John Rawls - Warum kann absolute Gleicheit nicht gerecht sein?

6 Antworten

Ich denke ja nicht, dass Gleichheit mit Gerechtigkeit in Verbindung gebracht werden kann. Denn bei Gleichheit werden alle nach dem selben Prinzip behandelt, was aber nicht funktioniert weil jeder Mensch unterschiedlich ist. Insofern ist immer jemand bevorteilt und jemand auch benachteilt. Jeder muss individuell behandelt werden um Gerechtigkeit zu erzielen.


fechi333  22.05.2014, 12:22

"Denn bei Gleichheit werden alle nach dem selben Prinzip behandelt"

Da sollte man ja erst einmal Fragen, wer damit gemeint ist bzw. für wen das gilt, wenn man sagt 'alle' und zweitens muss man bestimmen, in welcher Hinsicht Gleichheit gemeint wird. In welcher qualitativen Bestimmtheit sind bestimmte Menschen gleich. Ganz so einfach, kann man es sich doch nicht machen.

0

Was in der Frage „absolute Gleichheit“ genannt ist, meint eine Verteilung, bei der alle genau gleich viel bekommen.

Bei einer grundsätzlichen Erörterung sind Einwände denkbar, die auf nicht gleiche Leistungen, Verdienste, Bedürfnisse, Fähigkeiten hinweisen. In dieser Hinsicht Ungleiche würden als Gleiche behandelt.

John Rawls argumentiert auf eine andere Art, mit einer Vertragstheorie, einem als fair geltendem Verfahren und einer rationalem Wahl des von einem allgemeinen Standpunkt aus (Absehen von einer persönlichen Situation) Vorteilhaftesten in einer Ausgangslage der Gleichheit. Er bestimmt Gerechtigkeit als Fairneß. Die Prinzipien (Grundsätze) bei der Verteilung der Grundgüter (Rechte, Freiheiten, soziale Chancen, Einkommen und Vermögen/Besitz) werden durch ein als fair aufgefaßtes Verfahren ermittelt.

John Rawls nimmt an, daß freie Individuen in einer rationalen Entscheidung dabei, wenn ihnen ihre persönliche Lage/Situation nicht bekannt ist (Schleier des Nichtwissens), ein Differenzprinzip/Unterschiedsprinzip (difference principle) wählen würden. Danach sollen gesellschaftliche und wirtschaftliche Unterschiede so beschaffen sein, daß sie zum größten Vorteil der Schlechtestgestellten sind, und mit Ämtern und Stellungen verbunden, die allen unter Bedingungen fairer Chancengleichheit offenstehen.

Rawls nimmt an, die Personen würden dieses Differenzprinzip einem Prinzip der Verteilung von genau gleich viel an alle (strikter Egalitarismus) vorziehen. Die offensichtliche Annahme ist, das Differenzprinzip sei im Verhältnis vorteilhafter. Es wird angenommen/erwartet, in einer Gesellschaft mit diesem Differenzprinzip sei die Menge der Grundgüter erheblich größer (z. B wegen größerer Motivation, mehr Anreiz für die Ausbildung von Fähigkeiten und dem Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten, weniger Notwendigkeit der Beschränkung individuellerer Freiheit).

Das Prinzip ist also nicht völlig strikt abgeleitet, sondern ergibt sich aus einer Annahme über die Grundgüter: beim Differenzprinzip werde die Lage/Situation auch der am Schlechtestgestellten besser sein als bei einem Prinzip der Verteilung von genau gleich viel an alle (strikter Egalitarismus).

John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit. § 3:
„Ich möchte eine Gerechtigkeitsvorstellung darlegen, die die bekannte Theorie des Gesellschaftsvertrages etwa von Locke, Rousseau und Kant verallgemeinert und auf eine höhere Abstraktionsebene hebt. Dazu darf man sich den ursprünglichen Vertrag nicht so vorstellen, als ob er in eine bestimmte Gesellschaft eingeführt würde oder eine bestimmte Regierungsform errichtete. Der Leitgedanke ist vielmehr, dass sich die ursprüngliche Übereinkunft auf die Gerechtigkeitsgrundsätze für die gesellschaftliche Grundstruktur bezieht. Es sind diejenigen Grundsätze, die freie und vernünftige Menschen in ihrem eigenen Interesse in einer anfänglichen Situation der Gleichheit zur Bestimmung der Grundverhältnisse ihrer Verbindung annehmen würden. Ihnen haben sich alle weiteren Vereinbarungen anzupassen; sie bestimmen die möglichen Arten der gesellschaftlichen Zusammenarbeit und der Regierung. Diese Betrachtungsweise der Gerechtigkeitsgrundsätze nenne ich Theorie der Gerechtigkeit als Fairneß.“

