Als die Helvetier Gallien erobern wollten, warum schlossen sie dann zuerst Frieden mit dem benachbarten Stämmen?

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Nun stell dir mal vor, die Helvetier ziehen mit ihrer Armee ein paar 100 km nach Gallien. Kriegerische Nachbarn könnten diese Chance nutzen, um Helvetien zu überfallen, auszuplündern, Frauen und Kinder zu versklaven. Es ist ja niemand da, der sie beschützen kann. Bis die helvetische Armee wieder zurück ist, ist alles zu spät.

Das lässt sich nur verhindern, wenn sich die Helvetier durch Friedensschlüsse den Rücken frei halten.

Die Helvetier haben mit benachbarten Stämmen/Völkern Frieden und Freundschaft bekräftigt (Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 3, 1 cum proximis civitatibus pacem et amicitiam confirmare).

Ein naheliegender Grund ist eine Absicherung des Auswanderungsplanes der Helvetier bzw. eines Zuges helvetischer Truppen. Die Helvetier hatten nach Caesars Darstellung zwei Jahre Vorbereitungszeit und einen Aufbruch im dritten Jahr beschlossen (Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 3, 2). Große kriegerische Verwicklungen hätten zu Störungen der Vorbereitung und des Aufbruchs führen können.

Sachlich einleuchtend ist als hauptsächlicher Grund eine Absicherung des Zuges durch das Gebiet gallischer Stämme/Völker. Caesar nennt nicht die an dieser Stelle gemeinten Stämme/Völker (civitates).

Mit den Römern im Süden haben die Helvetier offenbar keinen Vertrag geschlossen. Auch zu einem Friedens- und Freundschaftvertrag mit germanischen Stämmen/Völkern im Norden fehlen Hinweise.

Die Helvetier haben die ihnen direkt benachbarten Rauraker, Tulinger, und Latobriger dazu überredet, sich ihrem Zug anzuschließen, und auch die Boier gewannen sie als Bundesgenossen (Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 5, 4).

Die Helvetier wollten weiter westlich ziehen (angeblich in das Land der Santonen: Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 10, 1; 1, 11, 6; die Santonen wohnten im Südwesten Galliens, an der Atlantikküste).

Nach Caesars Darstellung sind alle Helvetier ausgewandert (Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 2, 1; 1, 5) und sie haben ihre Städte, Dörfer und einzelnen Höfe verbrannt, um eine Hoffnung auf Rückkehr in ihre Heimat zu beseitigen und dadurch um so entschlossener die gefahrvolle Auswanderung zu unternehmen. Caesar behauptet, bei den Helvetiern Tafel mit Zahlenangaben gefunden zu haben, nach denen ingesamt 368000 Helvetier (sowohl waffenfähige Männer - ungefähr 92000 - als auch Kinder, Alte und Frauen) losgezogen sind, und bei einer Zählung insgesamt 110000 Helvetier festgestellt zu haben, die nach der Niederlage gegen die Römer in ihre Heimat zurückkehrten (Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 29). Die Zahlenangaben sind nicht glaubwürdig. Nach sachlichen Überlegungen sind sie viel zu hoch (starke Übertreibung Caesars). Es gibt keine archäologischen Spuren für ein umfangreiches Niederbrennen und Aufgeben von Siedlungen im Gebiet der Helvetier. Caesars Darstellung, alle Helvetier seien losgezogen, ist wohl falsch.

Nach Caesars Darstellung sind keine Helvetier zurückgeblieben und demnach kann er nicht meinen, die Verträge seien eine Schutzmaßnahme für eine in ihrer Heimat zurückgebliebene Bevölkerung gewesen.

Zu den Stämmen/Völkern, mit denen die Helvetier Friedens- und Freundschaftsveträge geschlossen haben, gehörten anscheinend die Sequaner und Haeduer. Orgetorix hat zur Ausführung des Auswanderungsplanes (unter anderem Bekräftigung von Frieden und Freundschaft mit benachbarten Stämmen/Völkern) eine Gesandtschaft zu Stämmen/Völkern (civitates) unternommen (Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 3, 3) und ist dabei mit dem Sequaner Casticus und dem Haeduer Dumnorix zusammengekommen (Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 3, 4 - 5).

