Die Psychologie der Sünde
Wenn wir alle von Adam und Eva abstammen, ist anzunehmen, dass unsere
positiven und negativen Eigenschaften, unsere Schwächen und Stärken auf
unsere ersten Vorfahren zurückgehen.
An den Berichten von der ersten Sünde des ersten Menschen im Talmud
und Midrasch fällt etwas auf: Das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu
essen, wurde Adam und Eva erst am Abend des Freitags (am sechsten Tag,
an dem sie geschaffen wurden) erteilt. Außerdem galt das Verbot nur bis
zum Schabbat. Übrigens gab es im Garten Eden genug zu essen, denn dort
wuchs eine Fülle von Früchten. Hätten die beiden nicht eine vollkommene
Birne oder Mango probieren können? Mussten sie unbedingt vom einzigen
Baum essen, der ihnen verboten war?
Das Problem wird noch schwieriger, wenn wir bedenken, dass Adam und
Eva keine obdachlosen Penner waren. Sie waren von G-tt selbst geschaffen
worden. Solche erhabenen Geschöpfe konnten doch wohl ein paar Stunden
warten und zunächst andere Früchte essen. Warum musste es gerade diese
Frucht sein?
Wir alle kennen die Antwort: Verbotene Früchte sind einfach süßer!
Wir kommen ins Grübeln und stellen uns vor, dass die einzige verbotene
Frucht in einem Paradies mit Dutzenden von anderen delikaten Speisen das
Köstlichste auf Erden sein muss. Darum müssen wir sie haben, und zwar
jetzt.
Wir sind wie Adam und Eva. Aber für unsere Fehler haben wir immer
eine gute Ausrede, während ihre Sünde uns lächerlich, töricht und
unverzeihlich vorkommt. In Wahrheit ist die Geschichte seit Anbeginn der
Zeit immer die gleiche. Das liegt an der Psychologie der Sünde: Es
spielt keine Rolle, wie schwierig etwas ist – ein Gebot kann
kinderleicht sein; aber sobald wir es befolgen müssen, finden wir es
schwer.
Ist es wirklich so schwierig, Jude zu sein? Sind unsere Traditionen
eine solche Last? Ist die Tora so anspruchsvoll und hart? Sind all jene,
die ihr gehorchen, übermenschliche Heilige? Natürlich nicht. Das bilden
wir uns nur ein.
Macht Golfspielen am Samstag wirklich mehr Spaß als am Sonntag? Warum
können wir die ganze Woche kilometerweit gehen und laufen, während der
Gang zur Synagoge am Schabbat uns abschreckt? Sind nichtjüdische Frauen
wirklich hübscher als jüdische? Wenn wir ehrlich und objektiv sind,
erkennen wir die Wahrheit.
Die Psychologie der Sünde besteht darin, dass uns vieles schwieriger
vorkommt, als es ist, so wie Adam die verbotene Frucht für süßer als
alle anderen hielt. Er sollte eine einzige Mizwa ein paar Stunden lang
befolgen, und dennoch versagte er. Zweifellos würde es uns ebenso
ergehen, wenn das ganze Judentum auf ein einziges Gebot reduziert würde.
Wir würden uns trotzdem beklagen und die Mizwa zu hart finden!
Je früher wir begreifen, dass wir uns alles nur einbilden, desto früher haben wir Erfolg. Viel Glück!
(Quelle: Chabad.org)