John Rawls hat Gerechtigkeit als Fairneß verstanden. Dabei vertritt er eine Vertragstheorie mit der leitenden Idee, Grundsätze der Gerechtigkeit für die Grundstruktur der Gesellschaft seien Gegenstand einer ursprünglichen Übereinstimmung/Vereinbarung («A Theory of Justice» [« Eine Theorie der Gerechtigkeit »]). Die Grundsätze würden freie und rationale Personen, die sich um die Förderung ihrer eigenen Interessen kümmern, in einer Ausgangslage der Gleichheit als Bestimmung der grundlegenden Bedingungen ihrer Vereinigung/ihres Zusammenschlusses akzeptieren (annehmen). Von der persönlichen Lage mit Fähigkeiten und Interessen soll abgesehen werden (Ausblendung durch einen „Schleier des Nichtwissens“ [veil of ignorance]), weil sonst Verzerrungen die Wahl der Grundsätze beeinflussen. Die Gestaltung des Urzustandes (original position) beim rechtfertigungstheoretischen Gedankenexperiment soll eine faire Übereinkunft ermöglichen


Albrecht  23.05.2014, 08:24

John Rawls, Gerechtigkeit als Fairness : ein Neuentwurf. Herausgegeben von Erin Kelly. Aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2001, S. 24:
„Die Rolle der (zu einer politischen Auffassung der Gerechtigkeit gehörenden) Gerechtigkeitsprinzipien besteht darin, die fairen Bedingungen der sozialen Kooperation zu bestimmen […]. Diese Prinzipien geben die von den wichtigsten politischen und sozialen Institutionen festzulegenden Grundrechte und –pflichten an, außerdem regulieren sie die Aufteilung der aus einer sozialen Zusammenarbeit hervorgehenden Vorteile und weisen die zur Erhaltung der Kooperation nötigen Lasten zu. Da die Bürger in einer demokratischen Gesellschaft vom Standpunkt der politischen Konzeption als freie und gleiche Personen gesehen werden, können die Prinzipien einer demokratischen Gesellschaft als Grundsätze betrachtet werden, die angeben, welche Modalitäten der Kooperation zwischen so aufgefaßten Bürgern als fair gelten.“

Dieser Gerechtigkeitsmaßstab wird in Form von 2 Grundsätzen der Verteilung auf verschiedene Grundgüter bezogen.

1) Der erste Grundsatz ist ein Grundsatz der Freiheit und Gleichheit und spricht allen ein gleiches Recht auf ein größtmögliches Gesamtausmaß an Grundfreiheiten und Grundrechten zu.

2) Der zweite Grundsatz ist ein Differenzprinzip (es geht um Bedingungen, unter denen Unterschiede - soziale und wirtschaftliche Ungleichheit – als gerecht gelten können und daher erlaubt sind).

a) Der Zustand einer Gesellschaft wird mit anderen möglichen Zuständen verglichen. Verlangt wird, auch die am Schlechtestgestellten (die Gesellschaftsmitglieder in der ungünstigsten Lage, z. B. die mit dem geringsten Vermögen, Einkommen, schlechtesten Wohnverhältnissen und Ähnlichem) sollen in einem Zustand der Ungleichheit möglichst günstig gestellt sein und so alle in einer besseren Lage als in einem Zustand der Gleichheit sein (z. B. bestehen zwar Einkommensunterschiede, aber alle haben ein höheres Einkommen als in einem Zustand, in dem alle ein gleiches Einkommen haben). Ungleichheit unterliegt einer Rechtfertigungsanforderung und trägt die Beweislast, allen zum Vorteil zu dienen.

b) Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen mit einer echten Chancengleichheit verbunden sein. Der Zugang zu gesellschaftlichen und politischen Ämter und Stellungen soll allen offenstehen. Dies gilt nicht nur in einem formalen Sinn, sondern Menschen mit ähnlichen Fähigkeiten und Bereitschaft sollen unabhängig von Herkunft und ihre anfänglichen gesellschaftlichen Stellung ähnliche Lebenschancen haben.

1

Welche Freiheit und welche Gleichheit? Im Utilitarismus geht es um eine gleiche Berücksichtigung der Interessen. Es geht nicht darum dass jeder das gleich große Stück Kuchen bekommt. Sondern dass die Interessen eines jeden an der Torte gerecht berücksichtigt werden. Der eine kann ein gewichtigeres Interesse haben als der andere. Es spricht nichts dagegen alle Interessen gleich, sprich gerecht zu berücksichtigen und die Berücksichtigung nicht an willkürliche Kriterien zu hängen.