Nachdem ein Versuch der Helvetier, einen Weg duch das Land der Allobroger in der römischen Provinz zu nehmen, gescheitert waren, zogen die Helvetier in das Land der Sequaner und dann in das Land der Häduer (Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 11, 1). Gesandte der Helvetier sind vor ihrem Aufbruch zu Dumnorix gekommen, damit dieser eine Erlaubnis der Sequaner vermittelte (Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 9, 2 – 4). Auch wenn Caesar behauptet, die Helvetier hätten die Sequaner nicht alleine überzeugen können, ist sachlich naheliegend, die Erlaubnis für eine Bestätigung einer schon von Orgetorix bei seiner Gesandschaft mit Beteiligung des Dumnorix getroffenen Vereinbarung zu halten. Die Helvetier und Sequaner stellten sich als vertrauensbildende Maßnahme zur Garantie des Vertrages gegenseitig Geiseln. Die Sequaner sollten der Helvetier nicht am Durchzug hindern und die Helvetier ohne Schädigungen und Übergriffe durchziehen.

Sogar wenn eine Eroberungsabsicht der Helvetier angenommen wird, wäre es für sie nicht die richtige Taktik gewesen, vor Erreichen ihres neuen Siedlungsgebietes große Angriffe gegen Nachbarstämme zu unternehmen und sofort mit einem Eroberungsversuch zu beginnen.

Der Weg führte durch Gebirgslandschaft und über Flüsse. Die Helvetier waren mit ihren Vorräten und ihrer Ausrüstung nicht sehr schnell und beweglich. Sie hatten Alte, Kinder und Frauen dabei. Die Helvetier wären für Angriffe sehr anfällig gewesen. Der Weg duch das Land der Sequaner war sehr eng und schwierig. Die Helvetier konnten ihn nicht gegen den Willen der Sequaner gehen (Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 6, 1; 1, 9, 1).

Die Eroberungsabsicht ist nur eine Unterstellung Caesars, die von keiner von ihm unabhängigen Quelle bestätigt wird. Er nennt als Ziel des Auswanderungsplanes, sich der Herrschaft/des Oberbefehls über ganz Gallien zu bemächtigen (totius Galliae imperio potiri Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 2, 2). Orgetorix, Casticus und Dumnorix hätten sich Treue geschworen und gehofft, sobald sie selbst in den drei äußerst mächtigen Stämmen/Völkern die Königsherrschaft an sich gerissen hätten, sich der Herrschaft über ganz Gallien bemächtigen zu können (Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 3, 8). Die Helvetier häten demnach zusammen mit den Haeduern und den Sequanern die Herrschaft errungen.

Eine tatsächliche Absicht der Eroberung ganz Galliens bei einem Auszug helvetischer Truppen ist ganz unwahrscheinlich. Es wäre falsch gewesen, ein großes und fruchtbares Gebiet zu verlassen und als Stütze zu verlieren. Eine Ansiedlung ganz weit im Westen war strategisch für eine Eroberung eher ungünstig. Caesar hat anscheinend eine Propagandabehauptung aufgestellt, die einen Krieg rechtfertigen sollte, und die wirkliche Absicht der Helvetier verdeckt. Mangels anderer Quellen ist sie nicht klar. Es bleiben nur Vermutungen.

Die Einzige Quelle, die die Behauptung der Helvetischen Okupationsvorhaben stützt, bzw. überhaupt erst aufstellt ist "De bello Gallico".

Wie ich schon zu deiner anderen Frage geschrieben habe: Nimm die Berichte in diesem Buch nicht als gegeben. Niemand kann sagen, wie Wahrheitsgetreu Cäsar die Ereignisse schilderte und ob er die Motivation der Helvetier selbst verstanden hat, geschweige denn, richtig niederschrieb.

Zum Beispiel die Zahl von 368.000 Helvetiern, die nach Gallien auswandern wollten, von denen ein Viertel Waffenfähig gewesen sein sollen, ist eine masslose Übertreibung.

ja, normalerweise schon, aber du verstehst, dass eroberungen zeit und ressourcen kosten?

friedensschlüsse nicht so

Reine Taktik.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Unterricht - ohne Schulbetrieb