Cogito ergo non sum?
Hallo! Ich habe Descartes "Cogito ergo sum" immer als wahr akzeptiert. Neulich las ich aber von einem gewissen Rudolf Steiner, der gesagt hat, es müsse "Cogito ergo non sum" heißen. Ich habe seine Ausführungen dazu nicht ganz verstanden, es ging irgendwie um Bilder im Verstand, die aber Bilder von Etwas sein müssen, irgendwie sowas... Wenn sich jemand hier genauer damit auskennt, wäre es nett, wenn er es mir erklären könnte. Lg!
9 Antworten
Wenn ein Vegetarier bissfeste Birnen weichkocht und ein Kannibale das Muskelfleisch eines erlegten Gegners, können beide den gleichen Satz sagen: Das Fleisch ist gar. Und doch bedeutet dieser Satz für den Vegetarier etwas vollkommen anderes als für den Kanniblen, weil die gleichen Sätze in zwei vollkommen verschiedenen Realitäten gesprochen sind. Die Realität, in der Descartes seinen Satz gesprochen hat, ist eine vollkommen andere als unsere heutige oder die Steiners. Und auch die Realität Steiners, wie er sich die Welt vorgestellt hat, ist eine vollkommen andere als unsere heute und die des Descartes. Das ist die Crux der Zitatenglauberei, wenn Einzelaussagen aus dem Vorstellungszusammenhang gerissen werden.
Descartes steht an der Schwelle der Scholastik zur Neuzeit und sucht noch wie alle Scholastiker eine endgültige Gewissheit. Letztlich meint er sie in sich selbst zu finden und "ich selbst" ist für ihn das geistige, das denkende Wesen. Für die Scholastik und auch Descartes ist nur das Geistige wirklich, Tiere, Pflanzen alles Vergängliche ist nur mal eben dienend zu Hand der Krone der Schöpfung. Ketzer und als solcher verfolgt war Descartes, weil er die Quelle der Gewissheit in sich selbst verlegt hat und nicht wie die Scholastik in die heiligen Schriften und kirchlich anerkannten Autoritäten. Selbst wenn er als letzte Quelle Gott angibt, rettet er sich nicht, weil die Kirche in ihrem Machtgebaren großen Wert darauf legte, dass ausschließlich sie die Vermittlerin von Wahrheit und Gewissheit zwischen Gott und den Menschen ist.
Steiners Weltsicht ist ein esoterisches Gebräu aus vielen Quellen und in der angesprochenen Aussage liegt die Vorstellung zugrunde, dass es eine ewige Wahrheit gibt an der wir durch geistige Übung und "richtiges" Denken nur Anteil erhalten. Für Steiner ist alles Vergängliche nur ein vorübergehender Teil der ewigen Wahrheit. Das richtige Denken gibt uns Anschluss an diese ewige Wahrheit, nicht jedes Denken. "Indem der Mensch das selbständige Wahre und Gute in seinem Innern aufleben läßt, erhebt er sich über die bloße Empfindungsseele. Der ewige Geist scheint in diese herein. Ein Licht geht in ihr auf, das unvergänglich ist." (http://anthrowiki.at/Bewusstseinsseele) Da gibt es die "Bewusstseinsseele", die "Verstandesseele" und die "Empfindungsseele" und das "Ich" usw.. Dagegen ist Aristoteles mit seinen drei Seelenteilen noch ein Waisenknabe.
Es ist richtig, dass Descartes Satz für seine Zeitgenossen neu war, insoweit sie durch die Macht der Kirche abgeschnitten waren von den Florentiner Renaissance-Philosophen und erst recht von der Lebenskunst-Philosophie der Antike. Da hat Descartes doch nur den allgemeinen Homo-Mensura-Satz des Protagoras auf sich bezogen. Er lautet: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, der nichtseienden, dass sie nicht sind.“
Danke für die Ergänzung. Es ist immer gut wenn Menschen die in finsteren Zeiten noch eine geistige Lampe am brennen halten dieses Licht auch den anderen zukommen lassen, die sonst im Dunkel stehen. Das gilt für Descartes und für dich.
Du brauchst Dich nicht beirren zu lassen. Descartes' Spruch bedeutet nicht, Dein Sein sei gleichsam eine Wirkung Deines Denkens.
Er bedeutet, dass allein schon die Tatsache, dass Du Dir die Frage »existiere ich eigentlich« überhaupt stellen kannst, beweist, dass die Antwort nur »ja« lauten kann.
Und das ist unmittelbar einleuchtend.
Steiners Antithese ist das nicht. Womöglich - das weiß ich erst, wenn ich mich mal mit dem Text befasse - beruht sie auch noch auf einer Fehlinterpretation.
Fühlen ist natürlich ein ebenso unmittelbare subjektives Element, wobei ich mit »subjektiv« nicht meine, es sei weniger gewiss, sondern im Gegenteil das einzig wirklich Gewisse.
Wenn Du weißt, dass Du fühlst, weißt Du auch, dass Du notwendigerweise bist. Weniger gewiss ist der »objektive« Reiz, von dem Du den Eindruck hast, es habe das Gefühl ausgelöst, schließlich träumen wir auch und haben dabei starke Gefühle und sehen und hören Dinge, die sie auslösen. Real sind sie dennoch nicht.
Hi, SlowPhil, durch solche Beiträge ist GF auf dem Weg, selbst mir "altem Grantler" zu gefallen. Danke.
