Hitler's Machtergreifung "Betriebsunfall"?

6 Antworten

B.: eine nicht vorhersehbare Störung eines an sich gut funktionierenden Systems.

Diese Sicht wird von keinem Historiker vertreten. Die Schwächen der Weimarer Republik, die schwierigen Rahmenbedingungen nach 1918 und auch längerfristige Belastungen sind offenkundig.

Salue

Das Wort "Betriebsunfall" hast Du zu Recht in Klammern gesetzt.

Besser würde man sagen "eine Verkettung ungünstiger Umstände".

Es mussten viele Umstände mitspielen, dass ein gescheiterter Kunstmaler die Macht in einem Kulturstaat übernehmen kann.

Seine Nazipartei hatte nach den demokratischen Wahlen nicht mal annähernd die Mehrheit der Wähler, aber dank der völligen Zerstrittenheit aller anderen Parteien hatte er die stärkste Partei im Rücken.

Reichspräsident Hindenburg hasste Hitler, er musste ihn damit aber zwangsweise zum Reichskanzler wählen.

Das ist nur ein Punkt, es gibt noch so viele, an denen Hitler gescheitet wäre, wenn es "normal" gelaufen wäre.

Selbst die späteren Kriegsgegner haben ihm geholfen, auf den "Thron" zu kommen. Die knallharten Reparationszahlungen nach dem 1. Weltkrieg sorgten mit dafür, dass viele Deutsche einen "starken Mann" herbei sehnten.

Es grüsst Dich

Tellensohn


TomahawkDonVito 
Beitragsersteller
 05.11.2017, 18:51

Danke erstmal für die ausführliche Antwort. Aus der schließe ich, dass das Wort eher für eine zufällige Machtergreifung steht, richtig?

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Tellensohn  05.11.2017, 19:06
@TomahawkDonVito

Das Wort "Zufall" deckt nicht ganz die gleiche Bedeutung ab, wie die Formulierung "ungünstige Umstände".

Zufällig heisst ja, dass niemand einen Einfluss auf das Eintreten des Ereignisses hatte. Die ungünstigen Umstände haben jedoch mehr oder weniger klare Ursachen.

In diesem Fall wären dies z.B. die Zerstrittenheit der politischen Gegner, Länder die tatenlos zusahen, ein nach dem Börsenruin in den USA extrem stark betroffenes Volk,  keine Zukunftsperspektive mehr, Ein "Messias" der als Einziger eine Lösung verspricht u.s.w.

Weisst Du, ich bin ja Schweizer. Wäre ich in dieser trostlosen Zeit in Deutschland aufgewachsen, vermutlich hätte auch ich "Hurra" geschrien !

Es grüsst Dich

Tellennsohn  

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Ein Betriebsunfalls in der Bedeutung „Verkettung unglücklicher Umstände“ liegt bei Hitler zweifelsohne vor:

Der erste unglückliche Umstand war, dass Hindenburg ein altersschwacher Greis und deshalb leicht beeinflussbar war.

Dann war er von einer „Kamarilla“ inkompetenter Berater umgeben, darunter sein Sohn (spöttisch hieß es: der in der Verfassung nicht vorgesehene Sohn), die ihm zu Hitler geraten haben. Allerdings war ein neuer profilierter Kandidat weit und breit nicht zu sehen.

Dann gab es mehrere seltsame und unglückliche Bestimmungen in der Weimarer Verfassung.

1) Art. 48 abs. 2 in Verb. mit Art. 25: der Reichspräsident konnte den Reichstag aufheben; innerhalb von ca. 2 Monaten musste ein neuer Reichstag gewählt werden. In der Zwischenzeit konnte die Regierung selbst Gesetze erlassen, sog. Notverordnungen. M.a.W. in dieser Zeit herrschte die Diktatur der Reichregierung. Hitler hat denn auch diese Zwischenzeit genutzt, um nach dem Reichstagsbrand die NotVO zum Schutz von Volk und Staat zu erlassen. Darin wurden wichtige Grundrechte aufgehoben, willkürliche Verhaftungen von Personen, die Hitler als „missliebig“ ansah (Juden, Kommunisten), folgten auf dem Fuße. 

