Wilhelm versammelte Gelehrte zu kulturhistorischen Studien um sich („Doorner Arbeitskreis“), verfasste seine Memoiren und weitere Bücher und hielt sich für die Wiederherstellung der Monarchie bereit. Unter anderem durch den Hitlerputsch 1923 sah er sich in der These bestätigt, nur ein Monarch könne Ruhe und Ordnung garantieren. Gleichwohl wurden Hoffnungen auf eine kurzfristige und übergangslose Restauration der Monarchie schon bald auch im engsten Kreis um Wilhelm als – so Magnus von Levetzow 1927 – Ausdruck „vollkommener Hirnverbranntheit“[47] betrachtet. Diese nachhaltige Ernüchterung wurde nicht zuletzt durch die Tatsache gefördert, dass maßgebliche Monarchisten in Deutschland nach 1925 offen aussprachen, dass weder Wilhelm noch einer seiner Söhne ernsthaft als Thronprätendent in Betracht komme.[48] Der wegen der Flucht und der Gerüchte über seinen Lebenswandel seit 1919 geradezu als „unmöglich“[49] geltende Kronprinz vertrat im Einvernehmen mit seinem Vater bereits im Mai 1924 die Auffassung, dass zunächst „ein Diktator den Karren aus dem Dreck ziehen“ müsse.[50]
Obwohl die Hohenzollern vom republikanischen Deutschland großzügig abgefunden wurden, machte Wilhelm aus seinem Hass auf die „Saurepublik“ keinen Hehl. Den Wunsch, wieder auf den Thron zurückzukehren, gab der ehemalige Kaiser nie auf. Während der Endphase der Weimarer Republik machte sich Wilhelm (bestärkt durch seine Frau, die im Reich umherreiste, und zwei Besuche Hermann Görings 1931 und 1932) Hoffnungen auf eine Wiederherstellung der Monarchie durch die Nationalsozialisten. Dies erschien damals insofern nicht ganz unrealistisch, als die in vieler Hinsicht für die Nationalsozialisten vorbildhaften italienischen Faschisten den König von Italien auch während Mussolinis Diktatur im Amt beließen. Die Hoffnungen auf eine Wiedereinsetzung des Kaisers erwiesen sich nach der Machtergreifung der NSDAP Anfang 1933 als Illusion: Als Hitler, zwei Tage nach dem Tag von Potsdam, in seiner Rede vor dem Reichstag am 23. März 1933feierlich versprach, die Institutionen der Weimarer Reichsverfassung nicht anzutasten, traf das den Ex-Kaiser nach Aussage seines Adjutanten Sigurd von Ilsemannwie ein „Blattschuss“: Wie ein Angeklagter, der seinen Urteilsspruch anhört, habe er mit weit aufgerissenen Augen dagesessen und nur noch sagen können: „So!“[51] In der Folge entwickelte Wilhelm eine zunehmend distanzierte Haltung zur politischen Entwicklung in Deutschland.
„Alles wird von den Leuten ja beseitigt: die Fürsten, der Adel, die Offiziere, die Stände usw.; aber das wird sich rächen, man wird die einzige Fahne, die sie noch übrig gelassen haben, die mit dem Hakenkreuz, noch einmal verfluchen, und die Deutschen selber werden sie eines Tages verbrennen“, urteilte er am 7. September 1933.[52]
Antisemitismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als Kronprinz suchte Wilhelm die Nähe zur antisemitischen Bewegung des Hofpredigers Adolf Stoecker und beklagte verschiedentlich, die seines Erachtens jüdisch dominierte Presse habe zu großen Einfluss. Als Kaiser rückte er von Stoecker ab und trennte sich 1890 von ihm.[53] In seinen dreißig Regierungsjahren hatte Wilhelm judenfeindliche Initiativen oder Äußerungen unterlassen und zu mehreren prominenten Juden freundschaftliche Kontakte unterhalten. Zu diesen später von Chaim Weizmann sogenannten „Kaiserjuden“ gehörten unter anderem Albert Ballin, James Simon, Emil und Walther Rathenau, Max Warburg, Eduard Arnholdsowie Carl Fürstenberg.[54] Nach Wolfgang Benz beweist das aber nicht, dass der Kaiser kein Antisemit gewesen wäre: Man dürfe nicht übersehen, „daß der Kaiser mehrmals erklärt hat, er sehe Ballin nicht als Juden an“.[55] Von Houston Stewart Chamberlains antisemitischem Werk Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts war der Kaiser so begeistert, dass er alle höheren Schulen Deutschlands verpflichtete, mindestens ein Exemplar davon anzuschaffen.[56]