Also für ich denke also bin ich nicht, fällt mir als denkendes Individuum keine logische Erklärung ein. Sorry.
Und weil ein selbsternannter Hellseher und Esoteriker solche Theorien aufstellt, so bekannt dieser Mensch auch sein mag, müssen diese noch lange keinen Sinn ergeben.
@SedOwl: Es lohnt sich schon. Es bei der bekannten Logik zu belassen, ist allerdings bequem. Die Logik hat natürlich Recht, wenn sie sagt: „Die Pferde ziehen eine Kutsche“. Oder passiv: „Die Kutsche wird von den Pferden gezogen“. Wenn „die Logik“ es aber bequem dabei belässt, vergisst sie den Kutscher. So könnte ein Mensch aber darauf kommen, die Logik um den Kutscher zu erweitern. Der Mensch, der diese Erweiterung vornähme, wäre dennoch streng logisch, auch dann, wenn der Kutscher am Ziehen der Kutsche selbst keinen Anteil hat. Ohne den Kutscher mögen die Logiker „logisch“ sein, aber nicht wirklichkeitsgemäß. Die Anwendung der Logik hätten sich ohne den Kutscher möglicherweise vergallopiert.
Warum nicht – mit Rudolf Steiner – die Frage nach dem „cogito, ergo non sum“ folgendermaßen auffassen: Der Wille hat Seinscharakter, das Denken zunächst nicht. Das Denken hat zunächst Vorstellungscharakter. Das „Ich denke, also bin ich“ würde jederzeit widerlegt werden, wenn der Denker schläft. Dann ist er, aber er denkt nicht. Im abstrakten Vorstellen (auch seines „Ich“) ist der Mensch am weitesten vom Sein entfernt. Auch dann, wenn er mit allen möglichen Gefühlen zweifelt und sich durch den Zweifel einer Sache aber sicher sein will. Das descart'sche „dubito, ergo sum“ geht in die gleiche Richtung wie das „cogito, ergo sum.“
Die Eingangsfrage dieses Chats bezieht sich wahrscheinlich auf die zweite Vortragsnachschrift von Rudolf Steiners „Die allgemeine Menschenkunde.“ Dort geht es um den Ursprung des Vorstellens und den Keim des Willens, welche mit erweiterter Logik zu erfassen seien. Für die Eingangsfrage gilt: Das Vorstellen hat Bildcharakter. Es entsteht im Abbild-Bilden der Dinge, welche Seins-Charakter haben. (Im Vortrag „das Auge", „der Magen" u.a.). Hat sich der Mensch vorstellend das Abbild geschaffen, ist er mit ihm aber gerade wieder nicht im Sein. Daher ist das Heranziehen von Descartes an dieser Stelle wiederum passend. Und so behauptet R. Steiner, dass R. Descartes' „cogito, ergo sum“ eigentlich das „cogito, ergo non sum“ sein müsse.
Ich kenne mich mit Steiner nicht aus. Aber es gibt auch in den östlichen Traditionen, im Buddhismus Ansätze in diese Richtung.
Man kann es so sehen: In dem Moment, wo du denkst, bist du nicht (ganz), weil das Denken dich von der unmittlbaren Erfahrung deiner Umgebung, deines Körpers abtrennt. In der Meditation geht es ja auch eher darum, durch waches Beobachten das Denken unnötig werden zu lassen. Das ist natürlich von mir sehr vereinfacht dargestellt.
Wie wärs mit: "Ich fühle, also bin ich"?
Oder findet Selbsterkenntnis etwa nur im Kopf statt?
Wie wäre es mit: "Ich fühle, also bin ich"?
Das steht mitnichten im Widerspruch zu "ich denke, also bin ich" und steht auch in keiner Konkurrenz dazu.
Meinst du das für das >Individuum< Mensch oder das >Gattungswesen< Mensch allgemein?
Stimmt, Descartes Satz wurde deshalb so berühmt, weil er damals etwas komplett neues war und zum ersten(?) Mal ein humanistisches Menschenbild, also das eines durch seinen Willen (selbst-)bestimmten und durch sein Denken befähigten Menschen andeutete. Damit eröffnete er auch die Möglichkeit für jeden dnekenden mensch selbst einen Bezug zu Gott zu finden.
In der Scholastik waren Menschen keine Individuen sondern Lämmer (oder sollte man sagen Schafe?) des "guten Hirten" in Rom und diesem "Pontifex maximus" (=Großer Brückenbauer) bedingungslos unterworfen.
In diesem Titel zeigt sich der Anspruch der katholischen Kirche auf das Monopol mit Gott zu kommunizieren , also "die Brücke zu Gott und damit zum Paradies" zu bauen. Nun, wers glaubt wird selig. Diese Doktrin ist der Jahrhunderte dauernde Zankapfel und Anlass für etliche Kriege in Europa.
Steiner dreht diesen Gedanken vor einem komplett anderen gesellschaftlichen Hintergund um, indem er darauf verweist, dass der Mensch eben nicht in seinen Entscheidungen ist, sondern durch zum guten Teil durch ein Numinoses (Triebe und Instinkte?) gesteuert wird. Zudem konnte Steiner mit der Vorstellung vom Menschen als reinem Vernunftwesen nicht viel Anfangen. Jeder der mit offenen Augen um sich sieht, weiß auch warum.