Gesetze - Gibt es eine moralische Pflicht, sie einzuhalten?
Gesetze müssen eingehalten werden. Jemand, der sie bricht, kann bestraft werden. Aber gibt es auch eine moralische Pflicht, sie einzuhalten?
Wäre es, moralisch gesehen, falsch, wenn jemand denkt:
"Was gehen mich Gesetze an, die irgendwelche alten Säcke, teilweise vor meiner Geburt, erlassen haben und bei denen ich kein Wörtchen mitzureden hatte?"
und wenn er Gesetze mit dieser Begründung auch bricht?
33 Antworten
Ähm. Vorsicht!
Man sollte Moral nicht mit beschlossenen Gesetzen in einen Topf vermischen.
Zur Aussage:
Wäre es, moralisch gesehen, falsch, wenn jemand denkt:
"Was gehen mich Gesetze an, die irgendwelche alten Säcke, teilweise vor meiner Geburt, erlassen haben und bei denen ich kein Wörtchen mitzureden hatte?"
Diese Frage spricht eher einen ethischen Aspekt an, da es mehr mit der Verhaltensweise und Entscheidungsweise einer Person zu tun hat. Eben ob eine Person eher dazu neigt, sich überwiegend rechtschaffen, gehorsam und autoritätsgläubig zu verhalten oder ob eine Person tendenziell kritisch, hinterfragend, widerspenstisch und aufbegehrend auftritt.
Aus meiner Sicht ist es ethisch tendenziell falsch, wenn jemand Gesetze nur aufgrund dessen ablehnt, weil sie vor seinen Lebzeiten beschlossen wurden. Man muss konkret die Gesetze einzeln betrachten und deren Tragweite abschätzen und kann dann entscheiden, ob diese Gesetze auch mit der eigenen Moral vereinbar sind.
Man darf also gesetzestreues Handeln NICHT mit moralischem Handeln verwechseln. Wer Gesetze bricht, kann auch nach deren Definition bestraft werden. Das haben Gesetze nunmal an sich.
Moral hingegen beschreibt ja ein Wertesystem, welches mir instinktiv als Persönlichkeit von Natur aus mitgegeben ist oder welches ich durch Erfahrungen, Beobachtungen und auf Grundlage meiner empathischen Fähigkeiten durch Selbstreflektion für mich erschlossen habe, wonach ich dann über "richtig" und "falsch" urteile.
Ethik kann u.a. die von der Gesellschaft ausgehenden Vorschriften, Richtlinien, Erwartungshaltungen und Tugenden sein, über dessen Richtigkeit man sich gemeinschaftlich mal geeinigt hat.
Dass es aus Sicht einer guten Seele falsch ist, anderen Menschen Leid zuzufügen, sie zu bestehlen oder zu betrügen und dass es moralisch richtig und wichtig ist, Freiheit, Würde, Leben und Besitz der Mitmenschen zu achten und zu respektieren, DAS ist etwas, was ich selber aus meiner moralischen Überzeugung heraus weiß, vollkommen unabhängig davon, ob dies auch in Gesetzen so verankert ist.
DENN auch Falsches, Unrecht, Willkür und Verwerfliches kann per Gesetz als "Recht" definiert sein oder definiert werden, wenn entsprechende Persönlichkeiten Macht über das Gesetz erlangen.
Zur Veranschaulichung mal ein krasses Beispiel:
Ein gesetzestreuer Scherge, der innerhalb einer Tyrannei einen Tötungsbefehl ausführt, könnte aus Sicht der Gesellschaft ethisch richtig gehandelt haben, WENN die Gesellschaft allgemein davon überzeugt ist, dass Gehorsam eine wichtige Tugend ist und man sich den Anweisungen von Autoritäten nicht widersetzen darf. Gleichzeitig wissen wir aber, dass dieses Tun moralisch falsch und absolut verwerflich ist. - Man denke nur an die Handlanger der Nationalsozialisten der 30er und 40er oder an die Grenzschützen der ehemaligen DDR. Dort standen haufenweise Gesetze im krassen Konflikt mit jeder auf Moral basierenden Vernunft. Doch viele Systemschergen haben TROTZDEM diese Befehle ausgeführt, entweder aus Angst vor Strafandrohungen und persönlichem empfindlichen Übel gegen sich selbst, entweder weil ihnen der Unterschied zwischen Moral und Gesetzestreue nicht klar war oder schlimmer noch, weil einige darin ihre eigene Freiheit gesehen haben, Böses und Verwerfliches zu tun ohne Angst haben zu müssen, dafür bestraft zu werden.
