Wie ist der griechische Mythos von Prometheus zu verstehen?
Ich habe den Text dazu und verstehe immer noch nicht was der Mythos zwischen Mensch und Tier unterscheidet, und warum will Zeus dem Menschengeschlecht das Feuer vorenthalten?
2 Antworten
Prometheus hat ja auch den Namen: Der Menschenbildner. Er bringt dem Menschen die Beherrschung des Feuers bei. Vorher - als selbst noch Tier - hatte der Mensch wie alle anderen Tiere pure Angst vor der Naturgewalt Feuer, das ja nicht selten durch die Blitze des Zeus ausgelöst wurde. Mit dieser Gewalt und Angst hat Zeus die Tiere, Mensch inclusive, im Griff gehabt. Die Beherrschung des Feuers, vermittelt durch Prometheus, macht den Menschen erst zum Menschen, löst ihn aus der totalen Macht der Natur, der die Tiere weiter verhaftet bleiben! Die Beherrschung des Feuers steht symbolisch für die zunehmende Beherrschung der Naturkräfte durch den Menschen. Zeus verliert an Macht, weil der Mensch seine Bedrohung in Nutzen für sich umwandelt und z.B. seinerseits Wölfe mit Feuer verjagd. Mit der Beherrschung der Naturkräfte wird der Mensch immer unabhängiger von der Natur, Tiere inclusive. Zeus, mit seinem Blitz als Symbol der bedrohlichen Naturkräfte, wird seiner Macht Zug um Zug beraubt.
Es gibt nicht nur einen griechischen Prometheus-Mythos, sondern mehrere und diese in verschiedenen Versionen (Fassungen).
Eine Erzählung mit philosophischer Bedeutung ist der, den Platon in seinem Dialog »Protagoras« darbietet. Eine Figur des Dialogs, der zu den Sophisten gezählte Philosoph Protagoras, erzählt im Zusammenhang mit der Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend/Vortrefflichkeit (ἀρετή [arete]) einen Mythos (320 c – 323 a). Den Inhalt könnte er auch in einem Logos darlegen, doch wird eine unterhaltsame Art der Mitteilung gewählt, Protagoras vertritt Aussagen zur Anthropologie und Kulturentstehung (Platon hat den Mythos wahrscheinlich aus einer Schrift des Protagoras über den Urzustand, Περὶ τῆς ἐν ἀρχῇ καταστάσεως).
Unterschiede zwischen Mensch und Tier
- Vernunftbegabung: Der Menschen hat eine Anlage der Vernunft/des Geistes (λόγος [logos]). Dies ergibt sich aus einem Gegensatz, wenn die anderen sterblichen Lebewesen als die nicht vernünftigen/nicht vernunftbegabten bezeichnet werden (τὰ ἄλογα Platon, Protagoras 321 a).
- Bedürftigkeit und Unterlegenheit der Menschen gegenüber wilden Tieren in den natürlichen Eigenschaften/Fähigkeiten/Kräften: Der Mensch ist mit natürlichen Mitteln mangelhaft ausgestattet. Bei der Zuteilung von Eigenschaften/Fähigkeiten/Kräften, die bei der Lebenserhaltung helfen, hat er nichts bekommen. Der Mensch ist ursprünglich nackt, unbeschuht (ohne Schuhe), unbedeckt (ohne Decke/Bett), unbewaffnet (Platon, Protagoras 321 c). In der Neuzeit ist dafür der Begriff »Mängelwesen« geprägt worden, allerdings wird von Platon das Wesen des Menschen nicht wegen der Unterlegenheit (z. B. in der Kraft und Schnelligkeit) und der Bedürftigkeit so verstanden, damit bestimmt werden zu können, ein Mängelwesen zu sein.
- Mensch als Naturwesen und Kulturwesen, Tiere als bloße Naturwesen: Es gibt eine Selbstgestaltung des Menschen, nachdem er die daür erforderlichen Mittel und Fähigkeiten erhalten hat. Der Mensch wird von der Natur unabhängiger.
