Albert Camus - Der Mythos des Sisyphos?

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Albert Camus ist meiner ganz persönlichen Meinung nach ein Epikureer, so wie ich Epikur verstehe, als jemand, der die Welt als offenen Prozess betrachtet und den Menschen dahineingestellt ("geworfen" wie Heidegger es sagt, klingt mir zu dramatisch), dem allgemeinen Lebensprinzip von Versuch und Irrtum ausgesetzt. Camus ist bekennender Agnostiker und eher atheistisch gestimmt. Das verträgt sich nicht mit der Stoa, die ja die Welt als Cosmos, eine immer beste aller Welten sieht, als einen vom Logos (eine Art göttlichem Weltgeist = pantheistisch) kontrollierten Prozess. Das lehnt Camus ab und setzt sein Prinzip des Scheitern-Könnens dagegen, gebündelt in der Figur des Absurden. Aber: Aus dem Scheitern, aus Versuch und Irrtum lernen wir.

Wie bei Epikur ist Schicksal immer auch eine persönliche Reflexion: Je weniger wir über die Welt und ihr Funktionieren wissen, um so mehr ist es Schicksal, ob unsere Erwartungen in die Zukunft bestätigt oder enttäuscht werden. Aufklärung (gesellschaftlich) und mehr wissen drängt ein blindes Schicksal zurück und gibt uns mehr Gestaltungsfreiheit. Als Teil im reziproken Geflecht der Welt haben wir nie die idealistische absolute Freiheit. Das ist eine Illusion. Wir haben relative Freiheit und je nach politisch-gesellschaftlichen Umständen können wir diese Spielräume durch mehr Wissen, durch verlässliche Freundschaften und ein gerechtes Umfeld ausweiten. Doch sollten wir immer wieder aufstehen, wenn das Absurde wieder einmal zugeschlagen hat. Darum ist Freiheit des Individuums immer auch ein Stück Bereitschaft zum Widerstand, zum Neuanfang, zum sich nicht unterkriegen lassen.

Seneca ist dem Absurden spätestens dann begegnet, als ihm sein Zögling Nero das Kommando zum Selbstmord geschickt hat. Schon auf seinem Alterssitz hat er sich mehr und mehr Epikur zugewandt und einige glaubwürdige und schöne Zitate zu Epikur stammen aus seiner Feder. Als Stoiker jedoch glaubte er an die vom Logos bestimmte Fügung (Schicksal), das er wohl verfehlt hat. Stoiker glaubten an ein erfülltes Leben nur dann, wenn man das vom Logos zugeteilte Schicksal erkannte und gehorsam danach handelte. Doch das Erkennen war wohl nicht so einfach. Die Stoiker kommen der "Gehorsams-Ideologie" der Mönchsregeln näher, waren aber auf sich allein gestellt, die vom Logos vorgegebene Fügung zu erkennen, um ihr dann gehorsam zu folgen. Für die Stoa hatte also Schicksal eine andere Bedeutung als nicht immer erkennbare Fügung des Logos.