Aristoteles in deutscher Übersetzung?

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Aristoteles, Peri enhypnion (griechisch: Περὶ ἐνυπνίων; Über Träume; lateinischer Titel: De insomniis), Kapitel 2 (459 a 37 – 460 b 31)

Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Herausgegeben von Hellmut Flashar. Band 14: Parva naturalia, Teil 3: De insomniis, De divinatione per somnum. Übersetzt und erläutert von Philip J. van der Eijk. Berlin : Akademie-Verlag, 1994, S. 18 – 21 :

„2. Was der Traum ist und wie er entsteht, dürften wir vorzugsweise ausgehend von dem, was sich beim Schlaf ereignet, untersuchen. Es ist nämlich so, daß die jedem Wahrnehmungsorgan entsprechenden Wahrnehmungsobjekte bei uns Sinneswahrnehmung hervorbringen und daß die dadurch entstandene Affektation nicht nur dann in den Wahrnehmungsorganen vorhanden ist, wenn die Wahrnehmungen aktuell sind, sondern auch dann, wenn sie verschwunden sind. Die Affektation scheint in diesen Fällen nämlich ungefähr dasselbe zu sein wie das, was bei in Bewegung gesetzten Gegenständen geschieht. Denn auch bei in Bewegung gesetzten Gegenständen findet Bewegung statt, wenn dasjenige, das die Bewegung hervorgebracht hat, sie nicht länger berührt: Das Bewegende hat nämlich eine Portion Luft in Bewegung gebracht und diese ihrerseits, indem sie bewegt wurde, eine andere; und in dieser Weise bewegen sich die Gegenstände bis zu dem Moment, in dem sie halten, sowohl in der Luft wie in Flüssigkeiten. In ähnlicher Weise muß man dies auch bei der Veränderung annehmen: Das, was durch das Warme erwärmt worden ist, erwärmt nämlich das Naheliegende, und dieses gibt (die Wärme) weiter zum Beginn. Daraus  ergibt sich, daß auch in demjenigen, in dem das Wahrnehmen, vor sich geht – weil ja die aktuelle Sinneswahrnehmung eine Art Veränderung ist – sich dies notwendig vollzieht. Daher befindet sich die Affektation nicht nur dann in den Wahrnehmungsorganen, wenn sie wahrnehmen, sondern auch dann, wenn sie damit aufgehört haben, sowohl in der Tiefe als auch an der Oberfläche.

Dies leuchtet ein, wenn wir ununterbrochen etwas wahrnehmen; wenn wir nämlich (dann) die Wahrnehmung auf etwas anderes richten, folgt die Affektation, z. B, wenn wir sie von der Sonne zum Dunkel wenden: (Dann) passiert es, daß wir nicht sehen können infolge der Bewegung durch das Licht, die noch in unseren Augen vorhanden ist. Und wenn wir uns längere Zeit hindurch eine bestimmte Farbe, sei es weiß oder grün, angesehen haben, erscheint uns der Gegenstand, zu dem wir den Blick gewandt haben, in dieser Farbe. Und wenn wir in die Sonne oder zu etwas anderem Glänzenden geschaut haben und (dann) die Augen schließen, erscheint uns (dieser glänzene Gegenstand), wenn wir ihn uns genau angesehen haben, in einer graden Linie - in welcher Weise das Sehen ja vor sich geht – und zwar zuerst in derartiger Farbe, (die es in Wirklichkeit besitzt), dann aber verändert er sich  ins Rot und dann ins Purpurne, bis er in die schwarze Farbe gelangt undn verschwindet. Weiterhin, wenn man den Blick von sich bewegenden Objekten, z. B. Flüssen – vor allem Flüssen, die schnell strömen -, abwendet, erscheinen ruhende Gegenstände, als wären sie in Bewegung. Auch werden Menschen schwerhörig durch starken Schall und können nicht gut riechen durch starke Gerüche, uns so auch in ähnlichen Fällen. Diesen (Phänomene) ereignen sich also offensichtlich in dieser Weise.

Dafür, daß die Wahrnehmungsorgane sogar einen kleinen Unterschied schnell wahrnehmen, bietet das, was bei Spiegeln geschieht, ein Anzeichen – (ein Phänomen,) dem man auch als solchem eine konzentrierte, auf Probleme gezielte Untersuchung widmen könnte. Zugleich zeigt sich daraus, daß, genauso wie das Gesicht etwas erleidet, es so auch etwas bewirkt. Denn bei Spiegeln, die sehr sauber sind, geschieht es, daß, wenn Frauen während der Menstruation in den Spiegel schauen, die Oberfläche des Spiegels wie ein blutartiger Nebel wird; und wenn der Spiegel neu ist, ist es nicht leicht, einen derartigen Fleck abzuwischen, ist er jedoch alt, so ist es leichter. Der Grund ist, wie gesagt, daß das Gesicht nicht nur durch Zutun der Luft etwas erleidet, sondern auch etwas (darin) bewirkt und eine Bewegung verursacht, wie es auch die glänzenden Gegenstände tun; auch das Auge gehört ja zu denjenigen Gegenständen, die glänzend sind und Farbe besitzen. Nun sind verständlicherweise während der Menstruation die Augen in derselben Beschaffenheit wie ein sonstiger beliebiger Körperteil; außerdem enthalten sie ja von Natur aus viele Adern. Daher ist während der Menstruation infolge einer Verwirrung und Erhitzung des Blutes der Unterschied in den Augen für uns zwar nicht sichtbar, trotzdem aber vorhanden – denn die Natur des Samens und des Menstrualblutes ist dieselbe. Die Luft wird durch die Augen bewegt und affiziert die damit verbundene Luft, die sich bei den Spiegeln befindet, in einer gewissen Weise, und zwar in einer solchen, in der sie selber affiziert wird; und diese Luft affiziert dann die Oberfläche des Spiegels in dieser Weise. Wie bei Kleidern die saubersten am schnellsten schmutzig werden - denn das Sauberste zeigt genau, was es auch immer aufgenommen hat – so macht auch das Sauberste die geringsten Bewegungen sichtbar. Das Erz ist infolge seiner Glattheit für jede Art Berührung besonders empfindlich - man muß die Berührung durch die Luft so verstehen, als wäre es eine Art Reibung und wie ein Abwischen und eine Säuberung; und weil es sauber ist, ist auch nur die geringste Bewegung sehr klar sichtbar. Der Grund, daß der Fleck bei neuen Spiegeln nicht schnell verschwindet, ist, daß diese sauber und glatt sind; er dringt ja in solche Spiegel sowohl in die Tiefe wie über die ganze Oberfläche ein: in die Tiefe, wie der Spiegel sauber ist, über die ganze Oberfläche, weil er glatt ist. Auf alten Spiegeln verharrt der Fleck nicht, weil er nicht in gleichartiger Weise darin eindringt, sondern mehr an der Oberfläche bleibt.

