Ist Jesus respektlos?

6 Antworten

So etwas ist schwer zu beurteilen. Gerade was in den Evangelien steht, ist ja das, was die Evangelisten so zusammengetragen haben, wie sie es aus verschiedenen Quellen gehört haben. Der Ursprung mit dem Markus angefangen hat, sind vor allem Erzählungen von anderen. Und Lukas und Matthäus haben ja viel von Markus abgeschrieben und auch andere Erzählungen eingebracht. So Erzählungen geben aber nicht alles so genau wieder, wie ein Überwachungsvideo. Hinzu kommt, daß es eine andere Zeit war und in einer anderen Sprache stattfand. Also vieles, was für uns einfach komisch klingt, könnte auch ganz anders gemeint sein. Das kannst du vergleichen, wie wenn die EU eine neue Verordnung erläßt. Da kommt es aufgrund der Sprachunterschiede ja auch immer wieder zu verschiedenen Auslegungen, wie diese gemeint sind, in den unterschiedlichen Ländern. Da muß sich der EuGH auch oft mit beschäftigen. Die Frage ist, wieviel vom Orignaltext noch erhalten ist und in wieweit es korrekt übersetzt ist und natürlich auch, in wieweit die Übersetzung auch unserem heutigen Sprachstil entspricht. Manches war früher normal und klingt heute komisch. Je nachdem, welche Ausgabe der Bibel du verwendest, wird dort eine Frau zum Beispiel als "Weib" bezeichnet, was heutzutage ja eher verächtlich klingt. Im Gegenteil. Es kann sogar sein, daß vielleicht sogar etwas anderes gesagt wurde, man dies aber unpassend fand und dann seine Worte in den Erzählungen dann so angepaßt hat, wie man es in der Zeit für angebracht gehalten hat.

Du darfst die Bibel nicht wörtlich verstehen, selbst, wenn du gläubiger Christ bist! Immer vor Augen halten, wie welche Texte entstanden sind und was sie genau aussagen sollen!

Aber selbst wenn wir mal davon ausgehen, daß dieser Satz exakt so gefallen ist, wie du ihn zitiert hast, und er auch genau so gemeint war, wie er jetzt klingt, sollte man von einer Äußerung nicht auf den ganzen Charakter schließen. Jedem Menschen rutscht mal etwas raus, was vielleicht nicht so geschickt formuliert ist. Emotionen spielen immer eine große Rolle. Und es ist auch fast überall so, daß man gegenüber seinen Eltern manchmal gereizt reagiert oder sich über die aufregt. Aber das heißt nicht, daß man denen gegenüber respektlos ist. Und gerade Jesus legte ja viel Wert auf Nächstenliebe, sprach von Sündenvergebung, zeigte sich selbst auch ab und zu als demütig, verhielt sich sogar manchmal so, wie es der späteren Darstellung der Kirche ganz und gar nicht paßte. Was meinst du zum Beispiel, wie die Kirche darüber geflucht hat, daß sich Jesus von Johannes dem Täufer hat Taufen lassen.

Wenn ich mir anhöre, wie manche Politiker in diversen Debatten miteinander umgehen, habe ich jeden Falls viel stärker den Eindruck, daß die sich gegenseitig nicht den Respekt erbringen, den man von einem erwachsenen Menschen erwarten können sollte. Aber das sind Sachen, die man ja selber miterlebt (z.B. letzten Sonntag beim Jauch in der ARD. Das war mehr Schlammschlacht und gegenseitig Vorwürfe machen, den anderen ins Wort fallen und zu unterbrechen usw.) Aber das scheint ein Stück weit zur Politik dazu zugehören (leider). Und genauso war Jesus rhetorisch auch sehr begabt. Ich denke, der wußte sehr genau was er in der damaligen Zeit mit seinen Worten bewirkt hat und hat sie daher in der Regel sehr genau ausgewählt. Daher würde ich an deiner Stelle viel mehr Aussagen von ihm heranziehen und gucken, was für und Gegen eine allgemeine Respektlosigkeit spricht und auch gucken, wieso dieser Eindruck so entsteht. Nur dann kannst du es wirklich beurteilen. Ich finde deine provokante Fragestellung jedenfalls fraglich, möchte ihr aber auch nicht pauschal widersprechen.


AkifABI61 
Beitragsersteller
 30.06.2015, 10:53

Natürlich kann es sein, dass es ihm ausgerutscht ist glaubst du aber soetwas passiert "Gottes Sohn"?

Naja trotzdem vielen dank für den ausführlichen Text.