Jetzt kommt ein wirklich unerhörter Betriebsunfall: Zwar konnten diese diktatorischen Notverordnungen durch die Mehrheit des Reichstages wieder aufgehoben werden, was bisher immer geschah (bei Brüning und von Papen). Doch nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 war das nicht mehr möglich, die Hitlerkoalition aus NSDAP und DNVP hatte die absolute Mehrheit. So ist die oben genannte Notverordnung auf Dauer in Kraft geblieben (bis 1945). Alle Verhaftungen wurden auf diese NotVO gegründet. Hitler hatte mit der NotVO zum Schutze von Volk und Staat (vom 28. Februar 1933) praktisch schon die Diktatur errichtet.

2) Hinzu kommt noch eine zweite Merkwürdigkeit, die die bereits bestehende Diktatur Hitlers vollendete: Durch ein Ermächtigungsgesetz konnte die ganze Demokratie außer Kraft gesetzt werden. Das geschah am 24. März 1933: Das E-Gesetz übertrug die Gesetzgebungsbefugnis auf die Hitlerregierung. Aber das war eigentlich nicht mehr nötig. Hitler konnte so oder so sein „Ding durchziehen“. Wer dagegen protestierte, wurde gem. der genannten NotVO verhaftet, weil er gegen die Interessen des Staates handelte, die gem. der Verordnung´vom 28. Februar 1933 geschützt werden mussten.

Also 3 (betriebsunfallmäßige) Merkwürdigkeiten ebneten Hitler den Weg:

1. der Art. 48 II in Verb mit Art. 25 (Möglichkeit einer vorübergehenden Diktatur)

2. die plötzliche Unaufhebbarkeit der diktatorischen Notverordnung nach dem 5. März 1933 (normalerweise konnte eine NotVO. immer aufgehoben werden)

3. Die Möglichkeit, die Demokratie durch ein Ermächtigungsgesetz komplett aus den Angeln zu heben.

Hätte es die Nr. 1 und die Nr. 3 nicht gegeben (diese skurrile Diktaturbefugnis auf Zeit und die Möglichkeit, die Demokratie per Gesetz aufzuheben), wäre Hitler niemals Diktator geworden. Selbst ein Putsch der SA wäre nicht möglich gewesen, die Reichwehr hätte ihn niedergeschlagen.

Nun 

Betriebsunfall steht für die Verkettung unglücklicher Umstände die ihm in seine Pläne spielte 

Trotz fehlender Mehrheit hatte er Die stärkste Partei mit auf seiner Seite 

Weil alle anderen zerstritten und sich Spinnefeind waren 

Hindenburg hatte keine Wahl und musste ihn zwangsweise zum Reichskanzler ernennen 

Das Vertrauen der Leute war erschüttert und die nsdap hatte trotz allem genügend ruckendeckung, um.a durch die Inszenierung des Reichstagsbrandes 

Ließ dir die Geschichte um das Thema durch und du siehst die Gründe 

Kurz um: Das Wort (Betriebs)UNFALL soll einfach nur entscheiden wie unglücklich alles gelaufen ist 

An der "Machtergreifung", die in Wirklichkleit eine Machtübertragung war, war nichts zufällig. Die Errichtung der Diktatur war geplant und gewollt. Sie war eine Reaktion auf die Demokratisierungsprozesse nach dem Zusammenbruch der Monarchie. Auch Hindenburg, der bereits 1916-18 de facto Militärdiktator war und die Weimarer Republlik zum Schluß selbst als Präsidialdiktatur führte, war einer Diktatur gegenüber nie abgeneigt. Und er wollte vor allem die SPD im Reichstag ausschalten. Die NSDAP ist nach 1928 aus Kreisen der Wirtschaft massiv unterstützt und gefördert worden und wurde ganz bewußt, an die Macht gebracht, um Arbeitnehmerrechte beschneiden und einen Revanchekrieg führen zu können. Das war weder Zufall noch Betriebsunfall.

https://de.wikipedia.org/wiki/Gesellschaft_zum_Studium_des_Faschismus

https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Hugenberg

https://de.wikipedia.org/wiki/Keppler-Kreis