Bei meinem Kumpel wurde Autismus diagnostiziert, für mich wirkt er aber nicht wie der typische Autist?

9 Antworten

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet
 Ich bin zwar kein Experte, Arzt, Neurologe, oder was auch immer, aber ich bezweifele die Diagnose ganz stark an. Mein Kumpel macht eigentlich einen ganz normalen Eindruck, er lacht, er hat Humor und geht auch mit Feiern. Er ist zwar ein ruhiger Typ vom Wesen her aber so richtig introvertiert ist er nicht. Er ist nicht so der stereotypische Autist.

Na, immerhin sagst du selber, dass du kein Experte bist ...

Anstatt dich auf all das zu konzentrieren, was nicht stereotypisch autistisch ist, könntest du dich auf all das konzentrieren, was autistisch ist. Falls dich das so sehr beschäftigt, kannst du deinen Kumpel doch einfach selber mal fragen, weshalb der Arzt ihm die Diagnose gegeben hatte, was er dem Arzt alles erzählt hatte. Der Arzt wird ihm nämlich - hoffentlich - genauestens erklärt haben, was ihn alles dazu bewegt hatte, ihm die Diagnose zu geben. Vielleicht kannst du es dann besser nachvollziehen.

Nun zu dem eigentlichen Inhalt: Verstehe ich das korrekt, dass du denkst, wir Autisten seien ... humorlos? Ich meine: Keine Sorge, ich hab das schon viel zu oft gelesen, es ist nicht kreativ, aber es ist schon irgendwie verletzend, das so ausgeschrieben zu lesen.

Und keine Panik, wir Autisten können auch lachen. Wir werden nicht ohne unseren Lachmuskel geboren. Ich hab auch schon häufig gelacht und das hatte mich nie weniger autistisch gemacht. Wir Autisten können Gefühle und Emotionen haben, sehr starke sogar.

Es gibt auch Autisten, die gerne feiern gehen. (Vielleicht ist er dahingehend einfach eher hyposensibel, statt hypersensibel.) Und es gibt auch Autisten, die extrovertiert (oder ambivertiert) sind. Nicht jeder Autist ist introvertiert. Es ist sogar eher so, dass manche Autisten, die introvertiert erscheinen, viel eher z.B. eine Sozialphobie haben. Manche Autisten sind selbstverständlich introvertiert. Ich weiß, dass ich auch ohne meine Sozialphobie introvertiert wäre. Aber nur, weil dein Kumpel nicht dem Klischee-Autisten entspricht, heißt das noch lange nicht, dass er kein Autist ist. Ich entspreche auch nicht dem Klischee-Autisten und bin trotzdem Autistin. Fast kein Autist tut das zu 100%. Der Klischee-Autist ist männlich, maximal 10 Jahre alt (Die Forschung interessiert sich wenig für erwachsene Autisten), stapelt Lebensmitteldosen wie der Junge auf dem früheren Foto vom Autismus-Wikipedia-Eintrag, interessiert sich für Züge und Mathematik, wird später im IT-Bereich oder als Bahnfahrer arbeiten und da gibt es keine dritte Option, ist introvertiert, dreht sich ständig im Kreis (Stimming) und isst nur und ausschließlich nur Chicken Nuggets in Dino-Form. (Zugegeben: Das sind die besten Chicken Nuggets und manchmal drehe ich mich auch gerne im Kreis.)

Und während es selbstverständlich absolut nichts Negatives ist, wenn sich der Autismus so zeigt, so ist es auch wichtig, zu realisieren, dass Autismus sich sehr individuell, von Person zu Person unterschiedlich, zeigt.

Du darfst ja auch nicht vergessen, dass es viele autistische Merkmale gibt, die man als Außenstehender oft gar nicht bemerkt. Und ein weiterer, sehr wichtiger Punkt: Masking.

Ich hab damals, vor und nach meiner Diagnose, auch normal auf fast alle gewirkt. Außer auf meine Mutter, denn bei ihr hatte ich nicht versucht, mich zu verstellen, weil ich mich bei ihr und nur bei ihr, wohl fühlte. Wir Autisten können absolut normal wirken und trotzdem Autisten sein. Masking kann sogar soweit gehen, dass es etwas Unterbewusstes ist, was wir schwer kontrollieren, was wir nicht mehr ausstellen können. Masking ist nicht umsonst eine trauma response.

Wenn wir noch immer nach Stereotypen gehen würden - und viele Ärzte tun das leider nach wie vor -, hätten viel weniger Menschen ihre Diagnose. Es ist gut, von diesem alten Klischeedenken wegzukommen.

Vielleicht habe ich auch wirklich keine Ahnung von Autismus, was meint ihr denn?

Ja, da gebe ich dir Recht. Allerdings ist es immer tausendmal besser, das selber einzusehen. Damit bist du vielen anderen, die von Autismus keine Ahnung haben, einige Schritte voraus.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽

Ob die Autismus-Diagnose bei deinem Kumpel gerechtfertigt ist oder nicht, kann niemand hier aus der Ferne beurteilen. Diagnosen (gerade in dem Bereich) sind ohnehin immer etwas sehr persönliches. Es liegt jetzt an deinem Kumpel, die Autismusdiagnose für sich einzuordnen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Du kannst ihm dabei unterstützen, aber an eurer Freundschaft sollte sich im Prinzip nichts ändern. Dein Kumpel bleibt ja auch mit Autismusdiagnose derselbe Mensch.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Von Experte rotesand bestätigt

Es gibt einerseits viele Formen von Autismus, aber es gibt andererseits auch Ärzte und Therapeuten, die unbedingt irgendwelche Diagnosen stellen wollen. Lasse Dich nicht durch solche Diagnose dem Kumpel entfremden. Außerdem ist das eine harmlose, keine gefährliche Diagnose.


NixDaaadu65 
Beitragsersteller
 08.08.2024, 21:03

So eine Diagnose kann einen ganz schön brandmarken, deswegen habe ich es angezweifelt und wollte das gegebenfalls widerrufen. Und selbst wenn, Für mich ist es egal was er ist, für mich ist er normal.

1
Von Experte DianaValesko bestätigt

Nicht jeder Autist hat die selben Symptome. Mancher kann sich auch gut anpassen und fällt eigentlich kaum weiter auf. So sind die Menschen verschieden!

Ich habe beruflich jedoch leider eine andere und recht traurige Erfahrung gemacht. Hin und wieder wird vor allem Asperger als eine Art Modediagnose gestellt, wenn jemand zum Beispiel als Schüler das System sprengt und "was auf dem Zettel stehen muss". Ich habe drei solche Diagnosen miterlebt, die jeweils nach Jahren revidiert worden sind. Einmal wurde das Ganze mit Schulangst verwechselt, einmal mit schweren Depressionen und einmal gab der Arzt sogar zu, er sei unter Druck gestanden und habe etwas vorzeigen müssen, damit Eltern und Schulleiter zufrieden waren und einen Schüler mit eigenartigem Charakter "in eine Schublade einsortieren" konnten. Gute Psychologen mit guter Diagnostik sind rar gesät, das kommt dazu.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

Es ist ein Spektrum! Völlig normal, dass einige Menschen mit Autismus nicht wie die Stereotypischen Autisten wirken.