- technische Kunstfertigkeit/Klugheit/Einsicht: Prometheus stiehlt notgedrungen, weil sein Bruder Epimetheus beim Zuteilen der Eigenschaften/Fähigkeiten/Kräften für den Menschen nichts mehr übriggelassen hat, das technische Können/die technische Intelligenz (ἔντεχνος σοφία [entechnos sophia]) der Gottheiten Hephaistos und Athene zusammen mit dem Feuer und schenkt dies dem Menschen (Platon, Protagoras 321 c - e). Der Mensch kann nur mit Hilfe von technischen Fähigkeiten und Kulturtechniken existieren, die auf der ihm vermittelten Intelligenz beruhen. Die Beherrschung des Feuers ist eine davon. Allgemein übt der Mensch zu seinem Lebensunterhalt technische Fertigkeiten aus. Er entwickelt Macht/Herrschaft über Naturkräfte.
- Religion/Verehrung von Gottheiten: Der Mensch glaubt aufgrund der Teilhabe an göttlichen Vorzügen als einziges der Geschöpfe an Gottheiten und beginnt Altäre und Götterbilder zu errichten (Platon, Protagoras 322 a).
- ausgestaltete Sprache: die Menschen bekommen (Platon, Protagoras 322 a) Stimmme/Ton/Laut/Sprache (φωνή [phone]) und Namen/Ausdrücke/Wörter (ὀνόματα [onomata])
- ethische Einstellungen als Grundlage für die Bildung von Gemeinschaften/Staaten: Die Menschen können Kleidung und Behausung herstellen und sich pflanzliche Nahrung verschaffen, sind aber in ihrer Existenz von wilden Tieren bedroht, da sie vereinzelt leben. Versuche, sich zusammenzuschließen und politische Gemeinschaften/Staaten zu gründen, scheitern bald, weil nur handwerkliche Kunstfertigkeit/Technik (δημιουργικὴ τέχνη [demiourgike techne]) vorhanden ist, aber keine politische/gemeinschaftsbezogene Kunstfertigkeit/Technik (πολιτικὴ τέχνη [politike techne]). Die Menschen tun sich Unrecht an und schaden einander. Daher zerstreuen sie sich wieder. Die nötigen Kenntnisse waren in der Obhut des Zeus, in dessen Burg Prometheus nicht hineingelangen konnte und deren Wächter außerdem furchterregend sind. Zeus schickt, als die Menschen in Gefahr sind auszusterben, Hermes, der ihnen sittliche Scheu/Ehrfurcht/Respekt/Schamgefühl (αἰδώς [aidos]) und Recht/Rechtsempfinden/Gerechtigkeit (δίκη [dike]) bringt. Jeder Mensch bekommt daran Anteil. Die volle Aneignung dieser Gaben als Sozialverhalten bedarf einer Unterweisung in der politischen Tugend/Vortrefflichkeit, ist nicht angeboren, sondern Ergebnis eines Erziehungsprozesses.
Grund, warum Zeus dem Menschengeschlecht das Feuer vorenthält
In dem erzählten Mythos wird nicht ausdrücklich ein Grund angegeben, warum Zeus dem Menschengeschlecht das Feuer und seine Nutzung nicht gibt und dies allgemein nicht zu den Gaben gehört, mit denen zu Anfang die Lebewesen ausgestattet werden. Ein exklusiver Besitz des Feuers gibt mehr Macht. Die Menschen werden auf niedriger Stufe gehalten, mit einem größeren Abstand des Machtgefälles. Als Zeus fürchtet, das Menschengeschlecht könne ganz zugrundegehen, schickt er von sich aus Hermes, um durch gemeinschaftfördende Tugenden Ordnungen und Bande der Freundschaft zu ermöglichen (Platon, Protagoras 322 c). Aus dem gemeinsamen Haus der Gottheiten Hephaistos und Athene hat Prometheus unter anderem das Fgeuer gestohlen.
In anderen Erzählungen gibt es zum Teil Abweichungen, woher Prometheus das Feuer gestohlen/geraubt hat. Nach einer Fassung hat er es von Himmel, was auf Zeus als Himmels- und Wettergott (z. B. Verfügungsgewalt über Donner und Blitz) deutet. Das Verweigern/Vorenthalten des Feures wird in manchen Erzählungen als Rache dafür erklärt, von Prometheus bei der Aufteilung der Opfertiere in einem Anteil, den die Menschen bekommen, und einen, den die Gottheiten bekommen, getäuscht worden zu sein (Opferbetrug). Prometheus hatte listig das wertvolles Fleisch und Innereien/Eingeweide in den Magen versteckt, Knochen und andere zum Verzehr nicht wertvolle Teile unter einer üppigen glänzenden Fettschicht verbirgen. Zeus durfte zwischen den beiden Portionen auswählen und wurde dann zornig.