Stuttgart : Kröner, 2007 (Kröners Taschenausgabe ; 423), S. 529 - 540

Julian Nida-Rümelin, Politische Philosophie der Gegenwart : Rationalität und politische Ordnung. Unter Mitarbeit von Christine Bratu und Thomas Schmidt. Paderborn : Fink, 2009 (UTB : Politikwissenschaft, Philosophie ; 3242 Grundzüge der Politikwissenschaft), S. 187 - 202

Thomas W. Pogge, John Rawls. Originalausgabe. München : Beck, 1994 (Beck'sche Reihe : Denker ; 525), S. 51 – 176

eine Internetseite:

http://ethik-werkstatt.de/Rawls_Theorie_der_Gerechtigkeit.htm