Wir lesen gerade "Andorra" von Max Frisch. Wollte fragen, wie man das rhetorische Mittel "Die Sonne scheint grün." deuten kann (in der 9. Szene)?

2 Antworten

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Der von dir erwähnte Satz steht in der Szene, wo der Pater dem jungen Mann Andri offenbart, dass er gar keine Jude ist. Gerade hatte Andri für sich akzeptiert, dass er "anders als die anderen" und ein Jude sei. Dabei will er nun auch bleiben.

Der Satz steht mitten in einem Monolog des Andri:

"... Meine Zuversicht ist ausgefallen, eine um die andere, wie Zähne. Ich habe gejauchzt, die Sonne schien grün in den Bäumen, ich habe meinen Namen in die Lüfte geworfen wie eine Mütze, die niemand gehört wenn nicht mir, und herunter fällt ein Stein, der mich tötet...."

In dem Werk Andorra gibt es eine ausgeprägte Farbensymbolik. Diese bezieht sich aber vor allem auf die Farben Weiß, Schwarz und Rot. Darüber kann man auch etwas in der Sekundärliteratur lesen:

- Rot ist die Farbe des Blutes, der Gewalt und der Schuld.

- Weiß ist die Farbe der Unschuld. Das Weißeln (Weißanstreichen), das das Mädchen Barblin macht, ist ein Verdecken oder Verhüllen der Schuld.

- Schwarz ist die Farbe des Todes, des Teufels, des Bösen.

Der Farbe Grün kommt keine so hervortretende Bedeutung zu, und es wundert  mich, wie der Lehrer auf die Idee gekommen ist, euch dazu zu befragen. Vielleicht behandelt er das Buch "Andorra" zum siebenundzwanzigsten Mal und ihm ist langweilig geworden, so dass er auf immer ausgefallenere Fragestellungen kommt.

Bei der Phrase "die Sonne schien grün in den Bäumen" habe ich nur das Bild einer Naturidylle. Es ist Sommer, die Natur steht in Saft und Kraft, die Sonne scheint hell durch das grüne Blätterdach der Bäume. Der junge Mann Andri ist frohgemut, er jauchzt, jubelt und wirft übermütig seine Mütze hoch. Grün stünde hier also für frisch, froh, farbig, gesund, hoffnungsfreudig, der Zukunft zugewandt.

Jegliche Hoffnung ist Andri jedoch inzwischen vergangen. Er ist durch die Rolle, in die er von den Andorranern gedrängt wurde, nur noch traurig und schwermütig und möchte nichts als sterben. Seine Stimmung würde ich also mit den Farbtönen grau und schwarz charakterisieren.


Paguangare  28.05.2016, 07:01

Beim wiederholten Durchlesen des Buches ist mir übrigens jetzt aufgefallen, dass die betreffende Textpassage aus Szene 9 fast wörtlich bereits in Szene 1 vorkommt, bei mir auf Seite 18.

Es ist an der Stelle, wo Andri einen Ausbildungsplatz als Tischler bekommt:

Andri: - ich werde Tischler! Die Sonne scheint grün in den Bäumen heut. Heut läuten die Glocken auch für mich. Später werde ich immer denken, dass ich heute gejauchzt habe. Dabei zieh ich bloß meine Schürze ab, ich staune, wie still. Man möchte seinen Namen in die Luft werfen wie eine Mütze, und dabei steh ich nur da und rolle meine Schürze. So ist Glück. Nie werde ich vergessen, wie ich jetzt hier stehe ... Barblin, wir heiraten!

Das Bild "Die Sonne scheint grün in den Bäumen" steht also für Andri für das totale Glück und eine regelrechte Euphorie.

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Julius2564 
Beitragsersteller
 29.05.2016, 16:40

Danke für die ausführliche Beantwortung.

Haben mir sehr geholfen.

Vielen dank und tolle Antwort sehr ausführlich.

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hmm mir würde dazu jetzt Oxymoron einfallen. Da die sonne ja schließlich nicht grün scheint. Deshalb passt dies auch nicht zusammen

Notfalls ist es aber auf jeden Fall eine Metapher, denke ich mal :)