Ist Abhängigkeit und Sucht dasselbe?

11 Antworten

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Es kann als Dasselbe betrachtet werden, es kann jedoch auch differenziert interpretiert werden.

Beispiel: Schmerzpatienten, welche aufgrund somatischer Probleme langfristig 7/24 zB Opiate nehmen müssen, damit sie weniger Schmerzen haben, sind dadurch zwar idR von diesen Opiaten körperlich abhängig. Da sie diese jedoch rein aufgrund der Schmerzunterdrückung/Bekämpfung nutzen, deshalb auch einen Opiat-„Spiegel“/Pegel im Blut haben, sind sie nicht süchtig/bzw sie betreiben keinen Missbrauch, denn bei einer „Sucht“ ist die Psyche das grösste Problem. Problematisch wird die Sache zB dann, wenn man solche Substanzen weiter konsumiert, obwohl man keine Schmerzen mehr hat (bspw nach Op oder Unfall). Nicht selten geraten Personen so in einen Teufelskreis und sowas kann sehr schnell geschehen - der Weg da raus hingegen, ist definitiv nicht einfach.

Ich habe unzählige „Süchtige“ erlebt (zumeist sogenannte „Junkies“), welche einen körperlichen Entzug erfolgreich getätigt haben und danach zwar körperlich „clean“ waren, aber das Verlangen nach der Substanz war nach wie vor massiv vorhanden (deshalb wird auch zu längerfristigen Therapien geraten). Leider hat der grösste Teil dieser Personen deshalb den langfristigen Absprung nicht geschafft. Sie haben somit zwar die körperliche Abhängigkeit eine Zeitlang „besiegt“/überwunden, aber die „Sucht“/das psychische Verlangen eben nicht.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Bundeskriminalbeamter mit psych. Zusatzausbildung

StormstarZeus 
Beitragsersteller
 10.07.2023, 13:18

Wow sehr interessantes Beispiel. Also wurde aus einer mutmaßlichen Abhängigkeit leider als Spätfolge der Therapie eine Sucht. Aber so weiß ich zumindest wenn man abhängig ist, heißt es nicht, dass es eine krankhafte Sucht ist.

WARRIOREAGLE  10.07.2023, 14:01
@StormstarZeus

Genau: Eine körperliche Abhängigkeit muss nicht zwingend mit einer „Sucht“ einhergehen. „Süchtig“ kann man übrigens von fast allem werden, u.A. Handy, PC, Games, Pornos, usw -> hier gibt es keine körperliche Abhängigkeit, jedoch das psychische Verlangen und auch Entzugserscheinungen (zB schlechte Laune, Aggressionen, Unruhe, usw).

Man kann auch von Menschen abhängig sein, ohne dass das Suchtcharakter hat. Ich habe da selbst so eine ehemalige Studentin von mir im Kopf, die sich bei einer Studienreise immer bei einer Kommilitonin einhakte. Als diese dann früher abreisen musste, hat sich die Studentin halt eine andere Kollegin gesucht, der sie sich anhängte. Das scheint eine abhängige Persönlichkeit zu sein, der man immer sagen muss, wo's lang geht.

Sucht bezieht sich auf Dinge, mit denen man sich identifiziert, z.B. nach Anerkennung, nach dem Handy, nach Geld. Die Identität ist dann ausgelagert auf das andere Objekt, dessen Besitz man erzwingen will. Ein abhängiger Mensch, so wie meine Studentin etwa, hat aber durchaus ein Selbstgefühl, nur dass er mit dieser Identität nichts anzufangen weiss und den anderen quasi als Umweg missbraucht, um sich selbst zu verwirklichen.

Es gibt so abhängige Spezialisten, die immer in wir-Form sprechen. Sie wollen dich in die Ko-Abhängigkeit bringen, damit du deren Ziele in die Tat umsetzt. Das sind oft Menschen mit wenig Verantwortungsgefühl - diejenigen, die im Scheidungsstreit die Kinder als Waffe gegen den Partner einsetzen, weil sie zu feige sind, die Konflikte selbst auszutragen.

Hi StromstarZeus,

ich würde sagen: Abhängigkeit und Sucht werden im Alltag von vielen Leuten häufig als Synonym verwendet. Abhängigkeit ist ja eine medizinische Diagnose und umfasst ziemlich spezifische Kriterien, um diese Diagnose zu erstellen.
Ich selber sehe das so: Sucht ist etwas, was ich Leuten nicht "einreden" will, deswegen verwende ich das Wort sehr selten. Abhängigkeit finde ich da passender und ich finde, es ist auch nicht ganz so ein vorbelastetes Wort, denn mit Sucht haben viele Leute gleich ein sehr spezifisches Bild von z.B. Drogenkonsument:innen, dass häufig nicht der Wahrheit entspricht. (Btw. würde ich eine Abhängigkeit natürlich Menschen auch nicht andichten, denn als Sozialarbeiter stelle ich keine Diagnosen).

Aber ganz interessante Frage von dir finde ich! :)

LG Eike

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Arbeite als Digitaler Streetworker beim BjR

StormstarZeus 
Beitragsersteller
 10.07.2023, 12:55

Ja spontane Gedanken sind meistens die einfallsreichsten. Finde ich übrigens gut, dass du dich als Sozialarbeiter so in deine Mitmenschen einfühlen kannst. Man möchte ja niemanden gleich schlechter behandeln 😊

EikeDigitalSW  10.07.2023, 13:21
@StormstarZeus

Geht auch darum, dass manche Menschen schon problematischen Substanzkonsum haben, aber halt keine Sucht und ich finde, da gibt es auch noch andere Handlungsoptionen... z.B: Konsumreduzierung oder Harmreduction (Risikoärmeren Konsum).
Sucht ist auch ein Wort, bei dem viele Leute die Vorstellung haben: "Einmal süchtig, immer süchtig" und da halte ich nicht für pauschal richtig. Es gibt auch Leute, die kontrollierten Alkoholkonsum erlernen, obwohl sie mal "alkoholsüchtig" waren.

Im Grunde genommen ist es dasselbe, ich würde Abhängigkeit aber eher als die "Vorgeschichte" einer Sucht bezeichnen. Ganz sicher bin ich mir da aber auch nicht, korrigiert mich, falls ich falsch liege :)

Die Sucht gibt es im offiziellen Sprachgebrauch nicht mehr (gab es von 1957-1964 bei der WHO).

Der Begriff wurde Mitte der 60er durch die Begriffe "Missbrauch" & "Abhängigkeit" ersetzt.

Der Begriff Sucht besteht mittlerweile nur noch umgangssprachlich und wird als Synonym zu Abhängigkeit verwendet.


StormstarZeus 
Beitragsersteller
 10.07.2023, 12:48

Ahhh gut zu wissen danke dir.