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Eine moralische Pflicht, Gesetze einzuhalten, kann es aus meiner Sicht und aus o.g. Gründen gar nicht geben.
Wenn ich bestimmte Gesetze befolge, dann nur deswegen, weil ich sie als sinnvoll erachte oder mit meiner moralischen Überzeugung im Einklang stehen, nicht der Gesetze an sich wegen.
Zu moralisch richtigem Verhalten gehört es auch, sich gegen Gesetze aufzulehnen, wenn sie offenkundig zur Durchsetzung von Unrecht, Willkür und Verwerflichem dienen.
Die moralische Pflicht hast du immer gegenüber dir selbst und deinen Mitmenschen, sie ergibt sich aus der Notwendigkeit, mit ihnen auskommen zu müssen.
Es ist zum Beispiel als eine moralische Pflicht geboten, jemandem in einer Notsituation zu helfen - was in gewisser Weise auch eigennützig ist, weil dir dann ja auch geholfen wirst, wenn du in einer Notsituation gerätst. Es ist außerdem moralisch geboten, Arbeiten zu gehen und Steuern zu zahlen, um seinen Teil zur Gesellschaft beizutragen - denn tut das die breite Mehrheit nicht, verfällt eine Gesellschaft in Unproduktivität und Armut.
Gesetze zu befolgen KANN ebenfalls moralisch sein und sollte es im Idealfall natürlich auch. Es kann jedoch vorkommen, dass ein Gesetzesbruch moralischer ist, als sich strikt ans Gesetz zu halten. Wenn zum Beispiel auf einer kaum befahrenen Straße ein Mensch zusammenbricht, du auf der anderen Seite stehst, wo die Ampel rot ist, dann ist es selbstverständlich moralisch vertretbar, trotz roter Ampel sofort zu dem Menschen hinzukaufen und ihm zu helfen, wenn du die Verkehrslage einsehen und gefahrlos zu ihm hingelangen kannst. Es ist auch moralisch gerechtfertigt, weggeworfene Essen aus einer Mülltonne zu stehlen, um damit mittel- und Obdachlose vor dem Verhungern zu retten. Auch was im Hambacher Forst passiert oder vor Castor-Transporten wird mit der Moral gerechtfertigt. Und es wäre sogar moralisch gerechtfertigt, Staatsbeamte anzugreifen, sollten diese ihre Macht missbrauchen und Menschen vorsätzlich und unnötig verletzen, sie schikanieren oder gar ausplündern. In solchen Fällen steht die Moral natürlich nicht über den Gesetz, du kannst in all diesen Fällen bestraft werden, besonders, wenn du für irgendwelche Schäden zur Verantwortung zu ziehen bist. Das muss dir dabei jedoch immer klar sein.
So wie in deiner Frage zu sagen: "Dieses Gesetz haben irgendwelche Vorfahren erlassen, ich konnte da nicht mit entscheiden, also geht es mich nichts an", kann allerdings sowohl moralisch als auch unmoralisch sein. Deckelt so ein antiquiertes Gesetz eine Ungerechtigkeit, eine Diskriminierung oder lässt es zu, dass irgendwer es zu Lasten seiner Mitmenschen missbraucht, kann es moralisch gerechtfertigt sein, es zu brechen. Viele solcher Gesetze wurden in der Vergangenheit bereits abgeschafft - wie zum Beispiel das Verbot von Homosexualität, das "Züchtigungsrecht" von Kindern oder die Straflosigkeit von Vergewaltigung in der Ehe.
Wer allerdings generell einen auf Rebell macht und seinerseits Straftaten begeht, durch die er sich allein einen Vorteil verschafft, der kann sich natürlich nicht damit herausreden, dass er überhaupt nicht mitentscheiden durfte, dass es illegal ist, Leute zu bestehlen, zu vergewaltigen oder gar zu ermorden. Dann ist das einfach nur selbstgerechtes Gefasel und die Person handelt eindeutig unmoralisch.