Wilhelms ambivalente Haltung wandelte sich nach seiner Absetzung zu entschiedenem Antisemitismus, der für ihn das wichtigste Erklärungsmodell für seinen Sturz wurde: Wilhelm glaubte, er hätte seinen Thron durch eine jüdische Verschwörung verloren.[54] Bereits während der Novemberrevolution betonte er: „Ich denke gar nicht daran, den Thron zu verlassen wegen ein paar hundert Juden, den paar tausend Arbeitern!“[57] John C. G. Röhl schreibt in seiner Biographie, Wilhelm habe seit 1918 in einer Vorstellungswelt gelebt, die „in ihrer alptraumhaften Entrücktheit und weltanschaulichen Radikalität extrem befremdlich wirkt“: Gegen die „Novemberverbrecher“, gegen Juden, Freimaurer und Demokraten äußerte er immer wieder Gewaltphantasien und Verschwörungstheorien.[58] Im August 1919 schrieb Wilhelm etwa an den Generalfeldmarschall August von Mackensen, die Deutschen wären „angehetzt und verführt durch den ihnen verhaßten Stamm Juda, der Gastrecht bei Ihnen genoß. Das war der Dank! Kein Deutscher vergesse je, und ruhe nicht, bis diese Schmarotzer von deutschem Boden vertilgt und ausgerottet sind!“[59]Rathenau bezeichnete er als ‚gemeinen, hinterlistigen, niederträchtigen Verräter‘, der zu dem ‚inneren Ring‘ der zweihundert Juden gehört habe, die die Welt regierten, und der mit Recht ermordet worden sei.[60] In einem Brief an einen amerikanischen Freund Poultney Bigelow am 15. August 1927 hieß es:
„Die hebräische Rasse ist mein Erz-Feind im Inland wie auch im Ausland; sind was sie sind und immer waren: Lügenschmiede und Drahtzieher von Unruhen, Revolution und Umsturz, indem sie mit Hilfe ihres vergifteten, ätzenden, satirischen Geistes Niederträchtigkeit verbreiten. Wenn die Welt einmal erwacht, muss ihnen die verdiente Strafe zugemessen werden.“ [61]
Im selben Jahr schrieb er ebenfalls an Bigelow:
„Die Presse, die Juden und Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muß – I believe the best would be gas.“ [62]
Andererseits erklärte er 1938, jeder anständige Mensch müsse die Novemberpogrome als „reines Gangstertum“ bezeichnen. Am 13. November schrieb er an die britische Königinwitwe Maria von Teck, er sei „vollkommen entsetzt über die Ereignisse zu Hause! Reiner Bolschewismus!“[63] Öffentlich kritisierte er die antisemitischen Gewalttaten aber nicht. Ausländische Zeitungen berichteten, Wilhelm habe erklärt, er „schäme sich zum ersten Mal in seinem Leben, ein Deutscher zu sein“.[64] Der Historiker Stephan Malinowski bezeichnet das Interview, in dem diese Äußerung gefallen sein soll, als Fälschung und verweist auf mehrere Dementis des Ex-Kaisers.[65] Im Zweiten Weltkrieg verbreitete er erneut Verschwörungstheorien über den „Antichrist Juda“, von dem England und Europa befreit werden müssten. 1940 behauptete er, Juden und Freimaurer hätten 1914 und 1939 einen Vernichtungskrieg gegen Deutschland vom Zaun gebrochen, um ein von britischem und amerikanischem Gold gestütztes „jüdisches Weltreich“ zu errichten – „da griff Gott ein und zerschlug den Plan!“[66] Unmittelbar wirkungsmächtig war Wilhelms Antisemitismus nicht, da die Nationalsozialisten auf ihn nicht angewiesen waren. Bedeutsam war er eher dadurch, dass er antisemitischen Vordenkern wie Houston Stewart Chamberlain, mit denen er offen Kontakt hielt, in konservativ-monarchischen Kreisen Respektabilität verschaffte.[67]
Im Zweiten Weltkrieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die niederländische Königin Wilhelmina, die während seines gesamten Exils jeden direkten Kontakt zu Wilhelm vermieden hatte,[68] ließ ihm angesichts eines bevorstehenden deutschen Angriffs auf die Niederlande im April 1940 eröffnen, dass er sich nicht mehr als Internierter zu betrachten habe und darum ausreisen könne, wann und wohin er wolle. Die niederländische Regierung legte ihm mehrfach nahe, einen Ort aufzusuchen, der nicht unmittelbar in der Kampfzone lag. Selbst das britische Königshaus unter der Regentschaft von König Georg VI. bot Wilhelm Asyl an. Der Kaiser lehnte aber alle Angebote dankend mit der Erklärung ab, er wolle wegen seines hohen Alters in Doorn bleiben und seinem Schicksal dort entgegensehen.[69] Bei der Besetzung der Niederlande im Mai 1940 ließ Hitler das Anwesen durch die Geheime Feldpolizei abriegeln. Der Kaiser durfte es nach wie vor nur zu kurzen Ausflügen und in Begleitung verlassen.
Wilhelm schickte Adolf Hitler am 17. Juni 1940 ein Glückwunschtelegramm, in dem er ihm zum deutschen Sieg über Frankreich kurz zuvor gratulierte:
„Unter dem tiefergreifenden Eindruck der Waffenstreckung Frankreichs beglückwünsche ich Sie und die gesamte deutsche Wehrmacht zu dem von Gott geschenkten gewaltigen Sieg mit den Worten Kaiser Wilhelms des Großen vom Jahre 1870: ‚Welche Wendung durch Gottes Fügung‘. In allen deutschen Herzen erklingt der Choral von Leuthen, den die Sieger von Leuthen, des Großen Königs Soldaten, anstimmten: ‚ Nun danket alle Gott‘“ [70]