[Chemie] Radikalische Substitution / Halogenierung Alkane?
Guten Tag,
ich verstehe leider die radikalische Substitution / Halogenierung von Alkanen noch nicht so gut und würde mich über eine sehr ausführliche und leicht verständliche Erklärung freuen. Gerne könnt ihr mir das Thema anhand der zwei folgenden Bilder erklären.
Hier mein Verständnisproblem genauer formuliert:
Brom kommt in der Natur ja nur als zweiatomiges Minimolekül vor. Dieses wird durch die Lichtenergie gespalten und es folgen daraus zwei Bromradikale. Ein Bromradikal davon (die Bromradikale sind super reaktiv) verbindet sich nun mit einem Wasserstoffatom vom Methan. Das was dann entsteht ist Bromwasserstoff. Das was übrig bleibt ist ein Methylradikal. Die Bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff wird also aufgespalten, ein Elektron bleibt beim Methylradikal und das andere Elektron, das noch zum Wasserstoff gehörte, bildet mit dem Brom eine Elektronenpaarbindung (es entsteht Bromwasserstoff).
Nun haben wir ja das Methylradikal. Aber wieso verbindet sich das Methylradikal nun mit einem Bromatom von einem neuen Minimolekül (Brom kommt in der Natur ja nur als zweiatomiges Minimolekül vor) und nicht mit dem einem Bromradikal, welches noch von der Startreaktion übrig ist?
Das dann Brommethan entsteht, verstehe ich. Aber wieso nicht das Bromradikal von der Startreaktion verwendet wird, welches ja noch übrig ist, verstehe ich nicht.
Die Abbruchreaktion (also die Reaktion von zwei Radikalen) verstehe ich.
Wo hängst du denn beim Verständnis?
Ich verstehe, dass Brom in der Natur nur als zweiatomiges Minimolekül vorkommt und das Brom dann hier durch die Lichtenergie zu 2 Bromradikalen getrennt wird. Was ist ein Radikal,…
1 Antwort
Moin,
Kopf hoch, das wird schon. So schwer ist das eigentlich gar nicht (kompliziert wird es erst, wenn du dir alle möglichen Konsequenzen dieses Reaktionswegs klar machst).
Okay, fangen wir mal vorne mit der Bezeichnung an:
„Radikalische Substitution / Halogenierung von Alkanen”
Darin stecken vier Begriffe, über die es sich nachzudenken lohnt (wenn man das verstehen will).
Unter einer Substitution versteht man ganz allgemein das Ersetzen von irgend etwas durch etwas anderes.
So ist das auch in der Chemie: bei einer Substitution wird zum Beispiel ein Atom oder eine Atomgruppe durch ein anderes Atom oder eine andere Atomgruppe ersetzt. Das werden wir später noch einmal genauer anschauen.
Vielleicht ist dir der Begriff „radikal” auch schon in anderen Zusammenhängen untergekommen. Mit diesem Wort meint man allgemein etwas Rücksichtsloses, Aggressives oder Drastisches.
Und auch das ist in der Chemie nicht anders. Hier sind Radikale Teilchen, die ein einzelnes, ungepaartes Elektron besitzen. Dieser Zustand ist häufig energetisch (von der Energie her) sehr ungünstig. Deshalb versuchen solche Teilchen fast immer, ihren radikalischen Zustand zu beenden, indem sie rücksichtslos, aggressiv oder drastisch (eben radikal) alles angreifen, was in ihre Nähe kommt.
Die Kombination der beiden Begriffe bedeutet also, dass bei einem Molekül irgendein Atom (oder eine Atomgruppe) durch ein anderes Atom (oder eine Atomgruppe) ersetzt wird und dass das über Radikale erfolgt.
Unter einer Halogenierung versteht man wiederum, dass ein Molekül mit einem Halogen (Fluor, Chlor, Brom oder Iod) reagiert und zwar so, dass sich das Molekül mit mindestens einem Halogenatom verbindet.
Tja, bleibt noch der Begriff Alkan. Alkane sind chemisch eine ziemlich „langweilige” Stoffklasse, weil sie chemisch nicht besonders reaktiv sind. Du kannst Alkane verbrennen (mit Sauerstoff unter Zerstörung des Kohlenstoffgerüstes reagieren lassen, Oxidation), aber sonst eigentlich nicht viel damit anstellen. Und genau hier kommen die Radikale wieder ins Spiel. Die sind nämlich so aggressiv, dass sie sogar die ansonsten reaktionsträgen Alkane angreifen und mit ihnen reagieren.
