Demisexualität selten?
Ich wunderte mich kürzlich über zweierlei, als ich etwas über den Begriff der Demisexualität las. Unter demisexuellen Menschen versteht man Menschen, die dann und erst dann durch einen anderen Menschen sexuell erregt werden, wenn sie eine intensive emotionale Bindung zu diesem Menschen aufgebaut haben.
- Der Begriff wird dem asexuellen Spektrum zugeordnet.
- Wenn man darüber liest, hat Demisexualität häufig die Aura des Außergewöhnlichen, so als könne sich Otto Normalverbraucher gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, so zu ticken.
Mich wundert das ein wenig. Zum einen frage ich mich, was das mit Asexualität zu tun hat, wenn ein Mensch einen anderen Menschen intensiv liebt und dann Lust bekommt, Sex mit ihm zu haben und den Sex dann auch tatsächlich hat?
Zum anderen glaube ich, dass Demisexualität sehr weit verbreitet ist. Sicher, es gibt auch sehr viele Menschen, die anders ticken. Aber Menschen, die erst dann Verlangen und Lust haben, mit jemandem intim zu werden, nachdem sie diese Person wirklich sehr gut kennen und lieben gelernt haben, sind doch jetzt nicht so außergewöhnlich. Ihnen begegnet man doch bestimmt ständig und überall.
Als ich zur Schule ging, wurde uns das in der Sexualaufklärung sogar als der Normalfall vermittelt (Das Narrativ war: man findet einen Menschen toll, dann verliebt man sich, dann bekommt man Lust, miteinander zu schlafen).
Dass das für sehr viele Menschen so nicht stimmt, liegt natürlich auf der Hand😉. Dass es das aber in Lehrbücher geschaffen hat und anschlussfähig war, spricht ja schon dafür, dass es auf der anderen Seite eben sehr viele Menschen gibt, die genau so ticken.
Was denkt ihr dazu?
3 Antworten
Muss mann dafür eigentlich einen eigenen Begriff erfinden ?
Ich bespringe auch nicht alles was nicht auf 3 in den Bäumen ist, ich möchte auch erst mal eine emotionale Beziehung zu jemanden aufbauen bevor ich mit der Person das Bett teile.
Ich finde das eigentlich ganz normal, dafür muss mann nicht eine eigene Schublade erfinden.
Demisexualität ist nicht "Ich hüpfe nicht beim ersten Date in die Kiste, sondern erst beim dritten". Demisexualität ist "Ich dachte über locker ein Jahrzehnt, das ich asexuell bin, aber jetzt habe ich auf meine Beziehungsperson doch ein bisschen Lust".
Entsprechend: Ja, Demisexualität ist selten.
Auch in Lehrbüchern steht nicht immer die Wahrheit, sondern der aktuelle Kenntnisstand. Der Begriff Demisexualität ist noch sehr jung, weshalb der gewiss nur in den allerwenigsten Lehrbüchern vorkommt; wenn überhaupt.
Das Narrativ war: man findet einen Menschen toll, dann verliebt man sich, dann bekommt man Lust, miteinander zu schlafen [...]
"... und neun Monate später ist man Mama und Papa."
Genau so lässt sich auch der gesamte Sexualkundeunterricht zu meiner Schulzeit zusammenfassen. Alles andere hätte auch kaum in das (vor zwanzig Jahren) vorherrschende vereinfachte konservative und religiöse Weltbild gepasst und dessen Rahmen gesprengt.
Die meisten der Menschen, welche grundsätzlich zum Verspüren von sexueller Anziehung imstande sind, fühlen sich zumeist auch außerhalb einer Liebesbeziehung zu anderen Personen sexuell hingezogen; romantische Gefühle sind da oftmals nicht zwingend Voraussetzung (sonst gäbe es auch etwa keine Seitensprünge, keine Untreue, Prostitution wäre unrentabel etc.). Zudem bedeutet sexuelle Anziehung nicht automatisch auch Sex. Es gibt gewiss auch viele treue Partner, die ihre außerpartnerschaftliche sexuelle Anziehung zügeln können; dennoch haben sie diese sexuelle Anziehung und das widerspricht der Demisexualität. Sich als demisexuell verstehende Menschen nehmen sexuelle Anziehung (gegenüber anderen Personen) wirklich nur innerhalb einer romantischen Beziehung wahr, ansonsten nicht. Das ist tatsächlich bei weitem nicht so häufig, wie Du glaubst.
In einem anderen Punkt gebe ich Dir aber recht: Mit Asexualität hat Demisexualität nichts zu tun. Wer wirklich asexuell ist, verspürt mindestens keine sexuelle Anziehung; das heißt, zu keinem Zeitpunkt sowie gegenüber nichts und niemandem. Dies kann durchaus auch zur völligen Abwesenheit grundsätzlichen sexuellen Verlangens gehen. Ist man hingegen generell zum Empfinden von sexueller Anziehung imstande (wenn auch nur "wenig", "manchmal", "unter bestimmten Umständen" oder Ähnliches), so verfügt man auch über eine sexuelle Orientierung in eine eindeutige Richtung und fällt damit unter Allosexualität* und nicht Asexualität!
* allosexuell = jemand ist grundsätzlich in der Lage, sexuelle Anziehung zu empfinden; egal gegenüber wem und/oder was.
Für ein Spektrum ist bei der Abwesenheit von etwas kein Platz, weshalb auch dieses angebliche "asexuelle Spektrum" meiner Überzeugung nach ein Irrtum ist.
Oftmals wird dieser Bereich [Graubereich] in seiner Gesamtheit auch als das Asexuelle Spektrum (Aspec) bezeichnet, was allerdings nicht ganz passend ist, da einige der Empfindungsweisen im Graubereich der zentralen Definition von Asexualität widersprechen, d.h. die betreffenden Personen deutliches Verlangen nach sexueller Interaktion und/oder sexuelle Anziehung erleben können und im Hinblick auf ihre sexuelle Orientierung somit eigentlich im (allo)sexuellen Spektrum zu verorten sind.
http://de.asexuality.org/asexwiki/index.php/Graubereich
Nein, ich spreche niemandem ab, sich asexuell nennen zu dürfen! Von mir aus kann sich die ganze Welt so bezeichnen. Nimmt man sexuelle Anziehung wahr, so ist es nur halt faktisch falsch und läuft auf das Gleiche hinaus wie wenn sich ein Homosexueller vormacht, heterosexuell zu sein, weil er nicht homosexuell sein will. Man verleugnet also seine tatsächliche sexuelle Orientierung.
Asexualität hört spätestens da auf, wo sexuelle Anziehung anfängt.
Liebe Grüße.