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DerTroll  30.06.2015, 10:55
@AkifABI61

klar, Jesus war nicht nur Gott, er war auch Mensch! Das ist sogar von enormer theologischer Bedeutung, daß als Mensch unter die anderen Menschen kam mit menschlichen Eigenschaften.

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Jesus war nicht respektlos, nur er hat sie zurecht gewiesen, da re sich noch nicht offenbaren wollte, Du must immer die damalige Zeit mit berücksichtigen. Alle Aufrührer haben damals ihr Leben am Kreuz gelassen. also sei nicht verwundert, das er grob wurde, den wer will wegen einer unbedachten aussage sein Leben aufs Spiel setzen.Vor 80   Jahren hätte man auch nichts falsches sagen dürfen, dann wäre man ins KZ gekommen.

Also immer bei solchen Aussagen die Zeit und die Umstände mit berücksichtigen !

Neulich habe ich gelesen, dass Jesus respektlos gegenüber seiner Mutter sei, da er sowohl unhöflich mit ihr spricht als auch respektlos, da er sie mit "Frau" anspricht.

Zeitgenössisch betrachtet, also im Verhältnis dazu, was zu seiner Zeit üblich war, war seine Äußerung keineswegs frauenfeindlich oder respektlos. Selbst bis vor wenigen Jahrhunderten nannten Männer ihre Ehefrauen sogar noch Weib, ohne dies unbedingt negativ zu meinen - was ich als Bezeichnung noch weit schlimmer finde.

Darauf erwiderte Jesus: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (Johannes 2:1-4).

Ich weiß ja nicht, was Du für eine Bibelübersetzung hast, aber in meiner Bibel (Einheitsübersetzung steht da: "Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen." (Siehe Johannesevangelium 2,4 in der Einheitsübersetzung)

Betrachten wir einmal, wie diese Ausdrücke in biblischer Zeit gebraucht wurden.Über die Bezeichnung „Frau“ heißt es in dem Werk Vine’s Expository Dictionary of Old and New Testament Words: „Sie wurde gebraucht, um eine Frau anzusprechen. Dadurch drückte man keinen Tadel und auch keine Strenge aus, sondern Zuneigung oder Respekt.“ Das bestätigen auch andere Werke. Beispielsweise heißt es in The Anchor Bible: „Dabei handelte es sich nicht um einen Tadel oder ein unhöfliches Wort; es deutete auch nicht an, dass es jemandem an Zuneigung fehlte . . . Es war die höfliche Art Jesu, eine Frau anzureden.“ Wie das Werk The New International Dictionary of New Testament Theology erklärt, wurde diese Bezeichnung „als Anrede gebraucht, und zwar ohne respektlosen Unterton“. Und Gerhard Kittel schreibt in dem Werk Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, dass „die Anrede . . . keineswegs unehrerbietig oder geringschätzig [ist]“. Daher sollten wir nicht denken, Jesus sei unverschämt oder unhöflich gewesen, als er seine Mutter „Frau“ nannte (Matthäus 15:28; Lukas 13:12; Johannes 4:21; 19:26; 20:13, 15).