So! Jetzt haben wir die Begriffe geklärt und dadurch schon eine Vorstellung davon bekommen, was uns erwartet.
Betrachten wir also die Bromierung von Methan wie in deiner Abbildung als Beispiel angegeben.
Die (ideale) Gesamtreaktion sieht so aus:
CH4 + Br2 → CH3Br + HBr
Methan (CH4) reagiert mit Brom (Br2) zu Brommethan (CH3Br) und Bromwasserstoff (HBr).
Wenn du das aus der Sicht des Methans betrachtest, wird im Methanmolekül also ein Wasserstoffatom durch ein Bromatom ersetzt. Genau das bezeichnet man als Substitution!
Doch wie passiert das genau?
Schauen wir uns den idealen Reaktionsmechanismus an:
Die kleinsten Teilchen des Elements Brom sind Minimoleküle, in denen zwei Bromatome über eine Einfachbindung miteinander verbunden sind: Br–Br.
Die Bindung ist nicht besonders stabil. Sie kann bereits bei Zimmertemperatur (und normalem Luftdruck) durch energiereiche UV-Strahlung gespalten werden. Dabei erhält jedes Bromatom von dem bindenden Elektronenpaar jeweils ein Elektron. Das bedeutet, dass die Bindung gleichmäßig getrennt wird (homolytische Bindungsspaltung):
Br–Br → Br• + •Br
Es sei an dieser Stelle ein kleiner Exkurs erlaubt: Es gibt auch eine heterolytische Bindungsspaltung, bei der das bindende Elektronenpaar ganz und gar bei einem Bindungspartner bleibt. Das kennst du vielleicht von der Salzsäure her:
H–Cl → H+ + Cl–
Das bindende Elektronenpaar bleibt beim Chloratom, so dass dieses zu einem einfach negativ geladenen Chlorid-Anion wird. Das Wasserstoffatom hat dabei nichts von dem bindenden Elektronenpaar abbekommen; es hat gar kein Elektron mehr, so dass es nun ein Wasserstoff-Kation (Proton) ist.
Weil also die Bindungsspaltung hier ungleichmäßig erfolgte, spricht man von einer heterolytischen Bindungsspaltung (hetero = verschieden; homo = gleich).
Doch kommen wir zurück zur homolytischen Bindungsspaltung beim Brom mit Hilfe von UV-Licht.
Das ist im Grunde der Ausgangspunkt der Bromierung von Methan:
1. Schritt: Radikalbildung
Br–Br --[UV-Licht]--> Br• + •Br
Auf diese Weise erzeugt man also Brom-Radikale. Diese haben einzelne, ungepaarte Elektronen und sind deshalb überaus reaktionsfreudig. Sie greifen alles an, was in ihre Nähe kommt.
Wenn ein Bromradikal auf ein Brommolekül treffen würde, dann würde es daraus ein Bromatom mit dessen Elektron „klauen” und zurück bliebe ein anderes Bromradikal: Br• + Br–Br → Br–Br + Br•. Aber das würde unter dem Strich nichts verändern, weil du nach der Reaktion immer noch ein Bromradikal und ein Bromminimolekül vorliegen hättest. Deshalb betrachten wir solche ablenkenden Reaktionswege in einem idealen Verlauf nicht weiter. Es soll nur zeigen, dass ein Radikal alles angreift, was in seine Nähe kommt (dazu später noch einmal mehr).
Der nächste Schritt im radikalischen Kettenmechanismus ist der Kettenstart:
2. Schritt: Kettenstart (Initiation):
H3C–H + •Br → H3C• + H–Br
Wenn ein Bromradikal auf ein Methanmolekül trifft, dann entreißt es dem Methan ein Wasserstoffatom mitsamt dessen Elektron und verbindet sich zu Bromwasserstoff (H–Br). Dadurch ist das Bromradikal seinen radikalischen Zustand losgeworden.
Aber dafür hat nun das Kohlenstoffatom im ehemaligen Methanmolekül einen Bindungspartner weniger und dafür ein ungepaartes einzelnes Elektron (also einen radikalischen Zustand). Es ist nun ein Methylradikal (H3C•) entstanden. Für dieses Radikal gilt im Grunde das gleiche wie zuvor für das Bromradikal. Der energetische Zustand ist so ungünstig, dass auch das Methylradikal alles angreift, was in seine Nähe kommt, um den radikalischen Zustand zu beenden.