Dieses Prinzip ist ''gleich'' im Sinne von gerecht. Allein der Status des denkenden fühlenden, also leidensfähigen und an der Vermeidung von Leid interessierten Lebewesens zählt. Um ein Anspruch auf berücksichtigung zu erhalten. Wieviel ich vom Kuchen bekomme hängt ab von meinem Hunger, von dem Zustand meiner Ernährung ( bin ich übergewichtig kann mir Verzicht zugemutet werden auch wenn ich ob des Hungers Leiden werde, das Leid des Unterernährten an Nich-Berücksichtigung wäre um ein vieles größer.), meiner psyschichen Konstitution, des Grades meines Bewusstseins, also meiner Leidensfähigkeit ( ein verhungernder ausgewachsener Hund ist ein bewussteres Lebewesen als ein verhungerndes einjähriges Kleinkind. Es darf kein willkürliches Kriterium wie Spezies, Rasse, Geschlecht einbezogen werden: Nur den Grad des Bewusstseins, die Leidensfähigkeit. Es ist gerecht den Hund zu Retten das Kind sterben zu lassen. In diesem Beispiel wäre aber auch z.B das Leiden der Verwandten mit einzubeziehen. Vielleicht würde man dann doch eher dem Kleinkind das Stück Kuchen geben)

Meinst du dass der Utilitarismus mit den Forderungen der Freiheit und Gleichheit nicht vereinbar ist?

Was verstehst du unter ''absolute Gleichheit einrichten?''

Meinst du damit dass jeder im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit Schneeschuhe der Größe 42 bekommt auch wenn man in Marokko lebt und Sandalen der Größe 46 gebrauchen könnte? Die Menschen sind nicht gleich, sie sind Verschieden mit verschiedenen Bedürfnissen und Interessen und Wünschen.

Es kann gerecht sein wenn der eine mehr bekommt und der andere weniger. Weil in einer idealen Welt jeder anhand seiner Bedürfnisse berücksichtigt wird.

absolute Gleichheit händigt jedem eine identische Ration Kuchen aus, allein unter ansehens eines willkürlichen Kriteriums, z.B das Mensch-sein. Ohne etwa zu berücksichtigen, dass der eine sich an dem Kuchen nicht erfreuen kann, weil er allergisch gegen Mandeln ist oder als Baby kein Interesse an Kuchen hat. Und der der andere vielleicht einen besonders hohen Stoffwechsel hat und mehr bräuchte um gleich glücklich zu sein wie die anderen Bedachten. Der nächste wäre schon zufrieden mit einem halb so großen Stück und ist jetzt zum Platzen voll. Während sein unterernährter Nachbar trotzdem verhungern wird. Und die Kuh die als Milchmaschine leiden muss wie kein anderer am Tisch erfüllt leider nicht das Kriterium der richtigen Spezies weswegen ihr Leid nicht zählt. Dieses Leid besteht aber trotzdem und ist nicht von der Hand zu weisen, während es die Welt zu einem leidvolleren Ort macht.

Wo Gerechtigkeit ist, kann Gleichheit nicht existieren, weil Menschen unterschiedlich gut und schlecht sind!

Ein Mensch der 40 Stunden durchgehend arbeiten kann, will natürlich mehr Geld verdienen als der mit nur 30 Stunden!

Abgesehen davon, dass man für eine absolut gleiche Gesellschaft die Freiheit des Einzelnen viel zu stark einschränken müsste, wäre sie auch ungerecht.

Es gibt zahlreiche Gerechtigkeitsbegriffe, vor allem die Bedürfnisgerechtigkeit(marxistische Tradition) und die Leistungsgerechtigkeit. Bei Rawls haben wir aber weder das eine noch das andere, sondern das sogenannte Unterschiedsprinzip: Gerecht „sind diejenigen Grundsätze, die freie und vernünftige Menschen in ihrem eigenen Interesse in einer anfänglichen Situation der Gleichheit zur Bestimmung der Grundverhältnisse ihrer Verbindung annehmen würden. [...] Diese Betrachtungsweise der Gerechtigkeitsgrundsätze nenne ich Theorie der Gerechtigkeit als Fairneß.“(In A Theory of Justice).

Im Klartext bedeutet das: In einer Situation, in der alle Menschen frei, gleich und vernünftig sind, in der sie alle nur im eigenen Interesse entscheiden und in der sie ihre Stellung in der Gesellschaft nicht kennen. Diese Situation nennt er den Schleier der Unwissenheit.

Und Rawls ist nun der Meinung, dass die Menschen in dieser Situation das Prinzip der absoluten Gleichheit ablehnen würden. Daher lehnt auch er es ab, wählt stattdessen seinen egalitären Liberalismus.