Wie steht es mit der Frage „Was habe ich mit dir zu schaffen?“? Dabei handelte es sich offenbar um eine gebräuchliche jüdische Redewendung, die auch an anderen Stellen in der Bibel vorkommt. Als David beispielsweise Abischai davon abhielt, Schimei zu töten, sagte er gemäß 2. Samuel 16:10: „Was habe ich mit euch zu schaffen, ihr Söhne der Zeruja? So lasst ihn Übles herabrufen, denn Jehova selbst hat zu ihm gesagt: ‚Rufe Übles auf David herab!‘ “ Und in 1. Könige 17:18 lesen wir, dass die Witwe von Zarephath nach dem Tod ihres Sohnes zu Elia sagte: „Was habe ich mit dir zu schaffen, o Mann des wahren Gottes? Du bist zu mir gekommen, um meine Vergehung in Erinnerung zu rufen und meinen Sohn zu Tode zu bringen.“Wie diese biblischen Beispiele zeigen, drückte man mit der Wendung „Was habe ich mit dir zu schaffen?“ keine Verachtung oder Überheblichkeit aus. Stattdessen wurde sie oft benutzt, um etwas abzulehnen, was einem vorgeschlagen oder nahe gelegt wurde, oder um anzuzeigen, dass man anderer Meinung war. Was lässt sich daher über Jesu Worte an Maria sagen? Als Maria zu Jesus sagte: „Sie haben keinen Wein“, wollte sie ihm offensichtlich nicht nur etwas mitteilen; vielmehr legte sie ihm nahe, etwas zu unternehmen. Jesus verwendete daraufhin eine gebräuchliche Redewendung, um den Vorschlag abzulehnen, den sie ihm indirekt gemacht hatte. Mit den Worten „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ erklärte er seine Reaktion etwas genauer.Seit seiner Taufe und Salbung im Jahr 29 u. Z. war Jesus völlig bewusst, was der Wille Jehovas ihn betreffend war: Er sollte als der verheißene Messias einen Weg der Lauterkeit gehen, der zu seinem Tod, seiner Auferstehung und seiner Verherrlichung führen würde. Jesus sagte: „Der Menschensohn [ist] nicht gekommen . . ., um bedient zu werden, sondern um zu dienen und seine Seele als ein Lösegeld im Austausch gegen viele zu geben“ (Matthäus 20:28). Als die Zeit seines Todes näher rückte, machte er das mit den Worten deutlich: „Die Stunde ist gekommen“ (Johannes 12:1, 23; 13:1). Daher betete er in der Nacht vor seinem Tod: „Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche“ (Johannes 17:1). Und als dann der Pöbel, der Jesus festnehmen sollte, in Gethsemane ankam, weckte er die Apostel und sagte: „Die Stunde ist gekommen! Seht! Der Menschensohn wird in die Hände von Sündern verraten“ (Markus 14:41).Als Jesus bei dem Hochzeitsfest in Kana war, hatte er seinen Dienst als Messias allerdings gerade erst begonnen und seine „Stunde“ war noch nicht gekommen. Sein wichtigstes Ziel war es, den Willen seines Vaters auf eine Weise und zu einer Zeit zu tun, die ihm sein Vater vorgab. Niemand konnte ihn von diesem Ziel abbringen. Als er das seiner Mutter gegenüber zum Ausdruck brachte, war er zwar entschlossen, aber keinesfalls respektlos oder unhöflich. Jesus brachte Maria nicht in Verlegenheit und beleidigte sie auch nicht. Sie verstand, was Jesus ihr sagen wollte, und bat die Diener auf dem Hochzeitsfest: „Was immer er euch sagt, tut.“ Jesus ignorierte den Wunsch seiner Mutter nicht, sondern wirkte sein erstes Wunder als Messias und verwandelte Wasser in hervorragenden Wein. So zeigte er, dass er sowohl den Willen seines Vaters tat als auch die Interessen seiner Mutter berücksichtigte (Johannes 2:5-11). 

Quelle: Der Wachtturm 1.12.2006, Seite 30-31


Adlerauge4  02.07.2015, 16:34

sehr schöner, aufschlußreicher Kommentar, Juliansan!

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Zu dieser Stelle mal der m. E. sehr gute Bibelkommentar der MacArthur-Studienbibel: "Frau. Die Ansprache drückt keine Unhöflichkeit aus, allerdings distanziert sich Jesus durch sie von seiner Mutter und ihrem Anliegen. Möglicherweise hat es die Bedeutung von »meine Dame«. was habe ich mit dir zu tun? Eine solche Aussage, die in der semitischen Sprache üblich war (Ri 11,12; 2Sam 16,10), schaffte immer eine Distanz zwischen dem Sprechenden und seinem Gegenüber, worin auch ein gewisser Vorwurf lag. Jesu Ton war nicht unhöflich, aber sehr klar und deutlich. Es wird die Frage aufgeworfen, was beide Seiten miteinander gemein haben. Der Tenor der Aussage Jesu war, dass er mit dem Zweck seines Auftrags auf Erden begonnen hatte, so dass er der Erfüllung seines Zieles alle anderen Aktivitäten unterordnete. Maria musste in ihm weniger den Sohn erkennen, den sie großgezogen hatte, als vielmehr den verheißenen Messias und Sohn Gottes. Vgl. Mk 3,31-35 . Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Diese Aussage bezieht sich immer auf den Tod und die Erhebung Jesu (7,30; 8,20; 12,23.27; 13,1; 17,1). Er besaß einen göttlichen Zeitplan, den Gott vor Grundlegung der Welt verfügt hatte. Da die Propheten das messianische Zeitalter als eine Zeit charakterisiert hatten, in der der Wein großzügig fließen werde (Jer 31,12; Hos 14,8; Am 9,13.14), bezog sich Jesus wahrscheinlich auf die Tatsache, dass das Kreuz vor den Segnungen des Tausendjährigen Reiches kommen musste."