3. Schritt: Kettenfortpflanzung (Elongation):
H3C• + Br–Br → H3C–Br + •Br
CH4 + Br• → HBr + •CH3
usw.
Das Methylradikal (H3C) greift nun ein Bromminimolekül (Br–Br) an, entreißt ihm ein Bromatom mitsamt einem Elektron aus dem bindenden Elektronenpaar und wird dadurch zu Brommethan (H3C–Br). Zurück bleibt wieder ein Bromradikal (•Br). Dieses Bromradikal greift erneut ein Methanmolekül an, schnappt sich ein Wasserstoffatom und hinterlässt abermals ein Methylradikal, das dann wieder ein Bromminimolekül angreift usw.
Du siehst, es entsteht eine Kettenreaktion, in der immer wieder neue Radikale entstehen.
Aber hört das nie auf? - Doch! Es gibt sogar zwei verschiedene Wege, wie das Ganze beendet werden kann. In beiden Möglichkeiten kommt es zur Beendigung des radikalischen Zustands.
4. Schritt: Kettenabbrüche (Termination):
Fall a) Radikalkombinationen
Br• + •Br → Br–Br
H3C• + •Br → H3C–Br
H3C• + •CH3 → H3C–CH3
Der radikalische Zustand kann beendet werden, wenn zufällig zwei Radikale aufeinandertreffen. Das können zwei Bromradikale sein, die sich dadurch wieder zu einem Bromminimolekül vereinen. Es kann auch ein Methylradikal auf ein Bromradikal treffen, so dass Brommethan gebildet wird. Oder es treffen zwei Methylradikale aufeinander, wobei dann ein längeres Alkan (hier Ethan) entsteht.
Bis hierhin geht etwa dein Post (mit kleinen Exkursen und Zusatzinformationen meinerseits).
Es gibt aber noch eine Methode, wie es zu einem Kettenabbruch kommen kann.
Fall b) Disproportionierung (geht nicht bei Methan, aber bei Ethan schon):
•CH2–CH3 + •Br → •CH2–•CH2 + HBr
•CH2–•CH2 → H2C=CH2
Stell dir vor, dass du bereits ein Ethylradikal (•CH2–CH3) hast. Dieses wird nun von einem Bromradikal (•Br) angegriffen, aber nicht dort, wo bereits der radikalische Zustand im Alkylradikal ist, sondern am benachbarten C-Atom. Radikale sind nicht besonders wählerisch, wenn es darum geht, ihren radikalischen Zustand zu beenden. Wenn nun also das Bromradikal vom benachbarten C-Atom ein Wasserstoffatom mitsamt dessen Elektron schnappt, dann bildet sich einerseits wieder einmal Bromwasserstoff (HBr), aber andererseits auch ein Diradikal, also ein Radikal, in dem zwei C-Atome im radukalischen Zustand sind. Die beiden C-Radikale suchen dann nicht irgendein anderes Molekül, dass sie angreifen können, sondern sie vereinen ihre beiden ungepaarten Elektronen zu einer weiteren Bindung. Es entsteht also eine C=C-Doppelbindung. Auch das beendet sämtliche radikalische Zustände und somit die Kettenreaktion.
Kommen wir abschließend noch auf ein paar Probleme bei diesem Reaktionsmechanismus zu sprechen.
Oben ist ein sogenannter idealer Verlauf beschrieben. Das heißt, dass wir davon ausgehen, dass nichts Störendes passiert. Aber selbst bei einem wirklich idealen Verlauf erhältst du mindestens drei bis vier verschiedene Produkte, nämlich das erwünschte Brommethan, den Bromwasserstoff (als Nebenprodukt), aber eben auch längerkettige Alkane (wie hier Ethan, wenn sich zwei Methylradikale miteinander kombinieren) und - möglicherweise - eine völlig andere Stoffklasse, nämlich Alkene (mit C=C-Doppelbindungen; bei einer Disproportionierung).
Und nun stell dir vor, dass ein Bromradikal nicht ein Methanmolekül angreift, sondern ein bereits bromiertes Methanmolekül (ein Brommethan). Dann kann es leicht passieren, dass auch zweifach, dreifach oder sogar vierfach bromierte Alkane entstehen:
CH4 + Br2 → CH3Br + HBr
CH3Br + Br2 → CH2Br2 + HBr
CH2Br2 + Br2 → CHBr3 + HBr
CHBr3 + Br2 → CBr4 + HBr
Auch bromierte Alkene könnten herauskommen. Und sogar verzweigte Alkane ( Alkene mit mehr oder weniger vielen Bromsubstituenten wären möglich.