Es gibt sicherlich viele Gesetze, über die man Streiten kann, doch die Idee hinter dem ganzen Konzept ist es, ein friedliches und vernünftiges Leben für eine Gesellschaft zu ermöglichen. Leider ist der Mensch nicht so weit, dass er konfliktfrei mit anderen leben kann, deshalb braucht er Regeln bzw. Gesetze. Da muss man sich dann mit sich selber auseinandersetzen, ob man das möchte, ob man in einer Gesellschaft leben möchte, die diese Regeln hat. Wenn ja sollte die Moralvorstellung allein durchaus schon ausreichen, um sich an die Gesetze zu halten, wenn nein sollte man sich fragen, ob man dann nicht besser in einen anderen Teil der Welt zieht, in dem das Gesellschaftsleben mehr den eigenen Vorstellungen entspricht oder man sogar als Einsiedler leben kann. Natürlich kann niemand behaupten, jemand der über eine rote Fußgängerampel geht habe keine Moralvorstellungen, in jeder Gesellschaft gibt es Gesetze, die von einer Vielzahl von Menschen nicht eingehalten werden, oftmals sind das auch Gesetze, deren Bruch vom Staat toleriert wird, das gehört zu einer Gesellschaft dazu, aber viele Gesetze sichern dann doch unser Zusammenleben. So würde eine Gesellschaft schlecht zusammen leben können, wenn stehlen erlaubt wäre.
Ja, wäre es in meinen Augen durchaus, zumindest bei den meisten Gesetzen.
Erstens: Du HAST mitzureden... denn die Gesetze werden von den Politikern gemacht, die u.a. du entsprechend gewählt hast. Klar, das ist keine direkte Mitredeberechtigung, aber einen gewissen Einfluss hat das Volk in seiner Gesamtheit doch auch.
Dann... das sind, zumindest in großen Teilen, Gesetze, die dazu dienen das Zusammenleben einer Gesellschaft irgendwie auf die Reihe zu bekommen. Eine Gesellschaft, von der wir alle profitieren, KANN es nur geben, wenn entsprechende Regeln herrschen, an die sich auch jeder hält.
Ansonsten... naja, moralische verpflichtung wäre eben die Erziehung, die man genossen hat von wegen 'es ist Gesetz, also hältst du dich daran'. Unsere moralischen Standards werden ja dadurch geformt, was wir an Erfahrungen in unserem Leben machen bzw. was uns halt einfach auch vorgelebt und beigebracht wird... und ggf. was wir uns selbst denken und erschließen, was, zumindest in meinen Augen, einige Gesetze hart an die Grenze bringt... vor allem wenn deren Nichteinhaltung niemandem schaden würde
Gesetze sind der aktuelle Status Quo des Verständnisses von Moral, festgeschrieben in Gesetzesbüchern zur Erlangung einer sogenannten Rechtssicherheit der Urteilenden (des Staates) zum Bestandszeitpunkt der Gesetze.
Moral ist ein Identifikationsproblem!
Die Menschen finden sukzessive heraus, was richtig und was falsch ist und verankern das in Gesetzen. Maßgeblich geht es darum Verhalten zu ahnden, welches die Freiheit anderer bedroht und einschränkt, wenn es nicht geboten ist.
Man wusste damals halt noch nicht, dass zum Beispiel Homosexualtität nichts ist, was man verfolgen darf. Das hat man zwar relativ spät erst festgestellt, aber letzendlich verstanden.
Ein anderes Beispiel ist Gotteslästerung. Das wird jetzt auch nicht mehr so ausgelegt wie früher.
Rechtssicherheit ist der Grund, warum relativ lange auch um Gesetze gerungen wird, auch wenn ein besseres Verständnis von Moral identifiziert wurde. Gesetze hinken deshalb immer ein paar Jahre, sogar Jahrzehnte hinter der Moral her.
Fakt ist aber auch, dass bis heute spätestens das Bundesverfassungsgericht sich als eine moralische Instanz bezeichnen lassen darf. Mir ist kein Thema bekannt, welches dort vorgebracht wurde und nicht nach dem aktuellsten Verständnis von Moral abgehandelt wurde.
Immer wenn es um moralische Grundsatzthemen ging, wo Menschen gegen Gesetze verstoßen haben, wir aber zu diesem Zeitpunkt verstanden haben, dass das Gesetz falsch ist, hat das Bundesverfassungsgericht diese Gesetze als nicht verfassungskonform eingestuft, was dann dazu führte, dass unsere Gesetzgebung sich hinsetzen musste, und mit dem besten Verständnis unserer Zeit die entsprechenden Gesetze anpassen musste.
Ich danke wem auch immer für solche reflektierten Antworten.