Daß also durch kleine Unterschiede eine Bewegung entsteht und daß die Wahrnehmung schnell ist und weiterhin auch, daß das Organ, mit dem wir Farben wahrnehmen, nicht nur erleidet, sondern auch eine Gegenwirkung ausübt, geht hieraus klar hervor. Als Beleg für das Gesagte gilt auch das, was beim Wein und bei der Präparation von Salben geschieht. Denn wenn Öl präpariert worden ist, nimmt es schnell die Gerüche nahestehender Gegenstände an, und beim Wein geschieht genau dasselbe; denn nicht nur von Dingen, die man hineinwirft oder damit mischt, sondern auch von Dingen, die neben die Fässer gestellt werden oder daneben wachsen, nimmt er die Gerüche an.

Im Hinblick auf unsere anfängliche Untersuchung muß eines als Ausgangspunkt gelten, was aus dem Gesagten hervorgeht, nämlich daß, auch wenn das von außen stammende Wahrnehmungsobjekt verschwunden ist, die Wahrnehmungseffekte, die als solche wahrnehmbar sind, zurückbleiben, und außerdem, daß wir uns bezüglich unserer Wahrnehmungen leicht täuschen, wenn wir in Zuständen von Erregung sind, der eine im einen, der andere im anderen, z. B. der Feige in Furcht, der Schnellverliebte, wenn er sich verliebt hat, so daß aufgrund einer kleinen Ähnlichkeit der eine seine Feinde, der andere seinen Geliebten zu sehen meint; und je stärker man unter dem Einfluß der Erregung steht, desto geringer ist die Ähnlichkeit, aufgrund derer sich diese Erscheinungen zeigen können. In derselben Weise werden auch in Zuständen des Zorns und aller Art Begierden alle Menschen leicht täuschbar, und zwar um so stärker, je stärker sie unter dem Einfluß dieser Erregung stehen. Daher erscheinen auch Fiebernden manchmal Tiere an den Wänden, weil sie die Linien aufgrund einer kleinen Ähnlichkeit kombinieren. Und manchmal nehmen diese Täuschungen den Affektationen gemäß in derartiger Weise an Intensität zu, daß, wenn (die Fiebernden) nicht sehr krank sind, es ihnen nicht entgeht, daß (die Erscheinung) falsch ist, wenn aber die Affektation stärker ist, sie sich sogar diesen Escheinungen gemäß bewegen.

Der Grund dafür, daß diese Dinge geschehen, liegt darin, daß das Vermögen, kraft dessen das Entscheidende urteilt, nicht dasselbe ist wie dasjenige, kraft dessen die Erscheinungen entstehen. Anzeichen dafür ist, daß die Sonne als einen Fuß breit erscheint, häufig aber etwas anderes dieser Erscheinung widerspricht. Und wenn man zwei Finger übereinander kreuzt, erscheint das Einfache als zweifach, aber trotzdem sagen wir nicht, es sei zweifach; denn das Gesicht hat mehr Autorität als der Tastsinn. Wäre der Tastsinn als einziger da, so würden wir auch zum Urteil kommen, das Einfache sei zweifach. Der Grund, daß man getäuscht wird, ist folgender: Nicht nur dann, wenn das Wahrnehmungsobjekt sich bewegt, zeigen sich alle möglichen Erscheinungen, sondern auch, wenn die Wahrnehmung selbst sich bewegt, wenn sie in derselben Weise bewegt wird, wie sie auch durch das Wahrnehmungsobjekt bewegt wird; ich meine, wie den Menschen, die auf einem Schiff fahren, das Land sich zu bewegen scheint, weil ihre Augen von etwas anderem bewegt werden.“

In Bibliotheken kann auch nach weiteren Übersetzungen gesucht werden. z. B.:

Aristoteles, Kleine naturwissenschaftliche Schriften = (Parva naturalia). Übersetzt und herausgegeben von Eugen Dönt. Stuttgart : Reclam, 1997 (Reclams Universal-Bibliothek ; Nr. 9478). ISBN 3-15-009478-X

 


MUCMadl 
Beitragsersteller
 27.09.2021, 01:33

Lieber Albrecht, Du bist ein Schatz!!! Ich hatte die lateinische Quelle, aber meine Übersetzung klang etwas holprig (Kleines Latinum eben :-) )

Herzlichen Dank für Deine Mühe und die ausführliche Antwort. Du hast mir sehr geholfen!

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