Das bedeutet, dass bei einer radikalischen Substitution je nach Verlauf viele Produkte (eine sogenannte Produktpalette) entstehen (können), die man anschließend noch voneinander trennen muss.
Das liegt natürlich daran, dass die Radikale so reaktiv sind und wahllos alles angreifen, das in ihre Nähe kommt. Dadurch ist der Verlauf schlecht zu kontrollieren und chaotisch-unübersichtlich.
Aber ein paar Möglichkeiten der Kontrolle hat man doch. Eine Möglichkeit ist, dass man nicht ständig UV-Licht zur Bildung von Radikalen in das Reaktionsgemisch einstrahlen lässt, sondern lieber nur kurz, aber dafür immer mal wieder. Das führt dazu, dass nicht allzu viele Bromradikale entstehen, so dass die Reaktion nicht völlig chaotisch abläuft.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, deutlich mehr Alkanmengen im Vergleich zur Menge des eingesetzten Broms im Reaktionsgemisch zu haben, denn das steigert die Wahrscheinlichkeit, dass Bromradikale auf noch nicht bromierte Alkane treffen und so die Ausbeute an einfach bromierten Alkanen steigt.
Und schließlich könnte man auch versuchen, die einfach bromierten Alkane möglichst schnell aus dem Reaktionsraum zu entfernen, damit sie nicht noch einmal radikalisch angegriffen werden können.
So! Wir sind am Ende dieser (leider sehr langen) Ausführung angekommen. Ich hoffe, dass du bis hierhin durchgehalten hast und alles verstanden hast.
Du kannst deine gepostete Abbildung jetzt hoffentlich selbst leicht nachvollziehen.
LG von der Waterkant
Dass ein Methylradikal sich mit einem Bromradikal (vom Anfang) verbindet, kommt vor! Selbstverständlich! Das ist eine der Möglichkeiten des Kettenabbruchs.
Aber das ist auch eine von den Möglichkeiten, die den idealen Verlauf stören bzw. ablenkende Nebenmöglichkeiten darstellen. Wenn das passiert, ist die Kettenreaktion bereits beendet, bevor sie überhaupt angefangen hat.
Interessant ist daher mehr der beschriebene Verlauf einer idealen radikalischen Substitution. Dieser ideale Verlauf findet in dieser Form natürlich kaum statt. Es gibt eine ganze Reihe von merkwürdigen Nebenreaktionen, die passieren können. In einem radikalischen Mechanismus ist sooo viel möglich.
Darum bezeichnet man den dargestellten Weg ja auch als „ideal”. Wenn alles glatt läuft, sozusagen.
Doch in Wirklichkeit passiert das alles nie so ideal, so dass am Ende eine mehr oder weniger große Produktpalette an ganz verschiedenen Stoffen herauskommt.
Um es noch einmal völlig klarzustellen: Selbstverständlich kommt es auch vor, dass ein gebildetes Methylradikal mit einem noch vorhandenen Bromradikal vereinigt. Das beendet die radikalischen Zustände beider Teilchen. Doch das führt auch zu einem bromierten Methan und ist somit auch ein erwünschtes Produkt.
Der ideale Verlauf zeigt nur, dass man hofft, dass dies möglichst oft passiert, damit man möglichst viel einfach bromierte Alkane erhält...
Aber ich freue mich, dass du das alles gut zu verstehen scheinst. Da habe ich das Gefühl, dass sich die Mühe und der Zeitaufwand lohnen. Weiter so!
Nochmals ein lieber Gruß von der Waterkant
Ich freue mich jedes Mal über deine perfekten Antworten, da sie wirklich leicht verständlich sind 🤩 Vielen Dank 🙏🙏
Guten Abend DedeM, mir würde es so unendlich helfen, wenn du dir später meine neueste Frage ansehen könntest, da brauche ich noch dringend Hilfe. Der Titel der Aufgaben lautet „Ermittlung der Strukturformel von Ethanol“. Hier gelangst du zur Frage: https://www.gutefrage.net/frage/chemie-ermittlung-der-strukturformel-von-ethanol
Liebe Grüße
maennlich2002
Vielen Dank für deine Antwort, werde ich gleich direkt ansehen. Vielleicht magst du dir ja noch meine Ergänzung der Frage ansehen und eventuell einen kleinen Kommentar dazu schreiben, falls das nicht aus deiner Antwort für mich klar werden sollte :-) Das würde mir sehr helfen 🙋♂️